Tradition als Verkaufsargument: Wie Firmen ihre Marke mit erfundener Historie aufladen
Egal ob Uhren, Hotels oder Elektrogeräte – oft ist die vermeintliche Tradition eher ein Kunstprodukt
- AEG, Grundig, Blaupunkt – Technik made in Germany?
- Luxusuhren mit „langer“ Tradition
- Ein Hotel mit historischem Charme
„Wir betreiben dieses Geschäft seit Jahrzehnten, haben uns über einen langen Zeitraum am Markt behaupten können und kennen uns dementsprechend gut mit unseren Produkten raus“ – so lautet vielleicht das implizite Werteversprechen von Firmen und Marken, die im Marketing besonders mit ihrer traditionsreichen Geschichte zu punkten versuchen. Ein Blick in den Markt zeigt jedoch, dass es manchmal mit der vermeintlichen Tradition gar nicht so weit her ist und manche Marken diese eher „simulieren“. OMR zeigt einige Beispiele.
Traditionsclubs haben es in der Fußball-Bundesliga in den vergangenen Jahren nicht leicht gehabt. Schalke 04 – abgestiegen. Hamburger SV – bleibt vermutlich zweitklassig. Hannover 96 oder der 1. FC Kaiserslautern – nur noch Mittelmaß in der 2. Bundesliga. Etabliert hat sich hingegen ein Verein, dessen Name auch auf eine lange Tradition hindeutet, der zumindest in der höchsten Spielklasse Deutschlands mit dem Verweis auf Tradition eher wie ein Aufschneider wirkt: die TSG 1899 Hoffenheim. Denn die Profifußball-Abteilung wurde erst wenige Jahre vor dem 2008 abgeschlossenen Durchmarsch in die Bundesliga als eigene GmbH ausgegründet, nachdem SAP-Gründer Dietmar Hopp Millionen in das Projekt investiert hatte. In den Augen vieler Fans wirkt die Tradition, auf die sich der Club in seinem Namen beruft, daher eher künstlich.
Noch viel ausgeprägter ist dieses Phänomen im Konsumgüterbereich. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, um eine Marke interessant zu machen. Man kann mit Maskottchen oder Prominenten arbeiten, wie etwa Schauspieler George Clooney in der Nespresso-Werbung. Oder man kann als Marke auf die vermeintliche eigene Tradition verweisen, um die angebliche eigene Wertigkeit zu unterstreichen. Für unsere alljährliche Keynote „State of the German Internet“ haben wir uns diese Strategie intensiver angeschaut, auch wenn das Kapitel es aus Platzgründen am Ende nicht in die finale Präsentation auf dem OMR Festival geschafft hat (hier könnt Ihr die Keynote anschauen).
AEG, Grundig, Blaupunkt – Technik made in Germany?
Zu beobachten ist das beispielsweise im Heimelektro-Bereich. Hier gibt es Marken wie Grundig, Telefunken, Blaupunkt oder AEG. Es sind Namen, die an die Zeit des Wirtschaftswunders erinnern, an Technik made in Germany. Schaut man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass keine dieser Marken heute noch in dieser Form existiert. Grundig? Wurde bereits 2004 vom Konkurrenten Beko übernommen. Auch bei Telefunken, AEG und Blaupunkt erinnert nur noch der Name an die Zeit, als Elektrogeräte noch in Deutschland hergestellt wurden. Von allen drei Marken ist inzwischen nur noch die Lizenz übrig, die schon mehr (AEG, 1996) oder weniger (Blaupunkt, 2016) lang von anderen Herstellern genutzt werden, um die eigenen Produkte aufzuwerten.
Noch krasser sind Fälle aus dem Uhrenbereich. Speziell im Luxusuhren-Bereich haben viele Marken eine lange Tradition und betonen diese auch gerne bei der Kundenansprache. Oft haben die Manufakturen und Betriebe sogar ganze Regionen geprägt, etwa im sächsischen Glashütte oder in Teilen der Schweiz. Und natürlich sollen die Marken genauso beständig sein wie die (Vorsicht, Werbebotschaft!) Chronographen, die von Uhrmacher-Meistern in mühevoller Handarbeit Stück für Stück zusammengesetzt werden.
Luxusuhren mit „langer“ Tradition
Interessant ist jedoch, dass sich auch im günstigeren Preissegment immer wieder Marken finden lassen, die nach langer Tradition und Meisterkunst klingen. Markennamen wie Constantin Durmont oder Raoul U. Braun klingen, als wären sie Jahrzehnte alt. Und in der Tat verweist beispielsweise die Marke Raoul U. Braun auf ihrer Internetseite auch auf eine vermeintlich lange Tradition. Die Marke sei inspiriert durch eine Familientradition, die bis ins 18. Jahrhundert im Odenwald zurückreicht, heißt es. Die Marke Raoul U. Braun wolle dieses kulturelle Erbe wieder auferstehen lassen.
Worum es genau geht, erfährt man als Konsument zwar nicht. Aber das macht vermutlich auch nichts. Denn in vielen Köpfen dürften bereits Bilder entstehen von einem kleinen Dörfchen im Odenwald, die Straßen aus Kopfsteinpflaster, in der Mitte des Ortes ein Kirchplatz mit Brunnen und irgendwo in einem Gässchen sitzt dann der Uhrmacher und werkelt an einem Chronographen, dessen Wertigkeit so hoch ist, dass er seinen Meister überleben soll. Und natürlich stellt sich da die Frage: Sollte man da nicht zuschlagen, wenn eine Raoul U. Braun bei einem Teleshopping-Sender im Angebot ist?
Ein Hotel mit historischem Charme
Nun ja, weder die Marke Constantin Durmont noch Raoul U. Braun kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Denn diese und viele andere Uhrenmarken, die im Netz oder bei Teleshopping-Sendern verkauft werden, wurden erst nach 2005 gegründet. Und die Marke Raoul U. Braun hat auch wenig mit einem malerischen Odenwald-Städtchen zu tun. Stattdessen gehört sie zur BonMercato GmbH, die in einem schmucklosen Gewerbegebiet in München residiert – und deren Geschäftsführer Raoul U. Braun ist. Das U steht übrigens für Uwe.
Doch Tradition wirkt. Das zeigt auch ein Beispiel aus Hamburg. Hier gibt es das Hotel Fraser Suits. Das 5-Sterne-Luxushotel hat knapp 150 Zimmer und liegt verkehrsgünstig und sehr zentral. Auf seiner Internetseite wirbt das Hotel mit seinem „historischen Charme“ in dem „denkmalgeschützten Gebäude aus der Zeit um 1900“. Allerdings: Eröffnet wurde das Hotel erst 2019. Auch hier wird also wieder mit Kategorien wie Geschichte und Tradition gespielt, um das Gefühl einer Wertigkeit zu unterstreichen.
Die Beispiele zeigen, wie groß die Spannbreite ist bei diesem Thema. Aus Markensicht macht es natürlich auch Sinn, sich auf ein Fundament verweisen zu können, eine gewisse Historie aufweisen zu können. Das sorgt für Vertrauen und steht natürlich auch für eine Form von Qualität, frei nach dem Philosophen Jean Jaures: „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers“.
Recherche: Martin Gardt