Neue Eskalationsstufe: Amazon bewirbt Eigenmarkenartikel nach Klick auf Werbung für Dritte
Dieses Video wird in der Amazon-Szene heiß diskutiert
- Bis zu fünf US-Dollar aus dem Fenster geworfen?
- Verstoß gegen das Kartellrecht oder normale Härte?
- Amazon kapert das Listing eines Markenartiklers mit Eigenwerbung
Auf Amazon aktive Marken und Händler müssen immer häufiger kostenpflichtige Werbung von Amazon kaufen, um überhaupt noch auf der Plattform sichtbar zu sein und Verkäufe generieren zu können. Nun zeichnet sich für sie ein neues Bedrohungsszenario ab: Der E-Commerce-Riese führt aktuell offenbar Tests durch, in deren Rahmen jenen Nutzern, die Werbung angeklickt haben (für die Händler und Marken bezahlt haben) eine Empfehlung für ein ähnliches, aber günstigeres Produkt eingeblendet wird – das auch von Amazons Eigenmarken stammen kann.
Fast 50.000 Abrufe und 275 Kommentare in nur zwei Tagen: Das Video, das der US-amerikanische Amazon-Experte Izzy Benoliel auf Linkedin eingestellt hat, stößt offenkundig auf großes Interesse. Es zeigt, wie ein Nutzer in der US-Version der Amazon-App nach „Nested Naturals“ (eine Nahrungsergänzungsmittel-Marke) sucht und auf der Suchergebnisseite auf Werbung (wie an einer „Sponsored“-Kennzeichnung erkennbar) für ein Nested-Naturals-Produkt tippt. Der Nutzer landet zwar auf der Produktseite von Nested Naturals, doch über diese legt sich sofort ein Layer, in dem ein Produkt von „Amazon Elements“, einer Eigenmarke des Unternehmens, empfohlen wird. Überschrift: „Ähnlicher Artikel, niedrigerer Preis“. Das Amazon-Produkt ist fast 50 Prozent günstiger als das von „Nested Naturals“. Eine gelbe Schaltfläche bietet die Option „Weitere Details anzeigen“ und führt mutmaßlich auf die Produktseite des Amazon-Artikels.
Bis zu fünf US-Dollar aus dem Fenster geworfen?
„Lassen wir Revue passieren, was hier gerade geschehen ist“, schreibt Benoliel über dem Video. „Diese Marke hat gerade Amazon eine Summe zwischen 50 Cent und fünf US-Dollar bezahlt, um meinen Klick zu bekommen, nur damit mich Amazon dann auf ihre Variante des Produktes weiterleitet.“ In der Tat dürften durch das Antippen der Werbung für Nested Naturals Kosten angefallen sein – denn die „Sponsored Product“-Einträge auf den Suchergebnisseiten müssen die Werbetreibenden bei Amazon einkaufen; die Bezahlung erfolgt klickbasiert.
Offenbar ist die im Video dokumentierte Praxis ein Test von Amazon, der allein auf die US-App des Unternehmens beschränkt ist. Von Deutschland aus ließ sich der Vorgang nicht nachvollziehen; unter Benoliels Video kommentiert jedoch eine weitere Linkedin-Nutzerin aus den USA, dass sie den Vorgang habe rekonstruieren können, jedoch nur auf ihrem Mobil-Gerät.
Verstoß gegen das Kartellrecht oder normale Härte?
Dass Amazon offensichtlich mit dem Gedanken spielt, eine solche Funktion zu implementieren, sorgt bei vielen Kommentatoren unter Benoliels Video für Empörung. „Widerwärtig, „schmutzig,“ „frustrierend“ oder „Es wäre wirklich interessant zu sehen, was passiert, wenn jemand Amazon deswegen verklagt“, lauten einige Reaktionen der Linkedin-Nutzer. Andere sehen das ganze pragmatisch bis resigniert: „Es ist ihre Plattform, also können sie dort machen, was sie wollen“, schreibt beispielsweise ein Nutzer. Einer der Nested-Naturals-Gründer kommentiert: „So ist Amazon. Wir spielen auf ihrem Spielfeld und müssen einfach akzeptieren, dass sich das immer wieder verändert.“
Andere wiederum sehen darin, dass Amazon seine Eigenmarken auf diese Weise pusht, normales Handelsgebaren. „Das ist das Äquivalent einer Hausmarke. Es ist nichts anderes, wie für einen Regalplatz im Handel zu bezahlen, nur um dann festzustellen, dass die günstigere Hausmarke daneben oder sogar besser platziert worden ist“, so Stephanie Fiermann, Marketingchefin bei Mediacom in New York.
Amazon kapert das Listing eines Markenartiklers mit Eigenwerbung
Andere Vertreter der Online-Marketing-Branche sehen Amazon als im Kampf mit Markenartiklern an. All jene, die Massenartikel und Gebrauchsgegenstände produzieren, deren Produkte also eine „Commodity“ ohne wirkliches Alleinstellungsmerkmal sind, müssen befürchten, dass Amazon sich einen immer größeren Teil ihres Geschäftes einverleibt, warnt beispielsweise NYU-Professor Scott Galloway bereits seit einigen Jahren. Zuletzt hatte Amazons Vorgehen im Batteriesegment erneut für Aufsehen gesorgt. Ein Video von der US-Plattform zeigt, wie ein Nutzer auf dem Marktplatz nach der Batteriemarke Energizer sucht, auf der Suchergebnisseite ein Energizer-Listing anklickt, und ihm auf der Produktdetailseite Werbung für Amazons eigene Batteriemarke ausgespielt wird („Spar Geld mit Amazon Basics“), die so großflächig ist, dass sie den gesamten Bildschirm einnimmt.
Auch im Fall von Energizer bewirbt Amazon die Eigenmarke Amazon Basics auf Mobilgeräten mit einem Layer als „Similar item, lower price“, wie ein Tweet zeigt:
Im vergangenen August hat Amazon bereits damit begonnen, auf Suchergebnis- und Kategorieseiten neben Artikeln auf vergleichbare Artikel von Amazon-Marken hinzuweisen. Neu ist nun, dass diese Entwicklung auch Traffic betrifft, der mittels Werbung generiert wurde. Bezahlte Einträge dürften mittlerweile einen erheblichen Anteil von Amazons Traffic ausmachen. Bei vielen Produktsuchen finden sich im direkt sichtbaren Bereich nur noch bezahlte Ergebnisse.