Von Verlag bis Mode-Marken – die kuriosen Geschäftsmodelle der Foto-Youtuber
Fotografen wie Benjamin Jaworskyj oder Stephan Wiesner sind in der Nische mit schlauen Konzepten erfolgreich
- Zwei Kanäle dominieren den Foto-Bereich
- Hobby-Fotografen sind eine kaufkräftige Zielgruppe
- Benjamin Jaworskyj will mit Haukland in die USA expandieren
- Stefan Schäfer verzichtet auf die meisten Werbeangebote
- Zuschauer unterschätzen oft den Produktionsaufwand
- Das Smartphone macht den Markt kaputt
- Kochen ist das neue Fotografieren
- Update (15. Februar 2022)
Fotografie-Kanäle bilden bei Youtube eher eine Nische. Fotografen wie Benjamin Jaworskyj, Stephan Wiesner oder Pavel Kaplun nutzen ihre Reichweite auf der Plattform jedoch geschickt, um unterschiedliche Geschäftsmodelle aufzubauen – von Foto-Kursen über Bekleidung bis hin zu einem Verlag. Doch der zukünftige Erfolg ist alles andere als sicher. Denn der Siegeszug des Smartphones bedroht ihre ganze Zunft.
Ein Informatiker kündigt seinen Job, um stattdessen lieber ein gedrucktes Magazin herauszubringen – das klingt im Jahr 2022 nicht nach der besten Entscheidung. Doch Stephan Wiesner hat bislang wenig Grund, seinen Schritt in die Verlagswelt zu bereuen. Wobei, als klassischer Verleger würde er sich wohl auch nicht bezeichnen. Denn Wiesner ist eher das, was man neudeutsch Creator nennt: er betreibt einen der größten Youtube-Kanäle für Fotografie in Deutschland und hat mit dem Zielfoto-Magazin ein Produkt geschaffen, dessen Erfolg es ihm erlaubte, seinen eigentlichen Job an den Nagel zu hängen.
Die Idee zu einem Magazin sei bei einem Workshop entstanden, erzählt Stephan Wiesner. Eine Designerin habe ihn gefragt, ob er nicht ein Best-of seiner Fotos in Heftform veröffentlichen möchte. „Meine erste Reaktion war: Das will doch keiner haben“, sagt Wiesner gegenüber OMR. Doch dann entstand der Plan, eine Art Wanderführer für Fotografen zu machen. So etwas gab es damals auf dem deutschen Markt noch nicht. Wiesner ließ 500 Exemplare als Test-Ausgabe produzieren. Mit Erfolg. Heute liegt die Auflage bei 20.000. „Früher habe ich die Magazine mit dem Fahrrad zur Post gebracht, inzwischen kommt jeden Tag ein Lkw bei uns vorbei“, sagt Wiesner.
Zwei Kanäle dominieren den Foto-Bereich
Youtube-Kanäle für Fotografie bewegen sich in Deutschland in einer Nische. Selbst die größten Accounts, neben dem von Stephan Wiesner ist das vor allem der Kanal von Benjamin Jaworskyj, kommen „nur“ auf 50 bis 60 Millionen Aufrufe. Gemessen an den Reichweiten von Kanälen wie BibisBeautyPalace (ca. 2,8 Milliarden Aufrufe), Dagi Bee (ca. 1 Mrd. Aufrufe) oder auch Knossi (ca. 300 Millionen Aufrufe) ist das vergleichsweise wenig.
Einige Fotografen wie der Österreicher Daniel Waschnig oder der Düsseldorfer Andreas von Grabowiecki (bei YouTube bekannt als Andy Grabo) betreiben ihren Kanal daher eher als Hobby und Abwechslung zum Arbeitsalltag. Andere wie Stefan Schäfer erzielen dank Partnerschaften und Sponsorings immerhin einen Teil ihres Einkommens damit. Und wieder anderen wie Benjamin Jaworskyj und Stephan Wiesner ist es gelungen, mithilfe ihrer Youtube-Reichweite ein funktionierendes Geschäft aufzubauen. Doch zurücklehnen können auch sie sich nicht. Denn der Siegeszug des Smartphones bedroht mittelfristig ihr Geschäft.
Hobby-Fotografen sind eine kaufkräftige Zielgruppe
Momentan funktioniert das Geschäft jedoch noch. Denn die Fotografen richten sich mit ihren Youtube-Videos und Angeboten zwar an eine spitze Zielgruppe, dafür aber an eine, die es gewöhnt ist, für ihr Hobby viel Geld auszugeben. Kamera, Objektive, Speicherkarten und Stative, vielleicht sogar noch Bearbeitungssoftware und Filter – wer sich intensiv mit der Fotografie beschäftigt, gibt schnell vier- oder gar fünfstellige Summen aus.
Einige Fotografen wie das Hannoveraner Kreativstudio Pavel Kaplun oder auch der Brandenburger Stefan Schäfer bieten dieser Zielgruppe Foto-Videokurse und -Workshops an. Andere wie Stephan Wiesner oder auch Benjamin Jaworksyj sind sogar noch einen Schritt weitergegangen. Inzwischen machen sie siebenstellige Jahresumsätze – Wiesner überwiegend mit seinem Zielfoto-Magazin und Bildbänden, Jaworskyj unter anderem dank des Aufbaus seiner Mode-Marke „Haukland“ speziell für Fotografen sowie eigenen Foto-Produkten wie Filtern, Stativen und Kamerataschen.
Benjamin Jaworskyj will mit Haukland in die USA expandieren
„Bei Sportlern ist es Gang und Gäbe, dass Schuhe oder andere Produkte gebrandet werden. Als ich 2015 damit angefangen habe, haben sich viele Marketing-Chefs noch nicht mal mit Facebook beschäftigt“, sagt Jaworskyj, der den britischen Koch Jamie Oliver als sein unternehmerisches Vorbild bezeichnet. Also hat er die Umsetzung seiner Mode-Linie selbst in die Hand genommen. Unter der Marke Haukland vertreibt er unter anderem speziell auf die Bedürfnisse von Fotografen zugeschnittene Outdoor-Jacken – inklusive spezieller Innentaschen für Foto-Ausrüstung und einem Mikrofaser-Tuch im Ärmel, mit dem man unterwegs die Kameralinse säubern kann. Nachdem seine Produkte bislang überwiegend in Deutschland verkauft wurden, will er in diesem Jahr mit Haukland in die USA expandieren.
„Allein von den Youtube-Einnahmen könnte ich keine Familie ernähren“, sagt Benjamin Jaworskyj, der mit seiner Frau und seinem Sohn in Norddeutschland lebt. Die Einnahmen aus dem Werbe-Programm (Adsense) von YouTube lägen bei rund 2.000 Euro brutto im Monat. „Als One-Man-Show würde das vielleicht knapp reichen, aber ich habe ja ein Team, das ich bezahlen muss“, sagt Jaworskyj. Zwei Angestellte arbeiten fest für ihn, außerdem greift er immer wieder auf ein Team von Freiberuflern zurück. Hinzu kämen hohe Kosten, etwa für die Produktion der Ware. „Am Ende zählt, wie viel Gewinn davon übrig bleibt.“
Stephan Wiesner sieht das ähnlich. Er sagt, allein die Porto-Kosten für das Zielfoto-Magazin lägen jährlich bei rund 70.000 Euro. Auch er hat inzwischen einen Angestellten, den er bezahlen muss. Lukrativ ist das Geschäft dennoch: Allein 2020 lag der Gewinn von Wiesners Unternehmen laut Bundesanzeiger bei mehr als 200.000 Euro.
Stefan Schäfer verzichtet auf die meisten Werbeangebote
Bei anderen ist Youtube eher die Ergänzung zum eigentlichen Beruf. Daniel Waschnig verdient sein Geld als Werbefotograf in Österreich. Sein Kanal, den er gemeinsam mit seinem Freund Stefan Hafner betreibt, hat knapp 4.500 Abonnenten und rund 1,1 Millionen Aufrufe. Waschnig sagt, der Kanal sorge für mehr Besucher auf seiner Internetseite und seinen Social-Media-Profilen. Aufträge bekommt er durch seinen Youtube-Auftritt bislang nicht. Aber das soll sich ändern. „Langfristig würden wir mit dem Kanal gerne eine Reichweite erreichen, mit welcher man seinen alltäglichen Job wöchentlich um ein paar Stunden reduzieren kann“, sagt Daniel Waschnig. Ein bis zwei Tage pro Woche könnten sie dann ausschließlich in die Produktion von Inhalten für den Youtube-Kanal investieren und so auch die Qualität steigern. Einen Meilenstein wollen sie bis Sommer 2023 erreichen: 10.000 Abonnent:innen.
Stefan Schäfer hat diese Marke schon vor Jahren geknackt. Seine Videos wurden inzwischen rund sechs Millionen Mal aufgerufen. „Wirklich relevant geworden ist Youtube, als ich vierstellige Klickzahlen mit jedem Video erreicht habe“, sagt er. Anfragen für Produkttests und Kooperationen gebe es zwar häufig, sagt der Fotograf: „Die meisten landen aber sofort im Müll.“
Maximal ein bis zwei Prozent der Anfragen münden laut Schäfer in einer Kooperation. „Es muss für beide Seiten Sinn haben, es muss also auch meine Community davon profitieren“, sagt er. 100 bis 5.000 Euro Verdienst seien dabei möglich, so Schäfer. Um sich Vollzeit auf Youtube zu fokussieren reicht das allerdings nicht. Etwa die Hälfte seines Einkommens deckt Schäfer durch Einnahmen aus der Plattform ab. „Tatsächlich mache ich auch noch relativ viele Aufträge als klassischer Fotograf.“ Es sei aber auch nie sein Ziel gewesen, als Youtuber sein Geld zu verdienen. Eigentlich sei die Video-Plattform eher ein Hobby gewesen.
Zuschauer unterschätzen oft den Produktionsaufwand
Was man immer wieder hört: Viele Zuschauer würden den Aufwand für die Produktion eines Videos unterschätzen. Diese Erfahrung haben auch Pavel Kaplun und Miho Birimisa gemacht. Bereits 2016 haben sie in einem Youtube-Video ihren Produktionsprozess erklärt. Einen bis anderthalb Tage benötigen sie demnach für ein Video. Allein die Produktionskosten lägen damit bei 1500 bis 2000 Euro. Hinzu kämen noch Kosten für Mikrofone und anderes Material. Der Aufwand ist beträchtlich, doch natürlich mit der Idee verbunden, dass Zuschauer am Ende Produkte im Online-Shop der beiden kaufen. Immerhin: 2019 lag der Gewinn des Kreativstudios Pavel Kaplun bei rund 120.000 Euro. Aktuellere Zahlen sind im Bundesanzeiger noch nicht veröffentlicht.
Die Pandemie hat das Team allerdings genauso getroffen wie andere Kreative. Viele Foto-Workshops mussten abgesagt werden. Aktuell bietet das Kreativstudio allerdings wieder Veranstaltungen an – zum Beispiel in Hamburg, Lübeck oder Barcelona. Hinzu kommen Online-Workshops, die man während der Pandemie eingeführt hat. Dabei werden Fotos mit Teilnehmern am Rechner bearbeitet.
Das Smartphone macht den Markt kaputt
Langfristig sehen Fotografen wie Stephan Wiesner und Benjamin Jaworskyj aber noch eine andere Gefahr für das Geschäft. Denn ihr Erfolg wird von einem Hosentaschen-großen Gerät bedroht. Dem Smartphone. Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse gab es zwar 2021 allein in Deutschland rund 8,93 Millionen Menschen, die ein besonderes Interesse am Fotografieren haben. Doch der Absatz von Kameras ist seit dem Jahr 2007 stark gesunken. Damals wurde das iPhone inklusive einer integrierten Zwei-Megapixel-Kamera eingeführt. Je besser die Kameras in den Smartphones wurden, desto häufiger verzichteten viele Menschen auf die Anschaffung einer zusätzlichen Digitalkamera.
„Meine These ist: Wenn ein Video von mir nach einer Woche 50.000 Views erreicht, habe ich vermutlich jeden potenziellen fotobegeisterten Zuschauer im deutschsprachigen Raum auf Youtube erreicht“, sagt Jaworskyj, der seine Karriere in Berlin bei Jam FM begonnen hatte. Für den Radiosender hatte er vor rund zehn Jahren den Youtube-Kanal aufgebaut und parallel angefangen, eigene Videos online zu stellen. „Anfangs habe ich das Geld mit Videokursen, Büchern und Workshops verdient“, sagt Jaworskyj. Später versuchte er sein Glück auch mit einem Coaching-Programm, stellte es aber mangels ausreichender Nachfrage wieder ein.
Kochen ist das neue Fotografieren
„Ich war als Unternehmer immer sehr umtriebig“, sagt Jaworskyj. Umgekehrt habe er beim Radio auch erlebt, wie kurz die Halbwertszeit mancher Stars sei. „Für mich war daher immer wichtig: Mein Geschäft muss unabhängig von der Plattform funktionieren“, sagt Jaworskyj, der seit etwa zwei Jahren beobachtet, dass der Youtube-Algorithmus seine alten Videos weniger häufig ausspielt als früher. Er setzt daher, genau wie die meisten anderen Fotografen mit Youtube-Kanal, auf Instagram als weitere Social-Media-Plattform. Außerdem baut er direkte Kundenkontakte auf. „Mit unserem Newsletter erreichen wir mehr als 20.000 Menschen. Das ist eine gute Reichweite als Sicherheit.“
Auch Stephan Wiesner setzt auf seinen E-Mail-Verteiler. Denn auch er merkt, dass das Wachstum bei Youtube in den vergangenen zwei Jahren nachgelassen hat. „Der Markt ist inzwischen gesättigt“, sagt er: „Ich glaube nicht, dass ich von dem, was ich jetzt bei Youtube mache, in zehn Jahren noch leben kann.“ Reise-Tipps, wie man sie teilweise auch mit dem Zielfoto-Magazin gibt, würden als Thema auch in zehn Jahren funktionieren. „Aber klar: Ich muss mich weiterentwickeln“, sagt Wiesner. Er hat jetzt angefangen, vegane Kochvideos zu drehen.
Update (15. Februar 2022)
In einer früheren Version des Artikels haben wir Miho Birimisa vom Kreativstudio Pavel Kaplun zitiert. Nach der Veröffentlichung des Artikels hat er seine Zitate zurückgezogen. Wir bedauern dies natürlich, haben sie aber selbstverständlich aus dem Text entfernt.