Von Shirin David bis Tanzverbot: Im Fischerdorf machen Creator-Stars ihren Führerschein

Torben Lux9.12.2021

So hat Unternehmer Mike Fischer mit seinem Fahrschul-Internat einen Influencer-Hotspot gebaut

Katja Krasavice Fischerdorf Fischer Academy Fahrschule
Mitte 2018 macht Katja Krasavice ihren Führerschein im Fischerdorf (Quelle: Youtube).
Inhalt
  1. Ein Unfall und fast das Aus
  2. Fahrlehrer und Bauunternehmer
  3. Erst Google-Offensive, dann Influencer-Jackpot
  4. Vom Lucky Shot zur Marketing-Strategie
  5. Erst Fahrlehrerin, dann Geschäftsführerin im Fischerdorf
  6. Fokus auf Youtube
  7. Die Absage an Franchise-Anfragen

„Wir sind keine klassische Fahrschule“, betont Mike Fischer gleich zu Beginn des Gesprächs mit OMR. Und das ist alles andere als untertrieben. 2010 eröffnet der Serienunternehmer das Fischerdorf in Gera in Thüringen. Im Fahrschul-Internat mit 22 Betten inklusive Lernzentrum und Pizzeria kann man in sieben Tagen den Führerschein machen. Seit Jahren scheint der Ort die deutsche Influencer- und Creator-Szene magisch anzuziehen; Shirin David, Tanzverbot, Simon Desue, Katja Krasavice, Apo Red waren alle da – und liefern dem Unternehmen Millionen-Reichweiten. Wie Mike Fischer diese heute gezielt nutzt, weshalb er anfangs keine Lust auf Influencer hatte und wie Co-Geschäftsführerin Nancy Bradtke die Digital-Strategie im Alleingang aufgebaut hat, lest Ihr hier.

Mike Fischer

Den Grundstein für das Fischerdorf der Fischer Academy, so auch der Unternehmensname hinter dem Fahrschul-Internat, legt Mike Fischer schon vor über 30 Jahren. „Ich habe 1990 als Einzelfahrlehrer angefangen, mit einem Trabant 601 Deluxe. Ich war nach der Wende eine der ersten Fahrschulen im Osten“, sagt er. Nicht nur Trabbis waren in der DDR knapp, auch auf Fahrschul-Plätze musste man teilweise mehrere Jahre warten. Das habe dann zu einem regelrechten Führerschein-Hype geführt. „Innerhalb von vier Wochen hatten wir 4.000 Anmeldungen. Das war eine Zeit, da konntest du die Kunden gar nicht verhindern. Meine Mutter hat damals alles noch händisch bearbeitet“, so Fischer.

Er stellt sämtliche verfügbare Fahrlehrer ein, um der Nachfrage auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Trotz des riesigen Andrangs weiß er aber schon zu dem Zeitpunkt, dass das nicht ewig so bleiben würde. „1989 wurden in Gera noch um die 1.500 Kinder geboren. Und im Jahr nach dem Mauerfall waren es direkt zwei Drittel weniger“, erinnert sich Mike Fischer. Es sei ihm klar gewesen, dass in 18 Jahren, also im Jahr 2008, zwei Drittel der Kunden einfach nicht mehr da sein würden. „Das große Damoklesschwert war schon damals der demographische Wandel im Osten“, sagt er.

Ein Unfall und fast das Aus

Bevor Mike Fischer sich im Laufe der Jahre aber immer intensiver mit dem Problem auseinandersetzt, ist 1993 fast alles vorbei. „Ich hatte einen Sportunfall im Urlaub in Griechenland. Kreuzbandriss beim Volleyball, also eigentlich nichts Dramatisches“, schildert er. Nach der Operation in Deutschland bildet sich eine Infektion im Knie; er liegt mit Multiorganversagen über zwei Wochen im künstlichen Koma. „Nach etwa einem Jahr kam ich zurück ins Unternehmen und habe direkt gesehen: Es läuft besser, als je zuvor“, so Fischer. „Da habe ich gemerkt, dass der Chef eigentlich die überflüssigste Person im Unternehmen ist.“ 

Schon zu diesem Zeitpunkt beginnt er, sich nach und nach aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen – und strategische Themen zu bearbeiten. Ab 1999 stellt er sich vor allem folgende Frage, um nicht unter dem demographischen Wandel zu leiden: „Wie bekommen wir Fahrschüler aus ganz Deutschland dazu, sich bei uns in Gera anzumelden?“. Und wenn er sie davon überzeugen könnte, zu kommen: „Wo schlafen sie? Was essen sie? Was machen sie in ihrer Freizeit?“ So entsteht die Idee für das Fischerdorf.

Fahrlehrer und Bauunternehmer

Schon 1991 hatte Mike Fischer gemeinsam mit seinem Vater eine Baufirma gegründet; mit der baut er ab 2004 am Fahrschul-Dorf. „Wir kauften dafür mitten in Gera eine Bauruine und zusätzlich die umliegenden Grundstücke“, erklärt er. Über eine Million Euro kostet das Projekt insgesamt. Ebenfalls 2004 eröffnet Fischer eine Hallo-Pizza-Filiale in Gera, die laut ihm schnell zu einem der umsatzstärksten Pizzalieferdienste in Deutschland wird. „Teilweise haben bis zu 80 Leute da gearbeitet“, so Fischer. Bis heute ist der Pizzastore, seit der Übernahme von Hallo Pizza durch Dominos unter neuem Namen, ein fester Bestandteil des Fischerdorfs – was 2010 endgültig eröffnet. 

Im selben Jahr entdeckt Mike Fischer einen neuen, zusätzlichen Geschäftsbereich. „Weil wir einen Mangel an LKW-Fahrern festgestellt hatten, haben wir angefangen, diese auszubilden“, erklärt der Gründer. „Im Anschluss haben wir sie eingestellt und an Speditionen verliehen. Teilweise haben bis zu 25 Leute nur in der Personalvermittlung gearbeitet.“

Mit dem Start des Fischerdorfs ergibt sich direkt die nächste Herausforderung. Denn vom Fahrschulinternat mit Restaurant, Hotel, Schulungszentrum und dem Angebot der Kompakt-Ausbildung in nur einer Woche müssen angehende Fahrschüler aus Deutschland natürlich auch erstmal erfahren. Die nationale Zielgruppe ist bis heute auf jeden Fall groß: Über 800.000 Menschen machen hierzulande jedes Jahr den Führerschein. 

Erst Google-Offensive, dann Influencer-Jackpot

„Genau das ist unsere Zielgruppe“, sagt Mike Fischer. Um diese zu erreichen und vom Führerschein innerhalb von sieben Tagen in Gera zu überzeugen, setzt das Unternehmen vor allem auf Suchmaschinenmarketing. „Am Anfang haben wir 7.000 Euro in Google Adwords investiert – pro Monat“, so Fischer. „Das hat zwar dazu geführt, dass wir zu Suchbegriffen wie zum Beispiel ‚Führerschein in 7 Tagen‘ ganz oben gerankt haben. Es waren aber auch wirklich wahnsinnige Kosten für eine Fahrschule.“ 

Ein paar Jahre habe diese Strategie gut funktioniert, bis irgendwann die Klickpreise immer teurer wurden. Gleichzeitig wurden nach und nach immer mehr Fernsehsender auf das Konzept des Fischerdorfs aufmerksam. RTL hätte das Dorf beispielsweise als „härteste Fahrschule Deutschlands“ bezeichnet. Von einer Idee, die sich später als der Wachstumshebel überhaupt herausstellen sollte, hält Mike Fischer anfangs noch nichts. „Mein Sohn Lucas hatte mir schon 2012 vorgeschlagen, unbedingt was mit Simon Desue zu machen“, erklärt er. „Er war damals der Youtuber mit den meisten Abos in Europa. Ich wollte das aber nicht und hatte auch nicht wirklich Ahnung davon.“

Als sich Fischer drei Jahre später, 2015, schließlich doch überzeugen lässt und eine Zusammenarbeit mit Influencern ausprobieren möchte, weiß er noch nicht, dass er den Marketing-Jackpot gezogen hat. „Simon Desue machte seinen Führerschein bei uns, gemeinsam mit Shirin David, Paola Maria und Chris Manazidis, damals noch Bullshit TV. Das war ein Meilenstein“, erinnert sich der Unternehmer. 

Vom Lucky Shot zur Marketing-Strategie

Weil die Youtuber, die damals alle zu den größten und vor allem reichweitenstärksten Stars der Plattform in Deutschland zählten, Videos von ihrem Aufenthalt im Fischerdorf produzieren, ist das Fahrschul-Projekt plötzlich national genau in der Zielgruppe bekannt, die eine Fahrschule braucht. „Ich habe die vorher ja gar nicht gekannt“, gesteht Mike Fischer. „Aber als die über ihre Youtube-Accounts von uns berichtet haben, entstanden hier spontane Fantreffen. Jugendlich haben eine Woche lang die Straße belagert.“ Nicht ein Bericht von RTL habe dafür gesorgt, dass der Server der Fahrschule zusammengebrochen ist, sondern als Shirin David ihr Video hochgeladen hatte.

Seitdem bekäme das Fischerdorf regelmäßig Bewerbungen von Influencern, Creatorn und Stars der großen Plattformen. „Wenn du einen hast, hast du eigentlich alle“, sagt Fischer. Einen eigenen aktiven Youtube-Kanal hat die Fahrschule zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Alle Inhalte werden auf den Accounts der Creator veröffentlicht und gehören so nicht dem Unternehmen. 

Erst Fahrlehrerin, dann Geschäftsführerin im Fischerdorf

Das ändert sich allerdings, als sich Nancy Bradtke der Plattform annimmt. „Sie hat den Account mit 119 Abos übernommen und das Modell so geändert, dass wir selber die Videos mit den Creatorn veröffentlichen“, erklärt Mike Fischer. 133.000 Abos kann der Kanal heute vorweisen; das erfolgreichste Video kommt auf 1,6 Millionen Aufrufe. In den vergangenen Jahren haben einige der bekanntesten Creator wie Tanzverbot, Katja Krasavice und Apo Red ihren Führerschein im Fischerdorf gemacht. „Statt wie am Anfang 7.000 Euro monatlich für Google Werbung auszugeben, verdienen wir mit den Videos heute bis zu 8.000 Euro im Monat“, sagt Mike Fischer. „Und 65 Prozent aller rund 1.000 Abschlüsse im Jahr generieren wir über Youtube.“

Nancy Bradtke, die vor allem für den nachhaltigen Youtube-Erfolg verantwortlich ist, hat schon 2011 im Unternehmen angefangen – damals allerdings noch als Fahrlehrerin. „Nach zwei Jahren war mir das ein wenig zu eintönig und ich habe als Kundenbetreuerin angefangen. Seit 2018 bin ich jetzt Geschäftsführerin.“ Auch für sie war der anfängliche Hype um die Youtuber ein wenig ungewöhnlich. „Ich kannte die zwar und wusste, dass sie teilweise auch sehr erfolgreich sind, aber das Ergebnis war trotzdem gigantisch. Das hat mich sehr geflasht.“ 

Fokus auf Youtube

Zwei Videos veröffentlicht die Fischer Academy pro Woche. „Youtube ist definitiv unser Hauptkanal“, betont Bradtke. „Instagram bespielen wir zwar auch, für die Anmeldungen ist das aber nicht so relevant.“ Sie glaubt, dass es in der Szene mittlerweile dazugehört, den Führerschein im Dorf in Gera zu machen. „Das scheint sich zu einem Image-Ding entwickelt zu haben. Das Thema passt immerhin sehr gut zur meist jungen Zielgruppe. Und bei uns können sie auf jeden Fall guten Content produzieren“, so Bradtke. Inzwischen sage das Unternehmen auch immer mal wieder Anfragen von Creatorn ab, wenn zum Beispiel deren Content nicht so gut zur eigenen Brand passt. 

Dass die Fahrschul-Inhalte so gut funktionieren, habe laut Nancy Bradtke auch damit zu tun, dass sie auch privat auf der Plattform unterwegs ist und sie aktiv nutzt. „Youtube ist auch ein Hobby von mir, das mir einfach Spaß macht. Wenn man das nicht mit Leidenschaft macht, wird das auch nichts.“ Andere Plattformen scheinen währenddessen allerdings weniger gut zu funktionieren. Instagram habe man natürlich, der Account mit immerhin 23.000 Abos sei aber nicht so relevant. Und Tiktok hat das Team bisher auch nicht überzeugen können. „Das haben wir getestet, scheint aber für uns und unsere Zielgruppe noch schwierig skalierbar zu sein“, so Bradtke. „Und in Bezug auf Anmeldungen bringt es auch nicht wirklich viel.“ Tatsächliche läge der komplette Fokus auf Youtube: „Wir machen weder E-Mail-Marketing noch schalten wir Werbeanzeigen. Das ist schon ein Luxus.“

Die Absage an Franchise-Anfragen

„Der große Unterschied im Vergleich zu einer klassischen Fahrschule ist, dass die Schüler mit dem Einzug alles, was sie ablenkt, ausblenden können“, erklärt Mike Fischer das Erfolgsrezept des Unternehmens. „Die Fokussierung und die Gruppendynamik führen dazu, dass alle mitkommen.“ Und wenn ein Schüler mal einen roten Punkt, also eine Verwarnung bekommt, bleibt es meistens dabei. „Bei drei roten Punkten schicken wir sie weg; schon beim ersten Mal merkt eigentlich jeder, dass wir das schon ernst meinen“, sagt er. 

Ein Fahrlehrer pro maximal zwei Schüler, ein minutiös geplanter Ablauf, Kurse, Essen, Übernachtung plus Prüfung – das dürfte nicht ganz günstig sein. „Wenn man das mit klassischen Ausbildungen vergleicht, ist es nicht viel teurer. Und günstiger als Großstädte sind wir auf jeden Fall“, sagt Mike Fischer. Mit den insgesamt 25 Mitarbeitenden würde das Unternehmen etwa zwei Millionen Umsatz im Jahr machen. Damit gehöre man zu den größten Einzelfahrschulen Deutschlands. „Andere sind zwar größer, haben dann aber auch mehrere Zweigstellen – und das kommt für uns nicht in Frage“, betont Mike Fischer. Wir werden zwar häufig danach gefragt, aber das Dorf ist nicht kopierbar.“

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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