Podcast-Update: „Hunderttausende Hörer bei Böhmermann zeigen, was mindestens möglich ist“

Martin Gardt16.12.2016

Wir haben mit unserem Podcast-Macher Vincent Kittmann über den Status der Branche gesprochen

Podstars-Macher
Die Podstars-Macher Constantin Buer (l.) und Vincent Kittmann

Die deutsche Podcast-Szene hat zwei große Stars: Jan Böhmermann und Olli Schulz erreichen mit Fest und Flauschig laut Vincent Kittmann sechsstellige Hörerzahlen pro Folge. Er versucht mit dem zu Online Marketing Rockstars gehörenden Vermarkter Podstars kleinere Podcaster mit Brands zu verbinden und so beim Aufbau einer Infrastruktur für die Branche zu helfen. Im Interview erzählt er, wie Apple das ganze Format aufs Spiel setzt, warum Spotify noch so seine Probleme mit der Einbindung neuer Podcasts hat und wie Branded-Podcasts zu einem Thema für große Medienhäuser werden könnte.

Online Marketing Rockstars: Auf dem Weg in den Mainstream oder nischiges Nerdthema? Wie groß ist Podcasting wirklich? Vincent Kittmann: Ich würde gern mit weltweiten Zahlen anfangen, die das Potenzial des Formats verdeutlichen: In den letzten zwölf Monaten allein haben Apple-Nutzer über 10 Milliarden Podcast-Folgen heruntergeladen oder gestreamt. In Deutschland kann man sich vor allem die ARD-ZDF-Onlinestudie anschauen, um das Thema einzuordnen. Demnach hören 13 Prozent der deutschen Online-Nutzer ab 14 Jahren Podcasts – im Vergleich zu den 19 Prozent, die einen Streamingdienst nutzen, gar kein schlechter Wert. 64 Prozent nutzen insgesamt Audioanwendungen, was deutlich mehr als die 51 Prozent vor vier Jahren ist. Insgesamt sind ja die Abgrenzungen zwischen Streaming-, Hörbuch- und Podcastdiensten fließend, Audio als Medium ist also insgesamt auf dem Vormarsch und mit ihm Podcasts.

Statistik zur Podcast-Nutzung in Deutschland. Klick zum Vergrößern. (Quelle: Vuma Touchpoints Monitor)

Welche Plattform ist für Podcaster am wichtigsten? Kann Apple den Markt ähnlich dominieren wie im Musik-Business? Ich denke für den Großteil der Podcast-Hörer ist iTunes am wichtigsten. Es gibt noch viele kleinere „Podcatcher“ für Nutzer, die kein iPhone haben. Interessant ist aus meiner Sicht, was über Musikstreaming-Dienste wie Spotify, Deezer & Co. angeboten wird. Da sind zwar Podcasts zu hören – aber nur sehr ausgewählte. Einer der Trends dürfte 2017 sein, dass noch mehr Nutzer über diese Plattformen Podcasts hören. Zusätzlich ist Audible, Amazons Hörbuch-Service daran interessiert, Podcasts zu etablieren. Hier dürfte es wegen des Geschäftsmodells schon zum Start kostenpflichtig sein, auf die Podcast-Inhalte zuzugreifen, die dann ja neben Hörbüchern angeboten werden. Die Plattform sucht derzeit nach hochwertigen Inhalten im Storytelling-Bereich.

Was sind derzeit die größten Probleme und Hürden für Podcast-Macher – besonders mit Blick auf Messbarkeit? Was wir immer mehr merken bei Podstars: Die Produktion wird einfacher, es gibt viele kostenlose Tools wie Audacity oder Auphonic, die lassen sich einfach nutzen und jeder kann seine Inhalte ohne große Hürden bei iTunes einstellen. Aber über iTunes kommt sehr wenig zurück. Du bekommst keine Statistiken, du weißt nicht, wie viele Hörer du da hast. Der Chart-Algorithmus hilft nicht besonders gut dabei zu erkennen, welche anderen Podcasts am häufigsten gehört werden. Es scheint vor allem um die Aktivität des Accounts zu gehen – egal ob neue Bewertungen, Plays oder neue Folgen – alles wirkt sich auf die Platzierung in den iTunes-Charts aus. Hörerzahlen sind also nicht allein entscheidend für den Erfolg auf der Plattform. Gleichzeitig behandelt Apple den Podcast-Bereich etwas stiefmütterlich: Der Bereich „Neu und Beachtenswert“ sollte eigentlich alle sechs Wochen erneuert werden, oft bleiben aber über längere Zeit die gleichen älteren Shows in der Kategorie. Bezeichnend finde ich, dass das Podcast-Team von iTunes über Weihnachten komplett Urlaub hat und Podcaster über die Weihnachtstage keine neuen Formate hochladen können. Es gab schon treffen zwischen Apple-Vertretern und großen Podcastern in den USA, die mit der Plattform auch ganz und gar nicht einverstanden sind. 2017 könnte es dazu kommen, dass große Podcast-Unternehmen mit eigenen oder zumindest anderen Plattformen arbeiten, um die eigene Performance besser tracken zu können. Denn Podcaster müssen aufpassen, dass Apples Versäumnisse das Format nicht kaputt machen. Wenn die Charts von etablierten Medien bestimmt und die „Neu und Beachtenswert“-Kategorie nicht aktualisiert wird, entsteht ein Discovery-Problem. Wenn die Nutzer es schwer haben, neuen Content zu entdecken, wird es auch für Neustarter kompliziert, sich zu etablieren.

Wer sind die größten Stars auf dem deutschen Podcast-Markt? Welche Shows bekommen die meiste Aufmerksamkeit? „Fest und Flauschig“ ist die relevanteste Show in Deutschland. Jan Böhmermann und Olli Schulz haben – wie ja auch außerhalb der Podcast-Szene – eine extrem hohe Reichweite. Da Spotify keine Zahlen veröffentlicht, kann man nur schätzen, wie viele Hörer die Sendung wirklich hat. Ich denke – auf Grund verschiedener Anhaltspunkte – aber, dass es mehrere Hunderttausend pro Folge sind. Serdar Somuncu könnte mit seinem Podcast „Blaue Stunde“ für die Öffentlich Rechtlichen den Platz von Böhmermann und Schulz einnehmen. Vielleicht sehen wir 2017 noch mehr bekannte Persönlichkeiten mit eigenen Formaten. Aber auch hochwertig produzierte Podcasts wie „Der talentierte Mr. Vossen“ von NDR Info, die an US-Formate wie Serial erinnern, kommen derzeit auch in Deutschland stärker auf. Auch Dauerbrenner wie der Einschlafen Podcast oder Formate mit provokanteren Themen wie „Sexvergnügen“ sind dauerhaft oben in den Charts vertreten. Man sieht, dass es derzeit extrem viel Bewegung gibt.

Es sind ja erste Auswertungen zu Fest und Flauschig erschienen: 72 Prozent der Hörer seien Männer, 70 Prozent zwischen 18 und 34 Jahre alt. Zu den absoluten Zahlen äußert sich die Plattform nicht. Welche Bedeutung haben Podcasts denn aus deiner Sicht für Spotify? Mit „Fest und Flauschig“ haben sie sich die größte Marke auf die Plattform geholt, aber danach ist nicht mehr viel passiert. Für andere Podcaster ist es unglaublich schwer von Spotify aufgenommen zu werden. Und auch die Manpower, die sich bei Spotify mit dem Thema beschäftigt, ist nicht besonders groß. Daher ist es schwer zu bewerten, wie stark sich die Plattform für die Entwicklung des Formats einsetzt. Ich würde mir wünschen, sie würden mehr machen. Sie haben aber noch keine eigene Monetarisierungsstrategie für den Bereich und wissen nicht, wie sie mit vermarkteten Podcasts umgehen sollen – also mit Werbung in den Podcasts, die dann ja im Premium-Bereich gehört werden können. Anders als iTunes bietet Spotify keine Push-Nachrichten oder zumindest Mitteilungen, wenn eine neue Folge eines Podcasts erscheint. Das treibt bei iTunes und anderen Podcast-Programmen die Retention Rate für verschiedene Shows in die Höhe.

Welche Rolle spielen die öffentlich rechtlichen Radioangebote auf dem deutschen Podcast-Markt? Man merkt in den iTunes-Charts, dass sehr viele öffentlich rechtliche Angebote verfügbar und beliebt sind. Meist sind das aufbereitete Radiosendungen, die sie als Podcasts aufbereiten. Aber in der letzten Zeit merke ich verstärkt, dass die Sender Podcast-Formate erdenken, die so im Radio gar nicht laufen könnten. Von BR Plus und Antenne Bayern höre ich derzeit, dass sie versuchen, noch mehr in dem Bereich zu machen. Da gibt es immer die Diskussion: „Ich habe mit dem Podcast 20.000 bis 30.000 Hörer. Ist das wirklich so viel wert, wenn ich mit meiner Morning-Show eine Million Hörer erreiche?“ Ich denke aber, dass 20.000 Podcast-Plays mehr Relevanz haben als eine Million Radio-Hörer. Denn Podcasts wählen die Nutzer gezielt aus, konzentrieren sich komplett darauf – kein Nebenherhören.

Thema Vermarktung: Welche Werbeformate funktionieren besonders gut? Da können wir aus eigener Erfahrung sprechen. B2B funktioniert ziemlich gut – in B2B-Podcasts, die wir betreuen. Generell ist es clever, mit Rabattcodes oder mit speziell für den Podcast erstellten URLs zu arbeiten. Das bringt Messbarkeit für die Kunden. Wir empfehlen, dass der Moderator des Podcasts auch die Werbung einspricht, er hat eine enge Verbindung zu den Hörern, kann glaubhaft Empfehlungen abgeben. Aus Studien wissen wir, dass die Conversion vom Hören zum Besuch der Webseite sehr hoch ist. Deshalb konnten sich in den USA schon mehrere Brands über Rabattcodes in Podcasts etablieren – Casper, Mailchimp, Seatgeek etc. Wir merken jetzt auch in Deutschland, dass das erfolgreich läuft. Klassische Radiospot-Formate bringen in Podcasts kaum den gewünschten Effekt.

Welche Unternehmen sind auch in Deutschland mit Podcast-Werbung erfolgreich? Casper ist in den USA sehr erfolgreich mit Podcast-Marketing und der Matratzenmarkt ist ja mittlerweile auch in Deutschland hart umkämpft. Das Unternehmen kann aus seinen Erfahrungen auf dem amerikanischen Markt schöpfen. Das Startup hat hierzulande schon in 17 Podcasts, die wir vermarkten, Werbung geschaltet. Wir merken, dass Casper bereit ist, etwas auszuprobieren und damit sind sie eigentlich das einzige Unternehmen, wo ich sagen kann, dass sie eine durchdachte Podcast-Strategie fahren. Audible hat auch viel gemacht, aber die sind weniger präsent als Casper.

Ist es in Deutschland schwieriger für Brands passende Podcasts zu finden, weil so viele öffentlich rechtliche Angebote die Charts bestimmen? Sie haben zwei Probleme: 1. Aus den Top50 der Charts sind meist mindestens die Hälfte öffentlich rechtliche Sendungen. 2. Die iTunes-Charts sind ja wiederum gar kein vertrauenswürdiger Gradmesser für die wirkliche Reichweite der einzelnen Podcasts. Und das ist schließlich der entscheidende Gradmesser. Wir als Vermarkter stehen vor dem Problem, dass wir vielen Unternehmen das Format Podcast noch erklären müssen – das ist bei Brands wie Casper anders.

Wie steht denn die deutsche Podcaster-Szene zu Werbung? Was wir als Netzwerk merken, dass da die Meinungen sehr gemischt sind. Wir bekommen auf der einen Seite viele Anfragen von Podcastern, die Werbepartner suchen und ihre Show monetarisieren oder wenigstens die Produktionskosten wieder rein holen wollen. Auf der anderen Seite gibt es eine alteingesessene Podcast-Szene, die sagt: „Wir finanzieren uns über Spenden der Hörer und alles, was darüber hinausgeht, macht unser liebevoll produziertes Produkt kaputt.“ Um Podcasts aus der Nische zu holen, wird es aber ein wichtiger Schritt sein, mit großen Brands zusammenzuarbeiten.

Welche großen Podcast-Vermarkter helfen Podcastern in Deutschland bei der Monetarisierung? Wir sind jetzt mit unserem Vermarkter Podstars gestartet und konzentrieren uns derzeit auf den Bereich Digital Business mit dem „OMR Podcast“, „Kassenzone“, „Brand Eins“, „Digital Kompakt“ und „exchanges“. Wir werden jetzt das Feld mit den „Mit Vergnügen“-Podcasts „Sexvergnügen“ und „Beste Freundinnen“ sowie „Gästeliste Geisterbahn“ und dem Matthew Mockridge-Podcast erweitern. Das sind relativ große Player mit einer ganz anderen Zielgruppe und erfordert neue Strategien und Werbepartner, die wir ansprechen müssen. Wir haben aber von vielen Brands in unserem Umfeld gehört, dass sie Interesse an breiten Zielgruppen in verschiedenen Bereichen haben – aber auch schon jetzt erreichen wir pro Monat knapp 500.000 Hörer über die verschiedenen Formate. Viele andere Player sehen wir auf dem Markt derzeit nicht. Der größte Radiovermarkter des Landes AS&S ist für das Internetradio detektor.fm und das Podcast-Label Viertausendhertz aktiv. Außerdem hat sich gerade Podvertise gegründet, die ein paar kleinere Podcasts vermarkten.

Ein halbes Jahr als Podcast-Vermarkter: Was hast du in der Zeit gelernt? Wir haben bis jetzt extrem positives Feedback von unseren Werbepartnern bekommen. Insgesamt haben wir in dem halben Jahr über zehn verschiedene Unternehmen in den Podcasts platziert. Verschiedene Studien zeigen auch, dass die CTR (Click Through Rate) bei Podcasts im Vergleich zu anderen Kanälen deutlich höher ist. Wir haben aber auch aus unserer Zusammenarbeit mit Podcastern gelernt. Unser Tipp: Sie müssen immer gut vorbereitet sein, sollten zumindest näherungsweise ihre Reichweite kennen. Wer sein Format vermarkten will, muss auch voraus planen und den Brands sagen können, wann die nächsten Podcasts erscheinen. Und zu guter Letzt muss der Podcaster eine Auswertung liefern können. Da müssen viele noch professioneller werden.

Was sind die neuen Trends für Podcasts in 2017? Wir haben gehört, dass viele Medienhäuser sich mit dem Thema auseinandersetzen – vor allem mit Branded Content. So könnten ganze Podcasts einzelne Unternehmen oder Brands zum Thema haben. Zeiss experimentiert zum Beispiel gerade mit dem Format „Hörblicke“. Ich denke im Bereich Branded Content werden wir im nächsten Jahr viele spannende Entwicklungen sehen.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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