Auf diesem Portal schauen Millionen von Teenagern anderen stundenlang live beim Computerspielen zu – und die Gamer verdienen damit Hunderttausende von Dollar

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Inhalt
  1. Die Streaming-Plattform Twitch lockt die junge Zielgruppe immer häufiger vom Fernseher weg
  2. 16 Milliarden abgerufene Minuten Streaming pro Monat
  3. Rocket Beans TV erreicht auf Twitch schon so viele Zuschauer wie im klassischen TV
  4. Zwei US-Dollar eTKP pro Werbe-Spot?
  5. Globale Stars können sechsstellige Beträge im Jahr verdienen
  6. Eigener Broadcaster-Support beschleunigt das Wachstum in Deutschland
  7. Namhafte Konkurrenten bringen sich in Stellung

Die Streaming-Plattform Twitch lockt die junge Zielgruppe immer häufiger vom Fernseher weg

(Foto: ESL, Simon Hariman)

(Foto: ESL, Simon Hariman)

Der US-Streaming-Dienst Twitch, der im vergangenen Jahr für fast eine Milliarde US-Dollar von Amazon übernommen wurde, ist ein skurriles Phänomen: Er bringt Gaming-Stars, von denen einige mit Live-Übertragungen ihrer Spiele ins Internet mehrere Tausend US-Dollar im Monat verdienen, mit 100 Millionen Usern zusammen, von denen jeder im Monat durchschnittlich rund 160 Minuten solcher Videoinhalte anschaut. Wir haben für Euch mit dem ersten deutschen Mitarbeiter des Portals gesprochen, der uns verraten hat, dass Twitch hierzulande monatlich bereits von 13 Millionen Unique Usern besucht wird, und haben uns von einer ehemaligen TV-Produktionsfirma aus Hamburg erzählen lassen, wie sie mit Live-Sendungen bei Twitch künftig 25 Mitarbeiter bezahlen will.

„Es ist der Wahnsinn, was hier in den vergangenen Wochen und Monaten passiert ist“, sagt Arno Heinisch. „Wir sind noch immer geflasht. Plötzlich haben wir einen eigenen Sender, gestalten das 24/7-Programm komplett eigenverantwortlich und toben uns im Nerd-Kosmos und Entertainment-Bereich aus. Das ist irgendwie eine Mischung aus Giga Reloaded und Waynes World.“

Arno Heinisch

Arno Heinisch

Heinisch ist Geschäftsführer von Rocket Beans TV. Das Team des Hamburger Unternehmens produzierte von 2006 bis Ende 2014 insgesamt 307 Folgen der Gaming-Show „GameOne“ für MTV. Die Mischung aus Spieletests, schrägem Humor und der Nähe zur Community im Web kam bei der Zielgruppe an und wurde unter anderem 2011 von der Fangemeinde mit dem Grimme Online Award belohnt. Trotzdem stellte MTV-Betreiber Viacom die Sendung im vergangenen Jahr ein.

Das 25-köpfige Team entschied sich daraufhin zu dem radikalen Schritt, künftig ausschließlich in Eigenauftrag über das Netz zu senden – über das US-Portal Twitch. Auf der Plattform streamt das ehemalige GameOne-Team seit Januar 2015 unter dem neuen Namen Rocket Beans TV (die Namensrechte an GameOne liegen bei Viacom) nun täglich in verschiedenen Formaten vier bis fünf Stunden live. Youtube dient quasi als Mediathek. Im Twitch-Kanal werden abseits der Live-Sendungen Best-Ofs oder Wiederholungen gezeigt.

16 Milliarden abgerufene Minuten Streaming pro Monat

Twitch existiert seit dem Jahr 2011. Entstanden ist das Portal aus der themenunspezifischen Streaming-Plattform Justin.tv. Weil auf dieser alle Inhalte rund um Gaming am erfolgreichsten waren, brachten die vier Gründer für diesen Themenbereich mit Twitch ein spezialisiertes Portal online. Justin.tv ist seit dem vergangenen Jahr offline; Twitch ist heute ein Teil von Amazon und größer und erfolgreicher als es die Mutterplattform je gewesen ist. Bei vielen der Streams auf Twitch übertragen Gamer beim Spielen einfach den Inhalt ihres Bildschirms live ins Netz – nicht selten ohne eine zusätzliche Kamera. Mit dem Fokus auf eine loyale und digital äußerst aktive Zielgruppe hat die Plattform nach und nach eine massive Reichweite angehäuft. Gerüchten zufolge liegt Twitch in den USA unter allen Websites, die die meiste Bandbreite verbrauchen, auf dem vierten Platz. Jeden Monat werden von den Twitch-Besuchern beeindruckende 16 Milliarden Minuten Video angesehen, heißt es in einem Rückblick des Unternehmens auf das Jahr 2014.

Simon Koschel

Simon Koschel

Wir haben unsere Nutzerzahlen innerhalb des vergangenen Jahres mehr als verdoppelt“, sagt Simon Koschel. Er ist als German Partnerships Associate für Twitch von London aus tätig und damit der erste deutsche Mitarbeiter des Portals. „In Deutschland haben wir mittlerweile über 13 Millionen Unique User. Auf globaler Ebene haben wir Anfang dieses Jahres die Zahl von 100 Millionen Unique Usern geknackt“, so Koschel. Nicht selten wird Twitch dabei über mobile Endgeräte genutzt – 21 Millionen Mal seien die Twitch-Apps (iOS und Android) bislang heruntergeladen geworden. Rund 1,5 Millionen „Broadcaster“ – so der offizielle Twitch-Terminus für Streamer – sorgen für die Inhalte.

Rocket Beans TV erreicht auf Twitch schon so viele Zuschauer wie im klassischen TV

Rocket Beans TV ist einer davon. Mit dem eigenen Twitch-Kanal setzt das Unternehmen auf der Reichweite der Gaming-Plattform auf. Die Zuschauerzahlen, die die Hamburger dort verzeichnen, können sich bereits durchaus mit denen der GameOne-Sendungen im klassischen TV messen lassen: Während bei MTV je nach Wochentag zwischen 20.000 und 80.000 Zuschauer gleichzeitig eingeschaltet haben, sind es auf Twitch zu Spitzenzeiten 50.000 Zuschauer. Insgesamt verzeichnen die „Bohnen“ mit ihrem Twitch-Kanal bislang mehr als 14,5 Millionen Total Views sowie nach eigenen Angaben pro Tag mehr als 200.000 Unique Visitors und eine durchschnittliche Verweildauer der Zuschauer von über zwei Stunden.

Eine Sendung von Rocket Beans TV bei Twitch – rechts der Chat, in dem sich die Zuschauer und zum Teil auch die Kanalbetreiber miteinander austauschen

Eine Sendung von Rocket Beans TV bei Twitch – rechts der Chat, in dem sich die Zuschauer und zum Teil auch die Kanalbetreiber miteinander austauschen

Das sind beachtliche Zahlen – aber lässt sich diese Reichweite so monetarisieren, dass die daraus entstehenden Einnahmen ein Unternehmen mit 25 Mitarbeitern finanzieren können? „Das ist auf jeden Fall keine finanzielle Harakiri-Aktion“, versichert Arno Harnisch. „Wir haben verschiedene Umsatz-Säulen, mit denen wir in der Summe gut klar kommen.“

Zwei US-Dollar eTKP pro Werbe-Spot?

Twitch selbst bietet den Broadcastern mehrere Einnahmemöglichkeiten. Die Bedingungen: Der Nutzer muss mindestens dreimal in der Woche streamen und ihm müssen durchschnittlich 500 Zuschauer folgen. Erfüllt der Broadcaster diese Voraussetzungen, kann er Twitch-Partner werden und in seinem Kanal Werbung ausspielen lassen. Die daraus entstehenden Einnahmen teilen sich Twitch und der Kanalbetreiber. Zur prozentualen Verteilung will Twitch keine Angaben machen. In Gaming-Foren ist zu lesen, dass die Aufteilung 50/50 sein soll und die Kanalbetreiber mit Einnahmen von bis zu zwei US-Dollar pro Spot und Tausend Werbekontakte rechnen können.

Zweite Einnahmequelle sind „Subscriptions“: Die Twitch-Zuschauer, die häufig in einer Fan-Beziehung zu den Gamern stehen, können einen Kanal für knapp fünf US-Dollar pro Monat abonnieren. Die Kanalbetreiber können die Subscription-Einnahmen entweder ohne Gegenleistung als Spende verbuchen, oder bei Bedarf ihren zahlenden Fans dafür exklusive Features bieten – etwa spezielle Emoticons, Zugang zu speziellen Streams, oder die Möglichkeit, mit ihnen oder gegen sie zu spielen.

Viele Twitch-Kanalbetreiber nutzen zusätzliche Einnahmequellen wie einen eigenen Shop und Affiliate-Links – hier ein Screenshot aus dem Kanal von TakeTV

Viele Twitch-Kanalbetreiber nutzen zusätzliche Einnahmequellen wie einen eigenen Shop und Affiliate-Links – hier ein Screenshot aus dem Kanal von TakeTV

Auch Rocket Beans TV verdient an Subscriptions, ebenso wie an Werbung bei Twitch und Youtube. Hinzu kommen weitere Einnahmequellen: „Es gibt unglaublich viel Support aus der Community, teils auch mit direkten kleinen Spenden“, sagt Heinisch. „Dazu kommen Affiliate-Links, die man nicht unterschätzen sollte, und Merchandising.“ In Zukunft will Rocket Beans außerdem verstärkt auf Branded Content setzen. Kooperationen mit Vodafone und Microsoft habe es schon gegeben, weitere sollen folgen.

Dazu, ob das Unternehmen mit seinen Aktivitäten im Netz bereits Gewinn erwirtschaftet, möchte sich Heinisch nicht äußern. Offenbar sieht sein Unternehmen zumindest das entsprechende Potenzial dafür, denn vor zwei Tagen hat Rocket Beans TV bekannt geben, dass die ursprünglich als Experiment gestartete Online-Offensive weitergeführt werden soll – und die Firma sogar weitere Mitarbeiter einstellen will.

Globale Stars können sechsstellige Beträge im Jahr verdienen

Auf internationaler Ebene sollen einzelne Gaming-Stars diversen Medienberichten zufolge mit Streaming schon mehrere Tausend US-Dollar pro Monat verdienen. Der US-Amerikaner Jeffrey Shih, der sich in der Szene unter dem Namen „TrumpSC“ als Spieler von „Hearthstone: Heroes of Warcraft“ einen Namen gemacht hat, erklärte bereits 2014 gegenüber dem Forbes Magazine, dass die Crème de la Crème der Star-Gamer leicht 100.000 US-Dollar im Jahr alleine mit Streaming verdiene. Hinzu kämen Einnahmen aus Sponsoring und von Youtube, durch die die Einnahmesumme noch einmal verdreifacht werden könne.

Der Starkult rund um Gamer und die finanzielle Entwicklung der Branche wird auch von der „E-Sports“-Bewegung mit angetrieben. Im E-Sport werden Wettbewerbe unter Computerspielern durchgeführt, häufig in Teams. Wie bei anderen Sportarten haben sich auch im E-Sport eigene Stars etabliert. Bei großen Turniersiegen erhalten sie nicht selten Preisgelder in sechs- bis siebenstelliger Höhe. Die Fans können die Events entweder direkt in den Locations (darunter auch große Stadien) verfolgen, oder sich die Wettkämpfe online im Stream anschauen. Das im Jahr 2000 gegründete Kölner Unternehmen Turtle Entertainment betreibt beispielsweise auf die Electronic Sports League (ESL), hat unter diesem Titel schon Turniere in Europa, Asien sowie Nordamerika veranstaltet und streamt schon seit dem Start von Twitch Wettkämpfe auf der Plattform. Die ESL konnte so ihre Reichweiten teilweise deutlich erhöhen.

Eine Impression von der ESL in Katowice, Polen, aus dem März 2015 (Foto: ESL, Patrick Strack)

Eine Impression von der ESL in Katowice, Polen, aus dem März 2015 (Foto: )

„E-Sports ist ein Teil unserer DNA, von da kommen wir“, so Twitch-Mitarbeiter Simon Koschel, der früher selbst als Kommentator in der Szene aktiv war. Streaming ist für viele der E-Sport-Stars zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden: „Jedes E-Sports-Team und -Event kann von Streaming profitieren. Wir haben viel Profitabilität in den Markt gebracht“, sagt Koschel. „Die Spieler können bei uns eine eigene Marke aufbauen, mit ihrer Fanbase kommunizieren und nicht zuletzt auch Revenue generieren.“

Eigener Broadcaster-Support beschleunigt das Wachstum in Deutschland

Für die deutschen Gaming-Promis steht Koschel als German Partnership Associate als Ansprechpartner bereit. „Für viele unserer Partner war ein deutscher Support ein wichtiges Einstiegskriterium – das hat unsere Entwicklung auf jeden Fall beschleunigt“, so der Mittzwanziger. Ab und an schreibt der Partner Manager auch bekannte Gamer an und fragt sie, ob sie nicht über Twitch streamen wollen.

Simon Unge

Simon Unge

Große bekannte Lets Player von Youtube wie Unge und PietSmiet sind mittlerweile auch auf Amazons Streaming-Plattform aktiv. „Twitch ist innerhalb der zurückliegenden zwölf Monate bei vielen Leuten in Deutschland sehr stark in den Focus gerückt. Immer mehr Gamer haben das Portal für sich entdeckt und betreiben eigene Kanäle“, so Simon Unge gegenüber Online Marketing Rockstars. Unge verzeichnet mit seinem Kanal fast 350.000 Follower und zu Spitzenzeiten 40.000 Zuschauer. Der Youtube-Promi, der unlängst durch seine öffentliche Lossagung von seinem Netzwerk Mediakraft groß in der Presse war, schätzt an Twitch am meisten den Dialog in Echtzeit: „Der größte Pluspunkt von Twitch ist für mich die Möglichkeit, während des Streams live mit den Zuschauern zu interagieren.“

Ein von OnlineMarketingRockstars auf Basis von Mount Pixel erstelltes Ranking deutscher Twitch-Kanäle

Ein von OnlineMarketingRockstars auf Basis von Mount Pixel erstelltes Ranking deutscher Twitch-Kanäle

Zuletzt hat sich Twitch über das Gaming hinaus auch für angrenzende popkulturelle Themen geöffnet – Musik (vor allem DJ-Sets), Film und sogar die Übertragung von Pokerspielen. Hier dürfte zusätzliches Wachstumspotenzial liegen – gleichzeitig wirken die Betreiber der Plattform darauf bedacht, das Image und die Identität gegenüber ihrer Community nicht zu unscharf werden zu lassen.

Namhafte Konkurrenten bringen sich in Stellung

Bei weiteren Wachstumsplänen in die Hände spielen dürfte ihnen der aktuelle allgemeine Hype um das Thema Streaming, in den USA derzeit angefacht von heiß diskutierten Apps wie Meerkat und das zu Twitter gehörende Periscope sowie in Deutschland von dem Portal Younow. Zudem haben andere Marktteilnehmer offenbar das Potenzial von Gaming-Streams erkannt: So sollen die in der Gaming-Branche äußerst relevante Software-Plattform Valve, das französische Video-Portal Dailymotion und gerüchteweise auch Youtube an eigenen Angeboten arbeiten.

Twitch ist es nach eigener Darstellung bereits gelungen, so genannte „Cordcutter“ an sich zu binden. Der Begriff spielt der mit der Doppeldeutigkeit des Wortes „Cord“, das sowohl Kabel, als auch Nabelschnur bedeuten kann. Als „Cordcutter“ werden in den USA junge Verbraucher bezeichnet, die sich vom Kabelfernsehen und anderen kostenpflichtigen Angeboten losgesagt haben und ins Internet abgewandert sind. „Unsere Zuschauer sagen uns häufig, dass sie das Fernsehen durch Twitch ersetzt haben“, sagte Twitch-Mitgründer Emmett Shear vor wenigen Wochen im Rahmen einer Konferenz in London. „Twitch bietet eine sehr ähnliche Erfahrung wie das klassische Fernsehen. Auf anderen Videoportalen im Netz bleiben die Nutzer häufig nur fünf Minuten. Wenn sie auf Twitch sind, setzen sie sich hin und schauen mehrere Stunden lang zu.“

GamingTwitch
RE&TL
Autor*In
Roland Eisenbrand & Torben Lux
Alle Artikel von Roland Eisenbrand & Torben Lux

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