Wirtschaftspsychologin Vera Starker: Führungskräfte ziehen die falschen Schlüsse aus der Krise
Die Wirtschaftspsychologin Vera Starker fährt New-Work-Ansätze in etlichen Branchen und will zum Denken anregen.
Sie forscht, sie schreibt, sie ordnet ein: Das Spezialgebiet von Wirtschaftspsychologin Vera Starker ist die Transformation von Unternehmen und Arbeit. Seit Jahren entlarvt sie Tücken und Vorzüge der neuen Arbeitsphilosophie “New Work”. Ihr neues Werk “Schluss mit lustig!” widmet sich den Folgen etlicher Krisen und erklärt, wieso die Sehnsucht nach Kontrolle wieder einkehrt, von der die Autorin unbedingt abrät. Ihre Studie zeigt: In deutschen Unternehmen herrscht Krisenstimmung – und sie ist ansteckend.
“Wir müssen uns wieder auf die Arbeit konzentrieren”, sagte ein CEO einst zu Starker. New Work falle für ihn in die Kategorie “Firlefanz”, ein diffamierender Begriff aus dem 14. Jahrhundert. Schließlich lieferte er per Zitat den Impuls für den Titel des Buches, das jüngst von den Autor*innen Vera Starker, Katharina Ross und Sebastian Holtkemper veröffentlicht wurde: “Wir befinden uns aktuell in einer schwierigen Lage und deswegen ist bei uns jetzt Schluss mit lustig.” Ist New Work wirklich als belustigender Prozess einer Arbeitswelt zu verstehen, die sich neu zu erfinden versucht? Das Autorenteam will diesen Gedanken widerlegen – und analysiert die gegenwärtige “Krisentrance”.
Hypothese widerlegt
Basis der Arbeit ist die aktuelle Forschung des Thinktanks Next Work Innovation, den Starker mitgegründet hat. Ihr lag die Annahme zu Grunde, Mitarbeitende würden sich mehr autoritären Führungsstil wünschen, wenn Krise herrscht. Eine Art Kompass, dessen Zeiger in stürmischen Zeiten bestimmend in ruhigere Gewässer navigiert. Einer, der Verantwortung über- und Entscheidungen abnimmt. In Zeiten, “in denen Menschen wahrscheinlich noch nie so viel Veränderungen in so einer Dichte erlebt haben”, wie Starker beschreibt. Wegen Viren, Kriegen und Katastrophen. “Die Hypothese mussten wir schön einmotten”, sagt sie, “denn es ist genau andersrum.”
In Krisen: Führungskräfte neigen zu Autorität
1044 Beschäftigte nahmen an der Studie teil, davon 418 Menschen aus der Führungsebene. 62 Prozent von ihnen meinen, es brauche dieser Tage jemanden, der durchgreift. Die Rede ist hier von einem klaren Top-down-Prinzip. Mit anderen Worten: “Oben wird gedacht, unten wird gemacht.” Starker interpretiert diese Zahl so: “Führungskräfte verfallen eher in den Reflex, was daran liegt, dass sie Krisen deutlicher spüren.” Demgegenüber steht, wie die Studie ermittelte, das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach mehr sozialen Regeln und Strukturen. “Ihnen geht es viel mehr darum, mitzudenken und nicht gesagt zu bekommen, was zu tun ist. Sie wollen gestalten”, sagt die Expertin.
Ob aktuell in einer Krise oder nicht – der Wunsch nach autoritärer Führung besteht. Und das nahezu unabhängig davon, ob eine Krise im Unternehmen vorliegt oder nicht. Quelle: Next Work Innovation-Studie;OMR-Grafik/Baumann
Das ist für sie der Beweis, dass von New Work doch “mehr hängengeblieben ist, als gedacht”. Der Unterschied dabei ist, dass die Mitarbeitenden ihre Führungskräfte involviert wissen wollen. Doch das Krisenerleben gefährdet den Einfluss der Angestellten. Schließlich birgt die autoritäre Tendenz der Wortführenden das Risiko, die Wirksamkeit der Mitarbeitenden weiter einzugrenzen.
Wir müssen lernen, so Starker, die Krisen in unserem Alltag als gewöhnlich einzustufen und unseren Umgang damit anzupassen, denn:
“Krise vergeht nicht, wir werden es immer mit diversen Herausforderungen zu tun haben.”
Auch wenn es unbestreitbar sei, dass zum Beispiel der russische Angriffskrieg Betriebe in die wirtschaftliche Bredouille gebracht hat und vieles teurer geworden sei. Schlechte Geschäftszahlen lösen schlechte Stimmung aus – sogar in Unternehmen, in denen keine Krise herrscht. 13 Prozent der Befragten, die den Krisenzustand in ihrem Unternehmen verneinen, können trotzdem eine Krisenstimmung bejahen. Starker nennt das “Phantomschmerz”. Das liege daran, dass wir zu einer falschen Reaktion neigen: “Das gängige Schlechtreden führt dazu, dass Menschen in den Unternehmen veränderte Bedürfnisse entwickeln”, dabei habe Zuversicht doch so viel mehr Vorzüge als Schwarzmalerei. Generell spürt der Studie zufolge fast jede*r zweite Befragte Krisenstimmung an seinem Arbeitsplatz.
Nicht der richtige Reflex
Läuft es wirtschaftlich schlecht, tut sich die Restrukturierung oft als gängige Arznei hervor. Personelle Konsequenzen sorgen schließlich schnell für finanzielle Linderung. Die Wirtschaftspsychologin ist davon nicht begeistert: “Ist Restrukturierung der richtige Reflex? Hinsichtlich unserer Studie würde ich sagen: auf gar keinen Fall! Denn das wird ja auch mit autoritärer Führung assoziiert.” Schließlich würden externe Beratungsfirmen die Befugnis erlangen, zu bestimmen, was gut für die Firma sei. “Und Beratungen haben mehr zu sagen, als die internen Expertinnen und Experten”, weiß sie. Oft verlaufe das ziellos, nur ein Drittel der Transformationen sind überhaupt erfolgreich, fand McKinsey heraus.
Bayer, das Vorzeige-Novum
Ein beispielhaftes Vorgehen, das ein anderes Handeln salonfähig machen könnte, sei das von Bill Anderson: Der neu installierte Vorstandsvorsitzende der Bayer AG wird für ein wirtschaftliches Novum sorgen, indem er tausende Führungskräfte entlassen will. Sein Mantra verfolgt den Plan, Mitarbeitende mehr in die Verantwortung zu nehmen, statt ihnen Führungskräfte vorzusetzen, die in ihrer Vielzahl die Prozesse verlangsamen.
“Anderson dezentralisiert die Entscheidungen und gibt sie ins Team, weil er möchte, dass Bayer beweglich und agil wird”, erklärt Starker “und gleichzeitig spart er damit immens viel Geld”. Entgegen der traditionellen Maßnahme, die Kostenstellen der “normalen” Mitarbeitenden abzubauen, legt der Bayer-Chef den Hebel im Management an. “Unternehmen sind überladen mit Hierarchien”, sagt er dem Handelsblatt. Im ersten Quartal 2024 wurden 900 Managementpositionen bei Bayer gestrichen – und es werden mehr. Zum Dafürhalten von Starker, die überzeugt ist, dass Verantwortung dezentralisiert werden muss.
Mitarbeitende wollen sich gehört fühlen
Die Abkehr von “Bullshit Work”, wie sie die Aufgaben einiger Funktionäre nennt, mache Unternehmen zukunftsfähig. Denn bisweilen zeige sich im deutschen Gewerbe eine ähnliche Dynamik wie in der Politik: Die Menschen wollen mitgestalten, haben aber eher das Gefühl, nicht gehört zu werden – da helfen keine Autoritäten, sondern mehr Mitsprache.
“Die Abkehr von der Politik ist die Folge einer Ohnmacht, bei der aktuell offenbar nicht mal die Demokratie das Gefühl von Teilhabe vermitteln kann.”
Das gleiche Narrativ könne sich auch schnell am Arbeitsplatz etablieren, je weniger die Menschen sich gehört und einbezogen fühlen. “In Krisen nichts tun zu können oder zu dürfen, fördert innere Kündigungen – und da haben wir aktuell ohnehin schon den schlechtesten Stand seit 2012”, weist die Autorin auf die Gallup-Studie von 2023 hin.
Mehr Krise als wirklich ist. Die Differenz von 13 Prozent zeigt auf, dass eine Krisenstimmung weiter verbreitet ist als eine Krise selbst. Quelle: Next Work Innovation-Studie;OMR-Grafik/Baumann
Was Starker empfiehlt, sind Kommunikation, Teilhabe und – insbesondere – Zuversicht. Das hat die Studie nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch messbar: Auffällig ist, dass Führungskräfte Krisen zwar stärker erleben, sich davon jedoch nicht kleinkriegen lassen. Mehr noch: Sie sehen autoritäres Verhalten als probates Mittel. “Hier hat das Kontrollbedürfnis eine selbststabilisierende Wirkung, wie unsere Daten zeigen.”
Sehnsucht nach Leichtigkeit
Führungskräfte sind deutlich zuversichtlicher als die Mitarbeitenden. Um diese Differenz auszumerzen, empfiehlt die Wissenschaftlerin “eine klare Sicht auf die Herausforderungen und entsprechende Handlungsoptionen”, weil es “nicht hilft, die Probleme rosa anzupinseln”. Das “Multitalent Zuversicht” könne den Knoten in der Krise lösen – sofern die Führungskräfte das eben auch in die Teams ausstrahlen. Für sie war die Sehnsucht nach einer Wiederholung des Sommermärchens im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft symptomatisch für das, wonach sich unsere Gesellschaft sehnt: “Das war der tiefe Wunsch nach Leichtigkeit und Gelingen. Wir haben so wenig davon – dafür haben wir Empörung und Stress.”
Der Umgang mit Krisen sei fordernd, die Pandemie wurde nie richtig aufgearbeitet. Unsere Arbeitswelt müsse sich damit arrangieren, sie muss es sehen und mitdenken. Dem Umgang eine autoritäre Komponente zu verleihen, verhindere die Transformation allerdings – und führe schließlich zu wirtschaftlichen Einbußen. Denn um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Organisation mithilfe einer klaren Struktur und Wertschöpfung resilienter werden. Nebst ihren fachlichen Schlüssen hat Starker noch einen einfachen Tipp parat: “Wir sollten auch mal die Korken knallen lassen, wenn wir was schaffen. Denn was passiert dann im Gehirn? Es schüttet Dopamin aus – und die Erinnerung wird positiv abgelegt.” Sie empfiehlt eine Atmosphäre, die Mitarbeitende und Führungskräfte zu Leistung und Wohlfühlen einlädt – dann sind sie nicht nur produktiver, sondern fallen auch seltener aus. Autorität und Druck seien dabei zweifelsfrei schlechte Ratgeber.