“Brotfluencer”: Mit Teig-Hacks und Back-Tipps zu Millionen-Reichweiten auf Tiktok & Co.
Sie werben für das Kulturgut Brot, sind Botschafter für das Bäckereihandwerk – und Social-Media-Stars
- Eine Nische auf Tiktok
- Als Brotbotschafter auf Social Media
- Nachwuchsgewinnung ein wichtiges Thema
- Vom Burnout zum Brotbotschafter
Brot ist den Deutschen heilig. Spätestens seit Corona boomt das Handwerk auch auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok, Instagram und Co. Zwei deutsche „Brotfluencer“, die sich auf Social-Media einen Namen gemacht haben, sind Ricardo Fischer alias „Brotprofi“ und Jo Semola. Der eine ist Brot-Sommelier, der andere Quereinsteiger mit Agentur-Hintergrund. Im Gespräch mit OMR erzählen sie, wie sie ihre Reichweite aufbauen konnten und wie daraus teilweise Deals mit großen Brands wurden.
Auf Tiktok gibt es gerade mal wieder einen neuen Trend: Beim „Girl Dinner“ zeigen vor allem Frauen, was sie zum Abendbrot essen. Was in Deutschland Tradition hat und als Brotzeit bekannt ist, ist für Amerikaner*innen offenbar etwas Neues. Die Kalifornierin Olivia Maher zum Beispiel erreichte mit einem liebevoll angerichteten Abendbrot auf Tiktok 1,4 Millionen Views. Insgesamt wurden Videos mit dem Hashtag #girldinner schon fast 800 Millionen Mal aufgerufen.
Food – und damit auch Backwaren – sind natürlich nicht erst seit gestern ein beliebtes Thema auf Social-Media-Plattformen. Welch Reichweiten-Treiber entsprechende Inhalte aber immer noch sein können, beweisen nicht nur das aktuelle Abendbrot-Phänomen auf Tiktok, sondern auch Ricardo Fischer und Jo Semola mit ihrem Back-Content. Seit 2019 lädt Fischer Videos auf Tiktok hoch, in denen er zum Beispiel erklärt, wie man die „einfachsten Brötchen der Welt“ backt. Oder er nutzt Tiktoks Reaction-Funktion „Duett“ und reagiert auf andere außergewöhnliche Back-Videos. „Ich wurde markiert, Brotprofi reagiert“ hat sich dabei zu einer Art Catchphrase entwickelt. Seit dem Start ist die Tiktok-Community vom Brotprofi auf mittlerweile mehr als 400.000 Follower angewachsen; das wohl erfolgreichste Video hat 7,1 Millionen Aufrufe. Bei Instagram kommen noch einmal 102.000 Follower dazu, bei Youtube knapp 65.000 Abos.
Eine Nische auf Tiktok
Seit 2000 ist Ricardo Fischer bereits Bäcker, seit 2012 mit eigener Bäckerei und mittlerweile 21 Mitarbeitenden. Den Namen der Bäckerei hat er wegen seines Social-Media-Erfolgs dieses Jahr umbenannt – in „der Brotprofi“ natürlich. Ende 2020 hatte Fischer eine zusätzliche Ausbildung abgeschlossen und kann sich seitdem Brot-Sommelier nennen. Brot-Sommeliers sind quasi das Pendant zu Wein-Sommeliers: Experten rund um das Thema Brot, die seit 2015 an der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim ausgebildet werden. In seiner Abschlussarbeit beschäftigte sich Fischer mit Social-Media-Marketing – insbesondere auf Tiktok.
Was er dabei gelernt hat, nutzt er nicht nur für seine eigenen Kanäle, sondern gibt es seit einigen Jahren auch als Dozent an der Bundesakademie des Bäckerhandwerks weiter. Dort unterrichtete er zum Beispiel auch den Bäcker-Kollegen Axel Schmitt, der inzwischen unter dem Namen @brotsommelier selber als Brotfluencer unterwegs ist. Auf Tiktok kommt er auf über 120.000 Follower, auf Instagram sind es 115.000.
Nach seinen ersten Gehversuchen auf Tiktok war Brotprofi Ricardo Fischer noch alles andere als begeistert. „Zunächst war ich verschreckt von all den Tanzvideos und habe die App schnell wieder gelöscht“, sagt Fischer. Ein paar Monate später dann der zweite Versuch, dieses Mal etwas analytischer. Er fand auf Tiktok zwar viel Fast-Food-Content, aber keine deutschen Accounts, die sich mit Brot beschäftigten. Hier erkannte er eine Nische.
Als Brotbotschafter auf Social Media
Bis heute hat Fischer keine in Stein gemeißelte Social-Media-Strategie. Er will die User einfach mit in seinen Bäcker-Alltag nehmen. Geld verdient er damit weniger. „Meine Mission ist, Brotbotschafter für das deutsche Bäckerhandwerk zu sein und die Wertschätzung für gutes Brot zu steigern“, sagt er. Da sieht er noch viel Handlungsbedarf, denn die Wertschätzung für Essen allgemein sei in Deutschland ausbaufähig: „In Frankreich fährt man mit einer rostigen, alten Ente zum Sterne-Restaurant. In Deutschland fährt man mit dem neusten Porsche zum McDonalds“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Seinen Social-Media-Erfolg führt er auf drei Gründe zurück: seiner Fachkompetenz als Bäckermeister und Brot-Sommelier, dem Entdecken einer Social-Media-Nische und dem Besetzen dieser als „First Mover“.
Nachwuchsgewinnung ein wichtiges Thema
Aber auch ein anderes Thema ist Brotprofi Fischer bei seinem Social-Media-Engagement wichtig: die Nachwuchsgewinnung. Laut aktuellen Zahlen wollen immer weniger junge Menschen eine Ausbildung als Bäcker*in machen. 2015 zählte der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks noch über 18.800 Auszubildende, 2019 rund 14.800. Jetzt sind es nur noch gut 10.700. Wenn er mit seinen Videos junge Menschen erreichen kann, die sich für das Bäckerhandwerk entscheiden, freue ihn das. Manchmal bekomme er sogar Nachrichten aus seiner Community, in denen ihm Jugendliche erzählen, dass sie sich seinetwegen für eine Bäckerlehre entschieden haben.
Doch der Beruf des Creators ist aufwändig: Zwischen 15 und 20 Stunden pro Woche investiere Fischer in die Produktion seiner Videos – neben seiner Arbeit in der Bäckerei. Lukrativ ist das Creator-Dasein dabei bisher kaum: Er verdiene damit nur eine Summe im dreistelligen Bereich; hin und wieder gehe er Kooperationen mit Marken wie „To Good To Go“ ein, einer App gegen Lebensmittelverschwendung. Der Umsatz in der Bäckerei habe sich trotz Social-Media-Reichweiten bisher nicht verändert. Brotprofi Fischer könne sich aber vorstellen, in Zukunft mit anderen Unternehmen als Markenbotschafter zusammenzuarbeiten. Ein Creator-Dasein in Vollzeit könne er sich aber nicht vorstellen: „Backen ist was Schönes, ich kann mir nichts anderes vorstellen“, sagt er lächelnd.
Vom Burnout zum Brotbotschafter
Einer, der anders als Fischer Vollzeit-Creator ist und bereits vom Brotbacken auf Tiktok leben kann, ist Jo Semola. Er hat keine Ausbildung als Bäcker, aber begeistert seine Follower mit Brotbacktipps auf Tiktok, Instagram und Youtube.
Bevor er zum Brotfluencer wird arbeitet er jahrelang in der Eventbranche – bis er einen Burnout erleidet und dann vor der Frage steht, was er nun mit seinem Leben anfangen möchte. Eine Rückkehr in die Veranstaltungsbranche sei für Jo Semola nicht in Frage gekommen, er hätte aber schon lange eine intrinsische Leidenschaft fürs Kochen und Backen gehabt. Seine Frau ist zu dem Zeitpunkt schon mit einem Instagram-Account erfolgreich – und Jo entscheidet sich, das mit Back-Content auch zu versuchen. Das ist heute knapp zwei Jahre her. Mittlerweile hat Jo Semola auf Tiktok mehr als 750.000 Follower und 277.000 Follower auf Instagram. Wie hat er das geschafft?
Sein Geheimrezept: Authentizität, Konsistenz und kritisches Analysieren des eigenen Contents. Außerdem investiere er viel Leidenschaft und Zeit in das Creator-Dasein: in der Woche zwischen 30 und 60 Stunden. Anders als beim Brotprofi – und das wirkt sich auch auf die Anzahl der Kooperationen aus. Im letzten Jahr konnte er einen sechsstelligen Betrag als Gewinn verbuchen. Ein Großteil des Geldes stammt aus Werbedeals mit großen Brands wie Samsung, Kerry Gold oder C&A.
Kooperation sind aber längst nicht die einzige Einnahme-Quelle: Sein Ende 2022 veröffentlichtes Buch „Einfach. Lecker. Brot“ wird mit 30.000 verkauften Exemplaren zum Spiegel-Bestseller, das zweite Buch („Wake & Bake“) erscheint in wenigen Wochen. Und im gerade erst gelaunchten eigenen Online-Shop will Semola künftig Back-Zubehör unter der eigenen Brand „Jo Semola – The Art of Baking Bread“ verkaufen. Ein weiteres geheimes Projekt sei ebenfalls noch in Planung.
Semola sieht das Creator-Dasein als Business: „Werbepartnerschaften sind fragil, da es immer Krisen geben wird und dann Budgets gekürzt werden. Deshalb versuche ich dem ganzen ein Fundament zu geben, das sich langfristig selbst tragen kann.“ Das A und O sei die Bindung zur Community. Erfolg bedeutet für Jo Semola auch, seinem großen Ziel näher zu kommen: „Ich möchte, dass Jo Semola als die Marke rund ums Hobby-Backen wird. Außerdem will ich mit meiner Website eine Plattform schaffen, wo sich alle Hobby-Bäcker im deutschsprachigen Raum treffen können. Und vor allem möchte ich den Deutschen ihr Kulturgut – das Brot – wieder nahebringen und das Verständnis dafür, was gutes Brot ausmacht.“