So funktioniert Empörungs-Marketing: Das steckt hinter dem Delfin-Baby-Dinner von Inscope

Torben Lux2.10.2019

OMR hat mit den Erfindern der aufmerksamkeitsstarken Delfin-Kampagne gesprochen

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Mit dieser Baby-Delfin-Attrappe aus Silikon hatte der Influencer Nicolas "Inscope" Lazaridis einen Shitstorm ausgelöst (Foto: Youtube).
Inhalt
  1. Delfin-Fleisch in der Pfanne?
  2. Über 1,5 Jahre Arbeit an einer Kampagne
  3. Was ist die riesige Reichweite wert?

Als der vor allem für Comedy-Content bekannte Youtuber Nicolas „Inscope“ Lazaridis vor zwei Tagen in einer Instagram-Story vorgibt, mit seinen Freunden einen Baby-Delfin zu essen, hätte der Aufschrei kaum größer sein können. Medien wie zahlreiche Influencer empören sich lauthals, eine Marke soll Inscope sogar die Partnerschaft gekündigt haben. Gestern, auf Grund der enormen Aufmerksamkeit einen Tag früher als geplant, dann die Auflösung: alles gar nicht wahr, sondern Teil einer Kampagne eines Food-Unternehmens, das auf ökologische Landwirtschaft und nachhaltigen Fischfang setzt. OMR zeichnet die Empörungs- sowie Versöhnungswelle nach, zieht ein erstes Fazit der Aktion und spricht mit den Machern der Kampagne.

„Ich möchte ein extrem dekadentes Abendessen heute anrichten“, beginnt eine der Stories, die Inscope am Montagabend auf seinem Instagram-Account @inscopenico an seine über 1,5 Millionen Abonnenten schickt. Mit ein paar Freunden sitzt er in seiner Küche, Rotweingläser stehen auf dem Tisch, das Licht ist gedimmt. Alles sieht nach einem (halbwegs) normalen und gemütlichen Essen aus. „Ihr müsst Euch mal reinziehen, was wir uns hier an den Start gegönnt haben. Das ist echt eine extrem heftige Nummer“, fährt er fort. Schließlich schwenkt er mit seiner Handykamera auf eine Kühlbox, die mit Eis gefüllt ist – und einem offenbar toten Delfin-Baby.

Es folgen noch Szenen von angeblichem Delfin-Fleisch, das in einer Pfanne brät, Kommentare wie „Schmeckt so ein bisschen nussig irgendwie, gell?“ und ziemlich schnell dann auch der zu erwartende Shitstorm in sozialen Medien. Erst bestimmen Ekel und absolutes Unverständnis gegenüber Nicolas Lazaridis die Kommentare und Storys in den sozialen Plattformen, dann kommen schnell hier und da Zweifel ob der Echtheit des Delfins auf. Auch Youtuber Simon Unge traute Inscope in seinem Livestream, den er im Anschluss als Reaction-Video auf Youtube hochgeladen hat, nicht zu, dass es sich um ein echtes Tier handelt. 

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Einige der Treffer in Google News zu Inscopes Delfin-Videos.

Delfin-Fleisch in der Pfanne?

Etwa 24 Stunden hält die virale Empörungs- und Spekulationswelle an. Einer der Höhepunkte dürfte in diesem Zeitraum wohl ein Instagram-Post von Inscopes Sponsor Zec+ gewesen sein. Die Nahrungsergänzungsmittel-Marke eckt selber immer wieder an und spiele bewusst mit einem „assigen Image“, so Gründer Matthias Clemens vergangenes Jahr im OMR Podcast. Delfin-Fleisch zu essen war dann aber wohl auch für Zec+ eine Nummer drüber, „Nico ist damit offiziell raus❗“ verkündete das Unternehmen auf Instagram. Per Video-Post hat Clemens diese Entscheidung inzwischen allerdings wieder zurückgenommen – dank eines Statements von Inscope. Nicht einmal einen Tag nach den Delfin-Stories löste er die Situation auf.

Alleine auf Youtube hat der abends am 1. Oktober hochgeladene, knapp acht Minuten kurze Clip „Baby Delfin Statement“ schon jetzt über 1,2 Millionen Aufrufe, rund 221.000 Daumen hoch und nur etwa 4.000 Daumen runter. Seit Stunden belegt das Video den ersten Platz in den Youtube-Trends. Schon in den ersten Sekunden wird klar: Der Delfin kam nicht aus dem Meer, sondern war eine Silikon-Anfertigung aus dem 3D-Drucker. Im weiteren Verlauf erklärt Nicolas „Inscope“ Lazaridis den Hintergrund der Aktion, die gemeinsam mit dem Lebensmittelunternehmen followfood GmbH geplant und durchgeführt wurde. Außerdem zeigt er einen Screenshot seines Instagram-Accounts: Über 600.000 Aufrufe haben die Story-Clips demnach jeweils generiert. Auch Jürg Knoll, einer der Gründer von followfood, die auf ökologische Landwirtschaft und unter der Marke followfish nachhaltigen Fischfang setzen, kommt in dem Video zu Wort. 

Über 1,5 Jahre Arbeit an einer Kampagne

Mit TankTank steckt – wenig überraschend – eine Agentur hinter der Kooperation zwischen Inscope und followfood. Gründer Stefan Zschaler, früher lange bei Leagas Delaney und Jung von Matt, verrät gegenüber OMR, wie es zu der provokanten Idee kam: „In einer Abschlussprüfung an der Hamburg School of Ideas hatten drei Schüler die Idee, Menschen vortäuschen zu lassen, dass sie seltene Tiere essen. Und so Aufmerksamkeit zu generieren.“ followfood hatte die Aufgabe der Prüfung gestellt und war von der Idee so angetan, dass schnell der Entschluss feststand, sie auch umzusetzen. Einen Influencer davon zu überzeugen, das Risiko eines anhaltenden Imageschadens einzugehen, sei allerdings deutlich schwieriger gewesen. „Wir haben fast eineinhalb Jahre daran gearbeitet, jemanden zu finden“, so Zschaler. Mit Hilfe von flow:fwd, einer Influencer-Marketing-Agentur, die seit Ende 2018 zu Webedia gehört, sei das dann schließlich gelungen. 

Wieviel Geld Inscope für die Produktplatzierung bekommen hat, verrät Stefan Zschaler zwar nicht. Der Kunde habe kein großes Budget und der Preis für das Placement sei „überschaubar“. Dafür verrät er zwei andere sehr interessante Details. Zum einen war die Auflösung per Statement-Video eigentlich einen Tag später geplant. „Der Siedepunkt war erreicht und Nico war schon nervös. Es gab sehr viele negative Kommentare und er hatte Sorge, ob die Auflösung dann auch noch so viele mitbekommen“, verrät der Agentur-Gründer. Und: Nicht alle anfangs auf der Empörungswelle mitschwimmenden Influencer waren wirklich sauer – weil sie eingeweiht waren. „Du brauchst immer einen gewissen Anschub“, so Stefan Zschaler. Ihm zufolge wussten die Influencer Abdel (290.000 Abonnenten bei Instagram), Vassili Leontaris (58.800 Abos), Udo Bönstrup (113.000 Abos), luderchris (43.700 Abos) und AlexV (206.000 Abos) Bescheid. 

Was ist die riesige Reichweite wert?

Alle Genannten haben sich früh über das angebliche Delfin-Dinner aufgeregt, Aufmerksamkeit generiert, nach der Auflösung durch Inscope die Aktion ebenfalls erklärt und auf followfood hingewiesen. Simon Unge hat durch seine Reaction-Videos ebenfalls für enorme Reichweite gesorgt. Nicht eingeweiht und trotzdem geteilt haben das erklärende Statement-Video von Inscope außerdem unter anderem Betty Taube (eine Million Abonnenten auf Instagram), Ines Anioli (194.000 Abos) und Sascha Hellinger (683.000 Abos). Insgesamt sollen laut Zschaler so Influencer mit in Summe zehn Millionen Followern ohne Bezahlung aktiviert worden sein – viele davon hat Inscope heute wiederum in seiner Story repostet. Matthias Clemens von Zec+ bestätigt auf OMR-Nachfrage, dass er im Vorfeld zwar auch nichts von der Kampagne gewusst habe, das Posting über das Ende der Kooperation aber nicht ernst gemeint war.

Um zu beurteilen, was die Kampagne den Parteien neben kurzfristiger, riesiger Aufmerksamkeit gebracht hat, dürfte es noch ein wenig zu früh sein. Inscope habe die während der Empörungsphase vor dem Aufklärungs-Video verlorenen Followern und Abos laut Stefan Zschaler wieder zurückgewinnen können und heute insgesamt rund 100.000 mehr, als vor wenigen Tagen. Das Unternehmen followfood darf sich laut Statistik des unter dem Aufklärungsvideo eingebundenen Links über knapp 11.000 Besucher auf der Webseite freuen – gerade mal rund 0,8 Prozent der Viewer von Inscopes Clip haben also geklickt. Am Ende ist vielleicht sogar einfach die Botschaft, stärker darauf zu achten, wo man welche Lebensmittel kauft, der größte Profiteur von #dolphingate. Und das wäre doch auch alles andere als verkehrt. 

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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