"Das ist kein Hype": Welche Potenziale hat Jobsharing?

Jobsharing bündelt die Potenziale der Arbeitnehmenden und hilft den Einzelnen, Privat- und Berufsleben besser zu vereinbaren. Ist das die Lösung, um die Care-Gap zu schließen oder nur ein Hype?

Kibreab Wolde-Mikael und Birte Palzer von der Beiersdorf AG
Kibreab Wolde-Mikael und Birte Palzer bilden das Jobsharing-Tandem "KiBi". Sie sind Head of Value-Added-Services bei der Beiersdorf AG. Quelle: henriette pogoda fotografie

Die Literatur, die Wissenschaft und die Menschen, die es tun, haben eine klare Tendenz: Jobsharing ist eine kluge Variante –  für Arbeitnehmende und Unternehmen. Vor allem in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Beiersdorf AG bietet das ihren Mitarbeitenden bereits länger an, selbst die Hamburger Landesregierung etabliert dieses Modell. Warum es nicht mehr nur ein “Mutti-Ding” ist und was trotzdem dagegen spricht. 

Schon 1981 schrieb Dr. Andreas Hoff von Jobsharing als “arbeitsmarktpolitische Chance”. Nicht nur, dass man damit der damals hohen Arbeitslosigkeit begegnen, sondern ebenso “für doppelbelastete Frauen, ältere Arbeitnehmer (...) und jüngere Arbeitnehmer” eine brauchbare Option schaffen könnte. Was damals hinsichtlich Care-Arbeit noch gängiges Narrativ war, löst sich heute in einem kritischen Diskurs auf. Und trotzdem verbringen 43,8 Prozent der Frauen mehr Zeit für unbezahlte Care-Arbeit.

Von Versuchsperson zur Expertin

Das Jobsharing-Modell gilt als eine Chance, Müttern eine zusätzliche Option für ihre Karriere anzubieten. Diese Gelegenheit ergriff Christina Braase, als sie sich im Jahr 2007 über ihr Kind freute. Bereits vor ihrer elterlichen Auszeit hat ihr die Beiersdorf AG angeboten, sich die Stelle im Talent Management mit einer Kollegin zu teilen.

Wie das Angebot formuliert wurde, wirkt angesichts des heutigen Erfolgs wie eine schlechte Pointe: “Wir haben es schon probiert, es hat nicht funktioniert – aber wir trauen euch das zu”, zitiert Braase die damalige Offerte. Mittlerweile ist das globale Hautpflegeunternehmen ein Jobsharing-Vorreiter in Deutschland, unterhält 38 Tandems in den eigenen Reihen. Fünf Jahre hat Braase dieses Arbeitsverhältnis genossen. “Das waren meine schönsten Jahre hier”, schwärmt sie. Was sie daraus gelernt hat, gibt sie nun weiter – als Diversity and Jobsharing Expert bei dem Hamburger Konzern. 

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Christina Braase ist seit 1995 bei der Beiersdorf AG angestellt. Fünf Jahre davon hat sie im Tandem gearbeitet – davon profitieren nun Kolleg*innen.

Ihr erfolgreicher Pilotversuch war der Auftakt für eine neue Komponente bei der Aktiengesellschaft. Davon profitiert heute unter anderem das Topsharing-Tandem Kibreab Wolde-Mikael und Birte Palzer. Ehemals arbeitete Palzer in seinem Team, seit September 2022 sind sie beide Heads of Value-Added-Services (VAS). Sie kennen sich seit zwölf Jahren, als Wolde-Mikael im September 2022 Palzer den “Arbeitsantrag” gemacht – und sie Ja gesagt hat. “Unsere lange Historie ist auch der Grund, warum es so gut klappt”, sagt Wolde-Mikael, “denn dadurch haben wir einfach eine gute Vertrauensbasis”. Vertrauen ist, wie Expertin Braase betont, das nicht verhandelbare Grundgerüst. Die “gemeinsame Identität” liest sich außerdem im Kürzel “KiBi”, eine Fusion der Vornamen Kibre und Birte. Mails laufen in einem Outlook-Ordner ein, im gemeinsamen Kalender stehen nicht nur berufliche Termine, sondern auch die Geburtstage der Kinder und Ehepartner*innen und selbst um die jeweilige Gesundheit wird kein Geheimnis gemacht. “Es ist tatsächlich so, dass zwischen uns kein Blatt passen darf, weil wir wissen, dass wir so gut funktionieren”, begründet er.

“Es macht resilienter, wenn du weißt, wir können die Last auf vier Schultern verteilen.”

Beide arbeiten jeweils 60 Prozent einer Vollzeitkraft. Auch hier hat die Pandemie einen Impuls gesetzt: Als Wolde-Mikael gemerkt hat, er möchte wieder mehr Zeit für seine Familie haben, zog er die Option Jobsharing. Palzer kannte Tandem-Arbeit bereits – und weiß es nach wie vor enorm zu schätzen: “Es macht resilienter, wenn du weißt, wir können die Last auf vier Schultern verteilen.” Nicht nur die stürmischen Zeiten können zusammen bewältigt werden, auch die Erfolge gehören beiden. Bei Beiersdorf sagt man “WEgo statt Ego” oder “eins plus eins ist drei”, weil die Synergien, sind sie überzeugt, für mehr Qualität sorgen. Im Fall von “KiBi” ist der 49-Jährige eher “der ruhigere Teil”, der “diplomatisch und empathisch” agiert. Palzers Charakter ergänze ihn gut: “Ich bin der eher ungestüme Pol, der gerne mal nach vorne rennt, der sagt ‘geht nicht, gibt’s nicht’.”

Auch Väter unter Druck

Gerade im Kontext von Stärken und Schwächen mache es die Mischung. “Ich denke, es ist wichtig, dass man den anderen so lässt, wie er ist. Im Tandem können wir das als Vorteil nutzen”, meint Wolde-Mikael. Er ist der Beweis, dass dieses Konzept nicht nur für Mütter attraktiv ist, denn es stelle gerade im Kontext der Familie die längst überfällige Balance her. Schließlich gehöre es auch bei Vätern zur Normalität, dass sie nach einer Elternzeit weiter an ihrer Karriere arbeiten wollen – und ihnen das verwehrt würde. “Das glaubt man gar nicht, aber solche Aussagen kriegen Väter zu hören. Das ist untragbar”, findet Wolde-Mikael. Er ist einer von sieben Männern bei Beiersdorf, die dieses Arbeitsmodell für sich entdeckt haben. 

Dass es für das eine Geschlecht eher in Frage kommt als für das andere, liegt einer enormen Diskrepanz zugrunde: Das “National Burea of Economic Research” hat ermittelt, dass weltweit nur 52 Prozent der Frauen im Alter von 25 bis 52 erwerbstätig sind. Bei den Männern sind es 95 Prozent. Doch nicht nur das: Eine Grafik des “Child Penalty Atlas”, die The Economist publiziert hat, zeigt den Karriereknick, der Frauen ereilt, wenn sie Mütter werden. Innerhalb der 130 Länder, die im Rahmen des “Motherhood Penalty” (zu deutsch: Mutterschaftsstrafe) betrachtet wurden, liegt Deutschland dabei auf Platz sieben, was den negativen Effekt auf das Arbeitsverhältnis angeht. 

Wissenschaft ermittelt überwiegend Vorzüge

Forscher*innen wie Geoff Harris, Lucy Daniels und Deborah Kane sprachen schon um die Jahrtausendwende herum von einer höheren Bindung der Beschäftigten, geringerer Arbeitsbelastung, kreativerer und produktiverer Arbeit durch Jobsharing. Ihre Erkenntnisse werden im Diskussionspapier aufgegriffen, das das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung im Jahr 2019 veröffentlicht hat. In Kooperation mit der Psychologin Svenja Christen und ihrem Unternehmen Jobsharing Hub wurden im Rahmen einer Studie 149 Personen befragt, die in einem Tandem arbeiten.

“Wir konnten wissenschaftlich belegen, dass Jobsharing wichtige Mehrwerte für Unternehmen und Arbeitnehmende hat”, sagt sie. 95 Prozent der Befragten würdigten die Atmosphäre und die Zusammenarbeit im Duett als gut, außerdem akzeptieren und unterstützen mindestens 80 Prozent der Vorgesetzten und des Kollegiums die Tandem-Praxis. “Es ist ein lebensphasenorientiertes Modell – und dieses Angebot ist wichtig”, sagt die Psychologin.

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Auch auf dieser Statistik kann Jobsharing enormen Einfluss nehmen, wenn dieses Modell noch weiter etabliert wird. OMR-Grafik: Virginia Miersch

Investitionen amortisieren sich

Allerdings gibt es auch Schattenseiten. Zwei Menschen für eine Führungsposition einzusetzen, kostet mehr Geld. In dem Beispiel der Beiersdorf AG ist die Stelle zu 120 Prozent besetzt – die gängigste Variante. Doch Christen argumentiert gegen diesen Grund der möglichen Abneigung, denn: “Das amortisiert sich mit Produktivität, kompensierten Umsatzausfällen durch Krankheit und beständigem Wissen.” Ist eine Person krank, falle das nicht ins Gewicht. In der Sorge der Führungskräfte, das Tandem könnte sich zerstreiten, liege dann immer noch der Vorteil, dass üblicherweise einer bleibt – und mit ihm die geleistete Arbeit und das Wissen.

Konflikte sind meistens nicht der Grund für eine Trennung. Eher trifft zu, dass jemand die Familienplanung noch nicht abgeschlossen hat, teilt Braase ihre Erfahrung. Klappt es aus menschlichen Gründen nicht, gleicht die Debatte um das Scheitern einem “Tabu”. Braase: “Es ähnelt etwas einer Scheidung und es muss darüber gesprochen werden, was man hätte besser machen können.”

Befragte fühlen sich gebremst

Ein weiteres Contra, das Befragte selbst anführen: Das Arbeitsmodell wird als Bremse für die Karriere verstanden. 56 Prozent der befragten Männer sahen mögliche Nachteile für beruflichen Fortschritt. Bei den Frauen waren es 36 Prozent. Das führt die Psychologin aber eher auf ein “Kulturproblem auf Unternehmensseite” als auf ein “Performance-Problem der Jobsharer” zurück. Die Studie von 2019 ist zwar die aktuellste, dennoch hat sich seitdem kulturell viel bewegt. “Würden wir die Studie nochmals durchführen, wäre eine Besserung zu erwarten”, mutmaßt Christen, denn das Standing dieses Konzepts habe bewirkt, dass die Tandems positive Effekte auf ihre Karrierechancen wahrnehmen würden. Der Grund: “Im Tandem entsteht mehr Produktivität, mehr Innovation, die Führungskraft wird entlastet und sie lernt mehr.” Zudem fällt der berufliche Druck ab und die Chance, mehr Familienarbeit zu leisten, wird größer.

"Wichtig ist, dass das gemeinsame Ego immer größer ist als das Ego des Einzelnen.”

Das Konzept hat es schließlich auch in den Hamburger Senat geschafft, mit dem der Jobsharing Hub kooperiert. “Gerade im Behördenkontext ist das etwas Großes”, freut sich Christen. Die Landesregierung bietet nun seinen 77.000 Mitarbeitenden an, im Tandem arbeiten zu können. Ob die Arbeitnehmenden dafür geeignet sind, müssen sie nicht nur mit sich selbst ausmachen, das können sie mit dem Tandemibility-Test prüfen. Die Kompatibilität des Tandems ist bedeutsam. “Wichtig ist, dass das gemeinsame Ego immer größer ist als das Ego des Einzelnen”, betont das Beiersdorf-Duo “KiBi”. Mercedes hat 420 Führungskräfte im Jobsharing-Modell, bei Daimler Truck sind es 100 Tandems. Auch Bosch und SAP haben diesen Weg eingeschlagen. Das zeigt, wie ernsthaft diese Option auf dem Arbeitsmarkt gesehen werden muss. Es ist ein Modell für alle – von dem auch alle Interessensvertreter*innen nachweislich profitieren. “Das ist kein Hype, sondern ein Zukunftstrend”, sagt Braase, während Palzer es etwas pathetischer ausdrückt: “Es ist egal, ob du jung, alt, Mann, Frau, Vater, Mutter oder aus einer anderen Kultur bist – die Kombination macht es am Ende magisch.”

Marvin Behrens
Autor*In
Marvin Behrens

Marvin ist Redakteur bei OMR Jobs & HR. Zuerst studierte er erfolgreich Journalistik, dann wagte er einen Blick ins gymnasiale Lehramt. Seinem Abschluss in Sportwissenschaften und Germanistik zum Trotz folgte er weiterhin seiner journalistischen Leidenschaft.

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