Daily Pie und Frontpage.tv: Wer wird das Viva der Generation Z?

Christian Cohrs20.10.2020

Zwei Flighthouse-Klone wollen die deutsche Entertainment-Brand #1 auf Tiktok werden. Optisch Zwillinge, doch mit eigener Strategie – aber demselben Problem

Original und Kopie und Kopie: Abschnitte auf aktuellen Shows von Flighthouse, Daily Pie und FrontpageTV (v.l.)
Inhalt
  1. Mit Winkekatzen zum Tiktok-Shooting-Star
  2. „Krass, endlich auch auf Deutsch“
  3. Sechsstelliges Investment und eigenes Studio
  4. Verticals für die Gen Z
  5. Frontpage.tv sucht seine Magic Sauce
  6. Haupteinnahmequelle Google AdSense
  7. Wo bleibt der Stefan Raab von Tiktok?
  8. Emotionale Bindung vs. Vertrauen in die Institution

Anfang des Jahres hatten wir über Flighthouse geschrieben, das „MTV der Generation Z“. Das US-Unternehmen baut mit Tiktok als Reichweitenhebel gerade einen stark wachsenden Show-Kanal auf. Inzwischen hat Flighthouse zwei deutsche Nachahmer gefunden: Daily Pie – hinter dem Truemates steht, der Content Creator der Berliner Influencer-Agentur Intermate. Und Frontpage.tv – gestartet als Nebenprojekt einer von Twentysomethings gegründeten Videoagentur aus der Nähe von Frankfurt am Main. OMR hat sich die beiden Flighthouse-Klone einmal näher angeschaut.

Manchmal nimmt die Zukunft etwas Anlauf in der Vergangenheit. Im Sommer 2019 kam es zu einer schicksalshaften Begegnung zwischen Sven Oechler und Lukas Heining, Co-Founder der Event- und Videoagentur Vibrand Media aus Dreieich bei Frankfurt am Main, und einem ihrer Geschäftspartner. „Hey Jungs“, sagt der am Rande einer Veranstaltung zu den beiden, „hier, der Martin ist mein Kumpel. Der war mal cool so vor 20 Jahren, jetzt kennt den keiner mehr.“ Ihre Antwort: „Doch, doch, doch“, schließlich war Martin Schneider alias Zwerg Speedy in den „7 Zwerge“-Filmen einer der Helden ihrer Kindheit. (Kleine Erinnerungsstütze für alle, die auch die Filme nicht kennen: „Aschebeschär“).

Mit Winkekatzen zum Tiktok-Shooting-Star

Wenig später saßen sie mit dem Comedian bei einem gemeinsamen Mittagessen und setzten währenddessen den Tiktok-Account @maddinschneider auf und luden zwei improvisierte Videos hoch, in denen Schneider die Tiktok-Community um Tipps bittet und fragt, wer ihn noch kennt. Offensichtlich waren Heining und Oechler nicht die einzigen. „Als wir nach dem Meeting im Office ankamen, hatten wir schon 100.000 Views“, sagt Heining. Nach nur einem Tag hatte der Account bereits 50.000 Follower und 1,5 Millionen Views. „Das war für uns das Zeichen: Tiktok ist gerade der Shit, wo du Reichweite mit wenig Aufwand generieren kannst“, sagt Heining.

Der erste Versuch, sich selbst oder die Agentur auf Tiktok groß zu machen, wurde jedoch durch das immer dringlichere Tagesgeschäft vereitelt. Die nächste Idee, der Aufbau einer Klamotten-Marke über die Plattform, scheiterte am Kapital. Außerdem liegen noch heute ein paar Dutzend unverkaufte Armbanduhren im Schrank. Reste ihres erfolglosen Versuchs, einen deutschen Daniel-Wellington-Klon hochzuziehen.

Dann aber, so viel Humblebragging sei an dieser Stelle erlaubt, erschien der erwähnte OMR-Artikel über Flighthouse. Oechler und Heining kannten den Kanal bereits von ihrer Recherche für die Idee mit dem Tiktok-Modelabel. Also riefen sie einen befreundeten Influencer an, besorgten sich farbigen Tonkarton und mieteten ein Studio in Frankfurt am Main. Sechs Tage später war der erste Clip von Frontpage.tv auf Tiktok live – und abgesehen von der Sprache nicht von einer Flighthouse-Show zu unterscheiden.

„Krass, endlich auch auf Deutsch“

„Natürlich ist das inspiriert von Flighthouse“, sagt Oechler. Das sei auch volle Absicht gewesen. Er nennt Oliver Samwers Startup-Klon-Fabrik Rocket Internet als Vorbild. „Wir hätten auch ein anderes Konzept machen können“, ergänzt Heining. „Aber es ging uns hauptsächlich um Speed.“ Und dann kamen auch die Kommentare, das sei eine billige Flighthouse-Kopie, erinnert sich Oechler. „Aber die meisten haben es gefeiert: Krass, endlich auch auf Deutsch.“ Und inzwischen hätten sie sich einmal durch sämtliche Party-Spiele gearbeitet. Auf dem Tiktok-Profil von Frontpage.tv, das mittlerweile 550.000 Follower und bald 22 Millionen Likes hat, gibt es nun neben Flighthouse-Originalen wie Tiktok-Karaoke auch Shows, in denen die Teilnehmer erraten müssen, was der oder die andere sagt, während er oder sie beim Sprechen einen Tischtennisball im Mund hat. Oder in denen sie einen Flachwitz erzählt bekommen und nicht lachen dürfen.

Original und Hommage und Hommage: Musik-Rateshows bei Flighthouse, Frontpage und Daily Pie

Original und Hommage und Hommage: Musik-Rateshow bei Flighthouse, Frontpage und Daily Pie (v.l.)

Auch bei Truemates, dem Content-Creation-Arm der Berliner Influencer-Agentur Intermate, hatten sie damals unseren Artikel gelesen und – Humblebragging Teil II – daraufhin entschieden, so etwas für den deutschsprachigen Markt aufzuziehen. Nachdem Flighthouse-Gründer Jacob Pace kein Interesse an einem offiziellen Ableger hatte, begann die Entwicklung des Konzepts für Daily Pie. Name und Logo sind weiter vom Original entfernt, doch abgesehen davon startete der Kanal Ende April mit derselben Mischung aus einfarbigen Hintergründen, improvisiert wirkenden Requisiten und Social-Media-Creatorn, die vor der Kamera kleine Spielchen spielen – und bringt es mittlerweile auf knapp 630.000 Follower und über 24 Millionen Likes.

Die Unterschiede zum Original finden sich eher hinter der Kamera. Die Mutterfirma von Flighthouse verdient ihr Geld nämlich mit dem Management von Musikrechten und dem Eintreiben von Lizenzgebühren. Die deutschen Klone werden jedoch von Agenturen betrieben, die keinen vergleichbaren Revenue-Stream im Hintergrund haben. Was also erhoffen sie sich?

Sechsstelliges Investment und eigenes Studio

„Wir wollen ein eigenes Entertainment-Powerhouse werden und Marken eigene Reichweite verkaufen“, sagt Intermate-CEO Philip Papendieck. Dieses ambitionierte Ziel lassen sich die Berliner einiges kosten. Einen „guten sechsstelligen“ Betrag habe man bereits in das Projekt gesteckt, sagt Truemates-Co-Founder Philipp Wolff. Das Investment schlüsselt sich auf in die Personalkosten für eine eigene Unit, die die Shows produziert, Spesen für die teilnehmenden Creator, und vor allem den Aufbau eines eigenen Studios. Dort will Truemates künftig seine Inhalte für die Shows und für Kunden-Projekte umsetzen. „Am Ende ist es eine Wette“, sagt Wolff. „Aber wir sind da sehr selbstbewusst und sehr sicher, dass wir an der richtigen Stelle das Risiko eingehen.“

Auf dem Kanal Buzzbox probiert Truemates gerade aus, wie gut sich Infotainment-Formate über Tiktok spielen lassen: Creator erklären ihren Style ("Style Update" oder Phänomene auf der Plattform ("Behind the Hype") und geben Lebenshilfe (v.l.)

Auf dem Kanal Buzzbox probiert Truemates gerade aus, wie gut sich Infotainment über Tiktok spielen lässt: Creator erklären ihren Stil („Style Update“) oder Phänomene auf der Plattform („Behind the Hype“) und geben Lebenshilfe (v.l.)

Ein echtes Powerhouse baut man allerdings nicht mit einem Pferd im Stall auf. Darum hat Truemates mit Buzzbox inzwischen einen zweiten Kanal gelauncht. Darin stehen ebenfalls bekannte Creator vor der Kamera. Die Bandbreite der Formate reicht von Style-Tipps über Tiktok-News bis zu Lebenshilfe und lässt sich wohl am besten mit „Bravo TV auf Tiktok“ zusammenfassen. Die Pläne gehen jedoch noch weiter. Sobald das Studio fertig ist, will Truemates die Buzzbox-Shows hier tagesaktuell produzieren. Denn die schnelle Reaktion auf Tiktok-Trends sei der effektivste Hebel, um mit eigenen Clips viral zu gehen. Außerdem setzen die Berliner auf Live-Shopping, das als das nächste E-Commerce-Ding gilt (warum, das haben wir neulich am Beispiel der Streetwear-Drop-App NTWRK erklärt). „In Social Commerce sehen wir für uns eine große Zukunft“, sagt Wolff. „Wir sind schon Content Creator und haben Kontakte sowohl zu den Creatorn, als auch zu den Marken.“

Verticals für die Gen Z

Auch bei Frontpage wird über den existierenden Kanal hinaus gedacht – Themen wie Sport, Beauty und Gaming. „Unsere Vision ist eine Entertainment-Plattform für Gen Z mit verschiedenen Verticals zu werden“, sagt Lukas Heining. „Multichannel, so wie Gen Z den Content gerne konsumiert, sprich aktuell Tiktok, Instagram und Youtube.“

In ihrer Nähe zu dieser Zielgruppe sehen die Hessen ihren Vorteil und betreiben darum den Aufbau einer Community. Die sei ihnen wichtiger als die Zahl der Follower. Aus diesem Grund habe Frontpage.tv auch vor Kurzem einen Discord-Server aufgesetzt, wo bereits bald 300 Fans in die Entwicklung neuer Formate einbezogen werden und Gäste vorschlagen können. Ein professionelles Netzwerk in die Influencer-und Creator-Szene wie Truemates mit Intermate im Rücken hat Frontpage.tv-Betreiber Vibrand Media zwar nicht, dafür den Vorteil, als Pionier gestartet zu sein. Nach dem Launch als erster deutscher Entertainment-Kanal auf Tiktok hätten sich viele, auch große Creator bei ihnen gemeldet, so Oechler und Heining. Die wolle man nun nach und nach in die Shows holen.

Frontpage.tv sucht seine Magic Sauce

Seit Kurzem gibt es auch einen Frontpage.tv-Hoodie. Zum Teil aus Gründen des Community-Buildings, aber zugleich als Testballon für eine Erlösquelle. Wobei es weniger um den ursprünglichen Plan des von Tiktok befeuerten Mode-Labels gehen dürfte, sondern um potenziell viel lukrativere Produkte: „Klar, du kannst Hoodies mit Frontpage-Logo verkaufen“, sagt Heining. „Wenn du aber in einem spezifischen Vertical bist, in einer spezifischen Nische und machst ein passendes Produkt, wird es vermutlich deutlich besser konvertieren.“

Klare Ansage: Frontpage.tv-Mitgründer Sven Oechler (l.) mit Younes Zarou (M.), dem aktuell Follower-stärksten Creator aus Deutschland

Klare Ansage: Frontpage.tv-Mitgründer Sven Oechler (l.) mit Younes Zarou (M.), dem aktuell Follower-stärksten Creator aus Deutschland

Vorbild dafür ist natürlich „Hot Ones“. Das US-Talk-Format, bei dem die Gäste Hühnchenteile in ansteigendem Schärfegrad bekommen. Mit den in der Show verwendeten Saucen werden inzwischen Millionen US-Dollar umgesetzt. (Das Businessmodell von „Hot Ones“ hatten wir bereits ausführlich erklärt.)

Haupteinnahmequelle Google AdSense

Momentan finanzieren Heining und Oechel ihren Kanal über Erlöse aus der Agentur quer sowie mit den 50.000 Euro, die sie als erstes externes Investment vom Hamburger Next Media Accelerator bekommen haben. Denn: „Frontpage.tv ist ein unprofitables Projekt“, sagt Heining. Das einzige Geld werde gerade mit AdSense verdient, zwischen 300 und 1.000 Euro. „Davon bestellen wir Mittagessen für die Creators.“

Bei Truemates sieht es ähnlich aus: „Bis heute machen wir das auf eigenen Deckel“, sagt Philipp Wolff. Denn die Berliner teilen mit den Hessen ein Problem, das Heining so beschreibt: „Wie soll man einer großen Marke, die gerade mit Instagram anfängt, erklären, was Tiktok ist? Da an große Budgets zu bekommen ist alles andere als easy.“ Auch Intermate-CEO Philip Papendieck begegnen immer wieder die alten Vorbehalte gegenüber einer neuen Plattform: „Da denkt man sich: Hey, habt ihr daraus nichts gelernt?“

Philip Papendieck, CEO von Intermate, und Philipp Wolff, Co-Founder von Truemates

Philip Papendieck, CEO der Influencer-Agentur Intermate, und Philipp Wolff, Co-Founder des Content Creators Truemates

Darum wird bei beiden Kanälen vorerst nur experimentiert, wie man einmal mit Placements Geld verdienen könnte. Bei Daily Pie lassen sie Influencer mit blickdichten Brillen Beauty-Produkte einer verlinkten Marke ertasten. Frontpage hat erste Barter Deals mit einer Energy-Drink-Brand und einem Snack-Hersteller geschlossen. Ausprobieren, Test-Cases schaffen und durchhalten – mit Blick auf die von Marketing-Entscheidern einst unverstandene, heute milliardenschwere Plattform Instagram ist das vermutlich die nachhaltigste Strategie.

Wo bleibt der Stefan Raab von Tiktok?

Es gibt allerdings auch Zweifel, ob die Rechnung am Ende tatsächlich aufgeht und sich die Entertainment-Kanäle auf Tiktok durch Werbe-Placements und gebrandete Formate finanzieren können werden. „Was das Potenzial angeht, bin ich ziemlich skeptisch“, sagt Adil Sbai, CEO der Tiktok-Agentur WeCreate und Manager mehrerer großer deutschsprachiger Creator auf der Plattform. Kanäle hätten eine sehr breite Zielgruppe, so Sbai, entsprechend hoch seien zu erwartende Streuverluste. TKPs für Product Placements müssten bei den Kanälen also günstiger sein.

Adil Sbai, CEO von WeCreate

Adil Sbai, CEO von WeCreate

Er zeichnet darum einen anderen Weg für Entertainment-Kanäle auf Tiktok vor: Personalisierung von Shows. „Was Stefan Raab gemacht hat, ist ja letztlich eine Symbiose aus seiner Personal Brand und diesem Channel-Gedanken“, erklärt Sbai. „Wenn er jetzt auf Tiktok wäre, dann hätte er wahrscheinlich fünf Kanäle.“

Weiterhin vermutet Sbai Potenzial für die von Frontpage.tv bereits angedachte Mechanik, den Channel als Sales-Funnel zu benutzen, wenn es den Machern gelingt, ein Produkt finden, das zur Zielgruppe passt und diese es sich leisten kann. Neben Kanal-Merchandise nennt Sbai als Beispiel die über Social Media gewachsene Keksteig-Brand Cookie Bros.

Emotionale Bindung vs. Vertrauen in die Institution

Bei Frontpage.tv ist man sich des Problems durchaus bewusst: „Wir haben nicht so eine emotionale Bildung zu unseren Zuschauen, wie es ein Creator hat“, sagt Oechler. Andererseits baue man aber gerade eine neutrale Brand auf mit dem Ziel „eine Institution zu sein, an der man sich orientieren kann und die Trust gibt.“

Der nächste strategisch wichtige Schritt muss darum in der Steigerung der Bekanntheit der Brand bestehen. Wichtiges Learning von Heining und Oechler: Tiktok mag gerade die dynamischste Plattform sein, doch für ein nachhaltiges Wachstum reichen die dort groß gewordenen Stars nicht aus. Tiktokker würden zwar auf Tiktok gut funktionieren, aber nicht auf Instagram und Youtube. Vor allem die Streaming-Plattform ist aber wichtig, denn hier laufen die Langversionen der Shows. Darum sollen bei Frontpage.tv künftig mehr Youtuber eingeladen werden, die auf allen drei Plattformen hohe Reichweiten erzielen.

Auch bei Daily Pie geht es derzeit vor allem um das Ausprobieren des neuen Formats Tiktok-Show. Etwas mehr als 250 Daily-Pie-Assets wurden bislang über den Kanal ausgespielt, über 50 Showkonzepte angetastet. Dabei verlassen sich die Chefs auf ihr junges Team, so Philip Papendieck. Der Daily-Pie-Regisseur sei gerade einmal 20 Jahre alt und stemme die Show weitgehend eigenverantwortlich. „Wir selbst müssen uns da ein bisschen zurücknehmen“, sagt Philipp Wolff. „Philip und ich haben auch ‘coole Ideen‘. Aber dann kriegt man von so einem 20-Jährigen gesagt, ‚Nee, lass mal, das ist ultra cringe.‘ Und meistens haben die auch recht.“

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Christian Cohrs
Autor*In
Christian Cohrs

Editor & Content Strategist bei OMR und Host des FUTURE MOVES-Podcasts. Zuvor war er Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Business Punk in Berlin, Co-Autor des Sachbuchs "Generation Selfie".

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