Die Thrasio-Klone kommen: Diese deutschen Unternehmen kaufen jetzt Amazon-Händler

Martin Gardt1.10.2020

Brands United, Razor Group und andere wollen kleinere Amazon-Brands kaufen und dann mit voller Kraft weiterentwickeln

Inhalt
  1. Kann das Geschäftsmodell auch hier funktionieren?
  2. Erster Player kauft schon ein
  3. Internationalisierung als größte Chance?
  4. Mehr als nur Amazon-Seller
  5. An die zehn Teams am Konzept dran?

Thrasio hat den Rekord gebrochen. Das Startup war schneller eine Milliarde US-Dollar wert als jedes andere US-Unternehmen. Die Firma kauft kleine Amazon-Brands, integriert die Produkte in das eigene Ökosystem und hebelt mit Synergie-Effekten höhere Umsätze. Der Erfolg des Geschäftsmodells lockt jetzt Nachahmer auch in Deutschland an. Wir zeigen, ob das Modell auch hier funktionieren kann und haben mit Gründern zweier Thrasio-Klone gesprochen.

Am 14. Mai 2020 hatten wir bei OMR erstmals über Thrasio berichtet. Zu der Zeit war das Unternehmen auf dem Weg zur Milliarden-Bewertung, seit dem 15. Juli 2020 ist die Schwelle genommen. An dem Tag hatte Thrasio eine Investitionsrunde über 260 Millionen US-Dollar verkündet. 

Warum fließt so viel Geld in das Unternehmen? Seit seiner Gründung 2018 durch Carlos Cashman (echter Name) und Josh Silberstein hat Thrasio laut eigener Angaben über 50 Amazon-Brands gekauft, weiterentwickelt und so den Umsatz pro Produkt gesteigert. Der Pro-Forma-Umsatz (dabei werden einmalige, sich nicht wiederholende Ausgaben herausgerechnet) liege bei 300 Millionen US-Dollar im Jahr, das Unternehmen sei seit dem Start profitabel. Mit 6.000 Produkten im Portfolio sei Thrasio einer der 25 größten Seller auf Amazon. Die Investoren glauben offenbar an ein weiteres steiles Wachstum. Und deutsche Player glauben an das Geschäftsmodell. Derzeit arbeiten offenbar mehrere Teams an einem deutschen Thrasio. 

Kann das Geschäftsmodell auch hier funktionieren?

Es wird sich jedoch zeigen müssen, ob das Prinzip auch hierzulande funktioniert. Project-A-Gründer und Marketing-Experte Florian Heinemann hatte seine Meinung dazu schon im Kassenzone-Podcast gegenüber Alexander Graf klar gemacht: „Das strukturelle Business funktioniert schon. Wenn du Marken auf eine professionelle Struktur setzt, kann das schon grundsätzlich Sinn machen.“ Er erwarte aber kein extremes organisches Wachstum von Unternehmen, die auf das Thrasio-Modell setzen: „Du baust ja keinen kontinuierlichen Kundenstamm auf, sondern bist darauf angewiesen, mit immer neuen Produkten, die du auf die Marktplätze schiebst, Wachstum zu erzielen. Das wird strukturell weder leichter, noch von den Margen besser.“

Der Faktor Amazon sei dabei stets ein unkontrollierbarer Faktor. Deutsche Riesen-Seller wie KW-Commerce würden jedoch zeigen, dass der Marktplatz derzeit Chancen für solche Modelle biete. E-Commerce-Profi und Spryker-Gründer Alex Graf fügt hinzu: „Ich kann mir gut vorstellen, dass sie [Thrasio, Anm. d. Red.] es schaffen, viele Brands in den USA zu onboarden und damit auch Geld zu verdienen. Ich glaube aber nicht, dass das international skalierbar ist.“ Andere Experten sind euphorischer. Christian Dahlen, VP, Portfolio bei SAP und Business Angel schreibt auf Twitter: „Thrasio kann das nächste Procter & Gamble werden. Und die ausseramerikanische Version das nächste Nestlé oder L’Oréal.“

Erster Player kauft schon ein

Das deutsche Unternehmen Brands United hat sicher nichts gegen die Einschätzung von Christian Dahlen. Die beiden Gründer Dieter Pfeffer und Marc Nußbaumer haben das Unternehmen vor wenigen Monaten gegründet. „Wir wollen bis zum Ende des Jahres fünf Deals abgeschlossen haben. Der erste sollte diese oder nächste Woche durch sein“, so Pfeffer gegenüber OMR. Beide bringen E-Commerce-Erfahrung mit und wollen diese jetzt in die gekauften Amazon-Brands stecken. „Ich habe mich schon im Alter von 18 Jahren mit Ebay beschäftigt und damals Akkus für PDAs importiert. Später kamen Powerbanks, Notebook-Akkus und Smartphone-Zubehör dazu“, erzählt Dieter Pfeffer. 

„Ich habe mein E-Commerce-Unternehmen dann nach über sechs Jahren und mit mehr als 20 Mitarbeitern verkauft. Den Verkaufsprozess fand ich aber schon damals anstrengend. Der Unternehmensmakler war nicht auf E-Commerce spezialisiert und kannte sich mit den Besonderheiten der Branche nicht aus.“ In Deutschland ist bisher der Marktplatz Dragonflip führend, wenn es um Verkäufe von Amazon-Unternehmen oder Firmen mit anderen digitalen Geschäftsmodellen geht. Der Ansatz, ein Portfolio aus Amazon-Brands aufzubauen und diese dann mit einem zentralen Team zu pushen, startet jetzt erst in Deutschland.

Die Gründer von Brands United

Die Brands-United-Gründer Dieter Pfeffer (l.) und Marc Nußbaumer

Pfeffer habe später auch selbst an Verkäufen von Shops mitgewirkt. „Als ich E-Commerce-Makler war, habe ich viele Unternehmen mit großem Potenzial gesehen, die das aber nicht ausschöpfen können, weil es im Tagesgeschäft untergeht und teilweise das Wissen und die Ressourcen für eine Umsetzung fehlen“, sagt der Brands-United-Gründer. „So ist die Idee entstanden, einen besseren Verkaufsprozess für Amazon-Brands zu bieten und die Unternehmen dann mit einem Expertenteam zu verbessern.“ Derzeit arbeiten inklusive der Gründer sechs Personen bei Brands United. Nach den ersten Akquisitionen von Amazon-Marken solle das Team aber stetig wachsen, um dann für all die zugekauften Marken professionelle Strukturen zu bieten.

Internationalisierung als größte Chance?

„Thrasio hat vorgemacht, dass es funktioniert. Aber die kaufen oft Unternehmen, die schon auf Platz 1 ihrer Kategorie liegen. Wir wollen Firmen mit viel Potenzial kaufen, die ein gutes Produkt, aber in anderen Bereichen wie Marketing oder Content noch viel Luft nach oben haben“, sagt Pfeffer. Es gebe viele Amazon-Händler, die nach mehreren Jahren harter Arbeit Lust auf neue Aufgaben hätten und deshalb auch aktiv auf Brands United zukommen würden. Wie Thrasio verspricht das Unternehmen eine schnelle Abwicklung und Zahlen – auf der Webseite ist von 30 Tagen die Rede. „Ein Kaufpreis vom Zweifachen des Jahresgewinns aufwärts ist realistisch. Für das Dreifache müsste die Brand extrem stark sein und Markteintrittsbarrieren vorhanden sein“, so Dieter Pfeffer. Millionäre dürften also nur sehr erfolgreiche Amazon-Händler werden, die gerade ihr Business verkaufen. Sechsstellige Beträge könnten aber durchaus gezahlt werden.

Ist eine Amazon-Brand erstmal im Portfolio, startet die Arbeit an der Umsatzsteigerung. „Für uns gibt es generell viele Ansatzpunkte, um eine Marke auf Amazon nach vorne zu bringen: Das Brand-Design, die Verpackung, der Content auf der Produktseite, die Keyword-Auswahl und der Verkauf über Deutschland hinaus“, sagt Pfeffer. Das erinnert an die Dienstleistungen von den in den letzten Jahren auch stark gewachsenen Amazon-Agenturen. Deren Services wollen Unternehmen wie Brands United intern abbilden. „Wir schließen generell keine Branche aus. Aber alles mit Stecker ist schwierig, weil wir international verkaufen wollen“, erzählt der Brands-United-Gründer. „Wir wollen keine Produkte, die jeder machen kann und Vergleichbarkeit vermeiden. Die Produkte sollen herausstechen.“ Es gebe auf Amazon unzählige Waren, die viele noch gar nicht kennen würden.

Brands United scheint die Einwände von Florian Heinemann, dass das Business auf Amazon in Zukunft eher schwerer werde, nicht zu teilen. „Unser Fokus liegt auf Amazon. Der Brand-Aufbau ist hier nicht einfach, aber wenn man es richtig macht, ist der Hebel am größten“, sagt Pfeffer. Fürs Erste seien eigene Online-Shops für die gekauften Brands nicht geplant. Langfristig schließe er das und etwa eine Listung der Produkte im Einzelhandel nicht aus. Bleibt nur die Frage, wo das ganze Geld für den Kauf der ersten fünf Unternehmen herkommt. „Wir haben sehr viel Eigenmittel reingesteckt aber auch zwei Investoren aus unserem näheren Umfeld an Bord, die uns mit Wissen und Erfahrung unterstützen. Wir werden jetzt in den nächsten Wochen den Beweis liefern, dass unser Konzept funktioniert, um dann zeitnah externe Investoren mit reinzunehmen“, so Dieter Pfeffer. 

Mehr als nur Amazon-Seller

Etwas weiter ist da schon die Razor Group, gegründet von Tushar Ahluwalia und Jonas Diezun. Auch dieses deutsche Unternehmen legt gerade mit dem Kauf von Amazon-Brands los. Beide Gründer kommen aus dem E-Commerce. Ahluwalia war CEO und Co-Gründer bei StalkBuyLove, einem indischen Fashion-DTC-Unternehmen und zuvor in gleicher Position bei Westwing India. Diezun war als Gründer beim Rocket-Venture Franksmile an Bord gewesen, das unsichtbare Zahnschienen verkauft hatte. Ahluwalia und Diezun haben namhafte externe Investoren an Bord: „Wir konnten für unsere Seed Finanzierung in Höhe von vier Millionen Euro bereits erstklassige Equity Investoren (468 Capital, Presight Capital von Christian Angermayer, RedAlpine, GFC, Mato Peric, Manuel Stotz, Erik Podzuweit, etc.) für uns gewinnen“, schreiben die Razor-Gründer an OMR. 

Die Razor-Group-Gründer (stilisiert) kaufen Amazon-Brands

Stilisiertes Bild der Razor-Group-Gründer Jonas Diezun (l.) und Tushar Ahluwalia

Die Razor Group habe zusätzlich einen doppelstelligen Millionenbetrag für Akquisitionen zur Verfügung und integriere bereits die ersten Firmen in die Holdingstruktur. In der letzten Stufe des Kaufprozesses weiterer Amazon-Marken habe das Unternehmen bereits Assets im Wert von über 15 Millionen Euro. Telefonisch erzählt Co-Gründer Ahluwalia gegenüber OMR außerdem, dass er Amazon vor allem als „Window of Opportunity“ sehe und die Razor Group insgesamt den Plan habe, aus den gekauften Unternehmen Brands mit eigenen Online-Shops und Präsenzen im Einzelhandel zu bauen. Alhuwalia und Diezun seien vor allem auf der Suche nach Amazon-Händlern, die Allwetter-Produkte verkaufen – also Waren, die nicht von einer Saison abhängen und sich das ganze Jahr über gleich gut verkaufen.

Besonders das Mitwirken von 468 Capital an der Seed Finanzierung der Razor Group lässt aufhorchen. Die drei bekannten Ex-Rocket-Kollegen Alexander Kudlich, Ludwig Ensthaler und Florian Leibert haben innerhalb kurzer Zeit einen 170-Millionen-Fonds aufgesetzt. Als Ziel hatten die drei eigentlich Investitionen in europäische Deep-Tech-Unternehmen ausgerufen. Daher kommt das Invest in eine junge E-Commerce-Holding wie die Razor Group etwas überraschend.  

An die zehn Teams am Konzept dran?

Auf Linkedin schreibt Gründer Tushar Alhuwalia, warum Amazon-Händler überhaupt an die Razor Group verkaufen. Viele würden irgendwann stagnieren und könnten ihr Business wegen fehlender Ressourcen nicht skalieren. Das würde sein Unternehmen mit professionellen Strukturen dann übernehmen. Gegenüber OMR hatte er zusätzlich erzählt, dass er sich bei Händlern mit Angestellten auch eine Übernahme einiger Mitarbeiter vorstellen könne.

Brands United und Razor Group werden aber wohl nicht die einzigen von Thrasio inspirierten Unternehmen in Deutschland bleiben. Laut OMR-Informationen stehen insgesamt zehn Teams in den Startlöchern. Vielen fehlt es aber wohl noch am nötigen Kleingeld, um auf Amazon-Händler-Einkaufstour gehen zu können. Mit eigenen Webseiten sind neben den bereits in Erscheinung getretenen Firmen noch „Thirstii“ und „Zeelos„. Beide konnten gegenüber OMR keine weiteren Details nennen und stecken offenbar noch in einer Frühphase. Am Ende wird sich zeigen müssen, ob trotz gleichzeitiger Starts auch in Deutschland ein Player mit einem vergleichbar schnellen Wachstum wie dem von Thrasio in Erscheinung treten kann. Die Razor Group rechnet ganz selbstbewusst mit einem zweistelligen Millionenumsatz bis Ende 2020.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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