Der neueste Black-Hat-Trick auf Amazon: Produkte „verschenken“ für den Bestseller Badge

Ist das die neueste Masche, um Rankings auf Amazon gezielt zu manipulieren?

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Inhalt
  1. Das Bestseller Badge als „Social Proof“
  2. „Das kann schon einen deutlichen Sales-Push bringen“
  3. „Ich habe ein bisschen gegraben“
  4. Von Platz 20.000 auf Platz 10 in kürzester Zeit
  5. Produkte „verschenken“ als Growth Hack
  6. Der Trick mit dem Zweitkonto
  7. Existiert die Masche schon seit Monaten?
  8. „Amazon wird das nachverfolgen“

300 Milliarden US-Dollar soll Schätzungen zufolge der Verkaufspreis aller Waren betragen haben, die im vergangenen Jahr über Amazons Marktplatz ihren Besitzer gewechselt haben. Wenig verwunderlich also, dass der Wettbewerb unter den Händlern, die sich ein Stück von diesem Kuchen abschneiden wollen, entsprechend hoch ist. Einige von ihnen greifen mittlerweile zu unerlaubten Tricks, um Amazon zu manipulieren, sich gegenüber Mitbewerbern einen Vorteil zu verschaffen und ihre Verkäufe zu pushen. Die neueste Masche: Produkte „verschenken“, um sich das so genannte Bestseller Badge zu sichern. OMR erklärt die Methode und zeigt Beispiele.

Wer auf Amazon nach einem Produkt sucht – und das tun viele; laut Price Waterhouse Coopers starten sowohl in den USA als auch in Deutschland mehr als die Hälfte der Verbraucher ihre Produktrecherche auf Amazon – , den oder die erschlägt dort in vielen Segmenten mittlerweile die Auswahl. Welches von den Hunderten bis Tausenden Produkten, die dort angeboten werden, ist nun für mich das richtige? Zu den Strohhalmen, nach denen Verbraucher:innen in dieser Situation vielleicht greifen, dürfte auch gehören, sich das bestverkaufte Produkte in der jeweiligen Kategorie anzuschauen. Schließlich können sich ja Tausende von Amazon-Kunden kaum irren.

Das Bestseller Badge als „Social Proof“

Um nach außen zu zeigen, wie häufig ein Artikel im Vergleich zu anderen aus derselben Kategorie verkauft wurde, hat Amazon den „Bestseller Rank“ eingeführt. Das meistverkaufte Produkt liegt auf Platz eins, das zweithäufigste auf Platz zwei, usw. Das Auffinden der bestverkauften Produkte ermöglicht Amazon auf zwei Weisen: Zum einen findet sich in der Hauptnavigation der Plattform der prominent platzierte, eigene Menüpunkt „Bestseller“, der dann nochmals in die jeweiligen Produktkategorien und Unterkategorien unterteilt ist. Wer sich also beispielsweise einen Föhn sucht, aber sich noch nicht für ein konkretes Modell oder zumindest eine Marke entschieden hat, kann sich auf diese Weise zum bestverkauften Föhn (die korrekte Bezeichnung lautet eigentlich Haartrockner) auf Amazon durchklicken.

Die aktuell bestverkauften Haartrockner auf Amazon (Screenshot von Amazon.de)

Die aktuell bestverkauften Haartrockner auf Amazon (Screenshot von Amazon.de)

Zum anderen werden die Bestseller auch in anderen Bereichen der Plattform besonders hervorgehoben: innerhalb der Suchergebnisseiten als „Bestseller“, und auf der Produktdetailseite als „Bestseller Nr. 1“. Dieser „Social Proof“ dürfte das Produkt für viele Verbraucher:innen nochmals überzeugender erscheinen lassen.

Das Bestseller Badge auf einer Produkt-Detailseite (Screenshot von Amazon.de)

Das Bestseller Badge auf einer Produkt-Detailseite (Screenshot von Amazon.de)

„Das kann schon einen deutlichen Sales-Push bringen“

Dementsprechend begehrt ist das Bestseller Badge unter den Händlern auf Amazons Marktplatz. „Das Bestseller Badge kann schon einen deutlichen Sales-Push zur Folge haben“, so Hannes Detjen, Mitgründer der Hamburger Agentur Remazing gegenüber OMR. „Wie groß der Uplift genau ist, das hängt vom jeweiligen Produkt und der jeweiligen Kategorie ab.“

Bringt das Bestseller Badge den Händlern auch mehr Sichtbarkeit innerhalb der Suchergebnisseiten? „Da ist der Zusammenhang eher indirekter Art. Welche Produkte das Badge erhalten, hängt ja in erster Linie davon ab, welche in der jeweiligen Kategorie am häufigsten verkauft werden. Auf den Suchergebnisseiten spielen noch viele andere Faktoren eine Rolle, etwa die verwendeten Suchbegriffe. Aber klar, für Produkte, die häufig gekauft werden, ist es leichter, eine bessere Sichtbarkeit in den Suchergebnissen von Amazon zu generieren“, so Detjen.

„Ich habe ein bisschen gegraben“

Offenbar haben gewiefte Händler:innen auf dem US-amerikanischen Marktplatz von Amazon nun einen Weg gefunden, sich das Badge unrechtmäßig zu erschleichen – und zwar so:

  1. Die Händler:innen oder ein:e Verbündete:r posten auf Social Media (in der Regel in Facebook-Schnäppchen-Gruppen mit teilweise mehreren Tausend Mitgliedern), dass das jeweilige Produkt durch die Verwendung von zwei Rabattcodes kostenlos verfügbar ist.
  2. Sie generieren dadurch viele „Verkäufe“ innerhalb kurzer Zeit und steigen damit in rasantem Tempo innerhalb des Bestseller Rankings nach oben.
  3. Das auf diese Weise in der jeweiligen Subkategorie gewonnene „Bestseller Badge“ hilft ihnen, viele organische Verkäufe zu generieren.
  4. Jene „Verkäufe“, bei denen die User nichts gezahlt haben, werden im Nachhinein storniert.

Als einer der Ersten hat der ursprünglich aus Litauen stammende Amazon-Händler Paulius Kvedaras diese Methode aufgedeckt. „Ich habe ein solches Produkt in der Kategorie entdeckt, in der ich verkaufe, und habe dann ein bisschen gegraben“, so Kvedaras gegenüber OMR in einem Chat über den Facebook Messenger. „Es ist wahnsinnig, in so kurzer Zeit den Bestseller-Status zu erhalten.“ Kvedaras verkauft auf dem US-amerikanischen und deutschen Amazon-Marktplatz Sport-Zubehör, u.a. Kompressionsbandagen und -strümpfe, Sportmasken, etc.

Ein Nachtsichtgerät auf Amazon.com, deklariert als "Bestseller Nr. 1" (Screenshot: Paulius Kvedaras)

Ein Nachtsichtgerät auf Amazon.com, deklariert als „Bestseller Nr. 1“ (Screenshot: Paulius Kvedaras)

Von Platz 20.000 auf Platz 10 in kürzester Zeit

Seinen Fund hat Kvedaras anhand eines konkreten Beispiels mit Screenshots dokumentiert: ein offenbar von einem chinesischen Seller auf dem US-Marktplatz von Amazon angebotenes Nachtsichtgerät. Das ist im April und Mai dieses Jahres in der Oberkategorie „Sports & Outdoor“ mehrfach von einer Positionierung im Bereich zwischen 15.000 und 20.000 (also sehr selten verkauft) und in den Top 10 hin- und hergesprungen. In der Unterkategorie „Night Vision Binoculars & Googles“ erreichte das Listing sogar Rang 1 – und erhielt damit den Bestseller Badge.

Diese Grafik aus dem Amazon-Analytics-Tool Keepa zeigt, dass das Nachtsichtgerät immer wieder im Bestseller Rank plötzlich in die Höhe schoss und dann wieder abfiel. Offenbar hat der Seller es immer wieder, wenn es im Ranking abfiel, durch "Verschenk-Aktionen" gepusht (Screenshot: Paulius Kvedaras)

Diese Grafik aus dem Amazon-Analytics-Tool Keepa zeigt, dass das Nachtsichtgerät immer wieder im Bestseller Rank plötzlich in die Höhe schoss und dann wieder abfiel. Offenbar hat der Seller es immer wieder, wenn es im Ranking abfiel, durch „Verschenk-Aktionen“ gepusht (Screenshot: Paulius Kvedaras)

Dabei hat sich in diesem Zeitraum der Preis des Produktes nicht entscheidend verändert (also hat kein Sonderangebot die Verkäufe gepusht). Zudem verfügte das Produkt nur über einen Bruchteil der Rezensionen wie der „Bestseller“ dieser Kategorie. Wie also kam es zu den krassen Sprüngen im Bestseller Ranking und zum Erhalt des Bestseller Badges?

Produkte „verschenken“ als Growth Hack

Die Antwort: ein oder mehrere Posts inklusive Rabatt-Codes in Facebook-Gruppen. „Kostenlos! Beeilt Euch!“, überschreibt die Posterin ihren Beitrag (mittlerweile gelöscht), der zwei Codes beinhaltet, mit denen die Gruppen-Mitglieder das Nachtsichtgerät kostenlos über Amazon bestellen können sollen. Laut Kvedaras soll der Beitrag mehr als 430 Kommentare von Gruppen-Mitgliedern à la „Hab’s bekommen!“ angesammelt haben.

Mit Facebook Posts dieser Art wurde das Produkt-Listing offenbar gepusht (Screenshot: Paulius Kvedaras)

Mit Facebook Posts dieser Art wurde das Produkt-Listing offenbar gepusht (Screenshot: Paulius Kvedaras)

Eine Besonderheit in diesem Fall: Die Posterin ruft dazu auf, auf Amazons Marktplatz den Seller zu wechseln (also innerhalb der so genannten Buybox einen anderen Verkäufer auszuwählen), um das Gerät kostenlos erhalten zu können. Dahinter steckt eine Schutzmaßnahme. Der ursprüngliche Händler hat einen zweiten Händler-Account eingerichtet, mit dem er das Gerät auf Amazon anbietet. Beide Händler-Konten bieten Inventar auf demselben Produkt-Listing an. Jedes Produkt auf Amazon verfügt über eine „Amazon Standard Identification Number“. Unter dieser ASIN kann das jeweilige Produkt dann von mehreren Händlern angeboten werden.

Der Trick mit dem Zweitkonto

Nutzt eines der Konten unrechtmäßige Methoden, um ein Produkt-Listing auf Amazon zu pushen, läuft der Seller dahinter zwar Gefahr, dass sein Konto gesperrt wird. Das Listing bleibt im Idealfall jedoch bestehen. So kann ein Seller also durch die Verwendung eines Zweitkontos sein Risiko reduzieren. Sollte der „Gehilf-Account“ gesperrt werden, trägt der ursprüngliche Seller keinen Schaden davon.

Hier die Buybox, in der das Nachtsichtgerät von zwei Sellern angeboten wird (Screenshot: Paulius Kvedaras)

Hier die Buybox, in der das Nachtsichtgerät von zwei Sellern angeboten wird (Screenshot: Paulius Kvedaras)

Kvedaras hat das Nachtsichtgerät bestellt; noch am selben Tag erhielt er eine Nachricht, dass der Kauf storniert wurde. Berücksichtigt Amazon solche „Verkäufe“ zum Nulltarif (die später storniert werden) trotzdem für den Bestseller Rank? Der Erfolg der Methode deutet darauf hin. Mittlerweile warnen eine englischsprachige Verbraucherschutz-Website sowie mehrere Social-Media-User vor den vermeintlich kostenlosen Amazon-Produkten.

Existiert die Masche schon seit Monaten?

Das von Kvedaras in der Tiefe untersuchte Produkte ist mittlerweile auf Amazon gelöscht; ebenso der dazugehörige Facebook Post. Im Rahmen seiner Recherche stieß der junge Amazon-Händler auf diverse weitere verdächtige Produkt-Listings sowie auf diverse Facebook-Gruppen, in denen sich auch heute immer noch Posts finden lassen, in denen für die „kostenlosen Produkte“ getrommelt wird. Zudem lassen sich ähnliche Posts auch auf Twitter sowie einer dubiosen Coupon-Seite finden.

„Einige der Accounts, die ich aufgespürt habe, wurden gesperrt, manche verkaufen noch, aber haben die Manipulation eingestellt“, so Kvedaras gegenüber OMR. Trotzdem sei es über Amazons Bestseller-Liste, die Deal-Gruppen auf Facebook sowie mittels des Amazon-Tools Keepa nach wie vor leicht, Beispiele von Artikeln auf Amazon zu finden, bei denen Seller die Methode anwendeten. Gerade vor vier Tagen sei ihm beispielsweise eine aufblasbare Liege auf Amazon aufgefallen, weil sie in der Kategorie Sports & Outdoor auf Platz 1 im Bestseller Ranking erreicht hatte. Der Artikel ist mittlerweile nicht mehr verfügbar.

Das Tracking-Tool Keepa protokolliert die Entwicklung von Preisen sowie des Bestseller Rankings von Artikeln auf Amazons Marktplatz. Hier die Entwicklung des Bestseller Rankings einer auffälligen aufblasbaren Liege. (Klick öffnet eine größere Version, Screenshot von Paulius Kvedaras)

„Amazon wird das nachverfolgen“

Die Website Eretailerpro hat Kvedaras‘ Recherchen mit Verweis auf ihn veröffentlicht; außerdem kursiert offenbar in Seller-Whatsapp-Gruppen sowie auf Linkedin ein Google Doc des Artikels ohne Autorennennung. Dafür, dass Kvedaras‘ Entdeckungen keine Einzelfälle sind, sondern die Methode offenbar systematisch auch von anderen genutzt wird, spricht, dass andere Seller unabhängig von Kvedaras an anderen Stellen im Netz über den „Hack“ gepostet haben – in geschlossenen Amazon-Gruppen, aber auch im offiziellen Seller-Forum von Amazon selbst, etwa Ende Februar und im Mai.

„Es gibt Indizien dafür, dass sich diese Methode erst in den letzten Monaten etabliert und seitdem etwas stärker verbreitet hat“, so Remazing-Mitgründer Hannes Detjen gegenüber OMR. „Aber ich habe den Eindruck, dass das noch ein sehr überschaubares Phänomen ist.“ Der deutsche Amazon-Experte glaubt zudem, dass diese Methode nur kurzfristig funktionieren wird. „Das wird noch stärker von Amazon verfolgt werden, so bald es eine gewisse kritische Relevanz erreicht hat.“

Vielen Dank an Maik Busch, durch dessen Linkedin-Post wir auf das Thema gestoßen sind!

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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