Wie wir durch Unge vs. Mediakraft die Kraft von Youtube am eigenen Leib zu spüren bekommen haben…
- …und warum die Affäre für Mediakraft ein schwerer Schlag ist
- Unser Server bricht unter dem Ansturm zusammen
- Online Marketing Rockstars erhalten Droh-Mails und -Anrufe
- Verdient „Unge“ derzeit 60.000 Euro pro Monat?
…und warum die Affäre für Mediakraft ein schwerer Schlag ist
Wir haben turbulente 48 Stunden hinter uns: Am Samstagabend hat der prominente Youtuber Simon Unge ein Video ins Netz gestellt, in dem er sich von seinem Vermarkter Mediakraft Networks lossagt. Darunter: ein Link zu einem Artikel bei Online Marketing Rockstars. Wir müssen zugeben, dass wir uns im Vorhinein nicht hätten vorstellen können, welche Ereignisse dadurch losgetreten werden. Lest hier, was genau passiert ist. Samstag, 20. Dezember 2014, 22:50 Uhr: Simon Wiefels, im Internet unter dem Namen „Simon Unge“ bekannt, veröffentlicht bei Youtube ein Video mit dem Titel „Die schwerste Entscheidung meines Lebens“. Er kündigt darin an, seine beiden Youtube-Kanäle „ungespielt“ und „ungefilmt“ einzustellen. Der 24-Jährige ist ein „Lets Player“ – er filmt Videospiele, kommentiert diese und verbreitet die Videos über Youtube. Unter dem Namen „ungefilmt“ führt er eine Art Videotagebuch. Beide Kanäle existieren seit dem Jahr 2012 und verzeichnen mittlerweile mehr als zwei Millionen Abonnenten. Monatlich werden die Videos mehr als 30 Millionen Mal angeklickt.In einem neuen Video macht „Unge“ an diesem Abend seiner Wut über das Unternehmen Mediakraft Luft. Mediakraft Networks bündelt die Kanäle großer Youtuber und vermarktet diese – auch die von „Unge“. In seinem Video beschwert sich der Gamer nun, dass sich Mediakraft nie für ihn interessiert, geschweige denn ihn unterstützt habe. Original-Zitat: „Das war so ein Scheißhaufen.“ Schon seit einigen Monaten kommunizieren beide Seiten offenbar über Anwälte. Nun hat sich Wiefels entschlossen, beide Kanäle aufzugeben, um zu versuchen, sich auf diese Weise von Mediakraft loszusagen – offensichtlich sind diese Gegenstand des Vermarktungsvertrages.
Im Video spricht „Unge“ explizit davon, dass Mediakraft eine „Wette“ sei und das Unternehmen mehr am Wohl seiner Investoren interessiert sei als an dem seiner Vermarktungspartner. Unter dem Clip verlinkt der Youtuber als erstes einen Artikel von Online Marketing Rockstars: „Mediakraft: Die spannendste Wette im Online Marketing“. Wir versuchen darin hochzurechnen, welchen Erlös Mediakraft mit einem potenziellen Verkauf in der Zukunft erzielen müsste, um den Erwartungen der bisherigen Investoren gerecht zu werden.
Unser Server bricht unter dem Ansturm zusammen
Wenige Minuten nachdem das Abschiedsvideo Unges online ist, bricht eine digitale Lawine los. Unser Artikel wird von mehr als 1.000 Besuchern gleichzeitig aufgerufen. Schnell geht der Server unserer Website unter dem Last des unerwarteten Ansturms in die Knie. Als wir das bemerken, ist es nach Mitternacht. Wir rufen bei unserem Hosting-Anbieter an, aber es nimmt niemand ab. Auf eine Mail erhalten wir zweieinhalb Stunden später Antwort. Weil der Support die Caching-Konfiguration geändert hat, ist die Seite von da an immerhin wieder erreichbar, wenn auch das Layout teilweise zerschossen aussieht. Am Folgetag ziehen wir die Seite auf einen anderen Server um, der das hohe Traffic-Volumen besser bewältigen kann. Am Sonntag verzeichnen wir fast so viele Besucher wie sonst in einem ganzen Monat.
Doch bei dem Besucheransturm bleibt es nicht. Denn offensichtlich ist nicht jeder User fähig zu erkennen, dass, obwohl unsere Website unter dem Video verlinkt ist, wir nicht zu Mediakraft gehören. Bereits 20 Minuten, nachdem das Video online ist, spricht ein Anrufer auf unseren Firmen-Anrufbeantworter. O-Ton: „Was soll der Scheiß mit Unge, Du? Alter, Du sch*** A****loch.“ Intelligenterweise hat der Anrufer seine Nummer nicht unterdrückt. Wir geben die Mobile-Nummer bei Facebook ein und stoßen auf das Profil des Anrufers: Manuel, ein (vermutet) 13-Jähriger aus Augsburg. Wir sehen davon ab, etwas zu unternehmen – auch wenn wir gerne mal mit Manuels Eltern ein Wort über das Thema Medienkompetenz gewechselt hätten.
Online Marketing Rockstars erhalten Droh-Mails und -Anrufe
Am Sonntag erhalten Kollegen, die ihre Mobilnummer auf unserer Website angegeben haben, mit unterdrückter Nummer Drohanrufe: „Ich finde Euch, Ihr W*chser!“. Im Laufe des Wochenendes treffen zudem Droh-Mails über unser Kontaktformular und per Kommentar zu unseren Artikeln ein. Zitat: „Ihr seid eine Totgeburt von Leben!“ Nachdem am Montag „Unge“ seine Fans dazu auffordert, sich – falls sie Mediakraft-Mitarbeiter oder andere beleidigt haben – bei diesen zu entschuldigen, erreicht uns immerhin eine kleinlaute Mail von Manuel. Er habe „ein bisschen aggro“ reagiert und aus Versehen auf den falschen Link geklickt.
Viel eindrücklicher als die kopflosen Drohungen wird uns jedoch sicherlich die Erfahrung, wie sehr Youtube Menschenmassen bewegen kann, in Erinnerung bleiben. Lange wurde in der Medienbranche darüber diskutiert, ob Google mit Youtube mittel- bis langfristig Geld verdienen kann. Zumindest wir zweifeln nach diesem Wochenende nicht mehr an der Kraft des Portals. Natürlich haben klassische Medien geholfen, die Ereignisse rund um „Unge“ bei einem noch breiteren Publikum bekannt zu machen – so griffen Bild, Spiegel, FAZ, Süddeutsche und Handelsblatt das Thema einige Stunden später auf. Aber schon vorher hat Wiefels’ Video alleine über das Netz eine enorme Masse an Menschen erreicht. Bei Twitter gehen am Samstagabend pro Minute 700 Tweets mit dem Hashtag #freiheit ein, mit dem „Unge“ sein Abschiedsvideo versehen hat. Das Tweet-Volumen zu #freiheit übersteigt das der klassischen TV-Sendungen am Samstagabend, wie etwa „Schlag den Raab“ und „Tatort“, bei weitem. Kurzzeitig führt #freiheit die weltweiten „Trending“-Charts an. Ein Vergleich unserer Erfahrung mit „#freiheit“ mit denen unseres Gründers Philipp Westermeyer nach dessen Teilnahme an einer Sendung von ZDF Info und jenen von Andreas Graap nach dessen Auftritt in der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“, legt nahe, dass Youtube – zumindest in der entsprechenden, jungen Zielgruppe – offenbar deutlich besser als Traffic-Treiber funktionieren kann.
Ob große Youtuber, die bereits Reichweite aufgebaut haben, langfristig auf die Zusammenarbeit mit einem Netzwerk angewiesen sind – diese Frage aber ist seit dem Samstag zumindest offen. Denn innerhalb von nicht einmal 48 Stunden hat Simon Wiefels mit einem neuen Kanal bereits wieder eine halbe Million Abonnenten eingesammelt. Geht man davon aus, dass es zwischen den Abonnenten seiner beiden vorherigen Kanäle Schnittmengen gab, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass der Lets Player bereits ein Drittel seiner Reichweite wieder gesichert hat. Zwar hat er seinen Videokatalog verloren. Aber wie Christoph Burseg von Massive Insights, Anbieter des Youtube-Tracking-Tools Veescore, analysiert hat, gingen bislang nur 25 Prozent der Aufrufe des Kanals „ungespielt“ auf Videos, die älter als 30 Tage sind. Beim kleineren Kanal „ungefilmt“ sind es knapp 50 Prozent der Views.
Verdient „Unge“ derzeit 60.000 Euro pro Monat?
„Insgesamt sieht die Zukunft für Simon Unge recht rosig aus: Das Medienecho sorgt dafür, dass die alten Subscriber ihm folgen“, sagt Burseg. Man könne davon ausgehen, dass ein Youtuber mit monatlich über 30 Millionen Videoabrufen ein höheres fünfstelliges Monatseinkommen erwirtschaftet, so der Youtube-Experte. Den bisherigen Monatsumsatz von „Unge“ schätzt er auf circa 60.000 Euro. Vielleicht kann der Youtuber diese Summen künftig einstreichen, ohne eine Provision an ein Netzwerk zahlen zu müssen. „Auch ohne Vermarkter fällt die Werbung nicht weg. Youtube befüllt automatisch die freiwerdenden Werbeslots.“ Eine Partnerschaft mit einem anderen Vermarkter außer Mediakraft schloss „Simon Unge“ in einem Interview mit Broadmark aber auch nicht aus.
Für Mediakraft dürften die Ereignisse aus mehreren Gründen ein schwerer Schlag sein. So ist „Unge“ nach LeFloid bereits der zweite namhafte Youtuber, von dem bekannt wurde, dass er das Netzwerk verlassen hat. Nach Aussagen aus seinem Abschiedsvideo gibt es zudem andere Fälle, die noch nicht bekannt geworden sind. Zuletzt verzeichnete Mediakraft eigenen Angaben zufolge 420 Millionen Videoviews pro Monat – „Unges“ Anteil an der bisherigen Reichweite liegt bei 7,1 Prozent. Dem Mediakraft Unternetzwerk „GameCartell“ fallen laut Christoph Burseg ein gutes Viertel der Videoabrufe weg. Beeindruckend seien auch die Sendezeiten des Gamers. „Täglich werden mehr als 85.000 Stunden ‚Ungespielt’ und über 26.000 Stunden ‚Ungefilmt’ geguckt – Tendenz steigend.“
Der größte Schaden dürfte für Mediakraft aber durch die enorme Öffentlichkeit für die Affäre entstanden sein. Berichte darüber, wie schwer ein Portfolio junger Youtuber zu managen und zufriedenzustellen ist, in Medien wie dem Handelsblatt und der FAZ, dürften bei potenziellen künftigen Investoren oder Kaufinteressenten von Mediakraft nicht unbedingt das Vertrauen in das Geschäftsmodell des Unternehmens gestärkt haben.