Lawrence Leuschner: Vom Hängematten-Verkäufer zu Europas Elektroroller-König
Kein Business ohne Purpose: Nachhaltigkeit war schon immer der Kern, um den der Gründer von Rebuy und Tier Mobility seine Firmen gebaut hat
- Online-Shop für gebrauchte Videospiele
- Die Klimakiller Fleisch und Verkehr
- Gründen im Laufschritt
- Ausweitung der Marke auf andere Felder
- Keine Expansion auf andere Kontinente
- Unsere Podcast-Partner im Überblick:
- Alle Themen des Podcasts mit Lawrence Leuschner im Überblick:
Tier Mobility zählt zu den aktuell spannendsten deutschen Startups. Nur anderthalb Jahre nach Gründung haben Investoren bereits über 90 Millionen Euro in den E-Scooter-Anbieter gesteckt. Dessen schwarz-türkisfarbene Roller stehen in Städten über den ganzen Kontinent verteilt. Die Berliner ringen mit den US-Vorbildern Lime und Bird um den Titel des weltgrößten Anbieters. Im neuen OMR-Podcast verrät Tier-CEO Lawrence Leuschner, warum seine Firma erfolgreich ist, weil sie die US-Vorbilder nicht einfach kopiert, und was diese Entscheidung mit seinem unternehmerischem Werdegang zu tun hat.
Kaum eine Gründer-Story kommt ohne ihre mythische Garage aus. Im Fall von Lawrence Leuschner handelte es sich um das Warenlager seines Vaters. Der importierte Produkte aus Lateinamerika, unter anderem Hängematten. Und weil die nicht alle in bester Qualität aus dem Container kamen, gab es immer wieder Ausschuss und Retouren, die auf dem Müll landete. Leuschner Junior hatte damit ein Problem und einigte sich mit dem Vater auf einen Deal: Der überließ ihm die defekten Hängematten „zum Einkaufspreis von 0 Euro“ und er dufte die B-Ware auf den Flohmärkten in der Umgebung seiner Heimatstadt im Taunus auf eigene Rechnung verticken.
So ging das eine Zeit, bis Online-Auktionshäuser wie Alando und Ebay starteten. „Das war natürlich super spannend zu sehen, dass man nicht mehr am Sonntagmorgen um sechs Uhr als 16-Jähriger auf dem Flohmarkt stehen muss, wenn andere nachhause kommen“, erzählt Leuschner Philipp Westermeyer im OMR Podcast. Also habe er seine Ware nun über Ebay vertrieben.
Online-Shop für gebrauchte Videospiele
Zwei Jahre später gründete Leuschner, gerade volljährig geworden, dann mit Freunden seine erste richtige Firma: Trade-a-Game, eine An- und Verkaufsplattform für gebrauchte Computerspiele. Schnell wurde daraus mehr als ein Schülerprojekt. „Wir haben dann unsere ersten Investments bekommen von ein paar Business Angels, auch von bekannteren wie Oliver Samwer, und sind dann 2006 nach Berlin gezogen“, sagt Leuschner im OMR Podcast.
Es war jedoch ein anderer Mann, der den Anstoß gab, Trade-a-Game breiter aufzustellen – als Rebuy, einer An- und Verkaufsplattform für Elektrogeräte: „Der Wechsel von Videospielen zu einem breiteren Angebot war maßgeblich beeinflusst durch Al Gore. Wir haben damals ,An Inconvenient Truth‘ verschlungen und gesehen, wie wichtig Ressourcen für uns sind. Und dass wir nicht immer alles neu kaufen sollten“, sagt Leuschner. „Da man immer einen Purpose in seinem Leben braucht, ist mir relativ klar geworden, dass Videospiele nicht das sind, wofür ich mal stehen will.“
Heute sei Rebuy Marktführer in Europa, beschäftige 500 Leute, der Jahresumsatz belaufe sich auf 200 Millionen Euro, man operiere profitabel, so Leuschner. Doch nach über zehn Jahren als Co-Founder und CEO gönnte sich Leuschner 2017 eine Auszeit und ging erstmal Surfen. (Impressionen seiner achtmonatigen Reise im alten VW Bulli von Patagonien nach Mexico hat Leuschner auf Instagram dokumentiert) Während des Surf-Sabbaticals habe er dann den Entschluss gefasst, aus dem operativen Geschäft bei Rebuy auszusteigen und sich auf die Rolle als Gesellschafter zu beschränken. Und dann wurde aus der Auszeit ein insgesamt achtzehn Monate langer Trip, der ihn über Asien nach Kalifornien geführt hat. Dort, erzählt Leuschner im OMR Podcast, habe er dann die Inspiration für sein heutiges Business gefunden.
Die Klimakiller Fleisch und Verkehr
„In San Diego bin ich im April 2018 auf Scooter aufmerksam geworden“, sagt Leuschner. Die Zeit war reif für eine neue Aufgabe. „Ich habe gemerkt, ich brauche wieder einen Schreibtisch, ich will wieder was bauen.“ Schon auf der Reise hätte er sich mit Faktoren beschäftigt, die für den Klimawandel bestimmend sind. So landet er bei den beiden Megathemen Animal Farming und Transportation.
Bei Mobilität blieb er schließlich hängen: „Als ich in San Diego die Leute mit einem Lächeln auf dem Scooter gesehen habe, die sich sagen, warum soll ich mir ein Taxi oder ein Uber holen, wenn ich ein Drittel zahle und mega Spaß habe (…), da habe ich mir gedacht: Okay, das könnte groß werden“, sagt Leuschner. Hinzu kam die Beobachtung, wie viel Kapital der US-Anbieter Lime damals bereits eingesammelt hatte.
Also spielte Leuschner das Konzept für Europa durch: dichter besiedelte Städte, eine bessere Infrastruktur für Zweiräder, dazu ein Zeitgeist, der das Auto aus der City drängt. Diese drei Faktoren multipliziert ergaben für Leuschner: „Das muss ich machen.“ Allerdings sah Leuschner auch ein Problem. „Wenn ich lese, dass ein Scooter 30 Tage hält und ich mein Leben lang Produkte repariert habe, damit sie möglichst lange halten, das ist natürlich ein extremer Clash.“
Darum hätten er und seine Mitgründer von Tier Mobility, zu denen unter anderem der Lieferando-Co-Founder Matthias Laug zählt, bereits am Anfang entschieden, nicht das US-System zu adaptieren. Statt Freelancern, die die Roller einsammeln und bei sich zuhause aufladen, habe Tier eigene Werkstätten eröffnet, in denen die von Mitarbeitern eingesammelten Roller aufgeladen und gewartet werden, um ihre Lebensdauer zu erhöhen, so Leuschner.
Gründen im Laufschritt
Nur drei Monate habe es vom Businessplan über eine mit heißer Nadel gestrickte Seed-Finanzierung bis zum Launch auf dem ersten Testmarkt gedauert. Von da an sei es jedoch kein Problem mehr gewesen, an Geld zu kommen, so Leuschner im OMR Podcast. Innerhalb der ersten zwölf Monate sei der Rollout in über 50 Städten erfolgt, aus zehn seien 350 Mitarbeiter geworden, 20.000 Scooter habe Tier Mobility inzwischen auf die Straße gebracht.
Leuschner räumt ein, auch Tier Mobility habe mit wenig haltbaren Rollern angefangen. Inzwischen nutze man jedoch die zweite Version eines nach eigenen Plänen konstruierten Modells. Dessen Batterien seien zudem austauschbar – was bei keinem Mitbewerber der Fall sei. Bei entsprechender Wartung könnten die Roller von Tier eine Lebensdauer von über zehn Jahren erreichen.
Doch wie nachhaltig ist Businessmodell? Phillip ist selbst Nutzer diverser Sharing-Anbieter und macht gegenüber Leuschner eine einfache Rechnung auf. Er selbst zahle durchschnittlich 4 bis 5 Euro pro Fahrt. Tier Mobility verkündete Mitte 2019, seit Launch eine Million Fahrten abgewickelt zu haben, was also 4 bis 5 Millionen Euro Umsatz entsprechen würde. Leuschner darauf: „Wenn wir die Mobilität zum Guten verändern wollen, dann müssen wir natürlich schon ein bisschen was aufbauen.“
Tier habe es (vor der jüngsten Series-B-Finanzierungsrundeim Oktober 2019) geschafft, mit einem Zehntel des Fundings, das Lime zur Verfügung stehe, weltweit mehr Fahrten zu generieren als Lime und Bird – ein weiterer global aktiver Anbieter – zusammen. Nämlich 15 Millionen Fahrten innerhalb eines Jahres. Dabei sei man extrem effizient unterwegs, sagt Leuschner. So sei man in der Lage gewesen, weitere Geldgeber zu überzeugen. Auf den Aufbau der Infrastruktur folge nun die Kostenoptimierung. Ziel sei, in jeder Stadt profitabel zu werden. Das sei bislang nur in Saragossa nicht gelungen, weshalb man diesen Standort geschlossen habe.
Ausweitung der Marke auf andere Felder
Zu den Plänen über das E-Roller-Geschäft hinaus sagt Leuschner: „Wir heißen jetzt nicht Scooter GmbH, sondern Tier Mobility. Und wir werden irgendwann in der Zukunft auch andere Formen der Mobilität anbieten.“ Car-Sharing spiele dabei aber keine Rolle. „Das kann nur durch einen Autokonzern subventioniert werden. Deswegen ist das nichts, das wir in der nahen Zukunft anschauen. Aber es gibt andere Fahrzeuge.“ Konkreter mag Leuschner im OMR Podcast nicht werden. Das Wirtschaftsmagazin „Capital“ jedoch hatte Ende Januar berichtet, Tier Mobility interessiere sich für die Flotte von Coup, dem von Bosch gegründeten Berliner Elektro-Scooter-Anbieter, dem der Konzern Ende 2019 den Stecker gezogen hat.
Leuschner erklärt im OMR Podcast, wie er die Marke Tier pusht. Der Hype um die Scooter bescherte der App nach dem Launch acht Wochen lang Platz eins im deutschen App Store. Für Awareness nach dem ersten Boom sorgten inzwischen Kooperationen wie die Integration in die App von Sixt. Doch entgegen Philipps Vermutung spielten die Kooperationen kaum eine Rolle bei der Kunden-Akquise. Die hohe Dichte der Roller in den Städten sowie Empfehlungen von Nutzern reichten laut Leuschner aus, um neue User zu generieren. Tier habe – abgesehen von wenigen Events – bislang noch nie Geld in Performance Marketing investiert. Dafür schenke man „Nuancen“ große Beachtung, denn diese spielten bei der Wahl des Scooters neben der Verfügbarkeit eine zentrale Rolle. „Es gibt Leute, die haben keine Lust, sich auf einen extrem bunten Scooter zu stellen“, sagt Leuschner. Auch Fahrverhalten, Design und Details wie die Positionierung der Smartphone-Ablage seinen Felder, auf denen man sich von der Konkurrenz abheben könne.
Keine Expansion auf andere Kontinente
Auf Philipps Frage nach dem Wettlauf mit den finanziell deutlich besser ausgestatteten US-Anbietern um eine mögliche Weltmarkführerschaft sagt Leuschner: „Man muss jetzt aufpassen über welche Märkte man redet. Zum Beispiel würde ich nicht in den asiatischen Markt gehen. Ich würde auch nicht in den amerikanischen Markt gehen.“ Andere Anbieter seien dort bereits präsent, lokale Regulierungen kompliziert.
Europa dagegen stelle den global wichtigsten Markt dar, erklärt Leuschner. Und hier liege Tier auf allen relevanten Feldern vorn. „Wir haben den besten Scooter. Wir haben austauschbare Batterien. Wir haben eine coole Brand aufgebaut. Wir sind in den meisten Städten. Wir haben mit die meisten User. Wir haben die besten Operations. Wir machen das alles selber. Wir haben eine gute Mission. Da brauche ich jetzt nicht über den Ozean schauen und sagen: Ah ja, das hätte ich gerne. Ich bin da relativ entspannt.“
Warum der Aufbau einer Firma mit einem Video-Spiel vergleichbar ist, wieso Leuschner die ersten 500 Roller bestellt hat, ohne zu wissen, wie er sie bezahlen soll, und warum es auf Firmen-Events von Tier keine Fleischgerichte gibt, das erfahrt Ihr in Folge 256 des OMR Podcast. Also: sofort downloaden und Abfahrt!
Unsere Podcast-Partner im Überblick:
Vodafone ist nicht nur ein wichtiger Partner von OMR und somit dieses Podcasts. Die Kollegen haben auch einen eigenen Podcast: „Digitale Vorreiter powered by Vodafone“. Gastgeber Christoph Burseg unterhält sich darin mit Vordenkern, Wegbereitern und Experten der Digitalwirtschaft. Für die aktuelle Folge hat er Alex Graf besucht, in der OMR Community bekannter und geschätzter Handels- und E-Commerce-Analyst, der einen Ausblick gibt, was er vom Online-, aber auch Offline-Handel erwartet. Um es kurz zu machen: „Digitale Vorreiter“ ist unsere absolute Podcast-Empfehlung, hört also unbedingt mal rein.
Weiterer Podcast-Partner in dieser Ausgabe ist Appinio. Uns bei OMR haben die Hamburger mit ihrer App für Real Time Market Research überzeugt. Damit lassen sich online repräsentative Befragungen zu beliebigen Themen durchführen. Ob ihr also einfach Kundenfeedback einholen wollt oder Eure Ideen antesten – Appinio ist das ideale Tool, um Euer Bauchgefühl auf eine valide Basis zu stellen. Auch ohne große Umfrage ist klar, dieser Deal ist fair: Für Euer erstes Projekt gibt es 20 Prozent Rabatt. Schreibt dafür einfach hier eine Mail an die Kollegen von Appinio.
Neulich hatte Philipp Westermeyer an dieser Stelle angekündigt, die Badekugeln auf CBD-Basis von VAAY auszuprobieren. Hat er. Sein Fazit: „Ich habe dann sehr entspannt und tief geschlafen. Das ist nicht selbstverständlich bei mir.“ Philipp will sich nicht festlegen, ob es wirklich am CBD lag, aber die Macher von VAAY sind zumindest überzeugt, dass Cannabidiol, ein Bestandteil der Hanfpflanze, Mundspray, Badekugeln oder Sportgel erst so richtig abrundet. Schaut mal bei VAAY vorbei und probiert die Produkte doch einfach selbst aus.
Alle Themen des Podcasts mit Lawrence Leuschner im Überblick:
- Wie Lawrence Leuschner mit Hängematten zum Ebay-Powerseller wurde und später auf den Handel mit Computerspielen kam (3:37)
- Was Al Gore mit dem Ausbau seiner Videogame-Handelsplattform Trade-a-Game zum Elektronik-Gebrauchtkaufhaus Rebuy zu tun hatte (6:55)
- Wie mühsam es war, Sustainability zum Geschäftsmodell zu machen, ehe das Thema Mainstream wurde (9:33)
- Wie er am Ende seiner Weltreise in San Diego die Inspiration für sein neues Business fand (15:35)
- Wieso Tier Mobility nicht einfach das Businessmodel der US-Vorbilder kopiert hat (17:58)
- Warum die Berliner in Wien gestartet sind (25:03)
- Wie sie Tier Mobility komplett klimaneutral gemacht haben (26:35)
- Wieso Leuschner und seine Mitgründer das Scooter-Startup Tier genannt haben (31:15)
- Welche Rolle der Aufbau der Infrastruktur und die Profitabilität für ihn spielen (33:08)
- Was Leuschner von der bereits angelaufenen Konsolidierung des Scooter-Markts erwartet und wieso er keine Monopole fürchtet (40:38)
- Wie es aktuell im Wettrennen um die globale Marktführerschaft mit dem Rivalen Lime steht (52:58)
- Wann das Scooter-Business auch abseits der Metropolen funktioniert (53:57)
- Wie er Nico Rosberg als Investor für Tier Mobility gewonnen hat (1:00:34)
- Warum seine Heimatstadt Hofheim im Taunus so viele Gründer hervorgebracht hat (1:10:04)