Mit diesem Kniff will E-Commerce-Riese Amazon hohen Retouren-Quoten ein Ende bereiten

Dank Amazon wurden kostenlose Retouren zum Standard im Online-Handel – jetzt sucht der Konzern nach Alternativen

Amazon Staples UPS
Inhalt
  1. Weniger Retouren als Wachstumsmarkt?
  2. Covid und der Einfluss auf das Retouren-Geschäft
  3. „Achtung: Dieser Artikel wird häufig zurückgeschickt“
  4. Amazon und UPS: Dicke Luft?

Wer heute online einkauft und Waren anschließend zurückgehen lassen will, denkt in den seltensten Fällen lange darüber nach. Retouren kosten Kund*innen schließlich nahezu nirgendwo etwas. Den Online-Shops aber sehr wohl; während der Covid-Pandemie sind die Rücklaufquoten und damit auch die Kosten noch einmal in die Höhe geschnellt. Amazon ist daher schon lange bemüht, Retouren-Quoten insgesamt zu senken und gleichzeitig für den Konzern günstiger zu machen. Der neueste Hebel: ein Deal mit knapp 1.000 Staples-Filialen.

Als Amazon vergangene Woche ankündigte, dass sich Kund*innen bald über kostenfreie Retouren bei fast 1.000 Staples-Filialen freuen dürften, klang es fast so, als sei dieser Schritt Teil einer jahrzehntelangen Mission, Online-Shopping so einfach wie möglich zu gestalten. Einfach hingehen, Pakete abgeben und fertig. 

In Wahrheit ist die Partnerschaft mit Staples allerdings das Ergebnis der jahrelangen Arbeit eines Amazon-Teams, das sich voll auf das Senken der Kosten von Retouren fokussiert. Diese waren während der Pandemie durch die Decke gegangen. Das wiederum war auch einer der Gründe dafür, dass Amazon in Nordamerika vergangenes Jahr rote Zahlen geschrieben hat. Eine der Aufgaben des Teams: Kund*innen von Retouren mit UPS abraten, weil besonders der Paketdienst für Amazon zu Buche schlägt.

Außerdem hat das Team verschiedene Methoden getestet, um das Einkaufs-Verhalten der Kund*innen zu verändern, die mittlerweile auf breiter Front genutzt werden. Ein Beispiel: Bereits das Einführen einer Gebühr von nur einem US-Dollar für Rücksendungen mit UPS habe spürbare Effekte gehabt, so eine Quelle gegenüber The Information. Nicht wenige Kund*innen hätten einen Umweg in Kauf genommen, um Artikel weiterhin kostenlos zurückgeben zu können – beispielsweise in Amazons Whole-Foods-Filialen oder bei Kohl’s, die eine Drop-off-Partnerschaft ähnlich zu der Staples-Vereinbarung haben.

Weniger Retouren als Wachstumsmarkt?

Kund*innen von Retouren abzugewöhnen scheint eine der größten Chancen für Amazon zu sein, die immer weiter steigenden Logistikkosten einzudämmen, die sich alleine zwischen 2019 und 2022 auf 84,3 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt hatten. Retouren kostet Amazon fast immer deutlich mehr, als die ursprüngliche Lieferung an die Kund*innen, so Insider, die im Unternehmen mit dem Retouren-Geschäft zu tun gehabt hätten. Jede noch so kleine Optimierung in diesem Bereich würde sich also sehr schnell auszahlen.

Im Gegensatz zu anderen Sparmaßnahmen seitens Amazons, zum Beispiel Massenentlassungen oder das Einstellen eher experimenteller Projekte, sei eine Kursänderungen bei Retouren dennoch ein besonders riskanter Schritt. Schließlich könnten sie Kund*innen leicht verärgern. „Alle lieben Rücksendungen“, sagt Zac Rogers, Professor für Supply Chain Management an der Colorado State University, gegenüber The Information. „Aber sie sind unglaublich teuer.“ Rogers, der früher bei der Retouren-Verwaltung für die mittlerweile aufgelöste Amazon-Tochter Quidsi aktiv war, weiter: „Amazon hat es jetzt mit einem Monster zu tun, das sie selber geschaffen haben.“

Solche Änderungen und Kehrwenden dürften sich auf den gesamten Einzelhandel auswirken. Schließlich war es auch unter anderem erst Amazons Vorstoßen, Retouren kostenlos anzubieten, was dazu geführt hat, das andere Online-Händler nachziehen und es zum Standard im Online-Handel wurde. Die Folge: Im Jahr 2020 hatte sich die Anzahl an Rücksendungen laut Daten der National Retail Foundation auf 18 Prozent mehr als verdoppelt – und seitdem ein sehr hohes Niveau gehalten. Ändert Amazon hier also jetzt seine Strategie, entstehen wiederum Möglichkeiten für die gesamte Branche, ebenfalls Anpassungen vorzunehmen.

Covid und der Einfluss auf das Retouren-Geschäft

Gleichzeitig läuft man bei Amazon jetzt Gefahr, dass Walmart näher rückt. Vor kurzem fing der Einzelhändler an, sein riesiges Filialnetz zu nutzen, um mehr kostenlose Rückgabemöglichkeiten für Online-Einkäufe anzubieten und damit Walmart+, den Hauptkonkurrenten von Amazon Prime, zu stärken.

„Unser Ziel war von Anfang an, Online-Shopping so einfach und reibungslos wie möglich zu gestalten. Und dazu gehört eben auch, Kund*innen eine größere Auswahl an Rückgabemöglichkeiten zu bieten“, sagt Amazons Sprecherin Maria Boschetti. „Deshalb bieten wir unseren Kund*innen verschiedene Optionen für die kostenlose und bequeme Rücksendung der meisten in den USA gelieferten Artikel an. Das Feedback der großen Mehrheit ist sehr positiv. Wir schätzen alle Partner, die uns dabei helfen, ein gutes Retouren-Erlebnis zu ermöglichen.“

Für Amazon sind Retouren „zu einer Kernkompetenz geworden, was in der Vergangenheit nicht der Fall war. Früher hatte das Thema keine so hohe Priorität“, sagt Melissa Nick, die von 2021 bis zu ihrem kürzlichen Wechsel zum Fulfillment-Startup ShipBob das Fulfillment-Geschäft von Amazon in Nordamerika leitete. Mit dem Start der Pandemie stiegen die Verkäufe auf Amazon sprunghaft an. Das galt allerdings gleichzeitig auch für die Retourenquote. Vor allem Kategorien wie Kleidung boomten, für die Kund*innen vorher noch eher in Geschäfte gegangen waren, so Personen gegenüber The Information, die mit Amazons Rückgabeverfahren vertraut sind.

Klamotten, die online gekauft werden, haben häufig eine höhere Retourenquote. Logisch, Größen sind nicht immer gleich. Und natürlich wird auch viel wieder zurückgeschickt, weil es schlicht nicht gefällt. Das eh schon hohe Retouren-Aufkommen wurde dann noch durch einen weiteren Effekt verstärkt. Viele neue Händler verkauften während der Pandemie zum ersten Mal über Amazons Marktplatz – häufig mit nicht Beschreibungen und Produktdetailseiten, die nicht ausführlich genug waren. Kund*innen solcher neuen Verkäufer sollen Artikel besonders häufig zurückgeschickt haben.

Als die Retouren ab 2020 explosionsartig zugenommen hatten, konzentrierten sich Amazons Retouren-Teams darauf, diese zuerst in bestimmten Kategorien zu reduzieren. In der Bekleidungskategorie beispielsweise nutze man Machine Learning, um herauszufinden, welche Größen bestimmter Artikel besonders hohe Retourenquoten hatten. In der Folge wurden Product Listings dann entsprechend angepasst.

„Achtung: Dieser Artikel wird häufig zurückgeschickt“

Für Artikel externer Händler experimentierte Amazon außerdem mit dem Produkt-Hinweis „frequently returned“. Das sollte Kund*innen motivieren, Produktdetails und Bewertungen vor dem Kauf genauer zu überprüfen, so ein* Insider*in gegenüber The Information. Amazon würde diese Kennzeichnung im Jahr 2023 in größerem Umfang einführen. Laut Boschetti mache Amazon bei dieser Kennzeichnung keinen Unterschied zwischen eigenen Produkten und solchen Dritter.

Neben all diesen Bemühungen, die Anzahl der zurückgesendeten Artikel zu reduzieren, hat Amazon eine Reihe von Gebühren für US-Kund*innen eingeführt, letztes Jahr zum Beispiel eine Gebühr von 7,99 US-Dollar für die Abholung von Paketen durch UPS und 5,99 US-Dollar für die Abgabe von Paketen an UPS-Abgabestellen. Zuvor waren diese beiden Optionen kostenlos. Dieses Jahr wurde dann noch eine 1 US-Dollar-Gebühr auf Abholungen in UPS Stores eingeführt, wenn Kund*innen eine andere kostenlose Alternative hätten, die gleich weit oder näher an ihrer Wohnung als ein UPS Store liegt. Das Unternehmen hat außerdem damit begonnen, Kund*innen, die Retouren in Amazon Fresh- oder Amazon Go-Läden abgeben, Rabatte anzubieten.

Die Partnerschaft von Amazon mit Staples folgt auf die Einführung von Retouren beim E-Commerce-Riesen.

Insgesamt sollen die jüngsten Maßnahmen Kund*innen dazu bringen, die für Amazon günstigsten und einfachsten Rückgabeoptionen zu wählen. Und das erscheint beim Blick auf einige Abläufe tatsächlich sinnvoll: Wenn Kund*innen einen Artikel von UPS abholen lassen, muss Amazon an UPS zahlen. Dann wird der Artikel zu einem UPS-Standort gebracht, von dort aus wieder zu Amazon, wo Amazons Mitarbeiter ihn auspacken müssen, bevor sie ihn weiter bearbeiten können. Auch Retouren, die in UPS Stores abgegeben werden, stellt UPS Amazon in Rechnung. 

Obwohl Amazon große Fortschritte bei der Durchführung der eigenen Auslieferungen gemacht hat, hat UPS immer noch Einfluss darauf, wie teuer Rücksendungen sein können. Der Grund: Mit über 5.500 Stores hat UPS immer noch deutlich mehr Standorte, als Amazon. Der Konzern kommt mit den eigenen Geschäften und Einzelhandelspartnerschaften – inklusive der jetzt angekündigten Partnerschaft mit Staples wohlgemerkt – auf weniger als 3.000 Standorte.

Amazon und UPS: Dicke Luft?

„Wenn [Amazon] UPS für Rücksendungen deutlich weniger nutzt, was der Fall ist, und UPS beginnt, deutlich weniger Einnahmen zu erzielen, weil Amazon sich von UPS zurückzieht, wie wird UPS dann darauf reagieren?“, fragt Dean Maciuba von Crossroads Parcel Consulting, ein ehemaliger FedEx-Manager. „Sie werden die Kosten für Amazon erhöhen, um ihr UPS Store Netzwerk zu nutzen.“

UPS wollte sich zu den jüngsten Entwicklungen nicht äußern. Und auch Maria Boschetti antwortete nicht auf die Frage, ob Amazon seit der Einführung der Gebühren einen Rückgang der Rücksendungen in den UPS Stores verzeichnet hat: „Wir würden diese Information nicht weitergeben, aber ich kann Ihnen sagen, dass Amazon seit mehr als zwei Jahrzehnten mit UPS zusammenarbeitet, um für unsere Kund*innen innovative Lösungen zu finden und zu liefern“, so die Sprecherin.

Es ist einfach kostengünstiger für Amazon, wenn Rücksendungen direkt bei den eigenen Geschäften abgegeben werden. Ähnlich wie in den UPS Stores können Kund*innen Artikel ohne Kartons abgeben, Mitarbeiter fassen die Artikel in einem größeren Karton zusammen und dann transportieren sie zu einem Amazon-Lager. In einen Lkw passen etwa doppelt so viele Artikel, wenn sie nicht einzeln verpackt sind, so eine Person, die mit dem Rückgabesystem von Amazon vertraut ist, gegen The Information.

Im Rahmen der Partnerschaft zwischen Amazon und Kohl’s, die beide Unternehmen 2019 umfangreich eingeführt haben, würden Kohl’s Mitarbeitende unverpackte Rücksendungen von Kund*innen entgegen nehmen und in größeren Kartons zusammenfassen. Kohl’s ist auch für den Transport der Kartons von den Kohl’s-Filialen zu den Amazon-Standorten verantwortlich, sagte eine dem Einzelhändler nahestehende Person. Als Gegenleistung für seine Bemühungen kann Kohl’s von dem zusätzlichen Traffic in seinen Geschäften profitieren.

Da Amazon seine Expansionspläne für die eigenen Filialen pausiert hat, kann das Unternehmen durch neue Partnerschaften mit Einzelhändlern weiterhin relativ günstige Abgabemöglichkeiten anbieten. Amazon hatte 2022 mit der Pilotphase seiner Staples-Partnerschaft begonnen. Laut Boschetti nehmen bereits mehr als die Hälfte der Staples-Filialen Amazon-Retouren an. Bis Ende Juli soll das bei allen Filialen der Fall sein.

Dieser Artikel stammt im Original von Theo Wayt und erschien zuerst bei The Information. Er wurde von uns im Rahmen einer Kooperation übersetzt. 

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