Ein-Euro-Laden trifft auf Candy Crush: Wie Pinduoduo E-Commerce in China umgekrempelt hat

Gastautor15.9.2020

Kein anderes Unternehmen hat schneller fünf Milliarden US-Dollar Außenumsatz eingenommen

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Pinduoduo-Gründer Colin Huang
Inhalt
  1. Pinduoduo in Kurzsteckbrief-Form
  2. Von Null auf 100 Milliarden US-Dollar in fünf Jahren
  3. Die Geschichte
  4. Das Geschäftsmodell
  5. Die Erfolgsfaktoren
  6. Zwischenfazit: Der Erfolg ist kein Zufall
  7. Über den Autor:

Als Colin Huang, Sohn zweier Fabrikarbeiter, im Jahr 2015 die Social-Commerce-Plattform Pinduoduo gründet, ist der E-Commerce-Markt in China zwischen den beiden dominanten Playern JD.com und Ali Baba (mit den Marken Taobao und Tmall) verteilt. Heute verzeichnet Pinduoduo ein Marktplatzvolumen von 185 Milliarden US-Dollar und ist mehr als 100 Milliarden US-Dollar wert. In einem Gastbeitrag für OMR analysiert Shopping24-CEO und E-Commerce-Experte Dennis Kallerhoff, wie es Huang mit dem Fokus auf Mobile, Social und Gamificiation-Elementen gelungen ist, schneller zu wachsen als bisher jedes andere Digitalunternehmen.

Pinduoduo in Kurzsteckbrief-Form

? Pinduoduo = Ein-Euro-Laden trifft auf Candy Crush

?  2015 gegründet

?‍? 567M Monthly Active Users (Q2/2020)

?  185 Milliarden US-Dollar Gross Merchandise Volume (Q2/2020)

?  73 Prozent Marketing-Ausgaben (am Umsatz, Q2/2020)

?  123 Mio. US-Dollar Operating Loss (Q2/2020)

Von Null auf 100 Milliarden US-Dollar in fünf Jahren

Im Jahr 2015 gründete Colin Huang Pinduoduo (PDD). Bis Juni 2020 ist es das zweitgrößte E-Commerce-Unternehmen Chinas geworden und wird an der Börse mit über 100 Milliarden US-Dollar bewertet. Kein Unternehmen erreichte schneller einen Umsatz von fünf Milliarden US-Dollar.

Wie konnte ein Unternehmen, das Bauern beim Verkauf von Obst im Internet half, in einem von Alibaba und JD dominierten Markt so schnell aufsteigen?

Die Geschichte

Hinter PDD steht der Gründer Colin Huang, Sohn zweier Fabrikarbeiter aus der chinesischen Provinz Hangzhou. Er hat durch Intellekt, unermüdlichen Drive und glückliche Zufälle in kurzer Zeit drei Unternehmen aufgebaut. PDD ist seine dritte Gründung. Die Geschichte lässt sich sehr gut im Blog von Turner Novak nachlesen, dessen exzellenter Artikel mich zu meiner Analyse inspiriert hat.

In Kurzform:

  • Stipendium an der Computer Science at Zhejiang University, einer renommierten Universität für Informatiker. Dort lernt Colin die Gründer von Tencent, NetEase, etc. kennen
  • Software Developer bei Microsoft in China und den USA
  • 2002 Master-Studium in den USA, nach dessen Abschluss er sich einen Job aussuchen konnte – alle Tech-Größen wollen ihn
  • 2004 Einstieg bei Google als Software-Entwickler und Produkt-Manager. Später war er am (versuchten) Markteintritt von Google in China beteiligt.
  • 2007 gründet Colin Ouku.com, einen Onlineshop für Technik. Er verkaufte es nach drei Jahren, als er realisierte, dass Konkurrenten wie JD.com immer Skalenvorteile haben werden.
  • 2010 Gründung von Xunmeng, ein Gaming-Studio für WeChat, 2013 zog er sich aufgrund einer Krankheit zurück

Zwei Jahren nach dem Ausscheiden aus Xunmeng kam Colin die Idee zu dem, woraus später Pinduoduo wurde – durch eine Analyse der beiden größten Internet-Giganten Chinas: Alibaba (elektronischer Handel) und Tencent (sozialer Handel, Spiele).

Er wird mit den Worten zitiert: „Diese beiden Unternehmen verstehen nicht wirklich, wie das jeweils andere Geld verdient.“ Beide sind riesige, erfolgreiche Unternehmen, aber keines von beiden hatte herausgefunden, wie man in das Geschäft des anderen eindringen kann. Das ist genau das, was PDD macht.

Das Geschäftsmodell

Pinduoduo, bedeutet soviel wie „together, more savings, more fun“. Über die PDD-App werden alltägliche Gegenstände zu günstigen Preisen verkauft. Kunden erhalten Rabatte von bis zu 90 Prozent, indem Sie In-App-Aktionen durchführen oder Freunde einladen, die Produkte ebenfalls zu kaufen.

Gruppenkäufe sind seit Gründung das zentrale Element von PDD. Käufer bilden eine Gruppe, um von den Lieferanten Rabatte zu erhalten. Das sieht wie folgt aus: (1) Für jeden Artikel legen die Händler zwei Preise fest – einen für den Einzelkauf und einen für den Gruppenkauf. Wenn sich der Benutzer für einen Gruppenkauf entscheidet, kann er entweder (2.1) einen Gruppenkauf initiieren oder (2.2) einem bestehenden Gruppenkauf beitreten. Wenn der Benutzer einen Gruppenkauf initiiert hat, kann er soziale Plattformen wie WeChat nutzen, um Freunde proaktiv zu ermutigen, ihrer Gruppe beizutreten (3.1), oder passiv darauf warten, dass andere Käufer dem Kauf auf der PDD-Plattform beitreten (3.2). Ein Team muss innerhalb von 24 Stunden gebildet werden, damit die Bestellung bestätigt werden kann. Sobald ein Team gebildet ist, wird der Kauf bestätigt und das Produkt innerhalb von 48 Stunden versandt.

Das Start-Sortiment für PDD waren Früchte, die PDD in großen Mengen auf lokalen Märkten kaufte und dann an die Kunden verkaufte. Das Unternehmen wuchs sehr schnell, bekam Logistik-Probleme und änderte das Geschäftsmodell zu einem Marktplatz-Modell – ein Asset-light-Modell. Logistik-Services werden aber weiterhin zur Verfügung gestellt.

PDD eliminiert Zwischenhändler und drehte das Einzelhandelsmodell von einer Angebots- zu Nachfrageorientierung um. Colin beschrieb das in einem (inzwischen gelöschten) Blogpost: PDD beseitigte Skalenvorteile, machte maßgeschneiderte Dienstleistungen in kleinem Maßstab rentabel und ermöglichte es sowohl kleinen Herstellern als auch Einzelhändlern, mit größeren Konkurrenten zu konkurrieren.

Über die Jahre fügte PDD der App spielerische Elemente wie Games, Price Chops, Punkte für Daily Checkins zu. Alles was dabei hilft, möglichst häufig mit der App zu interagieren, um dann durch Personalisierung und den sozialen Graph die Nutzererfahrung zu verbessern.

Geld verdient PDD auf zwei Arten:

  • Transaktionskosten (nur geringe 0,6 Prozent des GMV) für Käufe – gerade genug, um die Kosten für Payment zu begleichen.
  • Werbeerlöse, mit der Anbieter bessere Platzierungen erhalten können. Dieser Teil ist für 88 Prozent des Umsatzes verantwortlich.

Das Geschäft von PDD wächst sehr schnell. Verglichen mit dem Vorjahr stieg das GMV um 79 Prozent, der Umsatz um 67 Prozent. Heißt: die Monetarisierungsquote sinkt. Besonders sind im Jahresbericht vor allem die hohen Marketing-Ausgaben (aktuell 73 Prozent des Umsatzes), die in der Vergangenheit auch über dem Umsatz lagen. Wie das Modell trotzdem existieren kann, erwähne ich später noch (Stichwort: Float).

Kurze Warnung vor dem Finanzteil: es kommen in der Finanzwelt immer wieder Fragen zu den Buchhaltungs-Standards von PDD auf. Zuletzt haben wir soetwas bei Wirecard gesehen. Daher sind alle Zahlen mit etwas Vorsicht zu betrachten.

Die Erfolgsfaktoren

Mobile first und Spielelemente: Im Unterschied zu Plattformen wie JD oder Alibaba (Taobao, TMall), war Pinduoduo von Anfang an mobil gedacht. Statt Produkte zu suchen, wurden gesourcte Produkte den Nutzern im Feed angezeigt – vergleichbar mit Facebook, Instagram oder TikTok. Nutzer besuchen Pinduoduo ohne konkrete Absicht, ähnlich wie bei einem Besuch in einem realen Einkaufszentrum.

Pinduoduo hat die Erfahrung so gestaltet, dass die Zeit, die ein Benutzer in der App verbringt, unabhängig davon, ob er einen Kauf tätigt oder nicht, maximiert wird. Über bunte Fotos, Daily Check-Ins, Glücksräder und Pokemon-ähnliche Spiele. Aber: (a) verbrachte Zeit auf der Plattform korreliert mit den Ausgaben auf der Plattform und (b) eine hohe Nutzung bedeutet viele Daten zur Personalisierung.

Hoher Fokus: PDD arbeitete von Anfang an sehr fokussiert. PDD Nutzer hatten nur eine eingeschränkte Auswahl, in Anfangstagen häufig weniger als 20 SKUs. Eine geringe Anzahl von Produkten liefert genauere, trennschärfere Daten über das Nutzerverhalten und die Interessen der Benutzer. Diese Daten flossen später in den Algorithmus für besser Empfehlungen im Feed zurück – gemeinsam mit Daten aus dem sozialen Graphen. PDD wird über die Zeit immer relevanter für den Nutzer.

Richtige Nutzerschaft zum Start: Pinduoduo fokussierte sich auf preissensible und vor allem jüngeren Verbraucher in kleineren Städten (drei Mio. Einwohner). Junge Nutzer haben vermeintlich mehr Freizeit (z.B. für Games auf PDD) und gehören zu den eifrigsten Nutzern von E-Commerce- und Streaming-Angeboten.

Zudem wurden kleine Städte von bestehenden Anbietern nur unzureichend bedient, so dass PDD schnell eine hohe Marktdurchdringung erreichen konnte.

Mit entsprechender Größe und Popularität wuchs PDD in den letzten Jahren auch in Städten wie Beijing, Shanghai und Shenzhen gut. Inzwischen kommt die Hälfte des GMV aus den großen Städte. Auch deren Einwohner möchten frisches Gemüse zu günstigen Preisen.

Lösung des Vertrauensproblems: Weiterempfehlungen zu PDD Produkten auf WeChat und die Gruppenkäufe unter Freunde haben den Vorteil, dass Pinduoduo weniger mit einem Vertrauensproblem zu kämpfen hat als andere Plattformen. Chinesische Konsumenten vertrauen sozialen Empfehlungen und Influencern sehr, haben ein großen Mißtrauen gegenüber zentralen Plattformen.

Kapitaleffizientes Geschäftsmodell: Die Lieferanten zahlen Pinduoduo beim ersten Eintrag auf der Plattform eine Vorabgebühr, um sich vor Betrug zu schützen. Sie zahlen für Werbung im Voraus und erhalten die Zahlung von PDD durchschnittlich 15 Tage, nachdem die Waren ihre Fabrik verlassen haben.

Die Zahlungen von den Kunden werden zum Zeitpunkt des Verkaufs eingezogen, so dass PDD viel freies Geld zum Arbeiten hat – den sogenannten Float. (Fun fact: Colin Huang hat tatsächlich einmal Warren Buffet, Meister des Floats, getroffen und diesen Aspekt des Geschäftsleben von ihm gelernt.)

Für ein Unternehmen wie PDD, dessen Geschäft in einem Monat um 25 bis 100 Prozent wachsen konnte, hat die Tatsache, dass es im Voraus Geld von den Verbrauchern erhält und seine Rechnungen zwei Wochen später bezahlt, massive Auswirkungen auf seinen Kapitalbedarf. Die überschüssigen Barmittel finanzieren die Marketing-Kosten zur Nutzerakquisition vor und reduzierten das benötigte Kapital, welches von VCs aufgenommen werden musste.

Auch wenn das Unternehmen heute noch einen hohen Verlust macht, ist und war der Cash Flow aus dem Betrieb immer positiv.

Günstige Akquisitionskosten: Pinduoduos Geschäft wuchs fast ausschließlich durch Gruppenchats in Tencents populärem WeChat. Der Gruppenkauf und organische Empfehlungen auf WeChat trieben die Nutzerzahlen explosionsartig nach oben. Der K-Faktor, d.h. die durchschnittliche Anzahl der Personen, die ein neuer Nutzer einlädt, betrug nie weniger als 1. Dadurch konnten neue Nutzer sehr günstig gewonnen werden: Pinduoduo gewann neue Nutzer für nur zwei US-Dollar – deutlich günstiger als die Konkurrenz.

Backing durch Tencent: Tencent ist einer der größten Shareholder bei Pinduoduo und investierte in mehreren Kapitalrunden über 1,5 Milliarden US-Dollar. Das Engagement von Tencent erwies sich als erfolgskritisch. Es ermöglichte PDD, weiter in WeChat als Vertriebskanal zu investieren. Sie erhielten (wahrscheinlich) Zugang zu vielen (exklusiven) Daten und konnten diese Erkenntnisse auf Produktempfehlungen, Preisgestaltung und die Produkt-Roadmap anwenden.

Zwischenfazit: Der Erfolg ist kein Zufall

Es sollte klar geworden sein, dass der kometenhafte Aufstieg von Pinduoduo kein Zufall war. Im Geschäftsmodell sind viele clevere Hebel eingebaut – von der gut ausgewählten Zielgruppe, über smarte Personalisierung durch Reduktion bis zu den günstigen Akquisitionskosten. Ich habe hohen Respekt vor der Leistung und der Weitsicht von Colin Huang und seinem Team.

Der Aufstieg war sicher harte Arbeit, scheint von außen betrachtet „einfach“, ohne größere Rückschläge. Ob das Wachstum weiter so anhält, was Herausforderungen in der Zukunft werden und ob sich das Modell internationalisieren lässt, werden Inhalte für die nächste Analyse. Spoiler: es wird nicht alles Sonnenschein.

Diese Analyse erschien zuerst im Newsletter CommerceOps.

Über den Autor:

Dennis Kallerhoff

Dennis Kallerhoff ist CEO des shopping24 commerce network. Das Unternehmen gehört zur Otto Group und betreibt ein Netzwerk aus Produktsuchmaschinen und reichweitenstarken Publishern. Kallerhoff ist seit 2006 im E-Commerce tätig. Zuvor hatte er u.a. das Gutscheinportal Dealzeit.de gegründet und betrieben.

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