Diese Studentin hat ein lukratives Business daraus gemacht, Dating-Profile zu optimieren

Wie "Chloe Gray" über Reddit und Discord eine sechsstellige Summe erwirtschaftet hat

"Chloe Gray" am Noteboook
"Chloe Gray" (ein Pseudonym) zeigt nie ihr komplettes Gesicht in der Öffentlichkeit (Foto-Quelle: Advicebychloe.com)
Inhalt
  1. Jung, pleite – aber mit Geschäftssinn
  2. Ein Post: Zwei Wochen durchgebucht
  3. Positive Reviews sorgen für einen Push
  4. Mit dem AMA auf die Front Page
  5. Klotzen statt Netflixen
  6. 100 US-Dollar für ein „Übe-Date“

Wie bekomme ich Matches in einer Dating-App? Das ist im Digitalzeitalter für viele partnersuchende Singles wohl eine der wichtigsten Fragen. Die Mittzwanzigerin Chloe Gray (ein Pseudonym) hat daraus ein Geschäft gemacht: Sie erklärt ihren Kund:innen (die überwiegend männlich sind) schonungslos offen, was schlecht an ihren Fotos und dem Text ihres Dating-Profils ist – und hat damit bereits eine sechsstellige Summe erwirtschaftet. OMR erklärt, wie sie über Reddit Aufmerksamkeit für ihre Dienstleistungen generiert hat.

Bei den Fotos fängt das Elend meist schon an: „Viele Männer sind nicht so sozialisiert worden, dass sie sich selbst fotografieren“, sagte Chloe Gray im September vorherigen Jahres in einer Radiosendung. „Die meisten machen nur Fotos, um die Erinnerung an ein Erlebnis festzuhalten – etwa, wenn sie einen richtig großen Fisch gefangen, einen hohen Berg erklommen oder sich mit ihren Freunden betrunken haben.“ Das Problem: Viele Männer nutzen diese Fotos in Dating Apps – einfach, weil es die einzigen sind, die sie von sich auf dem Handy haben. „Aber die meisten dieser Fotos sind nicht attraktiv.“

Jung, pleite – aber mit Geschäftssinn

Daran, wie schwer es Männern fallen kann, sich auf Dating-Plattformen als attraktiv zu präsentieren, erinnert sich Gray im Juni 2019, nachdem sie gerade ihren Job verloren hat. Die damals 23-Jährige studiert Psychologie im Aufbaustudium und verfügte nach eigenen Angaben nur über wenige Ersparnisse, die sie innerhalb eines Monats aufbrauchte. „Meine Miete war überfällig, mein Strom wäre in 48 Stunden abgeschaltet worden und ich hatte seit sechs Tagen Ramen-Nudeln gegessen. Mein Vermieter drohte mir mit dem Rausschmiss und einer Klage“, erinnert sich Gray in einem Text auf ihrer Website.

In dieser Notlage stellt sie in der Social Community Reddit (hier unser Porträt der Plattform) ein verzweifeltes Angebot ein: „Ich bin eine Vertreterin der weiblichen Spezies und mir ist aufgefallen, dass einige meiner großartigen Jungs-Freunde mit dem Online-Dating wirklich zu kämpfen haben, weil sie absolut keine Ahnung davon haben, was sie da tun. Sie haben Fotos gepostet, die wenig schmeichelhaft sind und ihre Profiltexte waren entweder lang und verschlungen, verwirrend, langweilig oder viel zu kurz“, schreibt Gray damals. Sie habe einigen ihrer Freunde geholfen, ihre Profile zu optimieren und „ziemlich solide Ergebnisse erzielt“. Dasselbe Angebot unterbreitet sie nun den Reddit-Nutzern – für fünf US-Dollar. „I am broke af“, schreibt sie erfrischend offenherzig – ein wenig freier übersetzt: „Ich bin scheiß-pleite.“

Ein Post: Zwei Wochen durchgebucht

Sie veröffentlicht diesen Post in dem Subreddit (quasi ein Unterforum) „Slave Labour“, in dem sich Redditor (wie sich die Mitglieder der Community selbst nennen) als billige Arbeitskräfte andienen bzw. andere Mitglieder für niedere Arbeiten suchen. Neben typischen Dienstleistungen, wie sie etwa auch auf der Plattform Fiverr angeboten werden, finden sich dort auch Kuriosita – beispielsweise Redditor, die für andere Mitglieder mit Sozialphobie beim Pizza-Service anrufen. Oder solche, die Freunde ihrer Auftraggeber:innen per SMS als vermeintlich automatischer Dienst mit Fakten über Nilpferde zuspammen.

Grays Post generiert (vielleicht auch, weil er humorvoll formuliert ist) einige Resonanz: 160 „Upvotes“ (von denen abhängig ist, wie weit oben ein Post in einem Subreddit ausgespielt wird) und 112 Kommentare; 17 Reddit-Mitglieder schreiben öffentlich, dass sie den Service nutzen wollen. Ihre Kundengespräche wickelt die Studentin über die Plattform Discord ab (hier im OMR-Porträt), über die sich auch Telefonate durchführen lassen. Nach dem ersten Post habe sie zwei Wochen lang zwölf Stunden am Tag gearbeitet, erklärt sie 2021 gegenüber dem britischen „Mirror“.

Positive Reviews sorgen für einen Push

Dass ihr Angebot so gut ankommt, ist wenig erstaunlich: In den USA soll laut einer Stanford-Studie zwischen den Jahren 1995 und 2017 der Anteil an Partnerschaften, die über Dating-Apps zustande gekommen sind, von zwei auf 39 Prozent gestiegen sein. In Deutschland gaben in einer repräsentativen Befragung Anfang 2021 sogar 55 Prozent der Befragten an, einen festen Partner über eine Dating-App kennengelernt zu haben. Doch sich selbst als attraktiven potenziellen Partner zu präsentieren, fällt vor allen Dingen noch vielen Männern schwer. So ist eine ganze Subökonomie an zum Teil fragwürdigen Dating- und Psycho-Coaches entstanden, die häufig ein sexistisches bis misogynes Weltbild vertreten. „Pick up Artists“ und andere Anbieter setzen auf psychologische Manipulation. Grays Angebot punktet in diesem Umfeld möglicherweise durch seinen Pragmatismus: Ich sorge dafür, dass Du besser rüberkommst – ohne irgendwelche doppelbödigen Tricks.

Im Abstand von zwei bis drei Wochen nach ihrem ersten Post stellt sie zwei weitere Posts im „Slave Labour“-Subreddit ein. Beim dritten Post hat sie nicht nur ihren Preis auf zehn US-Dollar erhöht, sondern auch den Angebotstext verfeinert. Zum einen beschreibt sie sich als nerdige Studentin, die auch gerne Video- und Rollenspiele spielt (was sie in der Nerd-nahen Reddit-Nutzerschaft potenziell sympathischer und vertrauenswürdiger wirken lässt). Zum anderen zitiert sie Bewertungen bisheriger Kunden: „Sie ist hammerhart und wird Euch definitiv dabei helfen, flachgelegt zu werden.“ – „Sie ist scheißklug, Jungs. Versucht, Euch nicht in sie zu verknallen.“ Vielleicht sind es diese Reviews, die entscheidend dazu beitragen, dass der Post innerhalb des Unterforums eine große Welle losschlägt. Mit 1.600 Upvotes und 94 Kommentaren ist er bis heute der erfolgreichste Post im „Slave Labour“-Subreddit.

Mit dem AMA auf die Front Page

Noch einmal um ein Vielfaches erfolgreicher wird ein Post, den sie im Juli 2019 im Subreddit „Ask me Anything“ (AMA) einstellt. Dort erklären die Ersteller:innen der Beiträge, wer sie sind und welchen Job sie machen und lassen sich dazu von der Community befragen. Das Format ist so erfolgreich, dass es in der Vergangenheit diverse Prominente auf die Plattform gezogen hat: Barack Obama, Bill Gates (schon mehrfach) und eine Vielzahl von Schauspieler:innen, die darüber ihre neuen Filme promoten. Sie alle lockt die enorme Reichweite von Reddit : 430 Millionen monatlich aktive Nutzer:innen (so die letztmals Anfang 2020 offizielle kommunizierte Zahl) und mehr als 50 Millionen Daily Active User.

„Ich bin eine Studentin, die vor einem Monat aus Verzweifelung bei ‚Slave Labour‘ gepostet hat, weil ich kurz vor der Obachlosigkeit stand. Jetzt führe ich mein eigenes Kleinunternehmen – fragt mich alles!“, fordert Gray in ihrem AMA auf. Vielleicht ist es die Einbeziehung ihres persönlichen Schicksals und ihres Erfolgs, der den Post durch die Decke gehen lässt. Jedenfalls sammelt er fast 20.000 Upvotes und 1.400 Kommentare und erreicht so die „Front Page“ von Reddit: Die enorm aufmerksamkeitsstarke Startseite der Plattform, die die beliebtesten Posts aus allen Subreddits sammelt. Kleine Websites, die dort verlinkt werden, bekommen häufig den „Reddit Kiss of Death“ zu spüren: Wegen des enormen Traffics, den sie darüber ansammeln, gehen die Server in die Knie.

Klotzen statt Netflixen

„Innerhalb weniger Stunden war ich für Wochen ausgebucht“, schreibt Gray auf ihrer Website. Sie habe verrückte Angebote von Netflix-Produzenten und Interview-Angebote von MSNBC erhalten; ein Produzent der Reality-Show „Die Bachelorette“ habe mit ihr sprechen wollen. Sie habe alles abgesagt und sich auf die Arbeit in ihrem neuen Job konzentriert.

In den folgenden Jahren wiederholt sie ihr AMA auf Reddit, jeweils im Dezember 2020 und 2021 (kurz vor den Feiertagen und zwei Monate vor dem Valentinstag). Die Resonanz fällt zwar bei jedem Mal ein wenig geringfügiger aus (15.000 Upvotes und 1.200 Kommentare beim zweiten und 7.500 Upvotes und 680 Kommentare beim dritten Mal); trotzdem dürften die Aktionen erneut viele neue Kund:innen (Gray erklärt, mittlerweile auch Frauen zu beraten)  zugeführt haben.

100 US-Dollar für ein „Übe-Date“

Wegen der hohen Nachfrage war Gray so in der Lage, die Preise immer weiter zu erhöhen. Im November 2019 liegt der Preis für eine einstündige Beratung laut Vice bei 25 US-Dollar   – und schon zu diesem Zeitpunkt soll Gray eine sechsstellige Summe mit ihrer Dienstleistung erwirtschaftet haben. Heute schlägt eine Profil-Überarbeitung laut ihrer Website mit 69 US-Dollar zu Buche; darüber hinaus hat sie ihr „Produktportfolio diversifiziert“ und bietet beispielsweise auch Eins-zu-Eins-Coachings und „Übe-Dates“ für jeweils 100 US-Dollar an. Auf ihrem Instagram-Account vermeldete sie, dass sie sich mittlerweile nicht nur ein eigenes Auto, sondern auch ein ganzes Haus leisten konnte.

Auf Reddit hat ihr Erfolg übrigens mittlerweile diverse Nachahmer gefunden: Gerade erst hat dort eine weitere Studentin im Slave-Labout-Subreddit potenziellen Auftraggebern in Aussicht gestellt: „Ich helfe Euch mehr Matches zu bekommen – für nur zwölf US-Dollar!“

Ask me anythingChloe GrayDatingDating-AppsDiscordReddit
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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