Bears with Benefits: Vom Beautyfood-Retailer zur D2C-Brand
Wie zwei Münchnerinnen mit Vitamin-Gummibärchen nach zwei Jahren siebenstellige Umsätze generieren
- Modern Female Supplements sind auf dem Vormarsch
- In drei Monaten zum Bestseller
- Vom Retail zur D2C-Brand
- Mit datengetriebenem Online-Marketing die Kosten senken
- Alles überteuerter Quatsch?
Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel ist shady, trotzdem starten Marlena Hien und Laurence Saunier 2018 ihr Supplement-Business Bears with Benefits auf Amazon. Drei Monate später sind sie Bestseller in ihrer Produktkategorie, sechs Monate nach Gründung stehen sie bei Douglas im Regal, dieses Jahr wollen sie die Zehn-Millionen-Umsatzmarke knacken. Wir haben mit den beiden Gründerinnen über ihren Weg zur D2C-Brand gesprochen, wie sich negative Bewertungen auf Sales auswirken und wie man Vertrauen zu Kunden aufbaut, auch wenn der eigenen Branche ein zweifelhafter Ruf anhaftet.
Als Marlena Hien und Laurence Saunier 2019 mit Bears with Benefits anfangen, richtet sich der deutsche Supplement-Markt vor allem an zwei Typen von Kunden: Fitness-Pumper, die schneller Muskeln aufbauen oder effizienter regenerieren wollen (um mehr Muskeln aufzubauen), oder an Großmütterchen, die sich in der Apotheke eine eingestaubte Verpackung Magnesium abholen („für die Knochen“). Auch Hien und Saunier, zu der Zeit beide in führenden Positionen bei einer Münchner Werbeagentur beschäftigt, kaufen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel.
„Wir hatten beide Kinder und einen stressigen Agenturjob“, sagt Saunier. Statt frischem Gemüse und ausreichend Obst habe es zum Mittag deshalb Mikrowellenessen oder ein belegtes Brot gegeben, auch für Sport oder Entspannung blieb keine Zeit. Supplements seien für sie Standard gewesen, vor allem die Vitamin D-Tabletten und Biotin, das „Schönheitsvitamin“. Während sie sich immer wieder durch die Online-Shops mit den auf sportliche Männer optimierten Produkten scrollen, fällt ihnen auf: Ein Großteil der potenziellen Zielgruppe – nämlich junge Frauen – werden von den Nahrungsergänzungsmittel-Herstellern überhaupt nicht angesprochen.
Modern Female Supplements sind auf dem Vormarsch
Laut einer Studie wächst der Markt für Nahrungsergänzungsmittel um rund sechs Prozent jährlich. Der Umsatz in Deutschland im Jahr 2020 belief sich auf rund 1,35 Milliarden Euro. „Das war unser Window of Opportunity, wir wollten uns in diesem Markt verwirklichen“, sagt Saunier. Ihre Idee: Nahrungsergänzungsmittel in Gummibärchenform, die vornehmlich weiblichen Kunden zu schönerer Haut und gesünderem Haar verhelfen sollen. Die Idee ist nicht neu, in den USA waren Vitamin-Gummis mit Brands wie Sugarbear Hair (hier im OMR Porträt) durch Social Media Kooperationen mit Stars wie Kylie Jenner bereits populär, die amerikanische Marke Ivybears baute gerade einen deutschen Ableger auf.
Der Supplement-Markt gilt wegen überschwänglicher Beauty-Versprechungen und Produkten, deren Wirksamkeit oftmals nicht nachgewiesen ist, als besonders zwielichtig. Saunier und Hien wissen um den angeschlagenen Ruf der Branche, als sie im August 2018 auf Amazon ihre ersten Produkte verkaufen. Um dem schlechten Image entgegenzuwirken, setzen sie auf die Wissenschaft: Sie holen eine Ernährungswissenschaftlerin an Bord, eine ehemalige Praktikantin der Agentur und mittlerweile studierte Medizinerin, die per WhatsApp-Chat Ernährungsberatung anbietet. Auch die offene Kommunikation soll dem shady Image entgegenwirken: „Wir sagen unseren Kund:innen offen: Eine ausgewogene Ernährung reicht vollkommen aus. Aber wenn du das nicht schaffst, dann kann es sinnvoll sein, deine Ernährung mit bestimmten Vitaminen zu unterstützen. Und da kommen wir ins Spiel“, sagt Saunier.
In drei Monaten zum Bestseller
Das erste Produkt, dass sie gemeinsam mit dem größten deutschen Pharmazie-Hersteller für Vitamin-Gums entwickelt haben, heißt „Ah-mazing Hair“: Biotin-Gummibärchen mit Waldbeeren-Geschmack. 60 Stück sind in einer Dose, zum Preis von 24,90 Euro. Das immergleiche Packaging, ein weißer Bär auf knallig buntem Hintergrund, habe ihnen dabei geholfen, gleich zu Beginn aus der Masse hervorzustechen und organisch schon früh Klicks zu generieren. Die ersten Kunden-Reviews hätten ihnen außerdem viel Aufschluss über ihr eigenes Produkt gegeben, sodass sie ihr Listing schnell optimieren konnten.
„Wir merkten schnell, dass hier auf Amazon noch Wilder Westen ist. Viele Verkäufer wirkten total unseriös und haben trotzdem sehr gut verkauft“, sagt Hien. Sie habe sich zunächst ein Buch über Amazon FBA gekauft, „um zu gucken was überhaupt alles möglich ist“. Daraufhin optimieren sie das Angebot: Sie probieren unterschiedliche Preise und Aktionen aus, analysieren Sales und Conversion Rates, wechseln die Produktfotos und vor allem betreiben sie eine aufwendige Keyword-Recherche. „Biotin hochdosiert“ sei beispielsweise ein wichtiger Suchbegriff gewesen, also hätten sie ihn im Backend bei den Keywords eingepflegt, im Produkttitel und der Produktbeschreibung noch einmal aufgegriffen.
„Es hat sich fast zu einfach angefühlt, alles nach Lehrbuch zu machen. Und trotzdem hat es geklappt“, sagt Hien. Nach drei Monaten sind sie „Bestseller“ in ihrer Produktkategorie. Bis zum Jahresende 2018 setzen sie rund 160.000 Euro um. Dann geht es schnell: Sie nehmen an einer Startup-Challenge der Drogeriekette Douglas Teil und gewinnen. Schon im Januar 2019 stehen ihre Vitamin-Gummibärchen in allen Douglasfilialen in Deutschland. Bald darauf folgen Österreich, die Niederlande und Spanien. Nicht nur für die Abverkäufe, auch für die Kundenbeziehung sei das von Vorteil gewesen „Das war ein riesiger Trust-Faktor. Wir haben es geschafft ins Regal zu kommen und unsere Beliebtheit dadurch erhöht“, sagt Saunier.
Vom Retail zur D2C-Brand
Noch im selben Jahr folgen die Drogerieketten DM, Rossmann und die in Österreich und Osteuropa verbreiteten Bipa-Filialen, 6.000 Points of Sales sind es seitdem allein in der DACH-Region. „Anfangs waren wir mit der Logistik total am strugglen“, sagt Hien. Auf einer Messe hätten sie sich dem Logistikkonzern Kühne + Nagel vorgestellt, fortan übernahm der Lagerung und Versand für die Brand. Eigentlich hätten sie geplant, Bears with Benefits so schnell wie möglich in eine D2C-Brand zu verwandeln. „2019 lief aber so gut, dass wir uns entschieden haben, den Cashflow aus dem Retail mitzunehmen“, sagt Saunier.
Außerdem, das wissen die beiden Marketingexpertinnen aus ihren Agenturtagen, kostet die Kundenakquisition im D2C-Business deutlich mehr als mithilfe internationaler Retailer wie DM. „Auch deshalb haben wir den Schritt lange gescheut“, sagt Saunier. Erst als die Marke nach über einem Jahr in den Läden eine eigene Bekanntheit erfährt, da hätten sie den Schritt gewagt und im Februar 2020 den eigenen Online-Shop gelauncht, mit einem mittlerweile auf zehn Produkte gewachsenem Portfolio. Gerade noch rechtzeitig: Im darauffolgenden Monat beginnt der deutschlandweite Lockdown und damit auch der Boom für E-Commerce-Unternehmen.
Mit datengetriebenem Online-Marketing die Kosten senken
Rund ein Drittel der Kunden würden direkt nach ihnen suchen, der Rest verteile sich gleichmäßig auf Suchmaschinenwerbung und Social, so die Gründerinnen. Auf Pinterest sind sie zwar vertreten, die beiden wichtigsten Plattformen seien aber Instagram und Facebook. Auf Letzterer finde man die „Hardcore Fans“, rund 3.000 Mitglieder sind in ihrer Gruppe. Ihrem Instagram-Account folgen rund 27.000 User. Zunächst hätten sie, ähnlich dem US-amerikanischen Vorbild Sugarbear Hair, auf – für deutsche Verhältnisse – besonders große Influencer wie beispielsweise Paola Maria gesetzt und mittlere sechsstellige Beträge im Jahr dafür ausgegeben. „Die Ergebnisse haben uns frustriert“, sagt Saunier. Als Bootstrap-Unternehmen, also als Startup ohne Investoren, müssten sie besonders darauf achten, dass sie ihr Marketingbudget profitabel einsetzen. Bei den Millionen-Accounts stimmte die Zielgruppen nicht mit denen von Bears with Benefits überein, sodass die Profitabilität nicht optimal gewesen sei.
Um die Performance zu optimieren, hätten sie wieder auf die größtmögliche Auswertung der Daten gesetzt. „Wir haben gemerkt, dass es nicht reicht, nur die Follower, Interaktionsrate, Klicks und Sales auszuwerten. Da gibt es locker noch 30 bis 40 Datenpunkte mehr“, sagt Hien. Um die Kernzielgruppe zwischen 25 und 35 zu erreichen, satteln sie deshalb auf mittelgroße Influencerinnen um und „Mamas, die im echten Leben stehen“, wie zum Beispiel Jana Ina Zarella und Nina Bott. Das habe die Ausgaben drastisch reduziert: Zwischen 50.000 Euro und 500.000 Euro gäben sie nun noch im Jahr für Influencer-Marketing aus.
Außerdem bieten sie auf ihrer Website neben einem Set-Konfigurator zum Abverkauf von Bundles einen digitalen Beautytest an. Den absolvieren laut eigener Aussage zwischen fünf- und zehntausend User im Monat. Auch hierdurch gelangen sie an wertvolle Nutzerdaten: Wie viel Ihre Kund:innen schlafen, wie sie sich ernähren, welche Produkte sie sich wünschen. Der Test sei zwar in erster Linie dafür gedacht gewesen, Learnings über die Bedürfnisse ihrer User zu generieren. Mittlerweile lasse er sich aber auch monetarisieren: Wer nach dem Test einkauft, hat laut eigener Aussage im Schnitt einen Warenkorb in Höhe von 60 Euro, zehn Euro mehr als Kund:innen, die keinen Beautytest absolvieren.
Alles überteuerter Quatsch?
Um sich in dem umstrittenen Supplement-Geschäft von Mitbewerbern abzugrenzen, setzen die Gründerinnen von Bears with Benefits nach wie vor auf Kundenreviews. Das Bestseller-Produkt „Ah-mazing Hair“, das immer noch für rund 20 Prozent der gesamten Sales sorgt, kommt heute bei Amazon auf fast 1.300 Bewertungen und einen Durchschnittswert von 4,1. Auf der Bewertungsplattform Trustpilot sind es rund 300 Bewertungen, 84 Prozent der Kunden stimmten dort mit „hervorragend“ ab.
Die Gründerinnen empfehlen, die Produkte mindestens zwölf Wochen einzunehmen, um einen Effekt zu erzielen. Die meisten würden schon früher Ergebnisse sehen, jedoch „gibt es auch immer Leute, bei denen es nicht funktioniert. Und die schreiben dann Kommentare wie: ‚Ist doch alles überteuerter Quatsch'“, sagt Hien. Einen halben Stern zu verlieren, das würde sich auch sofort auf die Sales auswirken. Doch viele Kunden seien mit den Produkten zufrieden, das zeige sich auch an der Retention Rate: 50 Prozent der Käufer kehren laut eigener Aussage wieder.
Im vergangenen Februar wurde der Online-Shop von Bears with Benefits in Italien gelauncht. Nun steht der Start in Frankreich an. 2020 hätten sie mit ihrem Startup einen mittleren siebenstelligen Umsatz generiert, sagen die beiden Münchnerinnen. Dieses Jahr rechnen sie bereits mit einer halbe Millionen verkauften Produkten. Bei einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 25 Euro wäre das ein Umsatz von rund 12,5 Millionen Euro. Bisherige Angebote von VCs lehnten die beiden mit Verweis auf Ihre Unabhängigkeit ab. Auch damit wollen sie zeigen: „Wir sind mehr als eine Insta-Brand aus China, die Teenies abgreifen will.“