Papatastisch akkurat – Wie Influencer und Communities das Jugendwort 2021 gamen

Gastautor25.8.2021

Warum die finale Auswahl des Langenscheidt-Verlags nicht die heutige Jugendsprache abbildet

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„Junge, wie redest Du?“ – Diese Frage will der Langenscheidt-Verlag einmal jährlich beim „Jugendwort des Jahres“ beantworten. Doch nachdem dafür im vergangenen Jahr das Verfahren auf eine Online-Abstimmung umgestellt worden ist, finden sich in der finalen Top 10 der Begriffe aktuell einige Auffälligkeiten. Offenbar haben gleich zwei Influencer sowie eine Community die Liste „gehackt“. Wie genau – das zeigt Social-Media-Berater Felix Beilharz in einem Gastbeitrag für OMR – und demonstriert damit auch, in welchem Maß digitale Content Creator und ihre Communities mittlerweile die Aufmerksamkeitsökonomie bestimmen.

„Find ich ganz schön papatastisch!“ „Ja, ich auch – richtig akkurat!“ „Vor allem, weil es Mittwoch ist, meine Kerle!“ – Echt seltsam, wie sich die Kids heute auf den Schulhöfen unterhalten. Aber Moment mal – tun sie das wirklich ? Fand ein Dialog wie der obige wirklich jemals statt? Muss ja wohl, immerhin sind beide Begriffe auf der Top-10-Shortlist zum Jugendwort des Jahres 2021. Bestimmt von Jugendlichen selbst.

Kleiner Einschub: Bis zum Jahr 2018 kürte eine Jury (überwiegend) älterer Damen und Herren aus ihrer Sicht jugendsprachliche Worte wie „Smombie“ oder „I bims“. Nachdem der Langenscheidt-Verlag 2019 von Pons übernommen wurde und die Aktion für ein Jahr pausierte, stellte Langenscheidt 2020 auf eine Online-Abstimmung um. Der Gewinner: „Lost“. Vor wenigen Tagen stellte der Verlag nun die diesjährige finale Auswahl für das Jugendwort 2021 auf seiner Website vor.

Die Top 10 Auswahl zum Jugendwort 2021

  • sheesh
  • wild / wyld
  • Digga / Diggah
  • sus
  • Cringe
  • akkurat
  • same
  • papatastisch
  • Geringverdiener
  • Mittwoch

Aber wenn wir uns mal den Spaß machen, Jugendliche zu fragen, ob sie diese Worte tatsächlich benutzen, werden wir feststellen: Zumindest „akkurat“ und „papatastisch“ kommen im jugendlichen Sprachgebrauch nicht häufiger vor als „knorke“ oder „oberaffentittengeil“. „Mittwoch“ zwar schon – aber auch nicht häufiger als in der Wortwahl der Senioren des Landes.

Warum sind diese Begriffe dann auf der Shortlist und stehen kurz vor der Wahl zum Jugendwort? Dahinter stecken einfach nur spaßige Aktionen von Influencern bzw. ihrer Community. Mit „echter“ Jugendsprache, wie Langenscheidt sie gerne küren würde, hat das jedenfalls Null zu tun.

Akkurat – Marco sei Dank

Fangen wir mal mit dem tollen Wort „akkurat“ an. Im Gegensatz zu „stabil“ oder „Ehrenmann“ hat es hier nicht ein altehrwürdiges deutsches Wort in leicht modernisierter Bedeutung in die Jugendsprache geschafft – sondern dass dieser Begriff in der Langenscheidt-Liste auftaucht, ist einfach auf die Laune eines Influencers zurückzuführen. Und zwar auf die von Marco Gianni, 24, Schauspieler, Songwriter und „Beeinflusser“ von circa einer Million Menschen auf TikTok und Instagram. (Seine Persiflagen auf Hipster und andere Stereotype sind übrigens wirklich sehenswert!).

Marco rief im Juni 2021 via Instagram Story seine Follower dazu auf, „akkurat“ als Jugendwort vorzuschlagen:

Doch wie kam es überhaupt dazu? Wie Marco mir verriet, entstammt das Wort eigentlich aus seinen oben erwähnten Hipster-Videos, in denen er es oft satirisch verwendete. Das Worte wurde dann von seiner Community aufgegriffen und häufiger in den Kommentaren benutzt – ein Running Gag, ein echter Insider-Witz entstand.

Der Aufruf, das Wort einzureichen, entstanden einfach „aus Spaß“. An den Erfolg seiner Instagram-Story glaubte er selbst nicht unbedingt. „Seitdem habe ich auch mehr Respekt vor meiner Reichweite 😂“ gesteht er. Übrigens: Sollte „akkurat“ tatsächlich das Jugendwort des Jahres werden, hat Marco auf TikTok versprochen, dass die Nutzer:innen sich aussuchen dürfen, was er sich tätowieren lassen soll.

Voll papatastisch, ey

Auch „papatastisch“ scheint bis vor wenigen Wochen als Wort quasi nicht existiert zu haben. Zumindest zeigt eine Abfrage bei Google Trends, dass der Begriff bis vor dem Juli 2021 wohl nie gesucht wurde – bei so einem ungewöhnlichen Wort doch eher seltsam.

Tatsächlich entstammt das Wort aus der Bubble des Twitch-Streamers „Papaplatte“ (1,4 Mio. Follower bei Twitch, 600.000 bei YouTube), der den Begriff in seinen Streams gelegentlich verwendet. Die Idee, das Wort zum Jugendwort vorzuschlagen, kam Zuschauer:innen im Chat eines seiner Livestreams. Papaplatte selbst schien von der Idee überrascht zu sein, kommentierte sie mit den Worten „Don’t do it, Alder. Das ist superdumm!“ Schließlich entschied er aber, die Idee sei zwar „fucking cringe“, aber auch „fucking lustig“ und befand: „Let’s fucking do it!“

Mittwoch – das Jugendwort 2021?

Und auch ein dritter Kandidat der letzten 10, nämlich „Mittwoch“ hat einen anderen Ursprung als den täglichen Sprachgebrauch in deutschen Kinder- und Jugendzimmern. Konkret entstammt der Begriff der Aussage „Es ist Mittwoch, meine Kerle“, übersetzt vom Englischen „It’s Wednesday, my dudes“. Dieser Satz geht auf ein zuerst auf Tumblr gepostetes Meme zurück, das in der Gamer-Szene bereits im Jahr 2014 viral gegangen ist – u.a. auch auf Reddit Im Jahr 2015 hob dann dieser kuriose Herr hier die Popularität dieser Wendung auf ein neues Level:

Auf der (mittlerweile abgeschalteten) Kurzvideo-Plattform Vine wurde das Video extrem populär. Und wie es bei solchen Phänomen häufig ist, schwappte auch dieses Meme irgendwann in die deutschsprachige Internetkultur über und verwandelte sich im Rahmen dieser Evolution zum „Mittwochsfrosch“ auf Reddit, vor allem in den Subreddits r/ich-iel und r/de.

Und hier liegt auch der Ursprung des Jugendwort-Kandidaten – in der Reddit-Froschmeme-Bubble. Übrigens nach 2020 bereits zum zweiten Mal. Die Nutzer:innen des Subreddits scheinen wild entschlossen zu sein.

Jugendwort oder Trolling?

Also, kommen wir zum Fazit: Mindestens 3 der 10 letzten Kandidaten zum Jugendwort 2021 entstammen nicht der Jugendsprache, sondern entweder einer vergleichsweise kleinen, aber online sehr aktiven Meme-Bubble. Oder sie sind einfach ein launiger Einfall von Influencern und ihren Communities.

Langenscheidt wollte mit der Neuerung, die Jugendlichen selbst abstimmen zu lassen, ja eigentlich die Abstimmung zum Jugendwort „realistischer“ gestalten. Das scheint mir gründlich in die Hose zu gehen. Ob nun ältere Herrschaften ihre Fantasie spielen lassen oder Social Media Influencer sich einen Spaß erlauben – beide Varianten führen uns keinen Deut näher an die „wirkliche“ Jugendsprache heran. Finde ich nicht sehr akkurat, ehrlich gesagt.

Auch junge Menschen selbst können übrigens mit den drei vorgestellten Begriffen nichts anfangen. Wer mal bei TikTok nach „Jugendwort2021“ sucht, findet unzählige Videos wie dieses hier, in denen Jugendliche und junge Erwachsene sich fragen, was der Quatsch mit Mittwoch, akkurat oder papatastisch soll…

Den Nutzer:innen in den jeweiligen Bubbles macht’s jedenfalls Spaß, Langenscheidt eins auszuwischen. Und ich kann’s irgendwie verstehen…

 

Über den Autor:

Felix Beilharz

Felix Beilharz ist „einer der führenden Berater für Online- und Social Media Marketing“ (RTL). Der zehnfache Buchautor hält Seminare und Vorträge in 16 Ländern, unterrichtet an Hochschulen in Deutschland und der Schweiz, zählt 22 der 100 umsatzstärksten deutschen Unternehmen zu seinen Kunden und sammelt auf seiner persönlichen Website Studien und Insights zur Generation Z.

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