Fünf Missverständnisse beim Thema Corporate Influencer – und wie Unternehmen es besser machen können

Tanja Karrasch21.12.2023

"Firmenbotschafter*innen" werden für Unternehmen immer wichtiger. Aber wie setzt man sie sinnvoll ein?

Corporate Influencer*innen haben mit Linkedin ein wichtiges Sprachrohr gefunden. Quelle: Erstellt mit Playground AI
Inhalt
  1. Die Party nach der Party
  2. Fünf große Corporate-Influencer-Missverständnisse

Mit der Beliebtheit von Linkedin wächst auch die Zahl der Corporate Influencer*innen. Viele Unternehmen haben längst erkannt, dass Mitarbeitende mit Social-Media-Beiträgen über ihr Unternehmen teilweise höhere Reichweiten erzielen als die jeweiligen Firmenaccounts. Wie gut die Szene vernetzt ist, zeigte sich jetzt bei einem Forum zum Thema in Essen. OMR war beim großen Corporate-Influencer-Klassentreffen dabei. Hier sind unsere Erkenntnisse.

Jürgen Schmitt arbeitet seit 30 Jahren bei der Deutschen Bank – und wenn man ihn sieht, könnte man denken, dass er auch genauso lange seinen Bart wachsen lässt. Langer Rauschebart und Bank, das wäre früher eine undenkbare Kombination gewesen. Genauso wie der Hoodie, den Schmitt an diesem Donnerstagmorgen trägt. Ach ja, lange Haare hat er natürlich auch. Jürgen Schmitt ist das Gegenteil des Bildes, was man von einem Banker hat. Doch genau das gehört auch zu seinem Erfolgsrezept.

Denn Schmitt gibt der Bank in sozialen Netzwerken ein Gesicht, ein Profil. Während viele andere Teile ihrer Arbeitszeit darauf verwenden, ist Jürgen Schmitt hauptberuflich Unternehmensbotschafter. Wobei, das stellt er in seinem Vortrag in Essen klar, er "keine Litfaßsäule für seine Company" sein möchte. Stattdessen setzt er auf Erklärinhalte. "Expedition Finance" heißt sein Vollzeit-Projekt, in dem er auf Linkedin (rund 16.000 Follower*innen) und Youtube Finanzthemen bespricht.

Rund 100 Teilnehmer*innen sind an diesem Donnerstagmorgen nach Essen in die Konzernzentrale des Stahlkonzerns Thyssenkrupp gekommen, um sich auch mal die Hand statt ein "Gefällt mir" zu geben und daraus zu lernen, wie's andere machen. Vertreter*innen des Software-Anbieters Datev, von Mercedes Benz oder IBM erklären an diesem Tag, wie sie beim Thema Corporate Influencer aufgestellt sind.

Die Party nach der Party

Welche Chancen Corporate Influencer*innen bieten, haben viele Unternehmen bereits erkannt. Ilse Henne, CTO von Thyssenkrupp Materials Services, bringt das auf der Bühne so auf den Punkt: "Eine Innovation im Kleinen ohne Netzwerk ist eine Innovation, die uns nicht weiterbringt." Durch das Netzwerk werde die Innovation größer und nutzbar. Vorzeige-Influencer bei Thyssenkrupp ist der "Stahlblogger" Heinz Peter Pülzl, der eigentlich als Key-Account-Manager arbeitet, sich aber mit Newsletter, Podcast und regelmäßigen Beiträgen eine Followerschaft von rund 13.300 Menschen aufgebaut hat.

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Zum Forum in Essen kamen rund 100 Gäste. Foto: Thyssenkrupp

In Zeiten, in denen das Unternehmen Verluste in Milliardenhöhe verkraften muss, kann die positive Außendarstellung durch geschulte Mitarbeitende nicht schaden. Der Industriekonzern nennt das Programm seinen "Brand Ambassador"-Ansatz. Mitarbeitende sollen authentische Einblicke in den Alltag beim Unternehmen geben, das Unternehmensimage stärken und dabei helfen, neue Mitarbeitende zu gewinnen. Mehrere hundert Kolleg*innen wurden dafür bereits geschult. Sie haben gelernt, wie man einen Post erstellt, welche Themen sich eignen oder wie man ein Netzwerk aufbaut. Sie wurden aber auch darüber aufgeklärt, wie Linkedin als Vertriebswerkzeug funktioniert und welche rechtlichen Aspekte beachtet werden müssen. Ein wichtiges Thema also bei Thyssenkrupp, deswegen sei die Entscheidung, Gastgeber des Forums zu sein, auch leicht gefallen, sagt Ilse Henne.

Nach dem Event geht die Party online weiter, es wird gepostet, getaggt, geliked und gegenseitig kommentiert. Klar – wer, wenn nicht die Influencer*innen wüssten: So ein Klassentreffen ist interessant, darüber hinaus aber auch ein perfekter Content-Generator für den nächsten Linkedin-Post.

Fünf große Corporate-Influencer-Missverständnisse

Welche Erkenntnisse bleiben also? OMR räumt nach diesem Tag und Gesprächen mit Expert*innen mit fünf Missverständnissen auf, die Corporate Influencer*innen einerseits das Leben schwer machen und andererseits dazu führen können, dass Unternehmen weniger von ihren motivierten Markenbotschafter*innen profitieren als möglich.

1. Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr CEO

Natürlich sind Chef*innen oft diejenigen Vertreter*innen eines Unternehmens, deren Name oder Gesicht am bekanntesten ist. Entsprechend schnell lassen sich auf ihren Accounts auch Followerzahlen anhäufen, für die Bernd aus der Buchhaltung sehr lange und regelmäßig posten müsste. Der Ansatz "Wenn hier einer kommuniziert, dann ja wohl der Chef" ist nicht nur gestrig, er wird auch dem Thema, um das es hier geht, nicht gerecht. Denn wer den Expert*innen in Essen eine Weile zuhört, lernt schnell: Corporate Influencer sind oft Botschafter*innen aus der Nische, Expert*innen für einen Teilbereich ihres Konzerns oder des Unternehmens und lassen auch persönlichen Interessen und Schwerpunkte mit in ihre Beiträge einfließen. Genau das macht sie im besten Fall authentisch und bietet einen Mehrwert für andere. Deutlich wird der Unterschied zwischen C-Level-Kommunikation und guten Markenbotschafter*innen etwa in der Kommentarspalte. Während dort bei Corporate Influencer*innen häufig ein direkter Austausch stattfindet, wird von CEOs großer Unternehmen gar nicht erst erwartet, dass sie persönlich auf jede Nachricht reagieren. So kommt zum Beispiel "Influbenzer" Oliver Herbert teilweise auf 18 Mal so viele Kommentare unter seinen Beiträgen wie die Mercedes-Vorstände – bei gleicher Reichweite, berichtet er in Essen.

2. Der verlängerte PR-Arm

Unternehmensbotschafter*innen als verlängerte Werbekampagne oder PR-Arm zu sehen oder sie sogar instrumentalisieren zu wollen, ist der falsche Weg, findet Linkedin-Expertin Britta Behrens. Für sie sind stattdessen zwei Punkte entscheidend: Unternehmenskultur und Unternehmensstolz. "Je mehr Bock ich habe, in einem Unternehmen zu arbeiten und da etwas zu bewegen, desto eher sind die Leute bereit, über Themen aus dem Unternehmen zu sprechen", sagt sie. Der Rest kommt dann von alleine: Unternehmen, die Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, auf Social Media ihre Expertise zu zeigen, sich einen Namen zu machen und ein Netzwerk aufzubauen, haben laut Britta Behrens "durch diesen Brand-Awareness-Faktor einen riesengroßen Vorteil, vor allem in sehr fachspezifischen Zielgruppen, in denen man sonst für teuer Geld Anzeigen schalten müsste. In die können auch Pressemitteilungen und Marketingkommunikation nicht vorstoßen, weil das Fachwissen fehlt, um mit den Menschen auf Augenhöhe zu kommunizieren." Wichtig ist, da sind sich die Expert*innen einig: Freiwillig muss es sein. Seine Motivation sei die Selbstwirksamkeit, sagt Datev-Botschafter Daniel Niemann. "Ich trage das, was ich sowieso mache, nach außen. Das bewirkt ganz viel."

3. Linkedin gerne, aber bitte nach Feierabend

Das bisschen Schreiben macht sich doch von alleine, oder? Von wegen. Guter Content, der sauber recherchiert und ansprechend aufgeschrieben ist, einen Mehrwert bietet und am besten einen persönlichen Twist hat, braucht Zeit. Die sollte von den Unternehmen auch als Arbeitszeit wahrgenommen werden, sagt Britta Behrens. Die Firmen profitieren schließlich auch von positiver Markenwahrnehmung, neuen Kund*innen oder Bewerber*innen. Wie die Arbeitszeit zwischen Hauptjob und der Tätigkeit als Markenbotschafter*in aufgeteilt wird, wird in vielen Unternehmen individuell abgesprochen. Eine Alternative sei es, externe Influencer*innen zu beschäftigen, die im Namen des Unternehmens kommunizieren, sagt Cordula Frandsen von der Digitalagentur Camao, die Linkedin-Programme und Workshops in Unternehmen anbietet, um potenzielle Influencer*innen zu schulen. Aber: "Authentischer ist es, wenn es von intern kommt und dafür sollten Mitarbeitende die Zeit freigeschaufelt bekommen."

4. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Wenn Unternehmen Angst davor haben, was ihre Mitarbeitenden posten könnten, läuft irgendwas schief. "Dann hat man ein Problem mit der Unternehmenskultur", sagt Britta Behrens. "In der heutigen digitalen Arbeitswelt kann man nicht mehr im Elfenbeinturm sitzen und alles steuern, was über eine Marke kommuniziert wird." Hinzu kommt: Sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, sich besonders persönlich oder kreativ auszutoben, kostet viele Menschen Überwindung. "Um diese Hemmungen zu überwinden, brauchen sie das Vertrauen ihrer Arbeitgeber", sagt Cordula Frandsen. "Das sollte vorhanden sein, sonst hätte man sie ja gar nicht eingestellt." Mit Mikromanagement funktioniere Corporate Influencing nicht. "Am besten stellen Unternehmen so wenig Regeln wie möglich auf, um Mitarbeitende nicht zu hemmen und damit es authentisch bleibt. Dennoch braucht es ein kleines Regelwerk oder Playbook." Gemeint ist eine Etikette, ein grober Leitfaden, besonders bei heiklen Themen – das sieht auch Britta Behrens so: "Aber eher Gebote. Zu viele 'Don'ts' können Mitarbeitende verunsichern." Laut Teilnehmer*innen beim Forum in Essen ein absolutes No-Go: Freigaben von Posts durch Unternehmen. "Wir müssen weg von der Angst, hin zum Vertrauen. Das wird zurückgezahlt", sagt Daniel Niemann von Datev.

5. Firmenaccounts – lieben die Leute

Um es kurz zu machen: Nö. "Menschen lieben es, sich mit Menschen aus den Unternehmen direkt auszutauschen. Und LinkedIn hat es verstanden, den Business Accounts deutlich mehr Sichtbarkeit und Reichweite zu geben als Unternehmensseiten", sagt Britta Behrens. Daher sei die Symbiose zwischen der Company Page und Corporate-Influencer-Kommunikation entscheidend. "Eine Marken- und Kommunikationsstrategie, die die Unternehmensseite allein in den Mittelpunkt stellt, wird das Potential auf LinkedIn nie ausschöpfen." Auch die Nutzer*innen hätten immer mehr Interesse am Menschen als am Produkt oder dem Unternehmen, sagt Cordula Frandsen. "Deutsche Bank"-Influencer Jürgen Schmitt kann ein Lied davon singen, wie schwer es ist, mehr Leute auf eine Corporate-Seite zu bekommen. Seine Lösung: Auf dem privaten Linkedin-Profil Themen auf der Metaebene anzuschneiden und dann zu den Corporate-Inhalten überzuleiten. Und trotzdem: Ein Blick auf die geringen Aufrufzahlen seiner Youtube-Videos im Vergleich zum regen Austausch auf Linkedin legt nahe, dass auf dem Weg dorthin viele verloren gehen.

LinkedInMarketing
Tanja Karrasch
Autor*In
Tanja Karrasch

Tanja Karrasch ist Redakteurin bei OMR. Sie hat bei der Tageszeitung Rheinische Post volontiert und anschließend als Redakteurin gearbeitet. Vor ihrem Wechsel zu OMR arbeitete sie für die TV-Produktionsfirma Bavaria Entertainment und war als Redaktionsleiterin für zwei ZDF-Shows zuständig.

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