adfraud.io – Diese obskure Seite sorgt aktuell für Aufregung in der digitalen Werbebranche
Die unbekannte "Initiative gegen Werbebetrug" listet Video-Kampagnen verschiedenster Vermarkter auf und bezeichnet sie als Adfraud
- So präsentiert sich adfraud.io
- Welche Marken, Agenturen, Vermarkter und Publisher sind betroffen?
- Das sagen die Macher von adfraud.io
- So reagieren betroffene Firmen, der BDVW informiert
„Wir sind ein Team aus Branchenexperten, welches einen Beitrag zur Aufklärung und Transparenz im Bereich Video-Werbung leisten möchte“, heißt es auf der Seite adfraud.io. Die selbst ernannte „Initiative gegen Werbebetrug“ listet verschiedenste Bewegtbild-Kampagnen inklusive Kunde, Agentur, Anbieter und Webseite auf – und will mit eingebundenen Clips der Werbemittel zeigen, dass es sich um Adfraud handelt. Ein Impressum hat die in Panama registrierte Seite allerdings nicht. OMR hat sich im Markt umgehört und mit den Machern gesprochen.
Seit wenigen Tagen geistert eine Frage durch die digitale Werbelandschaft Deutschlands: Was ist adfraud.io? Und wer steckt hinter der Seite? Die Macher bezeichnen sich als „Initiative gegen Werbebetrug“. Laut der „Über uns“-Seite wollen sie einen „Beitrag zur Aufklärung und Transparenz im Bereich Video-Werbung leisten“. Selber bleiben sie aber anonym.
Vor allem für die Brands, Agenturen, Vermarkter und Publisher, die in den auf der Seite aufgelisteten Video-Kampagnen mit Adfraud in Verbindung gebracht werden, dürfte das von Interesse sein. Schließlich wiegt der Vorwurf schwer: Adfraud bezeichnet den gezielten Betrug im Online Marketing, bei dem entweder Ad Impressions durch Bots künstlich erhöht werden, oder durch Manipulationen auf den Seiten der Publisher Werbemittel für User nicht sichtbar ausgespielt werden. Einer Studie von Google, Amobee, Quantcast und 16 Verlagen zufolge sollen 2017 alleine Publisher in den USA 3,5 Millionen US-Dollar durch Video-Adfraud verloren haben – wohlgemerkt täglich. Hochgerechnet wären das fast 1,3 Milliarden US-Dollar im Jahr.
So präsentiert sich adfraud.io
Auf der Seite der selbst ernannten Initiative – nach eigenen Angaben ein Team aus Branchenexperten – werden dem Besucher direkt 15 laut Seite aktuelle, jeweils mit einer Fallnummer versehene Fälle angezeigt. Auf den ersten Blick ersichtlich sind die Art der Videowerbung (Instream oder Outstream), Kunde, Agentur, Anbieter und Webseite. Zu jedem Fall erhält man nach einem Klick weitere Details zum angeblichen Betrug mit Videowerbung. So heißt es beispielsweise bei „Verdacht / Fall Nr. 101“: „Vorwurf: Das Werbe-Video startet, ohne Interaktion des Users, bereits im nicht sichtbaren Bereich und wird komplett abgespielt.“ Die Auswirkung sei eine manipulierte View Through Rate, da „vollgesehene Videos gezählt werden, obwohl diese für den User nicht sichtbar sind.“ Auch der Cost per Completed View werde so manipuliert.
Zu jedem Fall gibt es einen Lösungsvorschlag wie beispielsweise: „Das Video soll im sichtbaren Bereich durch Interaktion des Users starten. Im nicht sichtbaren Bereich soll das Video stoppen.“ Außerdem haben die Macher jeweils ein Video hochgeladen, das den angeblichen Betrug mit Video-Werbung beweisen soll. Mit einem Klick auf den Button „Stellung nehmen“ öffnet sich ein entsprechendes Kontaktfeld, am Rand ist eine Weiterleitung zu ähnlichen Fällen eingebunden.
Welche Marken, Agenturen, Vermarkter und Publisher sind betroffen?
Wie viele Fälle insgesamt auf adfraud.io aufgelistet sind, wird nicht direkt ersichtlich. Die niedrigste Fallnummer, die wir über die Suchfunktion der Seite herausgefunden haben, lautet 100, die höchste 138. Ob davon alle Fälle über die Option „Ad-Fraud melden“ an die Betreiber der Seite geschickt wurden, bleibt ebenfalls unklar. Kunden, die auf der Seite auftauchen, sind unter anderem PepsiCo, Adidas, Nestle Food, Axa, Procter&Gamble und Penny – also allesamt große Advertiser. Bei den Agenturen finden sich unter anderem Namen wie OMD, GroupM und Havas Media, Anbieter reichen von Google und Outbrain über Video Intelligence bis zu Funke Digital. Unter den Publishern sind Webseiten wie pcwelt.de, rp-online.de und finanzen.net.
Wer allerdings hinter der Seite adfraud.io steckt und für die Adfraud-Vorwürfe verantwortlich ist, bleibt unklar. Ein Impressum gibt es nicht. Eine Whois-Abfrage ergibt, dass die Domain am 30. November in Panama registriert wurde. Die jüngste Aktualisierung stammt vom 4. Dezember. Zu der eigenen Mission, durch Transparenz Aufklärung im Werbemarkt zu schaffen, passt das mitnichten. Dazu kommt: Die Macher dürften kaum Einblicke in die Buchung der jeweiligen Kampagne haben. Und so auch nicht wissen, welche Details, beispielsweise das komplette Abspielen im sichtbaren Bereich (Completed View), mit welcher Abrechnungsart gebucht wurden.
Das sagen die Macher von adfraud.io
Die Identitäten gibt das Team hinter der Seite auf Anfrage von OMR zwar nicht Preis, man wolle Anonym bleiben. Dafür nimmt unser Kontakt zumindest Stellung zu einigen unserer Fragen. Der oder die Macher – eine Angabe zur Teamgröße bleibt aus – wollen alle Marktteilnehmer über die Missstände aufklären und berufen sich dabei auf die Standards des IAB und MRC. Bei den aufgelisteten Kampagne stehe die Abrechnungsart nicht im Fokus. Es gehe um die Manipulation der View Through Rate, die einen westlicher Indikator zur Bewertung von Kampagnen darstelle. Hierbei werde der Kunde getäuscht. Außerdem wolle man keinen Rufmord betreiben: „Uns geht es auf dieser Webseite nicht darum, andere Unternehmen zu schädigen. Sobald Verstöße korrigiert werden, entfernen wir die entsprechenden Beiträge, was in dieser Woche bereits geschehen ist.“
So reagieren betroffene Firmen, der BDVW informiert
Aus Branchenkreisen ist zu hören, dass sich Agenturen und Vermarkter bereits intensiv austauschen – und auch einen konkreten, nicht näher beschriebenen Verdacht haben, wer hinter adfraud.io stecken könnte. Konkret äußern möchte sich jedoch kaum jemand. Björn Radau, Director Marketing & Communications bei Teads, lässt lediglich wissen: „Die Seite scheint unseriös. Wir prüfen das und behalten uns rechtliche Schritte vor.“ Und Christoph Kruse, Marketing Manager DACH bei Outbrain, sagt: „Outbrain nimmt Vertrauen und Transparenz im Advertising sehr ernst, weshalb wir auch mit führenden internationalen Organisationen, unter anderem dem IAB, der Coalition for Better Ads oder OneTrust zusammenarbeiten. Wir bieten im Moment Click-to-Watch- sowie programmatisch buchbare Autoplay-Videoformate an, die jeweils andere Kriterien erfüllen sowie andere Ziele verfolgen. Die Videos, auf die sich adfraud.io bezieht, sind Autoplay-Videos, die vom Advertiser entsprechend seiner Angaben ausgespielt werden. Die genannten Fälle sind daher nicht als Fraud, also Betrug, zu klassifizieren.“
Bernhard Finkbeiner, Gründer und Geschäftsführer des Portals frag-mutti.de, das ebenfalls auf adfraud.io auftaucht, ist von der OMR-Anfrage überrascht: „Davon habe ich noch nie gehört. Die Seite ist völlig intransparent; es ist nicht nachvollziehbar, warum dort was gelistet ist. Von Überprüfbarkeit keine Spur.“ Dennoch begrüße er jede Maßnahme gegen Adfraud. „Falls wirklich etwas an den Behauptungen dran sein sollte, gehe ich dem natürlich nach. Ich sehe das aber insgesamt total entspannt. Die Seite ergibt in meinen Augen keinen Sinn. Sie wissen schließlich nicht, was gebucht wurde.“
Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. hatte seine Mitglieder in einem Mailing Anfang der Woche auf adfraud.io aufmerksam gemacht. „Wir haben die Mitglieder entsprechend informiert“, so Michael Neuber, Justiziar des BVDW, gegenüber OMR. „Wie damit umgegangen wird, liegt natürlich komplett am jeweiligen Mitglied.“ Einen rechtlichen Aspekt erwähnt er dennoch. „Unabhängig davon, wie man mit der Seite umgeht, entspricht sie einigen Vorgaben nicht. Es fehlen zum Beispiel das Impressum und die Datenschutzerklärung.“