E-Commerce-Offensive: Deshalb zieht es Tiktok jetzt nach Seattle zu Amazon und Microsoft

Für die gerade gelaunchte Shop-Funktion ist die Video-App jetzt auf Jagd nach Talenten

Inhalt
  1. Tiktok will mit Amazon konkurrieren – und zeigt Flagge in der Nachbarschaft
  2. Nähern sich Tiktok und die USA wieder an?
  3. "Was macht Amazon?"
  4. Ein "Präsentkorb" zum Umzug

Tiktoks Ambitionen, im E-Commerce langfristig Fuß zu fassen, nehmen Form an. Vor wenigen Tagen launchte die Video-App mit "Tiktok Shops" in den USA nach längerer Test-Phase eine In-App-Shopping-Funktion. User können jetzt direkt aus Videos und Livestreams einkaufen – erfolgreich waren bisher mitunter recht kuriose Produkte. Außerdem zieht es den Konzern nun ins E-Commerce- und Tech-Zentrum Seattle – auch, um sich bei erfahrenen Mitarbeitenden von Amazon und Microsoft zu positionieren.

Tiktok will mit Amazon konkurrieren – und zeigt Flagge in der Nachbarschaft

Die Video-App setzt für seine aggressive Expansion ins Shopping-Business auf den Großraum Seattle, wie das Unternehmen bestätigt. Dafür bietet Tiktok bestehenden Mitarbeitenden aus Büros wie Los Angeles und New York Umzugspakete im Wert von zehntausenden US-Dollar an, so drei Insider. Alle neu im E-Commerce-Bereich in den USA angestellten Personen müssten demnach direkt dort beginnen und hinziehen. Führungskräfte wie Bob Kang, E-Commerce-Chef bei Tiktok-Mutter Bytedace, hatte zuletzt bereits viel Zeit im Großraum Seattle verbracht.

Die Entscheidung für Seattle fällt zeitlich mit dem Ende des Homeoffices zusammen. Die Rückkehr ins Büro hatte Tiktoks Kapazitäten in den USA zuletzt strapaziert. Von der Mehrheit der Mitarbeitenden – im März waren es in den USA rund 7.000 – werden drei Tage Anwesenheit im Büro erwartet. Das Shop-Team allerdings soll volle fünf Tage vor Ort im Office sein. Für die Führungskräfte sei das gerade beim Aufbau neuer Produkte und Geschäftszweige entscheidend, so die Insider. Bis Tiktok seine Bürofläche in Seattle vergrößert hat, sei man allerdings noch ein wenig entspannter.

Nähern sich Tiktok und die USA wieder an?

Tiktoks Seattle-Pläne waren bisher öffentlich noch kein Thema – und unterstreichen die ambitionierten Pläne der Bytedance-Tochter in Sachen Online-Shopping. Das enorme Wachstum der App der vergangenen drei Jahre hatte dafür gesorgt, dass ein immer größerer Teil der digitalen Werbebudgets bei Tiktok landen. Jetzt will das Führungsteam rund um CEO Shou Zo Chew für ein ähnliches Wachstum im E-Commerce sorgen. Das Ziel: bis 2028 einen Außenumsatz von 200 Milliarden US-Dollar generiert, von dem mehrere zehn Milliarden US-Dollar Umsatz bei Tiktok bleiben sollen.

"Das Ziel ist, wirklich zu versuchen, ein Team in Seattle aufzubauen", sagt Marni Levine, die erst im vergangenen Monat von Meta zu Tiktok gewechselt war, um die Akquise von kleinen und mittleren Händlern zu verantworten. Auch Levine ist für diesen Job bereits nach Seattle gezogen. Passendes Personal und Tech-Unternehmen würden die Region so attraktiv für Tiktok machen, so Levine weiter.

Den Schritt nach Seattle könnte man auch als wachsendes Selbstvertrauen interpretieren, dass ein Verbot der App in den USA nicht mehr die einzige Option für die Behörden ist. Tiktok hatte erst kürzlich bestätigt, dass die Gespräche mit dem "Committee on Foreign Investment in the United States" fortgeführt wurden.

"Was macht Amazon?"

Vor diesem Hintergrund hatte sich Tiktoks Führungsriege darauf konzentriert, die vor wenigen Tagen offiziell gestartete Shopping-Funktion schnell voranzutreiben. Und dazu soll auch gehört haben, ganz genau hinzuschauen, was E-Commerce-Riese Amazon macht. Bob Kang hatte Mitarbeitende bereits Anfang des Jahres darauf angesetzt, Amazon-Händler abzuwerben, die auf der Plattform bekannte Marken verkaufen. Außerdem analysiert Tiktok Amazons Listen der meistverkauften Produkte und spricht gezielt die entsprechenden Händler an.

Anfang August hatte Tiktok mit Nicolas Le Bourgeois bereits Amazons ehemaligen Director US Marketplace angeheuert. Le Bourgeois ist seitdem Head of Key Accounts des E-Commerce-Geschäfts in den USA. Insgesamt haben laut Linkedin-Daten alleine im vergangenen Jahr rund 400 ehemalige Amazon-Mitarbeitende zu Tiktok gewechselt. Allerdings auch in andere Bereiche, als E-Commerce.

Die Zahl der Neueinstellungen im E-Commerce dürften bei Tiktok in diesem Jahr noch massiv wachsen; der Shopping-Bereich rechnet für dieses Jahr mit 500 Millionen Euro Verlust. Laut den öffentlichen Stellenausschreibungen des Konzerns sind aktuell etwa 350 Commerce-Jobs in Seattle zu besetzen. Die Einstellungsziele für Tiktok Shop seien laut der Insider in den vergangenen Monaten imm wieder nach oben angepasst worden.

Ein "Präsentkorb" zum Umzug

Ein neues Headquarter in Seattle dürfte die Besetzung der Commerce-Stellen erleichtern, indem Tiktok gezielt bei Amazon oder Microsoft rekrutiert. "Direkt vor Ort zu sein hilft auf jeden Fall, Leute von Amazon einzustellen", sagt Brittain Ladd, ein Berater aus Seattle. "Und die Leute, die in Seattle arbeiten, sprechen natürlich miteinander. Für Tiktok wird es so noch einfach sein, zu lernen: ‚ Was macht Amazon?‘".

Die Umzugspakete für bestehende Mitarbeitende von Tiktok beinhalten ein Wohnstipendium, monatliche Flüge zurück in die Heimatstadt und einen zusätzlichen Bonus, wenn man bis zum Herbst kommenden Jahres bleibt, so die drei Insider.

Mitarbeitende des bereits bestehenden Tiktok-Büros in Seattle auf der anderen Seite des Lake Washington müssten laut einem Insider derzeit nur zwei Tage der Woche im Büro anwesend sein – auf Grund von Platzmangel. Deshalb plane Tiktok jetzt auch die Eröffnung eines neuen Standorts.

Dieser Artikel stammt im Original von Erin Woo und erschien zuerst bei The Information. Er wurde von uns im Rahmen einer Kooperation übersetzt.

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