Dieses Unternehmen kauft Amazon-Händlern ihr Business ab und ist bald eine Milliarde wert

Martin Gardt14.5.2020

Das US-Startup Thrasio macht kleine Amazon-Händler zu Millionären, um sich ihre Brand einzuverleiben. Was ist die Strategie des aggressiv wachsenden FBA-Aufkäufers?

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Inhalt
  1. Kleine Brands aufkaufen
  2. Das Geschäft entwickeln
  3. Der Glaube an das Amazon-Ökosystem
  4. Steht die große Amazon-Konsolidierung an?

Auf Amazons Marktplatz versuchen derzeit 1,9 Millionen aktive Händler, ihre Produkte zu verkaufen. Viele davon sind mit nur einem einzigen Produkt im Angebot richtig erfolgreich und machen zum Teil als 1-Mann-Unternehmen sechs- bis siebenstellige Umsätze pro Jahr. Und genau auf diese Mini-Unternehmen hat es das US-Startup Thrasio abgesehen. Die erst vor zwei Jahren gegründete Firma kauft Amazon-Händler auf, integriert die Produkte in das eigene Ökosystem und will durch Synergieeffekte noch mehr Umsatz pro Produkt machen. Wir zeigen, wie das Geschäftsmodell genau funktioniert und warum Thrasio bald eine Milliarde US-Dollar wert sein könnte.

„Amazon hat die Interaktion von Händlern mit ihren Kunden aber auch den Herstellern ihrer Produkte so vereinfacht, dass eine Person ein 5-Millionen-Dollar-Business betreiben kann. Das hat es so in der Geschichte noch nicht gegeben“, sagt Carlos Cashman, Co-Gründer von Thrasio, im Podcast von Quiet Light. Das hätten er und sein Co-Gründer Josh Silberstein erkannt und gemerkt, dass eine Konsolidierung solcher Unternehmen unter einem Dach noch viel mehr Umsatz verspricht.

Sie starten Thrasio 2018 in der Nähe von Boston. Heute hat die Firma drei Büros in den USA und jeweils eins in Pakistan und auf den Philippinen – dort arbeiten derzeit 200 Mitarbeiter. Das schnelle Wachstum geht vor allem auf kräftige Investitionen zurück. Bisher hat das Unternehmen über 100 Millionen US-Dollar eingesammelt. Nach der bisher letzten Investitionsrunde im April 2020 wurde Thrasio mit 780 Millionen US-Dollar bewertet.

Kleine Brands aufkaufen

Laut den Gründern wirtschaftet Thrasio von Tag 1 an profitabel. Der Außenumsatz liege derzeit bei über 200 Millionen Dollar, der Gewinn vor Steuern (EBITDA) liege in den vergangenen zwölf Monaten bei 35 Millionen Dollar. Aber wie funktioniert das Geschäftsmodell genau? Laut Gründer Silberstein sucht und findet Thrasio bestbewertete und sich gut verkaufende Alltagsprodukte bei Amazon und kauft dann die Firmen, die dahinter stehen. Oft hätten sich die 1-Mann-Unternehmen mit teils siebenstelligen Umsätzen auf der Plattform besser entwickelt, als die Gründer es erwartet hatten. „Diese Arten von Firmen lassen sich leicht aufbauen und wenn sie dann erfolgreich sind, wird es immer aufwendiger damit klarzukommen“, sagt Silberstein gegenüber Crunchbase News. Thrasio kaufe den kleinen Familienunternehmern ihr Geschäft meist für über eine Million US-Dollar ab und integriere die Brands dann in die eigene Firma.

Bisher habe Thrasio so schon 43 Amazon-Händler gekauft. „Wir gehen das komplett unvoreingenommen an“, sagt Gründer Carlos Cashman. „Wir glauben einfach an das Ökosystem und an die fundamentale Transformation, die Amazon mit sich gebracht hat. Es geht um großartige Produkte, Top-Rankings, tolle Bewertungen und eine gute Anzahl an Bewertungen. Das können Produkte aus ganz unterschiedlichen Kategorien sein.“ Entscheidend sei außerdem, Produkte zu finden, die nicht nur für einen kurzen Trend stehen, sondern langfristige Nachfrage versprechen. Thrasio rühmt sich dafür, dass die Deals innerhalb von 45 Tagen abgeschlossen sind. „Für diese Arten von Unternehmen ist ein Exit nicht immer so einfach“, sagt Josh Silberstein. „Es gibt einfach nicht viele Käufer für Firmen mit weniger als fünf Millionen Dollar Umsatz. Und da kommen wir ins Spiel. Wir machen die Händler zu Millionären und das Geld können sie in neue Projekte stecken.“

Das Geschäft entwickeln

Die gekauften Firmen sind dann auch wirklich sehr unterschiedlich. Zum Thrasio-Portfolio gehören unter anderem die Fitness-Zubehör-Brand Beast Gear, Wander-Stock-Hersteller TrailBuddy, die Anti-Ermüdungs-Fußmatte von Sky Solutions oder Entferner von Tiergerüchen (Angry Orange). Nach dem Kauf schaue sich Thrasio die verschiedenen Möglichkeiten jeder Brand an und optimiere dann grundsätzliche Aspekte.

Angry Orange Amazon-Listing

Der Tiergeruchs-Beseitiger von Angry Orange gehört jetzt zum Portfolio von Thrasio

„Wir schauen da zum Beispiel vom kreativen Blickwinkel drauf. Wir verwalten jetzt Hunderte Produkte aus den verschiedensten Kategorien und wissen, was funktioniert“, sagt Thrasio-Gründer Cashman. In einem Unternehmensvideo zeigt Thrasio beispielhaft, wie es das komplette Erscheinungsbild des Tiergeruch-Entferners Angry Orange verändert hat. „Marketing ist ein weiterer Bereich, in dem Erfahrung zählt“, so Cashman. „Unser Team versteht Performance Marketing und wie man Traffic aus den verschiedenen Kanälen auf die Produktseite lenkt. Und Amazon ist auch ein PPC-Marktplatz (Pay per Click), den wir mit der Erfahrung aus den verschiedenen Produktkategorien besser als Einzelpersonen bespielen sollten.“

Ein dritter Bereich, in dem Thrasio Synergieeffekte einsetze, um die verschiedenen Brands zu pushen, sei die Logistik. „Wenn es um die Produktbeschaffung aus der ganzen Welt geht und den Start auf internationalen Amazon-Marktplätzen, wird ein 1-Mann-Unternehmen niemals so gut wie unser Team sein“, sagt Carlos Cashman. „Wir haben hier ein Team sitzen, dass sich nur um Logistik und Lieferketten kümmert, so bekommen wir das viel effektiver hin. Und wir haben auch eine bessere Verhandlungsposition und können bei Lieferung und Produktion Mengenrabatte aushandeln.“ Auch Hannes Detjen, Gründer und Managing Director bei der Amazon-Agentur Remazing sieht beim Geschäftsmodell von Thrasio vor allem diesen Vorteil: „Es macht total Sinn, Synergien zu schaffen: So kannst du die Verhandlungsposition gegenüber Suppliern und Logisikern stärken, hast weniger administrativen Aufwand, kannst Produkte derselben Kategorien strategisch positionieren (Preis, Werbeausgaben, usw. anpassen) und machst Skalierungseffekte möglich“, sagt Detjen gegenüber OMR.

Der Glaube an das Amazon-Ökosystem

Thrasio konzentriert sich derzeit komplett auf Amazon. Das hat einen einfachen Grund: „Wenn du bei einem Freund ein Produkt siehst und fragst, wo er das gekauft hat, wird er nicht unsere Brand nennen, sondern Amazon. Wir sind also vom Markeneffekt Amazons abhängig. Und deshalb schauen wir nur auf die Produkte und das Ökosystem“, sagt Thrasio-Gründer Cashman. „Aber noch finden 90 Prozent des Handels offline statt und nur fünf Prozent des US-Handels auf Amazon. Es wäre also verrückt, sich nicht auch andere Retail-Kanäle anzuschauen. Das ist für uns also eher eine Frage der Zeit, bis wir damit starten.“

Bis die Brands von Thrasio sich in die Welt außerhalb von Amazon vorwagen, gilt es aber, sie auf Amazon zu pushen. Wie aus Cashmans Kommentaren herauszuhören ist, zählen für das Unternehmen vor allem harte Verkaufszahlen. Der Aufbau von Brands ist bei Amazon ja ohnehin nicht so einfach. „Wir befolgen einfach die Regeln der Plattform“, so der Thrasio-Gründer. „Du musst ein gutes Produkt haben, deine Kunden gut behandeln und schnell auf deren Anfragen reagieren. Und wenn deine Bewertungen schlechter werden, musst du das Problem auf die richtige Art lösen.“ Es gebe aber keine magische Formel für ein funktionierendes Business auf Amazon. PPC-Kampagnen seien ein hilfreiches Mittel, um Verkäufe zu generieren, aber auch die würden nicht für jedes Produkt gleichermaßen Ergebnisse erzielen.

Steht die große Amazon-Konsolidierung an?

Hannes Detjen von Remazing sieht hinter der Erzählung von Exits für Kleinunternehmer die Gesamtstrategie von Thrasio: „Im Endeffekt kaufen sie Lieferanten-Beziehungen und ein hohes Amazon-Ranking ein. Gegebenenfalls ist ein Teil der Hidden Agenda also, Zeit zu sparen und Top-Lieferanten zu finden, mit denen sie das ganze Thema Sourcing und Markenaufbau noch einmal deutlich schneller und größer angehen können“, sagt er. Das bedeutet aber nicht, dass das Geschäftsmodell des US-Unternehmens nicht auch funktionieren kann. Könnte so eine Amazon-Konsolidierung also auch in Deutschland anstehen?

„Der Markt ist natürlich schon immer stark in Bewegung. Wir sehen super viel Veränderung – gerade in den letzten drei Jahren, wenn man sich die totale Anzahl von Händler-Accounts auf Amazon anschaut“, sagt Maik Busch, Head of Marketplace and Business Development beim großen deutschen Amazon-Händler KW-Commerce. „Allein in Deutschland sind 100.000 Accounts dazugekommen. Viele Händler kommen mittlerweile aus Asien, aber auch US-Brands sehen, dass der europäische und vor allem der deutsche Markt lukrativ sind. Das macht es für ‚One Man Shows‘ immer schwieriger, sich zu entwickeln – oder aber auch ihr Geschäft weiterhin ohne personelle Veränderung zu managen. Und da kommen viele an ihre Grenzen. Oftmals starten diese FBA-Unternehmen ja als eine Art Nebenjob.“

Deshalb gibt es auch in Europa zumindest Marktplätze für den Verkauf von Seller Accounts. Über Plattformen wie Dragonflip werden E-Commerce-Brands angeboten, die zum Teil über Amazon groß geworden sind. „Der Markt in den USA ist sehr viel größer als in Europa, allerdings ist ein ähnliches Model wie das von Thrasio aus unserer Sicht auch hier denkbar“, sagt Remazing-Gründer Hannes Detjen. Der bekannteste deutsche Exit einer Amazon-Marke ist wohl der von Kavaj (wir hatten früh über das Unternehmen berichtet). Die Firma ging 2019 für 900.000 Euro an die schwedische Jays Group. Wie eine Konsolidierung von Amazon-Sellern in Deutschland aussehen könnte, kann Maik Busch von KW-Commerce noch nicht sagen. Aber: „Der Markt wird für Investoren sicherlich nicht unattraktiv sein – denn bei Amazon sind nun mal die Kunden.“

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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