Die Dezentralisierung Amazons: So will sich der E-Commerce-Riese in anderen Shops und Plattformen einnisten

Partnerschaften mit Meta, Snap, Pinterest & Shopify machen Amazon zum "Everywhere Store"

Die Dezentralisierung von Amazon

Wer etwas bei Amazon kaufen bzw. von Amazon geliefert bekommen möchte, muss dafür in Zukunft vielleicht immer seltener die Website oder App des E-Commerce-Giganten nutzen. In den USA können Amazon-Kund*innen schon sowohl direkt auf den Social-Media-Plattformen Instagram, Facebook, Snap und Pinterest als auch (wenn sie Mitglieder des Kundenbindungsprogrammes Prime sind) in diversen unabhängigen Online Shops eine Bestellung bei Amazon abschließen. OMR zeigt, wie sich Amazon vom "Everything Store" zum "Everywhere Store" weiterzuentwickeln versucht und analysiert mögliche Hintergründe der Strategie.

Es war ein merkwürdiger Vorgang: Zwei der größten Tech-Konzerne der Welt gehen eine Partnerschaft ein – und die Welt erfährt davon lediglich über den Linkedin-Post eines Gründers einer kleinen Performance-Marketing-Agentur aus Miami. Maurice Rahmey hatte auf Instagram eine Anzeige für einen von Amazon verkauften Beistelltisch entdeckt. Die Besonderheit: Über die Anzeige konnte er seinen Instagram-Account mit seinem Amazon-Kundenkonto verknüpfen und so das in der Werbung gezeigte Produkt direkt bestellen.

Drei Plattform-Partnerschaften in sieben Monaten

Gegenüber Techcrunch bestätigte eine Amazon-Sprecherin, dass diese Neuerung auf einer Partnerschaft zwischen Amazon und Meta fußt: "Zum ersten Mal werden Kunden in der Lage sein, in Amazons Facebook- und Instagram-Anzeigen einzukaufen und bei Amazon zu bezahlen, ohne die Social Media Apps zu verlassen." Das neue Feature ist bislang auf den US-Markt beschränkt.

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So sehen Amazons "Shoppable Ads" auf Facebook aus (GIF-Quelle: Meta/Techcrunch)

Meta ist nicht der einzige Plattform-Konzern, mit dem Amazon eine solche Partnerschaft eingegangen ist: Eine Woche später vermeldete der US-Tech-Blog The Information (€) einen ähnlichen Deal zwischen Amazon und Snap. Und schon im April hatte Pinterest eine ähnliche Partnerschaft mit Amazon verkündet. "Wenn Nutzer*innen auf eine Amazon-Anzeige auf Pinterest klicken, werden sie direkt zu Amazon weitergeleitet, um dort die Bestellung abzuschließen", so Pinterest damals gegenüber Techcrunch.

Wer zahlt wofür an wen? – Unklar.

Schon in der Presse-Mitteilung zu der Partnerschaft mit Pinterest (die aktuell nicht mehr abrufbar ist, hier eine archivierte Version) wird angedeutet, dass nicht nur von Amazon selbst verkaufte Artikel auf diese Weise auf Pinterest beworben werden sollen, sondern auch solche anderer Marken. In einem Techcrunch-Artikel zur Partnerschaft mit Meta heißt es ebenfalls, dass auch Produkte von Sellern, die auf Amazons Marktplatz tätig sind, auf diese Weise beworben werden sollen.

Über die genauen Konditionen dieser Partnerschaften ist nichts bekannt. Zahlt Amazon die Kosten für die Schaltung der Anzeigen immer selbst, oder wird dies künftig auch von anderen Marken übernommen, deren Produkte beworben werden? Und nimmt Amazon den Plattformpartnern einfach eine vordefinierte Werbe-Inventar-Menge ab und verkauft diese zum Teil weiter, oder gibt der E-Commerce-Konzern einen Prozentsatz der so erzielten Umsätze an die Plattformen weiter?

Gegenmaßnahme zu Apples Tracking-Opt-in-Zwang?

Womöglich geht es Amazon aber ja auch weniger darum, zusätzliche Werbeumsätze zu generieren. Sind die Partnerschaften vielleicht eher ein Versuch, die Folgen von Apples im Frühjahr 2021 eingeführten App Tracking Transparency (ATT) abzumildern? Wegen ATT müssen App-Betreiber*innen heute fragen, ob sie die Nutzer*innen App-übergreifend nachverfolgen dürfen. Viele Nutzer*innen verweigern dazu die Erlaubnis, was die Messung der Wirkung von Werbung im Mobile-Umfeld deutlich schwieriger macht.

Wenn nun aber künftig der Kauf von Produkten innerhalb derselben App stattfindet, in der die Werbung ausgespielt wurde, könnte dies das Tracking wieder erleichtern. Doch nach eigenen Angaben teilt Amazon keine Daten über Käufe mit den Plattform-Partnern, nur "eine Schätzung des Wertes der Amazon-Produktanzeigen" ("an estimate of the value of the Amazon product ads").

Experte mutmaßt über eine potenzielle "Relevancy Score"

Mobile-Experte Eric Seufert glaubt, dass Amazon diese Art der Formulierung mit großem Bedacht gewählt hat, um sich möglicherweise eine Lücke offen zu halten – etwa durch die Übermittlung eines "Relevanz-Scores" an Meta, der besagt, wie sehr die jeweilige Anzeige für den oder die Nutzer*in von Interesse war. Ein solches Vorgehen könne dazu beitragen, zusätzliche Nachfrage zu generieren und das Targeting zu verbessern, so Seufert auf X.

Der Mobile-Experte mutmaßt gleichzeitig, dass der Schritt eine Reaktion auf eine potenzielle Bedrohung durch Tiktok Shop sein könnte. Unter diesem Namen baut die gleichnamige Kurzvideo-Plattform seit einiger Zeit einen eigenen Marktplatz auf, u.a. in den USA, dem Vereinigten Königreich sowie in einigen asiatischen Ländern. Der Grundgedanke: Aus Inhalten heraus können direkt Produkte gekauft werden, ohne die App verlassen zu müssen.

Wächst Tiktok Shop bis 2028 auf 200 Milliarden GMV?

Die westlichen Plattformen wie Instagram und Pinterest haben sich bisher mit dem so genannten "Social Commerce" und damit, direkte Verkäufe zu generieren, schwer getan. Allerdings hat auch noch keine der hiesigen Plattformfirmen das Modell mit so viel Nachdruck gepusht wie aktuell Tiktok (bzw. die Konzernmutter Bytedance).

500 Millionen US-Dollar will Tiktok angeblich alleine in diesem Jahr in den Aufbau von Tiktok Shop investieren, so The Information. 2023 soll der Marktplatz nach Informationen von Bloomberg 20 Milliarden US-Dollar Außenumsatz (Gross Merchandise Volume, GMV) generieren. Bis zum Jahr 2028 soll das GMV auf 200 Milliarden US-Dollar steigen; eine mittlere zweistellige Milliardensumme soll davon als Innenumsatz bei Tiktok hängenbleiben.

Meilenstein "Buy with Prime"

Selbst dann wäre Amazon vermutlich immer noch deutlich größer als Tiktok Shop, hat der US-E-Commerce-Konzern 2022 doch ein GMV von 693 Milliarden US-Dollar verzeichnet. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Amazon im Jahr 2022 fast gar nicht gewachsen ist. Durchaus möglich also, dass der Konzern im vergangenen Jahr nach neuen Mitteln und Wegen gesucht hat, ein größeres Wachstum zu generieren – und dabei Verkäufe außerhalb des eigenen Markplatzes als Chance identifiziert hat.

Der erste Schritt im Rahmen von Amazons "dezentraler Expansion" erfolgte im April 2022 mit dem Launch von "Buy with Prime". Im Rahmen dieses (bisher auch nur in den USA verfügbaren) Programms können Marken in ihren Online Shops den Kauf und die Lieferung mit Prime anbieten, auch wenn sie bislang gar nicht auf Amazons Marktplatz verkaufen. "Buy with Prime"-Partner-Shops können Amazons Logistikdienstleistungen (natürlich gegen Bezahlung) nutzen und damit Mitgliedern von Amazons Kundenbindungprogramm schnelle und kostenlose Lieferung ermöglichen.

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So informiert Amazon auf der "Buy with Prime"-Website über die Gebühren für die Teilnahme an dem Programm

"Co-branded Social Media Ads" für "Buy with Prime"-Partner*innen

Außerdem erhalten die Partner Zugriff auf diverse Marketing-Instrumente: Sie können nicht nur das Prime-Logo für ihre Werbung nutzen, sondern auch Amazon Reviews in ihren Online Shop einbinden, um so möglicherweise mehr Vertrauen bei Erstkäufer*innen zu generieren.

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So sieht es aus, wenn in einem Shop (wie hier von "Epic Water Filters") "Buy with Prime" eingebunden ist

Wenige Monate nach dem Start kündigte Amazon außerdem an, den "Buy with Prime"-Partner*innen auch die Möglichkeit zu geben, Werbung für die eigenen Produkte auf Amazons Marktplatz sowie "Co-branded Social Media Ads" auf Facebook und Instagram zu schalten. Möglicherweise waren die von Maurice Rahmey entdeckten "Shoppable Ads" die erste Version dieser Anzeigen, die Amazon aktuell noch selbst testet, später aber auch für andere Marken öffnen will.

"25 Prozent höhere Conversion Rate"

Im Januar 2023 verkündete Amazon, dass die Integration von "Buy with Prime" in Online Shops deren Conversion Rate im Schnitt um 25 Prozent steigere. Dazu, wie viele Shops das Angebot bereits nutzen, lassen sich keine öffentlichen Angaben finden. Die Tool-Statistik-Dienste Builtwith und Storeleads schätzen die Zahl der Shops beide auf mehr als 3.000.

In der E-Commerce-Branche wurde Einführung von "Buy with Prime" allgemeinhin als Angriff auf Shopify gewertet. Denn zum einen besteht die Zielgruppe des Shop-Anbieters klassischerweise aus Direktvertriebs-Marken, die nicht zwangsläufig auf Amazon verkaufen. Zum anderen berichtete das Wall Street Journal bereits im Dezember 2020 darüber, dass Amazon im Rahmen des von Gründer Jeff Bezos angeblich selbst initiierten "Project Santos" versuche, Teile von Shopifys Business-Modell zu kopieren.

Kampf mit Shopify

Wenig überraschend tat sich Shopify schwer damit, sich für "Buy with Prime" zu öffnen. "Wir sollten das nicht tun", soll ein Mitglied von Shopifys Produkt-Team mit Blick auf eine mögliche Integration von Amazon in Shopify Stores laut The Information (€) in einem Slack-Chat geschrieben haben. "Mir ist klar, dass es dabei unmittelbar um die Schaffung von Mehrwert für die Händler*innen geht. Aber das macht Amazon stärker, bindet die Händler*innen stärker an Amazon und ist langfristig schlecht für sie."

So warnte Shopify Händler*innen, die "Buy with Prime" in ihren Store integrierten, noch zunächst vor dem Dienst und informierte diese darüber, dass er gegen die Shopify AGB verstoße. Doch wenige Tage später vermeldete Amazon eine Einigung mit Shopify. Nach Darstellung von Business insider hat Amazon gegenüber Shopify Eingeständnisse gemacht: Statt Amazons Bezahl-Service werde in Shopify Stores nun auch bei "Buy with Prime" Shopifys Bezahl-Dienst genutzt, der für Shopify eine relevante Einnahmequelle darstellt.

Kann Amazon Shopify einen Teil des GMVs abluchsen?

Nichtsdestotrotz: Mit einem GMV von 197 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 dürfte Shopify der größte Gegenspieler Amazons in der westlichen Welt sein. Wenn sich Amazon von diesem Markt mittels "Buy with Prime" über Provisionen und Gebühren nur ein Stück abzwacken kann, könnte der Konzern damit schon ein relevantes Wachstumsplus generieren.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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