Historischer Marketing-Coup: Wie der Diamantenkonzern De Beers den Verlobungsring „erfand“

So haben eine "Mad Woman" und die Popkultur Diamanten als "romantisches Produkt" etabliert

Eine US-Anzeige von De Beers aus den 80er Jahren
Eine US-Anzeige von De Beers aus den 80er Jahren
Inhalt
  1. Das Ziel: ein neues Image
  2. Frühes „Influencer Marketing“ sorgt für die Wende
  3. In einem Atemzug mit Picasso
  4. „Liebe wurde erfunden, um Dinge zu verkaufen“
  5. Von Marylin Monroe bis James Bond
  6. Eine „Faustregel“ als Marketinginstrument
  7. Ab 1960: Erfolgreiche Internationalisierung der Strategie
  8. Von 23 Millionen zu 3,6 Milliarden US-Dollar Umsatz

Wie erschaffe ich einen Markt für ein Produkt, für das es kaum originäre Nachfrage gibt? Kaum eine andere Kampagne dürfte auf diese Frage eine ähnlich erfolgreiche Antwort gefunden haben wie jene, mit der das Unternehmen De Beers Diamanten populär machte. Mit gewieften Marketing- und PR-Aktionen prägten die Firma und ihre Werbeagentur das Image des Edelsteins als höchsten Ausdruck der romantischen Liebe – und diktierten den verunsicherten Männern noch gleich dazu, wie viele Monatsgehälter sie für ihren Verlobungsring ausgeben sollten. OMR blickt anlässlich des Valentinstages zurück auf die finanziell vielleicht erfolgreichste Marketing-Kampagne aller Zeiten.

Am Anfang der heutigen Erfolgsgeschichte des Diamanten steht ein Problem: Es gibt plötzlich zu viele der Edelsteine. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts seien Diamanten nur in einigen wenigen indischen Flüssen und im brasilianischen Dschungel gefunden worden, schreibt US-Journalist Edward Jay Epstein 1982 in einem investigativen Artikel für The Atlantic. Doch im Jahr 1870 seien in Südafrika riesige Diamantenminen entdeckt worden. „Plötzlich wurde der Markt mit Diamanten überschwemmt.“

Das Ziel: ein neues Image

Weil der Preis von Diamanten fast ausschließlich von ihrer Knappheit abhängt, sehen die verschiedenen Finanziers der südafrikanischen Minen keine andere Wahl, als sich zusammenzuschließen. So entsteht im Jahr 1888 das Unternehmen De Beers. Das Ziel der Investoren: „ihre Interessen in einem einzigen Unternehmen zu bündeln, das mächtig genug sein würde, die Produktion zu kontrollieren und die Illusion der Knappheit von Diamanten aufrechtzuerhalten“, so Epstein. „De Beers erwies sich als die erfolgreichste Kartellverbindung in der Geschichte des modernen Handels.“ Während die Preise anderer Rohstoffe wie Gold, Silber, Kupfer, Kautschuk und Getreide starken Schwankungen unterworfen sind, bleiben die Diamantpreise über Jahrzehnte weitgehend stabil.

Das ändert sich in 30er Jahren des folgenden Jahrhunderts. Durch die Weltwirtschaftskrise und die politischen Konflikte am Vorabend des Zweiten Weltkrieges fallen weltweit die Preise für die Edelsteine. Im September 1938 reist deswegen Harry Oppenheimer, Sohn des De-Beers-Gründers, von Johannesburg nach New York City, um sich dort mit dem Präsidenten der Werbeagentur N.W. Ayer zu treffen. Der Minenbetreiber beauftragte die Agentur damit, Diamanten ein neues Image zu verschaffen – zunächst einmal in den USA, weil De Beers den dortigen Markt in der damaligen Lage als am aussichtsreichsten erachtet (weil Europa am Rande des Krieges steht und Verlobungsringe dort deutlich weniger verbreitet sind).

Frühes „Influencer Marketing“ sorgt für die Wende

Eine damals von De Beers durchgeführte Umfrage hätte ergeben, dass viele US-Amerikaner*innen Diamanten als Luxusgut der Ultra-Reichen erachtet hätten. Zudem waren Verlobungsringe dort eine verbreitete „Sitte“, die jedoch zu diesem Zeitpunkt an Popularität abnahm. Frauen hätten damals von ihren Männern erwartet, dass diese Geld für eine Waschmaschine oder ein neues Auto ausgeben – „für alles, außer für einen Verlobungsring“, wie die New York Times die Agenturmitarbeiterin Frances Gerety zitiert.

Die Agentur setzt dazu an, dem entgegenzuwirken, um „eine Situation zu schaffen, in der sich fast jeder Heiratswillige gezwungen sieht, einen diamantenen Verlobungsring zu erwerben“. Dabei greift N.W. Ayer zu einem Mittel, das man heute vielleicht als Influencer Marketing bezeichnen würde: Die Agentur stattet Filmstars mit Diamanten aus, damit diese die Edelsteine als „Symbol ihrer unzerstörbaren Liebe“ verwenden. Damit die normale Bevölkerung davon erfährt, stellen die Werber*innen ausgewählten Zeitschriften entsprechende Artikel und Fotos zur Verfügung. Offensichtlich gelingt damit die Trendumkehr: Zwischen 1938 und 1941 soll laut Epstein die Zahl der Diamant-Verkäufe um 55 Prozent gestiegen sein.

In einem Atemzug mit Picasso

1947 soll N.W. Ayer, genauer gesagt Texterin Frances Gerety, einen Slogan für eine Kampagne erdenken. Die stellt am Abend vor der Präsentation, kurz vor dem Zubettgehen fest, dass sie noch keinen Werbespruch hat. Sie kritzelt schnell eine Idee auf ein Stück Papier. Als sie diese am nächsten Morgen liest, hält sie sie für „zumindest okay“: „A Diamond is forever“, ein Diamant ist für immer. Als sie die Idee in der Agentur vorstellt, wird diese angenommen, auch wenn sie keine Begeisterung hervorruft. „Niemand ist aufgesprungen“, erinnert sich Gerety im Jahr 1988.

Die Agentur schaltet mit dem Slogan Anzeigen in „meinungsbildenden Magazinen“. Weil De Beers den weltweiten Markt für Rohdiamanten kontrolliert, kann das Unternehmen in den USA aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht unter eigenem Namen werben. Deswegen kombinieren die Anzeigen ohne Nennung einer Marke den von Gerety erdachten Slogan mit Kunstwerken von u.a. Dalí und Picasso. Diamanten sollten auf diese Weise mit einzigartigen Kunstwerken gleichgestellt werden.

Ein Anzeigenmotiv von De Beers unter Verwendung eines Gemäldes von Salvador Dalí

Ein Anzeigenmotiv von De Beers unter Verwendung eines Gemäldes von Salvador Dalí

„Liebe wurde erfunden, um Dinge zu verkaufen“

Auch wenn der Slogan zunächst nicht für Furore sorgt: Er trägt offenbar entscheidend dazu bei, Diamanten im öffentlichen Bewusstsein mit romantischer Liebe zu verknüpfen. Das US-Branchenmagazin Advertising Age kürt ihn 1999 als Slogan des Jahrtausends. De Beers selbst schreibt im Jahr 2015 von „Worten, die unsere Welt für immer verändert haben“.

Schöpferin Frances Gerety soll Inspiration für die Figur der Peggy Olson in der erfolgreichen US-Serie „Mad Men“ gewesen sein, die die Geschichte der US-Agenturbranche in den 60er und 70er Jahren nacherzählt. Mad-Men-Protagonist Don Draper sagt einmal: „Das, was Sie unter Liebe verstehen, ist von Leuten wie mir als Slogan erfunden worden, um Strumpfhosen zu verkaufen.“

Von Marylin Monroe bis James Bond

In den folgenden Jahren bauen De Beers und N.W. Ayer die Marketing-Aktivitäten aus, die Diamanten weiter popularisieren sollen. Das Unternehmen und seine Agentur nutzen auch das neue und wachsende Medium TV. So versorgt es immer wieder Schauspielerinnen in jenen Momente, in denen diese vor den Kameras stehen, mit Diamantschmuck – etwa bei der Oscar-Verleihung.

In welchem Maß dieses Engagement auch die „Produkte“ der Entertainment-Branche beeinflußt, ist unbekannt. Sicher ist: Im 1949 erschienenen Broadway-Musical „Blondinen bevorzugt“ gibt es den Song „Diamonds are a girl’s best friend“. Den singt Marylin Monroe 1953 in der Verfilmung des Stückes. Jahrzehnte später trägt ein James-Bond-Film den Titel „Diamonds are forever“; Film und der gleichnamige, von Shirley Bassey gesungene Titelsong gehen um die Welt.

Eine „Faustregel“ als Marketinginstrument

Gegen Ende der 50er Jahre berichtet die Agentur ihrem Kunden, dass 20 Jahre Marketing und PR bei den Verbraucher*innen den gewünschten Effekt erzielt hätten: „Seit 1939 ist eine völlig neue Generation junger Menschen ins heiratsfähige Alter gekommen“, so N.W. Ayer damals. „Für diese neue Generation wird ein Diamantring praktisch von allen als eine Notwendigkeit für die Verlobung angesehen.“

Über die Jahre hinweg gelingen De Beers und den Marketingverantwortlichen immer wieder neue Coups. So erfindet das Unternehmen die Regel, dass der Preis eines Verlobungsring in etwa einem Monatsgehalt entsprechen sollte. Das ist zum einen bauernschlau, weil das Unternehmen damit keinen festen Preis, sondern eine relative Kennzahl vorgibt, die ja auch besserverdienende Käufer höhere Summen ausgeben lässt.

Ab 1960: Erfolgreiche Internationalisierung der Strategie

Zum anderen eröffnet es dem Unternehmen die Möglichkeit, diese Regel auch immer wieder geringfügig anzupassen. In den 80er Jahren schaltet das Unternehmen in den USA – damit die Kunden größere, höherpreisige Steine kaufen – Anzeigen mit dem Text: „Wie kann man zwei Monatsgehälter für die Ewigkeit sichern? – Mit dem diamantenen Verlobungsring.“ Noch heute arbeiten Juwelier gegen diesen offenbar nicht totzukriegenden Mythos an.

In Japan soll De Beers in den 70er Jahren laut BBC sogar den Preis von drei Monatsgehältern für einen Verlobungsring propagiert haben. Das asiatische Land entwickelt sich im Zuge der Internationalisierung des B2C-Diamantgeschäfts ab den 60er Jahren zum zweitgrößten Markt De Beers.

Von 23 Millionen zu 3,6 Milliarden US-Dollar Umsatz

Über die Jahrzehnte hinweg steigert der Diamant-Konzern seine Marketing-Ausgaben laut Edward Jay Epstein immer weiter: von 200.000 US-Dollar auf zehn Millionen US-Dollar im Jahr 1979. Gleichzeitig sollen sich die Umsatzzahlen im selben Zeitraum fast verhundertfacht haben: von 23 Millionen US-Dollar im Jahr 1939 bis auf 2,1 Milliarden Ende der 70er Jahre. Im Jahr 2022 hat De Beers nach eigenen Angaben einen Umsatz von 3,6 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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