Hans Böckler Stiftung: Wer im Homeoffice sitzt, hat weniger Aufstiegschancen
Dr. Yvonne Lott im Interview: Die Forschung zeigt, dass Homeoffice die Karriere ausbremst. Auch Work-Life-Balance bedroht.
Die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt wankt. Deutschland ist im dritten Jahr in Folge in der Rezession. Dadurch verliert es nicht nur den Anschluss an die Top-Nationen USA und China, sondern wird womöglich mittelfristig durch Indien überholt. Welche Auswirkungen hat es, dass die deutsche Wirtschaft angespannt ist? Welche Auswirkungen hat es auf die Homeoffice-Kultur? Darüber haben wir mit Dr. Yvonne Lott von der Hans Böckler Stiftung gesprochen, die gemeinsam mit ihren Kolleg*innen Senhu Wang und Heejung Chung ein Experiment durchführte. Spoiler: Ja, die Krise bedroht Errungenschaften der Beschäftigten. Ein Interview.
Verpflichtende Bürotage, weniger Flexibilität, nichts mehr zu hören von Workations. Wächst die Skepsis gegenüber moderner Arbeit wieder?
Dr. Yvonne Lott: In den Zahlen sehen wir das noch nicht. Nach dem Kontakt zu einer Kollegin der IG Metall kann ich sagen: Ja, es wird durchaus der Druck der Betriebe auf die Beschäftigten wahrgenommen, wieder zurück ins Büro zu kommen und die Freiheiten, die seit der Corona-Pandemie auch in vielen Unternehmen bestanden, einfach wieder einzuschränken. Das deckt sich mit ihren Beobachtungen.
Was denken Sie, ist die Intention der Führungskräfte, die das anweisen?
Dr. Yvonne Lott: Ich kann natürlich nicht in die Köpfe der Führungskräfte schauen. Der Status Quo vor der Pandemie war, dass eine Skepsis gegenüber Beschäftigten herrschte, die im Homeoffice arbeiten. Das war häufig nicht akzeptiert. Beschäftigte, die das gemacht haben, wurde häufig weniger Produktivität und weniger Arbeitsengagement zugeschrieben. Durch die Pandemie hat sich Homeoffice normalisiert und wird auch stärker akzeptiert. Das Stigma hat sich abgeschwächt. Was wir jetzt aber sehen, bezugnehmend auf unsere Studie in Deutschland und Großbritannien, dass es ein Karriereknick sein kann, im Homeoffice zu arbeiten. Beschäftigte, die im Homeoffice arbeiten, werden weniger für eine Stelle empfohlen. Wenn man wirklich beruflich vorankommen will, dann muss man gesehen werden – und zwar häufig. Drei, vier Homeoffice-Tage sind da eher schlecht. Die Tendenzen sehen wir auch in anderen Ländern, der USA zum Beispiel. Die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, wird allen zugestanden. Aber wer Karriere machen will, hat es damit eher schwieriger.
Konnten Sie auch Gründe ermitteln? Ist es die reine physische Präsenz, die die Leute beruhigt? Auch wenn jemand Remote arbeitet, sind gute soziale Beziehungen möglich und die Kompetenz reduziert das ja auch nicht.
Dr. Yvonne Lott: Ich glaube, Vertrauen ist da ein ganz großer Punkt. Wie ist das Verhältnis zu den Vorgesetzten? Wir wissen aus der Forschung, Vorgesetzte spielen da eine ganz, ganz große Rolle. Vertraut mir meine Führungskraft? Da wo vertraut wird, da ist auch Homeoffice eher möglich und da wird dann auch eher zugetraut, ähnlich produktiv zu sein. Das Paradoxon ist ja, dass wir aus Studien wissen, dass Beschäftigte, die im Homeoffice arbeiten, tendenziell länger arbeiten. Eigentlich ist da der Arbeitseinsatz sogar teilweise höher, weil dann das Grenzmanagement schlechter funktioniert. „Ich mache das doch noch schnell", heißt es dann – und der Laptop wird wieder aufgeklappt. Es ist auf jeden Fall ganz interessant, dass das häufig gar nicht unterstellt wird. Führungskräfte, denen das schon immer etwas suspekt war, haben die Entwicklung der Pandemie vielleicht hingenommen, weil es sein musste, weil das die Betriebsvereinbarung vorsieht. Durch den wirtschaftlichen Druck, der wahrgenommen wird, der gerne mal dafür sorgt, dass es heißt, wir müssen jetzt alle mehr arbeiten, sagen diese Führungskräfte eher: „Jetzt dann aber zurück ins Büro, da sehe ich euch, da habe ich eher Zugriff." Gesehen werden ist ein wichtiges Signal, was uns auch unsere Forschung verrät. Wir nennen das auch Proximity bias (zu deutsch: Näheverzerrung, Anm. d. Red.). Je näher die Beschäftigten am physischen Arbeitsort sind, desto mehr zahlt das auf ihre Karriere ein. Überstunden am Arbeitsplatz sind gut, weil sie signalisieren, ich bin total committed, ich bin hier super engagiert. Wenn ich die Überstunden aber zu Hause arbeite, dann bringt mir das gar nichts. Das ist unsichtbar, das nimmt keiner wahr.
BDI-Präsident Süsswurm fordert die 42-Stunden-Woche, Wirtschaftsweise Monika Schnitzer empfiehlt, einen Feiertag abzuschaffen. Der Google-Gründer Sergey Brin hält sechs Tage Arbeiten im Büro für die Maxime der Produktivität. Sehen Sie den Gedanken der Work-Life-Balance gefährdet? Oder sogar die Gesundheit?
Dr. Yvonne Lott: Das Arbeitszeitgesetz soll die Gesundheit schützen, weil wir nicht zwölf Stunden am Tag produktiv arbeiten können. Da zeigen ja Studien auch ganz klar: Nach acht Stunden nimmt die Konzentrationsfähigkeit ab und das Unfallrisiko nimmt zu. Wenn wir die Zeit der Erwerbsarbeit erhöhen, leidet zuallererst die Work-Life-Balance. Ich habe viel weniger Zeit, meine Freunde zu treffen. Ich habe viel weniger Zeit für Familie. Und es drängt auch einfach noch mal Beschäftigengruppen eher aus dem Arbeitsmarkt, die diesen Ansprüchen nicht gerecht werden können. Da reden wir vor allem über Frauen, über Mütter, die häufig den Löwenanteil an Sorgearbeit, Kinderbetreuung und Pflege übernehmen, die dann nicht einfach mal zehn Stunden am Stück arbeiten können. Das ist ein Problem.
Was kann denn dafür sorgen, dass Mitarbeitende sich gesehen fühlen?
Dr. Yvonne Lott: Mitbestimmung. Das Gefühl, sie werden gehört, sie werden gesehen. Eine gewisse Autonomie, die Möglichkeit, eigene Grenzen zu setzen und einen guten Rahmen zu schaffen. Wir wissen, da wo freiwillig im Homeoffice gearbeitet wird, wo das angeboten wird und von Betrieben möglich gemacht wird, kann es für eine gute Work-Life-Balance sorgen, was letztlich das Commitment erhöht. Die fühlen sich engagierter in der Arbeit, die sind zufriedener im Job und die fühlen sich auch einfach viel stärker mit dem Betrieb verbunden.
Was löst es in den Beschäftigten aus, dass die Rufe nach Büropräsenz laut werden?
Dr. Yvonne Lott: Das Problem, was wir jetzt haben, ist, dass es in der Pandemie es eine Ausweitung von Homeoffice gegeben hat. Und viele Beschäftigte arbeiten weiter im Homeoffice. Auf einmal heißt es: „Nein, nein, ihr könnt das nicht mehr. Wir nehmen euch was weg." In der heutigen Zeit, in der wir Entfremdungstendenzen haben, wo man der Politik vielleicht auch nicht mehr zutraut, ihren Job gutzumachen, ist das sehr problematisch. In der Pandemie haben viele Beschäftigte einen Kontrollverlust erlebt, weil man in der eigenen Autonomie eingeschränkt war et cetera. Als Betrieb jetzt Signale zu setzen, die implizieren "früher durftet hier, auf einmal nicht mehr", das sehe ich auch politisch als ein großes Problem.
Sind die Forderungen nach mehr Arbeitszeit also gar nicht zielführend? Sie sollen ja eigentlich für mehr Produktivität und eine gesündere Wirtschaft sorgen.
Dr. Yvonne Lott: Ich denke, das wird total nach hinten losgehen. Wenn wir uns die Fehlzeitenreporte oder die Krankenkassenberichte anschauen, sehen wir, dass psychische Erkrankungen zunehmen, gerade Burnout. Es gibt schon jetzt eine stark empfundene Arbeitsbelastung und Stress in der Erwerbsbevölkerung – und das wird sich natürlich nur verschärft, wenn die Arbeitszeit erhöht wird. Was ist die Folge? Die Krankentage werden steigen oder ich verliere Beschäftigte, die Sorgeverantwortung haben, die sagen: „Okay, da mache ich nicht mit, dann kümmer mich nur noch um meine Kinder oder meinen kranken Elternteil", und dann reduzieren sieh ihre Arbeitszeit noch weiter. Meines Erachtens ist damit wirklich auch gesamtgesellschaftlich, auch wenn man an den Arbeits- und Fachkräftemangel ran will, überhaupt nichts gewonnen.
Ein Stück weit ironisch ist ja, dass Zoom seine Mitarbeitende zurück ins Büro gerufen hat. Amazon, Google oder SAP hatten auch schon ihren medialen Auftritt. Es scheint, als würden Unternehmen schleunigst nachziehen. Kann da nicht irgendwann der Eindruck für Beschäftigte aufkommen, dass das Homeoffice-Angebot eh überwiegend ausgestorben ist und so diese Möglichkeit langsam verschwindet?
Dr. Yvonne Lott: Ja, das kann sein. Das muss man sehen. Gewinner sind dann vielleicht die Unternehmen, die das fortsetzen, sich auf eine gelungene Betriebsvereinbarung einigen und deren Führungskräfte ein gutes Verhältnis zu den Mitarbeitenden haben. Die, die dann gut ausgebildet sind und bestärkt im Management von Beschäftigten sind, die hybrid arbeiten, die nicht so oft im Büro sind. Die kriegen dann vielleicht die guten Leute, weil die überhaupt noch diese Flexibilität anbieten. Also, wenn es insgesamt so einen Trend gibt, kann es auch wieder ein Wettbewerbsvorteil sein für diejenigen, die sagen: „Nein, wieso denn? Das ist doch super. Der Laden läuft doch, auch wenn nicht alle fünf Tage die Woche da sind."
62% der Führungskräfte finden, es braucht jemanden in Krisenzeiten, der mal durchgreift. Was halten Sie denn von diesem Reflex der Führungskräfte?
Dr. Yvonne Lott: Ich muss dazu sagen, ich arbeite nicht in einem Wirtschaftsunternehmen. Aber ich habe den Eindruck, dass immer dann der Ruf nach autoritärer Führung laut wird, wenn eine Unsicherheit da ist. Wenn man selber vielleicht gar nicht weiß, was machen wir jetzt eigentlich? Dann ist es einfach zu sagen: „Hier, ihr müsst jetzt aber …” Es ist zwar schwierig, aber besser wäre zu sagen: „Lass uns schauen, wie wir gut miteinadner arbeiten können. Was sind Regeln, die uns helfen? Wie können wir Vertrauen aufbauen und wie können wir vertrauensvoll miteinander arbeiten, sodass auch alle Interessen berücksichtigt werden?” Es braucht das Gefühl: „Mir wird vertraut, ich kann hier meine Arbeit selbst gestalten.” Natürlich immer in dem Rahmen, den der Job auch zulässt. Wir wissen aus der Forschung, alles, was in die Richtung Kontrolle geht, ist ganz schlecht für die Work-Life-Balance. Alles, was in Richtung autoritäre Führung geht, ist nicht zuträglich und nicht im Sinne einer guten Betriebskultur oder der Mitarbeitendenbindung.
Hinweise der Redaktion: Das Interview wurde am 9. April 2025 geführt. "Karriereknick durch Homeoffice? - Empirische Evidenz eines Experiments" ist eine Publikation von Yvonne Lott, Senhu Wang und Heejung Chung (2025).