Sassyclassy: Wieso dieses Modelabel jetzt in Eurem Insta-Feed auftaucht

Florian Heide18.11.2021

Mittels Datenanalyse skalieren sie ihr Business um 300 Prozent - jetzt gründen sie eine Agentur

Die Gründer vom Modelabel Sassy Classy: Boaz, Denys & Roxana Lichtenstein.
Die Gründer vom Modelabel Sassy Classy: Boaz, Denys & Roxana Lichtenstein.
Inhalt
  1. Kernstrategie: Daten, Daten, Daten
  2. „Ich wurde von den Leuten trainiert, die den Algorithmus geschrieben haben“
  3. 2,2 Millionen Euro für Influencer
  4. Nach zehn Tagen ist das neue Kleid im Shop
  5. Vom Datennerd zur Datenagentur

Wer sich ein wenig in seinem weiblichen Freundeskreis umhört, welche Social Ads ihnen gerade auf Facebook und Instagram ausgespielt werden, der wird um Sassyclassy nicht herumkommen. 2014 gründen die drei Geschwister Boaz, Denys und Roxana Lichtenstein das Münchner E-Commerce-Modelabel, in diesem Jahr macht es voraussichtlich 28 Millionen Euro Umsatz und taucht dank ausgefeilter Paid-Ads-Strategie auf Instagram massenhaft in den Feeds der Nutzer:innen auf. Jetzt wollen die Gründer:innen mit einer Agentur anderen Unternehmen helfen, dasselbe zu tun.

„Wir lieben Zahlen. Sie sind unser Navigationssystem und darauf vertrauen wir“, sagt Denys Lichtenstein gegenüber OMR. Er, seine Schwester Roxana und der große Bruder Boaz Lichtenstein sind die Gründer von Sassyclassy. Sie starten das Münchner Modelabel im Jahr 2014, da ist Roxana gerade 18 Jahre alt, die anderen beiden sind in ihren frühen Zwanzigern. Sie stammen aus einer Modefamilie in dritter Generation. Schon die Großeltern haben Kinder- und Damenbekleidung verkauft, die Mutter ist Designerin und der Vater produzierte jahrelang Fashion-Kollektionen für TV-Shopping-Kanäle.

Kernstrategie: Daten, Daten, Daten

Noch im Gründungsjahr ziehen Denys und Roxana Lichtenstein ins Ausland. „Für Roxana und mich lag der Fokus zunächst auf einem Uni-Abschluss“, sagt Denys Lichtenstein. Zum Studieren zieht er nach San Francisco, seine Schwester Roxana nach London. Bruder Boaz Lichtenstein bleibt in München, er beendet sein BWL-Studium und konzentriert sich daraus, Sassyclassy selbst aufzubauen. Zu den anderen beiden sagt er: „Schaut zu, dass Ihr was lernt, ich halte Euch die Plätze frei, aber kommt zu mir zurück“.

Seit Mitte diesen Jahres arbeiten alle drei Geschwister in Vollzeit bei Sassyclassy in der Nähe von München. Sie und die 60 mitarbeiter verkaufen über ihren Online-Shop rund 1.400 Kleidungsstücke der Eigenmarke, von der Lederleggings über Oversize-Blusen bis hin zu Flecht-Haarreifen. Und machen dieses Jahr damit voraussichtlich 28 Millionen Euro Umsatz vor Retoure. Zum Vergleich: 2019 lag der Umsatz noch bei rund sechs Millionen Euro. Das Wachstum ist zum einen dem pandemiebedingten E-Commerce-Boom zu verdanken. Zum anderen einer Vernarrtheit in die Erhebung und Auswertung von Nutzerdaten, einer Leidenschaft, die sich die drei Geschwister teilen. Und die zur Kernstrategie von Sassyclassy geworden ist

„Ich wurde von den Leuten trainiert, die den Algorithmus geschrieben haben“

Denys Lichtenstein, der mittlere der drei Geschwister, ist seit Juli in Vollzeit bei Sassyclassy und dort für einen der wichtigsten Reichweitenhebel zuständig: Social Paid Ads. In den vier Jahren zuvor arbeitete er bei Microsoft und für Facebook, seine Aufgabe war es, die Effizienz von Kunden-Werbemaßnahmen zu steigern. „Ich wurde von den Leuten trainiert, die den Facebook-Algorithmus geschrieben haben“, sagt er. Ziel der Paid-Ad-Strategie von Sassyclassy sei es, auf Facebook und Instagram vor allem Werbung für besonders nachgefragte Produkte anzeigen zu lassen, denn das erhöhe die Klickrate und senke den CPC.

Ein Sassyclassy-Bestseller: Die Lederleggings für 39,95 Euro

Ein Sassyclassy-Bestseller: Die Lederleggings für 39,95 Euro

Doch bei 1.400 unterschiedlichen Produkten im Sortiment gelingt das dem Algorithmus nicht von alleine. „Wir haben zunächst auf den Facebook-Algorithmus vertraut und gesagt: Der wird schon das beste Produkt ausspielen. Das Ergebnis: Produkte wie ein Women Body mit einer Konversionsrate von unter ein Prozent werden ausgespielt, andere Produkte, die weitaus höhere Käufe aufweisen, aber seltener. “Das war nicht effizient”, sagt Denys Lichtenstein. Um die Ad Performance zu optimieren, probieren sie zunächst unterschiedliche Business Intelligence Tools aus, also jene Software, die unterschiedliche Daten zur Optimierung der Geschäftsprozesse sammelt. Doch keine davon genügt den Ansprüchen der drei Geschwister. „Also haben wir uns aufgeschrieben, welche Daten wir brauchen und uns die Software einfach selbst gebaut“. Die besteht vor allem aus: Excel-Listen.

Die Excel-Tabellen helfen den Geschwistern effizienter zu arbeiten. Denys zum Beispiel nutzt sie, um die Werbung strategischer auszuspielen. Für jedes Produkt errechne er so einen „Facebook Optimization Score“: Eine Punktzahl, die aus Marge, Konversionsrate, Add to Cart Rate und Retourenquote errechnet wird. Nur wenn die hoch genug ist, lässt er das Produkt im Werbemanager ausspielen. Um die aktuelle Marktlage zu berücksichtigen, verwendet er außerdem nur die Werte der letzten sieben Tage. „Unser Ziel ist es, mit den Paid Ads den aktuellen Puls vom Markt so genau wie möglich zu erfassen“. Und damit die Abverkäufe in die Höhe zu treiben. Aktuell belaufe sich der Return on Ad Spend auf den Faktor Sechs.

2,2 Millionen Euro für Influencer

Doch auch Social Paid Marketing hat seine Grenzen. „Wir haben bald gemerkt, dass wir unseren Marketing-Mix komplementieren müssen, um weiter zu skalieren. Also sind wir auf Influencer Marketing gegangen“, sagt Denys’ Schwester Roxana Lichtenstein. Sie hat in den vergangenen drei Jahren für Linkedin in Dublin gearbeitet und dort die neuen Werbekunden für die ersten Monate betreut. Nun betreut sie im Familienunternehmen das Influencer Marketing, die zweite wichtige Säule im Sassyclassy-Marketing-Mix. Sassyclassy arbeitet regelmäßig mit Influencerinnen wie Novalanalove, Karo Kauer oder Youtuberin Sevin van Dyk zusammen, 2,2 Millionen Euro habe sie im vergangenen Jahr dafür ausgegeben.

Die Zahlen aller Influencer werden vor, während und nach der Kooperation analysiert. „Vorab prüfen wir: Wie viele Follower hat der Influencer in Deutschland, wie viele davon sind weiblich und wie viele davon sind im Alter von beispielsweise 18 bis 44 Jahren?“. Die Zahl der Likes sei nicht immer ausschlaggebend, aber eben, ob in der jeweiligen Community die Sassyclassy-Zielgruppe überhaupt ausreichend vertreten ist. Außerdem würden sie händisch die Kommentare prüfen: „Bei vielen Influencern kommentieren die Kolleg:innen mehr als die Community. Das wollen wir nicht. Wir brauchen eine engagierte Community“, sagt sie.

Anhand der Infos würden sie vorab für jede Kooperationspartnerin eine Vorhersage erstellen und überprüfen: Wofür ist dieser Influencer nützlich, treibt sie die Verkaufszahlen einzelner Kleidungsstücke in die Höhe, stärkt sie das Marken-Image oder ist sie eine Mischung aus beidem? „Sobald wir Schlüsse aus den Daten ziehen können, passen wir unser Geschäft danach an“, sagt sie. Ist die Auswahl der Kleider an den Influencer verschickt, werde das sofort der Einkaufsabteilung kommuniziert. „Wir schauen uns dann an: Haben wir genug von den Produkten auf Lager oder müssen wir nachbestellen? Was sagt die Shop-History zu den Produkten?“. Am Ende jeder Influencer-Kampagne würden sie wiederum eine Excel-Liste aufbereiten, um zu sehen, wie hoch der durchschnittliche Bestellwert der Follower einer Influencerin ist. „Wir werten alles aus und entscheiden erst dann: Wie machen wir mit der Kooperation weiter?“

Nach zehn Tagen ist das neue Kleid im Shop

Ein Sassyclassy-Bestseller ist die Oversize Schlupfbluse aus Musselin Stoff. „Wir haben im Oktober 2020 angefangen die Bluse über Social Paid zu pushen, weil die Add to Cart und Checkout-Raten durch die Decken gegangen sind“, sagt Denys Lichtenstein. Im vergangenen Februar startet gleichzeitig eine Kampagne mit Influencerin Farina Opoku, im Rahmen derer sie auch die Bluse bewirbt. Bis heute hätte die sich über 150.000 Mal verkauft. Allein am Tag des ersten Posts von Opoku habe sich der Umsatz mit der Bluse verdoppelt. In der Zwischenzeit gibt es sie in über 40 Varianten.

Auch das gehört zum Sassyclassy-Konzept: schnell auf Trends reagieren. Sagt die Instyle einen neuen Trend voraus, beispielsweise eine bestimmte Farbe oder einen Oversized Schnitt, würde eine akribische Suche losgehen: Erst die Hashtags prüfen, dann, ob die Hashtagzahlen mit dem Google Search Volume übereinstimme und schließlich mit den internen Shop-Daten. Sehen sie einen Trend in den Daten bestätigt, geben sie Meldung an ihren Vater, der für die Beschaffung neuer Kleidungsstücke zuständig ist. „Wir brauchen sieben bis zehn Tage, bis ein neues Produkt entwickelt und in unserem Shop gelistet ist“, sagt Roxana Lichtenstein. Seit diesem Jahr ist die Sassyclassy-Eigenmarke neben dem eigenen Shop auch bei Zalando gelistet. “Damit wollen wir die Reichweite unserer Kleidung erhöhen”, sagt Denys Lichtenstein.  

Vom Datennerd zur Datenagentur

Weil die drei Geschwister ihre datengetriebene Unternehmensskalierung bis ins Detail durchexerziert haben, wissen sie worauf es ankommt. „Gemeinsam haben wir unser digitales Marketing mit Daten auf ein neues Level gehoben“, sagt Denys Lichtenstein. Nun würden sie diese Dienste auch anderen Unterenhmen zur Verfügung stellen. Zu diesem Zweck gründete er eine eigene Agentur, deren Geschäftsbeginn im Januar ist. Ihr erster Kunde: Der von Johannes Kliesch und Felix Bauer gegründete Herren-Unterwäschehändler Snocks (hier die Gründer im OMR Podcast). „Daten, das klingt immer so groß, gefährlich und komplex. Das müssen sie nicht sein“, sagt Denys Lichtenstein. Sie in nützliche Happen zu teilen und zu lesen, das habe er bei Facebook schon gemacht und bei Sassyclassy. Und schon bald wird er bei Snocks genauso vorgehen.

AgenturenDataE-CommerceFashion
Florian Heide
Autor*In
Florian Heide

Florian arbeitet seit fast zehn Jahren als Print-Journalist. Angefangen beim Lokalblatt, später als Praktikant und Freelancer für DIE ZEIT und GEO. Seit 2020 ist er Redakteur bei OMR, wo er über Startups, Viraltrends, den Wandel von Social Media Plattformen und neue Technologien berichtet. Er hat nie Bargeld dabei und verbringt die Wochenenden am liebsten weit weg von Technologie in der Natur.

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