Diese Firma hat das Zeug dazu, die Machtverhältnisse im Marketing komplett umzukrempeln

Henning Steier24.11.2015
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Online Marketing Rockstars im exklusiven Interview mit Roi Carthy von Shine

domino_chain_reaction Bereits jetzt gilt Adblocking in der Online-Marketing-Branche als enorm großes Problem, durch das Publishern weltweit vermutlich Umsätze in Milliardenhöhe entgehen. Doch möglicherweise wird dieses Phänomen in naher Zukunft eine neue, nochmals deutlich größere Dimension annehmen – wenn Mobilfunkanbieter Werbung gleich auf Zugangsebene blockieren. Das israelische Startup Shine hat eine entsprechende Technologie entwickelt und verhandelt Gerüchten zufolge schon mit der Deutschen Telekom. Online Marketing Rockstars erklärt die Hintergründe – und hat mit Shines Marketingchef Roi Carthy ein exklusives Interview geführt. Vor wenigen Wochen wurde wieder einmal klar, dass die Entwicklung mobiler Werbung nur eine Richtung kennt: Bei Facebook liegt ihr Anteil an den Reklameerlösen mittlerweile bei 78 Prozent, wie das Social Network anlässlich der Präsentation seiner Quartalszahlen verriet. Vor einem Jahr waren es noch 66 Prozent. Analysten von eMarketer rechnen für 2016 mit weltweiten Umsätzen von rund hundert Milliarden Dollar. Werbung auf Smartphones und Tablets würde damit höhere Erlöse erzielen als alle anderen digitalen Werbeformen kombiniert.

Roi Carthy

Roi Carthy

Oder kommt alles ganz anders? Shine lässt Mobilfunkprovider Reklame ausblenden, damit diese sich an den Werbeumsätzen beteiligen lassen können. Viele der Netzbetreiber seien frustriert darüber, dass die großen Digitalfirmen von den Netzen der Telkos profitierten, ohne dass sie in die Infrastruktur dahinter investieren müssen, heißt es in einem Bericht der Financial Times (Paywall) über Shine. Einem Bericht des Wall Street Journal (Paywall) aus dem September zufolge verhandele Shine bereits mit der Deutschen Telekom über den Einsatz der Technologie. Doch nach dem vielen Lärm rund um Shine ist es wieder ruhig geworden. Laut CMO Roi Carthy (39) ist das aber nur die Ruhe vor dem Sturm.

Roi, ihr habt euch kürzlich in einer ganzseitigen Anzeige in der Financial Times als Angreifer präsentiert. Unter einem Bild von Muhammad Ali steht, dass ihr auch zuschlagen könnt. Warum derartig aggressive Werbung in eigener Sache – bleiben die Kunden aus? Roi Carthy: „Keineswegs, es ist nur Sache der Provider, die Partnerschaft mit uns jeweils anzukündigen.“

Im Frühjahr seid ihr mit großem Tamtam an die Öffentlichkeit gegangen, dann wurde es still um Shine. Es gab Gerüchte, dass Ihr mit größeren Providern sprecht, beispielsweise mit der Telekom, aber bisher konntet Ihr dazu offenbar nichts Offizielles vermelden. Nur Digicel habt ihr bisher als Kunden gewonnen. Also kommt Eure Technologie bislang nur in Jamaika zum Einsatz. „Wir sprechen mit allen wichtigen Providern in Europa und den USA, also auch in Deutschland. Aber es ist doch klar: Unsere Technologie wird die Beziehungen zwischen Anbietern von Onlinewerbung und Telcos revolutionieren. Dass da manche zögern, kann ich verstehen. Aber wenn rund 25 Prozent der Nutzer Werbeblocker am PC verwenden und entsprechende Apps unter iOS 9 boomen, dann setzt das ordentlich Druck auf – wir können uns vor Anfragen kaum retten. Unsere 30 Mitarbeiter sind also überlastet, so dass wir in den nächsten Wochen viele neue einstellen werden – vor allem Entwickler.“

Braucht ihr nicht auch Verstärkung in der Rechtsabteilung. Schliesslich weht Digicel starker Gegenwind entgegen: Ectel, die Telekomregulierungsbehörde für fünf kleinere Karibikstaaten hat unlängst davor gewarnt, die Shine-Technologie könnte das Prinzip der Netzneutralität verletzen. „Das ist eine Warnung – mehr nicht . Wir gehen davon aus, dass es kein Zurück gibt. Nicht zuletzt hat das auch das Europäische Parlament erkannt, als es Ende Oktober entschied, dass künftig zwischen Kategorien von Datenverkehr zu unterscheiden ist, um die Gesamtqualität und das Nutzererlebnis zu optimieren.“

Das Entwicklererlebnis optimiert ihr aber nicht gerade. Schließlich zahlen die wenigsten Nutzer für Apps, weswegen das Gros werbefinanziert ist. Ihr aber nehmt vor allem kleinen Firmen die Existenzgrundlage, wenn ihr die Reklame in Apps ausblendet. „Darauf können wir keine Rücksicht nehmen. Unsere Kunden sind Provider. Diese verdienen an den Werbeerlösen nichts mit, die auf Kosten ihrer Infrastruktur erzielt werden. Das Geld fehlt ihnen dann wiederum beim Ausbau der Infrastruktur; Stichwort: 5G. Im Übrigen gibt es zahlreiche andere Finanzierungsmöglichkeiten für Inhalte, Apps sind nichts Anderes: Native Advertising, Paid Content und so weiter.“

Bezahlinhalte funktionieren in den wenigsten Fällen. „Auch dafür können wir nichts. Uns sagen übrigens viele Mitarbeiter von Medien, dass sie froh über uns sind. Denn so kommt die Branche unter Druck, sich neue Finanzierungs- und Werbemöglichkeiten einfallen zu lassen. Ich war schon immer ein Anhänger der kreativen Zerstörung. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass Inhalteanbieter wie Vice oder Buzzfeed einmal so groß werden können.“

Was ist mit Qualitätsmedien? „Qualität liegt immer im Auge des Betrachters. Es ist wie mit den Werbeblockern auf Mobilgeräten: Die Nutzer schaffen Fakten. Wer die Kunden nicht erhört, geht unter – und zwar schnell. Wir werden die Entwicklung beschleunigen, denn dank uns muss der Nutzer nichts mehr tun, um deutlich weniger Werbung zu sehen. Und die Provider profitieren – beides können Werbeblocker nicht bieten.“

Ihr blockt Werbeinhalte wie gesponserte Tweets nicht. Warum? „Sie stören den Nutzer nicht und sind keine Bandbreitenfresser wie aufwendige Banner oder Flash-Videos.“

Wenn Provider sich für eure Software entscheiden, haben sie zunächst einmal Kosten. Wie holen sie die Investitionen wieder herein? „Das ist natürlich Sache der Provider. Sie könnten beispielsweise Umsatzbeteiligungen mit Google aushandeln. So weit ich weiß, ist das aber noch nicht geschehen.“

Google ist eines der Unternehmen, welche die Kölner Eyeo GmbH, die Macher des Werbeblockers AdBlock Plus, dafür bezahlt, Werbung nicht zu filtern. Haben sich der Suchmaschinist und Facebook schon bei Shine gemeldet? „Ich kann dazu öffentlich nichts sagen. Aber die Antwort auf diese Frage kann man leicht erraten.“

Also ja. Und wann wird Shine profitabel sein? „Wir sollten uns Ende 2016 noch einmal darüber unterhalten.“

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Henning Steier
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