Tiktok Creative Center: Mit diesem Tool lüftet Tiktok den Schleier über interne Daten
So will die Plattform mehr Unternehmen den Einstieg erleichtern
- Mehr als eine Dreiviertelstunde Tiktok am Tag?
- Eine Liste mit den Songs, die gerade durch die Decke gehen
- Influencer Marketing wegen Urheberrechtsproblematik?
- Lässt sich auf Tiktok direkt verkaufen?
- Kredite, Zahnschienen, Mittel gegen ADHS und Verdauungsprobleme
Wie kann ich auf Tiktok organisch Reichweite generieren und/oder wie kann ich dort mit bezahlter Werbung günstiger als auf anderen Plattformen Traffic einkaufen? Diese Fragen stellen sich aktuell angesichts des konstanten Wachstums von Tikok wohl viele Unternehmen. Tiktok selbst versucht immer stärker, Werbetreibende durch die Bereitstellung von Tools und Daten auf die eigene Plattform zu locken. Besonders umfangreich ist das „Creative Center“. Wir haben uns darin u.a. angesehen, welche Ads für welche Produkte bei Tiktok aktuell offenbar besonders gut performen – und was das über die Plattform aussagt.
„Verknüpft Euch mit Millionen von Fans und skaliert Euer Unternehmen!“, verheißt eine Pressemitteilung von Tiktok aus dem Oktober 2020. Damals hatte die Plattform den „Business Account“ eingeführt, also Unternehmensprofile, analog zu den Business Accounts auf anderen Social-Plattformen wie Facebook. Firmen, die einen Tiktok Business Account nutzen, erhalten zum einen Zugriff auf zusätzliche Daten, wie Echtzeit-Reports und demographische Informationen über die Abonnent:innen ihres Accounts, zum anderen können sie ihrem Profil einen Link zu ihrer Website hinzufügen.
Mehr als eine Dreiviertelstunde Tiktok am Tag?
Seitdem versucht Tiktok, immer mehr Unternehmen dazu zu bewegen, einen Account einzurichten und Content auf der Plattform einzustellen (am besten natürlich speziell für Tiktok produziert, da er so am besten performt). Das gewichtigste Argument dürfte dabei das enorme Wachstum von Tiktok sein – sowohl bei der Zahl der monatlich aktiven Nutzer:innen (im September 2021 vermeldete das Unternehmen eine Milliarde User weltweit), als auch bei der Nutzungsdauer. Nach einer Erhebung von Data.ai verbringen Tiktok-Nutzer:innen im Durchschnitt 19,5 Stunden pro Monat auf der Plattform. In den USA sollen es sogar knapp 26 Stunden sein und damit mehr, als die User auf Facebook oder Instagram verbringen. Die Marktforscher von Emarketer rechnen damit, dass Tiktok in den USA in diesem Jahr auch Youtube in puncto „Gesamt-Watchtime“ überholt.
Um es für Firmen noch verlockender zu machen, auf Tiktok aktiv zu werden, hat die Plattform nach der Einführung der Business Accounts das Portfolio an Tools und Daten für Unternehmen beständig ausgebaut. Im April 2021 startete das „Business Creative Hub“; ein spezieller, nur für Business Accounts zugänglicher Bereich in der Tiktok-App. Dort finden Marketingmacher:innen zum einen den „Content Guide“ für Unternehmen (auch über den Browser abrufbar), in dem Tiktok erklärt, wie Unternehmen Ideen für Inhalte entwickeln können, die zu ihnen und zu Tiktok passen. Zum anderen sind dort aktuell Videos von Business Accounts aus der Region der jeweiligen Firma abrufbar, die organisch viele Likes und/oder Kommentare erhalten haben. In den vergangenen Tagen hat beispielsweise ein humoristisches Kurzvideo der Dating-App Lovoo auf Tiktok mehr als eine halbe Million Likes und mehr als fünf Millionen Views angesammelt.
Eine Liste mit den Songs, die gerade durch die Decke gehen
Im Dezember des vergangenen Jahres hat Tiktok nun das (auch vom Desktop aus voll nutzbare) „Creative Center“ für Marken und Unternehmen ins Netz gebracht. Das hält gleich mehrere Tools bereit, die den Unternehmen dabei helfen sollen, Tiktok besser zu verstehen und herauszufinden, welche Inhalte, Creator und Ads dort gerade erfolgreich sind. Für ersteres soll das „Trend Discovery“-Tool dienen. Dieses weist jeweils aus, welche Hashtags, Songs und Creator aktuell in den einzelnen Ländern auf Tiktok angesagt bzw. erfolgreich sind. Darüber hinaus können Nutzer:innen auch gerade trendende Videos abrufen. Je nach Datenpunkt sind Auswertungen zu unterschiedlichen Zeiträumen abrufbar, von täglich, über sieben und 30 bis zu 120 Tagen.
Besonders trendende Hashtags und Songs dürften für Unternehmen spannend sein. Denn Firmen, denen es gelingt, (im Idealfall frühzeitig) zu diesen eigene Videos zu produzieren, können erfolgreich auf der Aufmerksamkeitswelle mitschwimmen und hohe Reichweite generieren. Das Problem: Business Accounts haben aus urheberrechtlichen Gründen nicht auf alle Sounds Zugriff; es sei denn sie laden eigentlich urheberrechtlich geschützte Sounds illegalerweise selbst hoch (was offenbar nicht immer von Tiktok erkannt wird).
Influencer Marketing wegen Urheberrechtsproblematik?
Aus Sicht der Musiker:innen und Urheber ist diese Beschränkung durchaus nachvollziehbar: Wenn Unternehmen mit Hits und den Songs großer Stars Werbung machen wollen, müssen sie dafür normalerweise viel Geld bezahlen. Um Unternehmen den Einstieg auf Tiktok zu erleichtern, bietet Tiktok deswegen ein weiteres Tool an: eine „Audio Library“. Die wartet mit Songs und Audio-Schnipseln auf, die für die Verwendung von Unternehmen freigegeben sind. Um die herum entstehen aber natürlich keine „Audio Memes“. Entsprechend haben sie kein Viralpotenzial.
Ein Umweg (und eine mögliche Grauzone), um virale Songs bei Tiktok doch für Marketingzwecke nutzen zu können, kann zum einen eine „Personal Brand“ sein (so gibt es auf Tiktok bereits Accounts von einem Bestatter, einer Psychologin und einem Versicherungsmakler), zum anderen Werbe-Placements bei Creator. Für letzteres bietet Tiktok ebenfalls mehrere Tools: Im „Trends Discovery“-Tool könnt Ihr Euch die Creator mit den meisten Followern in Eurer Region anzeigen lassen; auf dem im September 2021 offiziell gestarteten Creator Marketplace könnt Ihr sogar Creator nach Themen suchen und bei diesen direkt eine Anfrage zu einer möglichen Werbekooperation stellen.
Lässt sich auf Tiktok direkt verkaufen?
Um mit Unternehmens-Accounts auf Tiktok wirklich durchschlagend und verlässlich erfolgreich zu sein, müssen Firmen offensichtlich jedoch Geld für Werbeanzeigen in die Hand nehmen. Darauf lassen zumindest die monatlich von Infludata für OMR erhobenen Tiktok Charts schließen. Dort sind in der Regel in den Top 20 der Firmen-Accounts mit den meisten Views im Median fast ausschließlich solche zu finden, die Werbung schalten.
Entsprechend interessant dürfte für Marketingmacher:innen das „Top Ads Dashboard“ in Tiktoks Creative Center sein. Denn dort können sie sich Ads anschauen, die auf der Plattform gut funktionieren. Dabei gibt es die Möglichkeit, nach Land, Branchen und Kampagnenzielen wie „Views“, „Reach“ oder „Conversions“ zu sortieren. Wir haben uns mal angesehen, welche Ads für welche Produkte auf Tiktok weltweit und in Deutschland gut konvertieren – schließlich lautete das erste Fazit von diversen Social-Advertising-Expert:innen zu Werbung auf Tiktok häufig: Die Reichweite ist hoch und günstig, aber Sales über Tiktok zu generieren, ist noch vergleichsweise schwer.
Kredite, Zahnschienen, Mittel gegen ADHS und Verdauungsprobleme
Welches Bild zeigt sich also dabei? Unter den Ads, die auf Tiktok besonders häufig konvertieren, finden sich diverse, die sich um das Thema Geld drehen. Auf Platz eins global liegt ein Video eines Anbieters von Sofortkrediten bis zu 50.000 US-Dollar. Dazu kommt auf Platz fünf ein Kreditkartenanbieter, für den der „Credit Score“ angeblich keine Rolle spielt. Die in den vergangenen 30 Tagen am zweitbesten performende Tiktok Ad stammt vom Steuererklärungs-Startup Expresssteuer (hier unser Porträt aus dem Januar). Ein weiterer Themenbereich, in dem Tiktok-Werbung augenscheinlich zu funktionieren scheint, ist der von Schönheit und Gesundheit: Kosmetik, Hautpflege, „ästhetische Medizin“ (wie Zahnschienen, die angeblich Fehlstellungen korrigieren) und Mental-Health-Produkte scheinen auf Tiktok gut zu funktionieren.
Neben diesen Produkten und Branchen, deren Sinnhaftigkeit man sicher teilweise in Frage stellen kann, gibt es jedoch bereits große Marken, die auf Tiktok Ads schalten: Von Tommy Hilfiger über Prada bis zu Ray Ban. Diese können es sich offensichtlich leisten, werblichere Creatives zu verwenden. Viele Startups und weniger bekannte Marken gehen jedoch einen anderen Weg. Ihre Videos sehen nicht aus wie Werbe-Clips, sondern also ob sie von ganz normalen Nutzer:innen gefilmt worden sein, die einfach ihren Followern ein Produkt vorführen wollen. Damit fügen sich die Spots besser in den regulären Content auf der Plattform und bringen die Nutzer:innen offenbar weniger dazu, gleich zum nächsten Clip zu wischen. Und nicht zuletzt setzen diese Advertiser die wichtigste Prämisse von Tiktok für Unternehmen um: „Make Tiktoks, not ads“ – und bezahlt uns für deren Distribution, so der ungeschriebene Zusatz.