Wie Netflix mit kostenlosem Meme-Marketing Millionen Nutzer für schlechte Filme begeistert

Martin Gardt15.1.2019

Der Streaming-Service hat mit der #BirdBoxChallenge ein Millionen-Publikum erreicht, welche Mechanismen stehen dahinter?

Sandra Bullock in Bird Box
Sandra Bullock in Bird Box (Foto: Netflix)
Inhalt
  1. Netflix startet Hype selbst
  2. Mit Warnung den Hype befeuert
  3. Zeichen für die gesamte Branche?

Bird Box, ein Horror-Thriller von Netflix mit Sandra Bullock, gilt in Augen vieler Filmkritiker und Zuschauer eher als mittelmäßig. Und trotzdem haben laut dem Streaming-Service nie mehr Nutzer innerhalb einer Woche einen Film gestreamt. Das dürfte am Hype liegen, der seit dem Start von Bird Box über die Plattformen schwappt. Wir zeigen, wie Netflix selbst dazu beiträgt, dass virales Meme-Marketing entsteht und wie der Konzern das clever für die eigenen Zwecke nutzt.

Auf den sozialen Plattformen verbinden sich Menschen die Augen und gehen blind alltäglichen Aufgaben nach – das Ganze läuft unter dem Hashtag #BirdBoxChallenge ab. Wie bei so manchem anderen Viral-Trend geht aber auch dieser Hype zum Teil etwas zu weit. Mehrere Youtuber (unter anderem Jake Paul mit fast 18 Millionen Abonnenten) setzten sich mit verbundenen Augen hinter das Steuer ihres Autos. Eine 17-Jährige kam bei der Bird Box Challenge in den Gegenverkehr und verursachte einen schweren Autounfall.

Ausgelöst wurde all das davon, dass Sandra Bullock in dem Netflix-Film Bird Box mit verbundenen Augen versucht, sich und ihre Kinder vor Monstern zu retten, die jeden in den Selbstmord treiben, der sie ansieht. Kritiker halten den Film zu großen Teilen für wenig originell – auf der Meta-Kritik-Seite Rotten Tomatoes kommt er auf das mittelmäßige Ranking von 64 Prozent. Netflix hat offenbar trotzdem alles rausgeholt in Sachen Marketing: Laut dem Streaming-Anbieter haben über 45 Millionen Accounts den Film in der ersten Woche nach Erscheinen angeschaut. Bird Box sei damit der erfolgreichste Netflix-Originals-Film aller Zeiten. 

Netflix startet Hype selbst

Bird Box bietet wohl die perfekten Voraussetzungen für Meme-Marketing. Der Film landete am 21. Dezember 2018, also kurz vor den geruhsamen Weihnachtstagen auf Netflix. Der Titel ist einfach zu googlen und Sandra Bullock mit verbundenen Augen in einem kleinen Boot ist schon allein in der Vorschau im Netflix-Menü ein Anziehungspunkt. Für viele Nutzer ist die blinde Bullock in der Folge die perfekte Grundlage für mehr oder weniger witzige Memes. Um den Hype richtig zu befeuern, hatte Netflix direkt nach Filmstart vier große Gaming-Influencer aufgefordert, die #BirdBoxChallenge zu meistern – also ein Computerspiel mit verbundenen Augen zu spielen. Rund um Weihnachten steigen die Suchanfragen nach „Bird Box“ und die ersten Youtuber beginnen ihre ganz eigenen Challenges mit den oben beschriebenen Folgen. 

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Gut möglich also, dass eine Vielzahl der Millionen Nutzer Bird Box am Ende nur gesehen haben, um die unzähligen Memes und Videos im Netz zu verstehen – und endlich an der Online-Unterhaltung teilzunehmen. Netflix selbst befeuert dies zum Beispiel mit einem eigenen Bird-Box-Emoji für Twitter. Laut Medienberichten kostet ein solches Branded Emoji eine Millioen US-Dollar. Das Emoji erscheint automatisch, wenn Nutzer den Hashtag #BirdBox eingeben. Allein am 28. Dezember 2018 wurde das Hashtag mitsamt Emoji in über 35.000 Tweets verwendet. Auf Instagram finden sich unter dem Hashtag #birdbox über 300.000 Beiträge, Hashtags wie #birdboxmeme oder #birdboxchallenge tauchen dort in jeweils über 30.000 Beiträgen auf.

Mit Warnung den Hype befeuert

Nachdem Tausende Bird-Box-Memes die Runde machen, kommt Bird Box durch die bereits beschriebenen Challenges im Mainstream an. Am zweiten Januar warnt Netflix, sich nicht mit verbundenen Augen in Gefahr zu bringen. Der Beitrag verzeichnet über 300.000 Likes und mehr als 62.000 Retweets auf Twitter. Und Medien aus aller Welt berichten sofort darüber. Mit seiner Warnung facht Netflix das zusätzliche Hype-Feuer eher noch an. Große deutsche Medien wie Spiegel Online drehen das Thema sogar weiter und fragen, wie gefährlich Online-Challenges wie die aktuelle rund um Bird Box oder die Planking Challenge vor einigen Jahren sind.  

Der Internet-Erfolg von Bird Box ruft offenbar auch einige Skeptiker auf den Plan. Ein Twitter-Nutzer hatte ein Video gepostet, auf dem zu sehen sein soll, dass viele Accounts mit extrem wenigen Beiträgen und Followern ähnliche Memes zu Bird Box gepostet haben. Auch dieses Video geht viral, ist aber mittlerweile nicht mehr online. Untersuchungen verschiedener Netz-Experten zeigen aber, dass zumindest keine Bots für den Meme-Hype verantwortlich sind. Eine Netflix-Kampagne mit einer Agentur, die gezielt Beiträge streut, kann so aber nicht ausgeschlossen werden. Netflix selbst weist die Anschuldigungen einer Bot-Kampagne zurück und spricht von einer organischen Verbreitung der Memes.

Zeichen für die gesamte Branche?

Sieht so jetzt also modernes Marketing für Filme, Serien & Co. aus? Auf viele Kritiker wirkt der Film, als wäre er aus den Netflix-Daten über Zuschauervorlieben zusammengewürfelt. Gleichzeitig dürften die Macher solcher Filme verstärkt darauf schielen, Content zu erschaffen, der auf den Plattformen zu Memes verarbeitet werden kann. Netflix selbst hatte sich zuletzt dafür gefeiert, Social-Media-Stars mit seinen Serien erschaffen zu können

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Auffällig ist: In den Tagen nach dem Bird-Box-Release war das Interesse an dem Film auf Google weltweit höher als an den aktuell im Kino laufenden Blockbustern Aquaman und Mary Poppins Returns. Dazu passt dann vielleicht auch eine etwas krumme Rechnung: Wenn wirklich 45 Millionen Netflix-Accounts Bird Box gesehen haben, entspräche das Box-Office-Einnahmen von etwa 413 Millionen US-Dollar in der ersten Woche. Allerdings hat niemand extra für den Film gezahlt – sich spontan aufgrund eines Memes zu entscheiden, Bird Box zu schauen, wenn man sowieso Netflix-Kunde ist. Ob am Ende jemand zwölf Euro für ein Kino-Ticket zahlt, nur um mitreden zu können, ist dann aber doch fraglich.

Meme MarketingNetflixViral
MG
Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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