- Wachstum eher über Nischen-Marktplätze
- Ansprechbarkeit und Flexibilität
- Versagen in der eigenen Königsdisziplin
- Fehlende Optionen zur grafischen Optimierung
- Sponsored Brand Videos performen besser als Ads
- Inspiration statt Produktsuche
- Amazon will von Commerce zu Social
- Potenzial der Product Detail Pages
- Advertising-Optionen überfordern manche Werbetreibende
- Mehr Support für Händler wünschenswert
- „Kund:innen gehören einem nicht“
- Amazons „klassische“ Schwachstelle
- Klare Spielregeln, keine Ausnahmen
- Viel Geduld und mehrere Anläufe
- „Jeder weiß, worauf er sich einlässt“
- Jammern auf hohem Niveau?
- Über den Autor:
Fast auf den Tag genau 27 Jahre, nachdem Amazon sein erstes Produkt verkauft hat, wird Gründer Jeff Bezos am kommenden Montag als CEO zurücktreten. Doch auch unter dem neuen Chef Andy Jassy dürfte der Online-Händler seine Dominanz weiter ausbauen. Dabei ist trotz aller Erfolge und Amazons Vormachtstellung als führende Online-Handelsplattform für Konsument:innen, Markenhersteller und Marketplace-Seller nicht alles Gold, was glänzt. Hannes Detjen, Gründer und Geschäftsführer von Remazing, analysiert in seinem Gastbeitrag für OMR Amazons größte Schwachstellen.
Als Chef einer Agentur und Anbieter von Software für Online-Marktplätze werde ich oft nach meiner Meinung zu Amazon gefragt. Immer wieder kommt dabei die Frage auf: Angesichts von Wachstum und Marktdominanz im Onlinehandel – wo sind andere eigentlich besser? Tatsächlich gibt es bei dem E-Commerce-Riesen zum Teil erhebliches Verbesserungspotenzial. In diesem Artikel analysiere ich, wo der Online-Händler (Amazons Cloud- und Anzeigengeschäft lasse ich außen vor) nachlegen sollte. Um einen umfassenden Blick auf Amazons offene Flanken werfen zum können, habe ich mit verschiedenen Experten aus unserem Netzwerk von Remazing gesprochen. Das Ergebnis: eine Übersicht, die ich Jeff Bezos‘ Nachfolger als CEO als „Wunschliste“ für die weitere Entwicklung von Amazon gerne mit auf den Weg geben möchte.
Wachstum eher über Nischen-Marktplätze
Schauen wir uns zu Beginn den Bereich Mode an. Auch wenn Amazon rein von den Zahlen her der größte Fashion-Verkäufer der Welt ist, lässt sich festhalten, dass der Konzern nach wie vor nicht wirklich auf diese Produktkategorie fokussiert ist. So könnten unter anderem die Darstellung von Fashion-Produkten und die Berücksichtigung von Saisonalität innerhalb des Amazon-Algorithmus optimiert werden.
Wie es besser geht, macht beispielsweise der Hamburger Versandhändler Otto vor. Dort arbeitet man gerade am Wandel zum Online-Marktplatz. Wie beim FBA-Modell (Fulfilment by Amazon) können Kund:innen nun auf einem weiteren Channel erreicht und die eigenen Produkte verkauft werden. Flemming Kühl, Gründer der Rucksack- und Taschenmarke Souleway ist von Ottos Ansatz überzeugt. Souleway stellt seine Produkte aus nachhaltigen Materialien lokal in Hamburg her. Die Marke gehörte zu den ersten Anbietern, die Otto als weiteren Kanal für sich erschlossen haben. Mittlerweile verkauft Kühl dort sogar mehr Produkte als via Amazon.
Ansprechbarkeit und Flexibilität
Man könne Amazon und Otto zwar nicht direkt miteinander vergleichen, erklärt Kühl. So unterscheide sich die Anzahl der Seller auf beiden Plattformen extrem. Dennoch seien einige Vorteile bei der Zusammenarbeit mit dem deutschen Traditionsunternehmen spürbar. Ein Punkt, der Kühl auffällt: „Das Öffnen und Bearbeiten von Supportanfragen ist auf Amazon nach wie vor ein Pain Point. Otto ist in der Hinsicht sehr bemüht und will durch schnelleren Support bei den Händlern punkten.“
Ebenso sei die Shopping Experience auf anderen Plattformen potenziell angenehmer für Kund:innen. Amazon böte beim Listing von Produkten trotz strenger Regeln eine gewisse Flexibilität, was grundsätzlich gut für Händler sei, jedoch wäre ein besseres Einkaufserlebnis durch zum Beispiel aufgeräumtere Produktseiten wünschenswert.
Insbesondere im Fashion- und Accessoires-Segment seien kleinere, vertikale Marktplatz-Anbieter die besseren Partner, so Kühls Erfahrung. Vor allem mit Blick auf das Wachstum der eigenen Brand. Zwar baue Amazon stetig die Möglichkeiten aus, wie sich Marken – beispielsweise via Brand Stores – positionieren können. Dennoch funktioniere die Zusammenarbeit mit kleinen Anbietern wie den auf unabhängige, beziehungsweise nachhaltige Label spezialisierten Shops „Freiraum“ und „Entire Stories“ besser, so Kühl. Diese würden die Details und Anforderungen der eigenen Branche besser kennen und böten zum Beispiel individuelle Kampagnen zur Platzierung einer Marke auf ihren Plattformen an.
Versagen in der eigenen Königsdisziplin
Doch nicht nur die Präsentation von Fashion beherrschen andere besser. Amazon schwächelt auch in der eigenen Königsdisziplin, den Produktempfehlungen. Insbesondere saisonale Produkte werden vom Suchalgorithmus zur passenden Jahreszeit nicht optimal ausgespielt. Ein Spezialist wie About You bietet im Vergleich bessere Positionierungsmöglichkeiten für Marken durch saisonale Landing Pages innerhalb der eigenen E-Commerce-Plattform.
Amazon hingegen führt Produkte meist basierend auf ihren historischen Verkaufserfolgen auf. So haben nicht nur saisonale, sondern generell neue Produkte es schwer, auf Amazon eine gute Sichtbarkeit zu bekommen. In dieser Hinsicht ist About You mit seinen „digitalen Schaufenstern“ für saisonale Produkte deutlich kunden- und händlerorientierter. Im Vergleich zu anderen Fashion-Marktplätzen fehlt bei Amazon also das inspirierende Einkaufserlebnis.
Fehlende Optionen zur grafischen Optimierung
Die nicht gerade opulente und schwer zu steuernde Produktpräsentation bei Amazon ist nicht auf den Fashion-Bereich beschränkt. Generell hat der E-Commerce-Riese gegenüber anderen Plattformen Nachholbedarf, was die Darstellung von Bildern und Videos auf Amazon betrifft. Grafische Inhalte werden nur recht limitiert ausgespielt, worunter die Sichtbarkeit eines Produkts und einer Brand leidet.
So finden beispielsweise 360-Grad-Produktfotos kaum bis gar keine Anwendung. Diese werden aktuell nur in geringem Umfang innerhalb des Vendor-Programms angeboten und von Amazon nicht sonderlich gepusht. Vor allem der Upload gestaltet sich schwierig, da dieser nur durch das Eröffnen eines Support Cases vorgenommen werden muss. Dabei sind grafische Optimierungen eigentlich einer der größten Hebel für eine erhöhte Conversion auf Amazon.
Sponsored Brand Videos performen besser als Ads
Felix Gassmann ist Gründer des E-Commerce-Dienstleisters Avantrado. Mit Blick auf Bewegtbild-Content bei Amazon sagt er: „Videos werden von Online-Shoppern meistens direkt als Werbung interpretiert, die niemand gerne schaut.“ Da Amazon alle Features auf seiner Plattform permanent via A/B-Testing optimiere, könne man deshalb davon ausgehen, dass es gute Gründe gibt, warum der Konzern Videos bisher nicht weiter pusht.
Wohl auch darum werden Videos aktuell noch nicht in erheblichem Maße verwendet. Wir bei Remazing haben jedoch in letzter Zeit feststellen können, dass Sponsored Brand Videos zunehmend positiv performen, in vielen Fällen sogar besser als normale Ads auf der Plattform. Gegebenenfalls stehen die Zeichen hier also bereits auf Veränderung – was wünschenswert wäre, da Videos insgesamt eine deutlich inspirierendere Shopping Experience schaffen können.
Inspiration statt Produktsuche
Ein Blick nach China zeigt, wie es anders geht: Alibabas Tochterunternehmen Tmall bietet mit Influencer- und Live-Shopping „Social Commerce“-Formate, die nicht nur optisch eine deutlich umfangreichere Shopping-Experience ermöglichen als Amazon. „Alles ist miteinander verlinkt und verknüpft“, sagt Moonie Zhu, Gründerin der auf den chinesischen Onlinehandel spezialisierten Beratungsfirma eTOC GmbH. „Kund:innen können in der Regel mit einem Klick direkt innerhalb eines Livestreams ein Produkt kaufen.“
In Asien sei man bei dem Thema bereits merklich weiter, so Zhu. „Influencer dominieren die E-Commerce-Branche in China zunehmend.“ Und die Kund:innen würden sich häufig zunächst auf Online-Marktplätzen umschauen und inspirieren lassen und nicht direkt nach einem bestimmten Produkt suchen. Video-Content sei fester Teil des Shopping-Erlebnisses.
Amazon hat mit Blick auf den „Social Commerce“-Trend bisher nach außen hin noch nicht dieselben Anstrengungen unternommen wie zum Beispiel Konkurrent Walmart. Dieser bringt sich in den USA dank einer Partnerschaft mit Tiktok und ersten Tests von Livestream-Shopping-Events bereits für die nächste Stufe des Online-Shoppings in Stellung. Ebenso verdienen „Amazon Influencer auf Tiktok über Affiliate Marketing bereits beachtliche Summen. (OMR hatte über die kuriosen Auswüchse dieser Nische berichtet.)
Amazon will von Commerce zu Social
Amazon muss hier ansetzen und mehr tun. Das ist insofern verwunderlich, da laut Amazon-Experte Christian Kelm, VP Product beim Seller-Tool-Anbieter Amalyze, die internen Programme in diesem Bereich, wie zum Beispiel Amazon Live, bereits vorhanden sind. Amazon versuche das Thema von der anderen Seite aufzuziehen, um die eigenen Plattform-Hoheit zu behalten: „Amazon versucht von Commerce zu Social zu gelangen, anstatt von Social zu Commerce“, sagt Kelm.
Dies mag aus Sicht des E-Commerce-Riesen Sinn ergeben. Jedoch wäre hier der eigentlich Amazon-eigene, obsessive Fokus auf die eigenen Kund:innen gegebenenfalls besser – diese bevorzugen es (noch) auf Instagram & Co. Inspiration für Einkäufe zu finden und dann bei einem passenden Angebot zuzuschlagen.
Potenzial der Product Detail Pages
Auf asiatischen Plattformen werden neben dem immer weiteren Ausbau von Livestresams auch bei den Product Detail Pages (PDP) inzwischen neue Wege beschritten. „Insgesamt sind die PDPs zwar sehr lang“, merkt China-Expertin Zhu an. „Aber Kund:innen finden so sehr viele Details zu den Produkten, alle Claims sind genau beschrieben, es gibt Product Stories mit Videos und deutlich mehr Bilder.“ Auf Tmall würden um die 90 Prozent aller Einkäufe mittlerweile mobil getätigt. Auf dem Smartphone müsse man teilweise recht lange durch die Fülle der bereitgestellten Details und Daten scrollen, so Zhu. Allerdings könnten Kund:innen so in der Regel besser informierte Kaufentscheidungen treffen.
Auch wenn man davon ausgehen darf, dass Amazon seine Plattform permanent auf die höchstmögliche Conversion trimmt, möchte ich dennoch meinen (persönlichen) Wunsch festhalten. Es könnte hier gerne schlichter und übersichtlicher zugehen. Einerseits ist ein hohes Maß an Produktinformationen gut für die Kund:innen, andererseits darf die optische User Experience nicht zu sehr darunter leiden. Als positives Beispiel lässt sich Zalando nennen: Der Berliner Online-Fashion-Marktplatz eilt ebenso wie Amazon von Rekordergebnis zu Rekordergebnis, macht bei seiner Produktdarstellung jedoch einen deutlich aufgeräumteren Eindruck.
Advertising-Optionen überfordern manche Werbetreibende
Kommen wir zum Bereich Advertising, im Speziellen PPC (Pay per Click). In diesem Bereich hat Amazon es geschafft neue Maßstäbe zu setzen: Neue Kennzahlen und Metriken, von ROAS (Return on Advertising Spend) über Suchbegriffe bis hin zur Conversion Rate. Verbesserte Reports auf allen Ebenen, egal ob Kategorie-Benchmark, Impression Share des Suchbegriffs oder Budget-Verteilung über den Tag. Neue Werbeformate wie Sponsored Display Ads auf Zielgruppen und nach Weitervermarktung sowie Video Ads. Man könnte sagen, dass Amazon mittlerweile jeden Traum von Werbetreibenden wahr macht.
Dennoch überfordern die ständig neuen Updates im Advertising-Bereich den einen oder anderen auch. Alle paar Monate gibt es neue Definitionen oder neue Gebotsoptimierungen für Sponsored Display, bei denen man sich für Klicks oder Verkäufe entscheiden muss. Christian Kelm von Amalyze hierzu: „Die Luft wird für jeden dünner – selbst gestandene Profis wie ich verlieren da den Überblick.“
Erstmals gibt es in einer Werbeform verschiedene Attributionen, Zielgruppen werden bei Interessengruppen nach dem Tag des Verkaufs und bei Weitervermarktung nach dem Tag des Klicks zugewiesen. Aber Seller und Vendoren haben beispielsweise immer noch unterschiedliche Zuweisungen. Es gibt keine Übersicht dazu, wie viel auf mobilen Endgeräten oder am Desktop gekauft wird. Ebenso fehle laut Kelm eine saubere Darstellung über Brand-Halo-Effekte oder die Vermischung mit CPM-basierter Werbung.
Mehr Support für Händler wünschenswert
„Gefühlt sind die Nutzenden von Amazon PPC, und ich auch, noch an Tag Null, während Amazon selbst bereits Tag zehn erreicht hat“, so Kelm. Der Abstand der Werbeangebote und Möglichkeiten zur überschaubaren Nutzbarkeit und Steuerbarkeit und dem nötigen Verständnis habe ein Maß erreicht, das man nur mit Zeit und Wissen aufholen kann.
Amazon ist auf dem Weg, eine der größten Ad-Plattformen zu werden – die Werbemöglichkeiten und Daten sind da – doch im Amazon-Tagesgeschäft fehlen oft Zeit und Mitarbeitende dies vollumfänglich zu nutzen. Amazon täte darum gut daran, Händler:innen und auf die eigene Plattform fokussierte Profis mit all seinen Werbemöglichkeiten nicht allein zu lassen.
„Kund:innen gehören einem nicht“
Ein weiteres Feld mit Verbesserungspotezial ist Testing. Amazon selbst wird mit Sicherheit jede Veränderung beim Ausbau seiner Plattform einem umfassenden A/B-Testing unterwerfen. Händler:innen im Vendoren-Programm sowie Sellern wird diese Möglichkeit aktuell leider nicht geboten. In den USA laufen zwar erste Tests, diese beziehen sich jedoch nur auf A+ Content, Produkttitel und Bilder. Andere E-Commerce-Plattformen sind hier deutlich weiter. Insbesondere Shopify bietet seinen Kund:innen umfangreiche Möglichkeiten für A/B-Testing.
Amazon erweckt dagegen den Eindruck, es gehe dem Konzern darum, einen möglichst großen Keil zwischen die Merchants und ihre Zielgruppe zu treiben. „Der Kunde gehört einem quasi nicht“, beklagt Amazon-Experte Gassmann. „Man ist mehr oder weniger nur Erfüllungsgehilfe für den Verkauf des Produkts.“ Tatsächlich würde der Kontakt zu Kund:innen von Amazon immer stärker eingeschränkt, so Gassmann. Der Zugang sei jedoch eine wichtige Voraussetzung, um als Verkäufer:in den Customer Lifetime Value kennen und idealerweise erhöhen zu können. Immerhin, so Gassmann, sei Amazon einer der wenigen Marktplätze, der überhaupt Tests in irgendeiner Form zulässt.
Amazons „klassische“ Schwachstelle
Wieder lohnt ein Blick nach Asien, um zu sehen, wie man es besser machen kann. China-Expertin Moonie Zhu nennt abermals Tmall als Beispiel, um zu zeigen, wie eine Plattform den Bedürfnissen ihrer Händler:innen entgegenkommen kann: „Man kann Tmall hoch individualisiert auf seine Zielgruppe anpassen und zahlreiche Dinge testen, um die Conversion Rates zu erhöhen“, erklärt Zhu. Sollte Amazon sich von Tmall inspirieren lassen, wären die aus unserer Sicht nützlichsten Features: Performance-Messung von – wie bereits in den USA getestet – Bildern, Videos, und Produkttiteln sowie für Produktbeschreibungen (inklusive Bullet Points), Ads und Brand Stores.
Als es eben Amazons mangelnde Bereitschaft ging, Daten zu teilen, deutete sich schon die „klassische“ Schwachstelle des Konzerns aus Seattle an: Amazon tut bekanntlich alles, um seine Kund:innen glücklich zu machen. Mit Blick auf die Händler:innen auf der Plattform gibt man sich leider weniger Mühe. Vor wenigen Wochen sorgte eine Umfrage des Onlinehandelsverbands (OVH) für Aufregung in der hiesigen E-Commerce-Branche. Viele der für das Stimmungsbild befragten Marktplatz-Händler:innen, die Amazon via des FBA-Modells (Fulfilment by Amazon) als Verkaufsplattform nutzen, bemängeln eine fehlende partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Konzern. Die Kritikpunkte sind bekannt: aus nicht nachvollziehbaren Gründen gesperrte Verkäuferkonten, mangelhafter Support und lange Wartezeiten – Faktoren, die mitunter zum kompletten Erliegen des Geschäfts, und damit zu hohen finanziellen Verlusten führen können.
Klare Spielregeln, keine Ausnahmen
Amazon ist sich seiner Marktmacht sehr bewusst und nutzt diese auch. Die Plattform gibt strenge Vorschriften für die Verkäufer:innen vor. Unter anderem dürfen bestimmte Worte nicht in Produktbeschreibungen verwendet werden. Wer sich nicht an die Spielregeln hält, bekommt Probleme. Andere Online-Marktplätze mögen ebenfalls sehr strikt mit ihren Vorgaben sein, so hört man jedoch selten von ebenso drastischen Konsequenzen wie beim Konzern aus Seattle. Insbesondere nicht nachvollziehbare Account-Sperrungen sind für Seller auf Amazon ein großes Problem. Hier könnte gegebenenfalls mit mehr Augenmaß und insgesamt mehr Fokus auf die Verkäufer:innen agiert werden.
Auch auf Vendoren-Seite läuft es nicht immer rund. Ein bekanntes Beispiel für eine nicht immer optimale partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Amazon ist Nike. Nach einem Testpiloten nahm die Sportmarke Ende 2019 alle ihre Produkte von der Plattform, weil Amazon zuvor getroffene Verabredungen bezüglich der Entfernung gefälschter Nike-Produkte nicht erfüllt habe.
Viel Geduld und mehrere Anläufe
Doch die wenigsten DTC-Brands und Händler:innen können sich wie Nike von der Plattform abwenden, wenn ihnen deren Verhalten nicht passt. Viele, die als Anbieter auf dem Marktplatz aktiv sind, werden darum die weiteren Frustfaktoren in der Zusammenarbeit mit Amazon, die Felix Gassmann benennt, aus eigener Erfahrung kennen und erdulden.
Zum einen gebe es recht häufig technische Schwierigkeiten. „Das System ist leider relativ fragil aufgrund des schnellen Wachstums der Plattform“, sagt Gassmann. Beim technischen Support gäbe es dann je nach nationalem Amazon-Marketplace zusätzlich häufig Sprachbarrieren, sodass Probleme meist nur mit viel Geduld und nach mehreren Anläufen gelöst werden könnten. Mit Blick auf besser aufgestellte Konkurrenten appelliert Gassmann darum an den Konzern, an der Stabilität und der Bedienbarkeit seiner Systeme zu arbeiten.
„Jeder weiß, worauf er sich einlässt“
Zum Anderen sieht Gassmann ein wachsendes Problem in der Art und Weise, wie Amazon seine Eigenmarken-Produkte platziert: „Es ist quasi unmöglich für Dritte, bestimmte Ad-Platzierungen oder Search Rankings zu bekommen, wenn Amazon mit einem eigenen Produkt in einer bestimmten Kategorie antritt.“
Aus diesen Gründen sieht der Experte die Konkurrenz besser aufgestellt, was das Thema Partnerschaftlichkeit betrifft. Ebay beispielsweise arbeite mit Händler:innen deutlich enger zusammen. Allerdings, so Gassmann, all diese Probleme seien gemeinhin bekannt. „Trotz der genannten Schwachstellen wissen Händler:innen, worauf sie sich einlassen, wenn sie ihre Produkte auf Amazon anbieten.“
Jammern auf hohem Niveau?
Bei allen oben genannten Kritikpunkten: Wer seit nunmehr 27 Jahren einen so triumphalen Siegeszug wie Amazon hinlegt, der hat definitiv fast alles richtig gemacht. Der Konzern ist nicht umsonst der Inbegriff für den weltweiten Onlinehandel. Als „everything store“ kann und muss Amazon sich auch nicht zwangsläufig in direkter Konkurrenz zu einem vertikalen Online-Marktplatz wie About You sehen. Es ist ebenfalls nachvollziehbar, dass bei Amazons unvergleichlichem Wachstum möglicherweise manche Entwicklungen intern nicht in derselben Geschwindigkeit vorangetrieben werden können wie andere.
Dennoch zeigt der Blick auf die Disziplinen, in denen Amazon einmal nicht Klassenbester ist, dass es durchaus eine Menge Platz für alternative Plattformen gibt, die besser verstanden haben, was Händler:innen brauchen und Kund:innen wollen. Wenn Amazon ihnen diesen Vorsprung lässt, mag das neben Ressourcen-Fragen auch einen anderen Grund haben. Es könnte sein, dass der Konzern, der den Onlinehandel revolutioniert hat, sich mittlerweile einen anderen Giganten zum Vorbild nimmt: Apple hat das Wenigste, mit dem das Unternehmen heute so dermaßen erfolgreich ist, selbst erfunden – aber fast immer besser umgesetzt als alle anderen.
Über den Autor:
Bevor Hannes Detjen (LinkedIn) im Jahr 2016 Remazing gründete, lernte er den (damals noch deutlich kleineren) E-Commerce-Giganten aus nächster Nähe kennen. Nach vier Jahren bei der Otto Group verbrachte er ein Jahr am Amazon-Stammsitz Seattle, trieb sich dort im Ökosystem herum und knüpfte Kontakte. Mit seiner Full-Service-Agentur Remazing bietet Detjen strategische Beratung zu Amazon und anderen Marktplätzen. Seine Firma unterstützt Unternehmen wie Beiersdorf und Henkel beim Management ihrer Kampagnen und der Optimierung ihres Contents. Mit Remdash bieten die Hamburger zudem ein eigenes Monitoring-Tool für Amazon-Vendoren und Seller an.