3,4 Millionen Impressions mit nur einem Post: Der neueste Reichweiten-Trick bei Facebook

Wie man mit (mehr oder minder) „meaningful interactions“ den Algorithmus hackt

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Inhalt
  1. „Haha, Du musst mir ganz viel Geld geben, weil Facebook das sagt!“
  2. „Irgendwas mit Essen geht doch immer“
  3. Ein Hamburger Shoppingcenter erreicht mehr Menschen, als in Hamburg wohnen
  4. Darum funktionieren die Posts so gut
  5. Wirken sich die Viralhits positiv auf die gesamte Seite aus?
  6. Engagement Bait oder Meaningful Interactions?
  7. Wir machen den (nicht ganz ernst gemeinten) Selbsttest

Die organische Reichweite bei Facebook ist quasi tot, hört man immer wieder in der Marketing-Branche. Wie aber konnte es dann der Facebook-Seite „Lieblingskollegen“ gelingen, mit nur einem Post und ohne dafür zu bezahlen eine Reichweite von 3,4 Millionen Nutzern zu erzielen? Wie hat das Hamburger Einkaufszentrum Billstedt Center mit einem Post drei Millionen User erreicht? OMR zeigt die Methode und erklärt, warum sie (aktuell) funktioniert.

Vielen jener Nutzer, die noch regelmäßig bei Facebook aktiv sind, dürften innerhalb der vergangenen Monate Posts einer ganz bestimmten Machart in den Newsfeed gespült worden sein: ein Bild mit einer Aufschrift, die die Nutzer dazu verleiten soll, ihre Freunde in einem Kommentar unter dem Post zu markieren.“Diese zwei sollten zum Shoppen nach New York fliegen“ (44 Reaktionen, 870 Kommentare, vier Shares) beispielsweise. Oder: „@J @M @L müssen mit Dir ins Disneyland Paris fahren“ (240 Reaktionen, 3.200 Kommentare, 17 Shares)

„Haha, Du musst mir ganz viel Geld geben, weil Facebook das sagt!“

Mit der Verwendung des @-Zeichens wollen die Seitenbetreiber die Nutzer dazu animieren, auszuprobieren, welchen ihrer Facebook-Freunde ihnen das Netzwerk beim Eintippen des jeweiligen Buchstabens zuerst zum Markieren vorschlägt. Sie können dann augenzwinkernd etwas von ihren Freunden einfordern, beispielsweise ein Eis (1.250 Reaktionen, 30.000 Kommentare, 75 Shares), oder sogar eine großzügige Überweisung von 2.000 Euro (373 Reaktionen, 10.000 Kommentare, 19 Shares).

Manche Seiten verwenden gleich das ganze Alphabet, um die Wahrscheinlichkeit auf Interaktion zu erhöhen. Je nach Buchstabe ergibt sich aus diesen Posts dann beispielsweise, wie hoch für die markierten Freunde die Wahrscheinlichkeit ist, „ihr aktuelles Semester zu schaffen“ (957 Reaktionen, 17.000 Kommentare, 27 Shares), oder welches Halloween-Kostüm sie tragen sollen (29 Reaktionen, 622 Kommentare, 12 Shares).

„Irgendwas mit Essen geht doch immer“

Bei anderen Varianten sollen jene Personen, die den Nutzern zuletzt auf WhatsApp geschrieben haben, mit diesen in Kontakt treten und beispielsweise einen Adventskalender basteln (2.000 Reaktionen, 30.000 Kommentare, 327 Shares). Die Aufforderung zu gemeinsamen Aktivitäten in der Vor- oder Weihnachtszeit scheint hierbei generell beliebt zu sein: So geht es bei Beiträgen sowohl von der Zeitschrift Elle (1.900 Reaktionen, 36.000 Kommentare, 415 Shares) als auch von den Viralseiten „gefällt das nicht“ (132 Reaktionen, 2.200 Kommentare, 38 Shares) und „100 Dinge, die wir ohne Horrorfilme nie wüssten“ (35 Reaktionen, 950 Kommentare, 15 Shares) um das gemeinsame Weihnachtsplätzchenbacken. Die beiden letztgenannten Seiten verwenden für ihre Posts sogar dasselbe Bild.

Was in dieser Auflistung nach einem sehr simplen, je nach Empfinden vielleicht sogar stumpfen Prinzip klingen mag, kann im besten Fall massive Reichweite einbringen. Das zeigen interne Screenshots von Seitenbetreibern, die OMR vorliegen. Die Seite „Lieblingskollegen“ beispielsweise, aus dem Portfolio von Visual Statements (hier im OMR-Porträt, hier im OMR Podcast), hat mit dieser Methode mit einem einzigen Post mehr als 3,4 Millionen Menschen erreicht. Das zeigt ein Screenshot, den Gründer und Geschäftsführer Benedikt Böckenförde im Business-Netzwerk Linkedin geteilt hat. Dabei verzeichnet die Seite selbst nur 164.000 Fans. Möglicherweise hat in diesem Fall die passende Mischung aus Post-Inhalt („Wer war Dein liebster Sitznachbar in der Berufs-Schule?„) sowie dem zentralen Thema der Seite (Arbeit & Beruf) zu diesem Erfolg beigetragen.

Ein Hamburger Shoppingcenter erreicht mehr Menschen, als in Hamburg wohnen

Diese Vermutung legt ein weiterer „Viralhit“ ähnlicher Kategorie nahe: Das Hamburger Einkaufszentrum Billstedt Center forderte mit einem Bilder-Post implizit dazu auf, „Shopping Teams“ in den Kommentaren zu markieren. Das Ergebnis: Fast 48.000 Kommentare. Mehr als drei Millionen Nutzer haben den Post in ihrem Facebook Newsfeed ausgespielt bekommen. Das zeigt ein Screenshot, den die Hamburger Agentur More Marketing, die das Einkaufszentrum in Sachen Social Media betreut, OMR zur Verfügung gestellt hat. Ein weiterer, vergleichbarer Post des Billstedt Centers, bei dem die Nutzer nur eine Person markieren sollten, hat immerhin noch 1,9 Millionen Facebook-Nutzer erreicht. Auch in diesem Fall ist die Zahl der Fans der Facebook-Seite selbst deutlich niedriger (20.000).

Ein interner Screenshot zeigt die beachtliche Reichweite des Facebook-Postings des Billstedt Centers (Screenshot: More Marketing)

Warum werden diese Posts von so vielen Menschen gesehen und so vielen Menschen ausgespielt? Im Januar dieses Jahres kündigte Facebook ein Newsfeed Update an, durch das Posts bevorzugt werden, die Gespräche unter Freunden auslösen und „meaningful interactions“ generieren. Zudem würde Beiträgen von Freunden und Familie der Vorrang gegenüber Posts von Seiten gegeben werden. In einem Video aus dem April erklärt ein Facebook-Vertreter in aller Deutlichkeit: Interaktionen mit Menschen aus dem eigenen Netzwerk erhalten den größten Ranking-Bonus.

Posts, bei denen die Facebook-Nutzer mit den eigenen Freunden interagieren, bewertet Facebook am höchsten und werden deswegen bevorzugt ausgespielt (Quelle)

Darum funktionieren die Posts so gut

Betrachtet man nun die Kommentarspalten unter den Markier-Posts dieser Art, so ist zu erkennen: Die Nutzer treten dort mit ihren Freunden in Kontakt. Häufig bleibt es nicht nur bei dem markierenden Kommentar, sondern reagieren auch die markierten mit einem eigenen Kommentar; teilweise mehrfach. So erfüllen die Seitenbetreiber genau jene Vorgabe, die Facebook sich selbst gegeben hat: die Nutzer wieder stärker dazu zu animieren, mit anderen Mitgliedern zu kommunizieren und möglicherweise sogar alte Facebook-Freundschaften wieder aufleben zu lassen. Und ihre Posts werden deswegen von Facebook bevorzugt ausgespielt.

Einige Beispiele anonymisierter Nutzerkommentare (Screenshot & Montage: OMR)

Doch was bringt die Methode den Seitenbetreibern? Werden auch ihre anderen Posts nach einem solchen Erfolg bevorzugt ausgespielt und erzielen eine höhere Reichweite? „Nachhaltig hat sich für uns nicht so viel geändert“, sagt Nathalie Land von More Marketing, der Agentur des Billstedt Centers. „Unsere Posts sind durch den Algorithmus eine Zeit lang ein bisschen besser bewertet worden, aber der Unterschied war nicht besonders groß.“ Immerhin haben in diesem Fall ebenfalls Post-Inhalt und Seitenthema zusammengepasst, so dass möglicherweise ein Branding-Effekt erzielt worden ist. „Leider können wir nicht messen, wer wegen des Posts möglicherweise ins Einkaufszentrum gekommen ist“, schmunzelt Land.

Wirken sich die Viralhits positiv auf die gesamte Seite aus?

Facebook-Experte Felix Beilharz bezweifelt, dass der Erfolg eines Posts auf andere derselben Seite überhaupt positive Abstrahleffekte hat. „Nein, es gibt laut Facebook keinen post-übergreifenden Algorithmus. Jeder Post wird für sich selbst gewertet. Ein toller Post ‚belohnt‘ daher nicht die nachfolgenden Posts (aber ein schlechter schadet auch nicht). Wer etwas anderes behauptet, ist in der Beweispflicht und bisher habe ich keine überzeugenden Belege gesehen.“

Solche Posts hätten eher andere Vorteile, meint Beilharz: „Reichweite für die Marke, obwohl die Inhalte natürlich oft ‚off brand‘ sind und damit der Marke gar nicht unbedingt nützen, Fangenerierung, Bildung einer Custom Audiene auf Engagement-Basis, et cetera. Wirklich Sinn macht das da natürlich nur für Marken, die sehr breit aufgestellt sind und überhaupt einen Nutzen aus so einer hohen Reichweite ziehen können.“

Engagement Bait oder Meaningful Interactions?

Ob die Methode langfristig funktionieren wird, um mit zumindest einem einzelnen Post große organische Reichweite zu erzielen, ist ungewiss. Bereits im vergangenen Dezember hatte Facebook angekündigt, den so genannten Engagement Bait bekämpfen und abstrafen zu wollen. Die Beispiele, die Facebook dabei aufführte, sind jedoch solche, bei denen die Seitenbetreiber die Nutzer einfach stumpf zu Reaktionen aufforderten, ohne diese in einen sozialen Kontext zu setzen.

Ob die neue Masche von Facebook nun auch als Engagement Bait gewertet werden wird, weiß nur das Netzwerk selbst. Immerhin geben die Seitenbetreiber Facebook genau das, was es möchte: Interaktion der Nutzer untereinander, damit diese im Bestfall wieder enger an Facebook gebunden werden und die Plattform wieder häufiger nutzen. Für die Seitenbetreiber bleibt zudem der Wermutstropfen, dass sie mit dem jüngsten Reichweiten-Trick keinen Traffic für ihre eigene Website erzeugen können und somit keine Möglichkeit haben, die erzielte Reichweite direkt oder indirekt zu monetarisieren.

Wir machen den (nicht ganz ernst gemeinten) Selbsttest

Denkbar ist auch, dass in diesem Fall einmal nicht Facebook der Methode einen Riegel vorschiebt, sondern die Nutzer einfach müde werden, mit der immer selben Art an Posts zu interagieren. Funktioniert die Methode überhaupt zum aktuellen Zeitpunkt noch? Wir probieren es aktuell aus – Ergebnis to be confirmed.

FacebookGrowth Hacking
Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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