Folien statt Lack: Das Nagel-Business von Miss Sophie aus Berlin macht Millionen-Umsätze

Torben Lux4.7.2022

Gründerin Sophie Kühn verrät, wie aus einem Nischenprodukt ein lukratives Unternehmen wurde

Miss Sophie OMR Artikelbild
Sophie Kühn, Gründerin von Miss Sophie (Montage: OMR).
Inhalt
  1. Das Konzept Nagelfolie
  2. Wohnung, Büro und Lager – alles im selben Zimmer
  3. Marketing in einem Land vor unserer Zeit
  4. Berlin als wichtiger Marketing-Kanal
  5. Wendepunkt: Fernsehen
  6. Skalierung und Internationalisierung
  7. Influencer Marketing und Zukunftspläne
  8. Miss Sophie will unabhängig bleiben

Während ihres Auslandssemesters in Südfrankreich verbringt Sophie Kühn ihre Freizeit häufig am Strand. Weil dort ihr Nagellack immer recht schnell absplittert, sucht sie nach Alternativen – und entscheidet sich nach einer Marktrecherche schließlich, selber eine auf den Markt zu bringen. Aus ihrer Berliner Ein-Zimmer-Wohnung startet sie Ende 2014 Miss Sophie. Heute macht die Nagelfolien-Marke einen profitablen Millionen-Umsatz. Im Gespräch mit OMR erklärt sie, welche Marketing-Maßnahmen dieses Wachstum ermöglicht haben.

Vermutlich hätte Sophie Kühn ihr Startup schon etwas früher gegründet; zu gut schienen die Aussichten, dass ihre Idee, einen Online-Shop für Nagelfolien in Deutschland zu starten, tatsächlich funktionieren könnte. Das Problem absplitternden Nagellacks haben schließlich viele Frauen. Doch es gab da noch ein Versprechen, das sie einlösen wollte, nachdem sie aus ihrem Auslandssemester im südfranzösischen Montpellier nach Deutschland zurückgekommen war. „Ich habe noch meinen Master zu Ende gemacht. Das war der Deal mit meinen Eltern“, erzählt sie im Gespräch mit OMR.

Bis sie das BWL-Studium an der Humboldt-Universität in Berlin beendet, ist Sophie Kühn gedanklich trotzdem immer wieder am Mittelmeer-Strand; die Gründungs-Idee lässt sie nicht mehr los. Während ihrer Recherche und Wettbewerbsanalyse stößt sie auf ein Nagelfolien-Produkt aus den USA. Damit der Kleber der Folie auch wirklich am Nagel haftet, musste dieser angefönt werden. „Die hielten zwar auch viel länger als normaler Lack“, so Kühn. „Aber die Anwendung fand ich viel zu kompliziert.“

Das Konzept Nagelfolie

Das Produkt Nagelfolien unterscheidet sich stark vom herkömmlichen Nagellack. Statt eine farbliche, zähe Flüssigkeit per Pinsel auf die Nägel aufzutragen, klebt man einfach eine Folie in der passenden Größe auf die Nägel; überstehende Enden werden anschließend abgefeilt und so auf die Länge der Fingernägel angepasst. Statt einem bunten Fläschen kaufen Kund:innen also einen Bogen mit Klebefolie. Das mag ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig klingen, für Sophie Kühn zählt aber die lange Haltbarkeit. Und im Vergleich zum Gel aus Nagelstudios, das unter anderem das Nagelbett stark beanspruchen soll, dürfte es auch weniger schädlich für Nägel sein.

Weil sie das Fön-abhängige Produkt aus den USA nicht überzeugt, macht sie sich auf die Suche nach einer selbstklebenden Lösung. „Ich habe in Asien nach geeigneten Produzenten gesucht, mich mit vielen getroffen und war unter anderem auf der weltweit größten Beauty-Messe in Hongkong“, so Kühn. Um weniger abhängig zu sein und sich breiter aufzustellen, habe Miss Sophie inzwischen zwar auch Produzenten in Deutschland und Italien. In Asien seien aber bis heute die für das Produkt besten Hersteller zu finden.

Wohnung, Büro und Lager – alles im selben Zimmer

Die erste Produktcharge von 10.000 Folien landet 2014 in der Berliner Ein-Zimmer-Wohnung von Sophie Kühn. „Bei der ersten Bestellung in China hatte ich schon ein wenig Schiss“, gibt sie rückblickend zu. „Ich war damals 24 und hatte keine Ahnung von Unternehmertum.“ Viele ihrer Freunde hätten zum damaligen Zeitpunkt allerdings auch eigene Startups gegründet – nicht immer mit Erfolg. „Das hat mir ein wenig die Angst genommen“, so Kühn.

Mit der Hilfe ihres Kommilitonen Dustin Boettcher, heute CTO bei Miss Sophie, startet sie den ersten Online-Shop. Ende 2014 launcht die Seite, wie die Ware stehen auch die Server in ihrer kleinen Wohnung. „Wir haben bis dahin viele Dinge wie das Produktfoto-Shooting improvisiert. Wie man es halt macht, wenn man kein Geld hat“, erinnert sich Sophie Kühn. Insgesamt rund 20.000 Euro Startkapital investiert sie in der Anfangsphase in das Startup. „Der Großteil kam aus dem Studium, ich habe immer viel während der Semesterferien gearbeitet“, sagt sie.

Marketing in einem Land vor unserer Zeit

Zwar ist die Gründung von Miss Sophie keine acht Jahre her. Im Zeitalter der Plattformökonomie ist das trotzdem eine kleine Ewigkeit. Entsprechend greifen auch noch ganz andere Marketing-Mechanismen als man sie heute kennt. Für Sophie Kühn war vor allem Instagram eine enorme Chance. „Wir hatten damals den großen Vorteil, dass es schon Instagram gab, auch schon ein paar Nagelblogs aktiv waren, der Algorithmus aber ein noch ganz anderer war“, so die Gründerin. „Du hattest 5.000 Follower und 5.000 Follower haben gesehen, was Du postet.“

Von Anfang an besteht der Kundenkreis nicht nur aus Freunden und Familie; vor allem in der Instagram-Szene macht sich Miss Sophie schnell einen Namen. „Wir haben mit den Nagelblogs kooperiert, denen Produkte geschickt. Das war Influencer-Marketing 1.0, wir haben nichts dafür gezahlt und nur Produkte geschickt. Das lief ein bis zwei Jahre richtig gut“, erklärt Sophie Kühn. Der eigene Instagram-Kanal kommt heute auf knapp 80.000 Follower.

Berlin als wichtiger Marketing-Kanal

Parallel zur steigenden Bekanntheit auf Instagram werden auch Startup-Branche und Handel nach und nach auf die Produkte von Miss Sophie aufmerksam. So lernt Sophie Kühn auf einem Event den Flaconi-Gründer Paul Schwarzenholz kennen. Wenig später werden die Nagelfolien bereits beim Online-Händler für Beauty-Produkte, der seit 2015 zu ProSiebenSat.1 gehört, gelistet. „Das hat uns unglaublich viel gebracht“, sagt Gründerin Kühn. Irgendwann danach habe dann auch Douglas angeklopft, später die Drogiekette dm. „Das waren schon krasse Ritterschläge für ein Unternehmen, was immer noch in meiner 1-Zimmer-Wohnung stattfand.“

Auch wenn sich Berlin laut Kühn durch die Möglichkeit, relativ einfach neue und gute Kontakte zu knüpfen, als echter Standortvorteil erweist, sei die Zeit dennoch nicht ganz einfach gewesen. „Finanziell war das schon herausfordernd, weil ich die ganze Ware vorfinanzieren musste“, so Kühn. Einmal leiht ihre Oma ihr 5.000 Euro, auch ihre Mutter hilft länger aus. Trotzdem versucht Sophie Kühn, alles mitzunehmen. „Wir waren auch wirklich auf jedem Event“, sagt sie. „Ich hatte auch immer die Bestätigung, dass nach jedem Event die Sales direkt hochgegangen sind. Und wenn wir nichts gemacht haben, war es nur noch ein Grundrauschen auf relativ geringem Level.“

Ein weiterer großer Schritt sei eine Integration bei Glossy Box gewesen. „Da muss man dann einfach mal 80.000 Produkte for free vorstrecken. Ohne zu wissen, ob es sich lohnt“, so Kühn. Ohne zu wissen, ob sich die Investition rentiert, geht sie das Risiko ein. „In den ersten drei Jahren waren wir nie profitabel. Und es gab auch echt viele Momente, in denen ich mich gefragt habe, warum ich mir das antue.“

Wendepunkt: Fernsehen

Die erste Entspannung stellt sich ein, als das junge DTC-Startup einen neuen Kanal erschließt. Als Aussteller auf der Beauty-Messe für Endkonsumenten „Glow by dm2“ wird das Pro7-Magazin „Red“ auf Miss Sophie aufmerksam und dreht einen TV-Beitrag – für das junge Unternehmen der Wendepunkt. „Der Beitrag ging 1:30 Minuten und hat alle Sales-Rekorde gebrochen. Unser Lager war so schnell leer. Da habe ich verstanden, was man mit Video-Marketing erreichen kann“, erklärt Sophie Kühn.

Sophie Kühn

Dieses Bewegtbild-Potenzial will das Startup dann auch auf die großen Plattformen übertragen und mit Performance Marketing beginnen. „Bis dahin hatten wir immer noch keinerlei Paid-Marketing gemacht“, gesteht Sophie Kühn. „Rückblickend ist das fast ein bisschen schade, weil wir es bestimmt schneller hätten ankurbeln können.“ Nicht lange, nachdem das junge Unternehmen mit bezahlten Anzeigen auf Facebook begonnen hatte, nimmt der amerikanische Tech-Konzern Miss Sophie in ein High-Potential-Program auf. „Das war der nächste große Turning Point, nach dem es richtig nach oben ging“, erinnert sich Gründerin Kühn. „Wir hatten da eine richtig gute Eins-zu-Eins-Betreuung. Der Facebook-Manager hat uns auch an einem Freitag um 23 Uhr noch geantwortet.“

Skalierung und Internationalisierung

Auch dank der Betreuung lernt das junge Unternehmen recht schnell, welche Ads für das Produkt funktionieren. „Bei uns waren das vor allem die, in denen die Anwendung unserer Produkte sehr visuell und einfach verständlich erklärt wird“, sagt Sophie Kühn. „Und dann kam der Moment, wo wir mit 5.000 bis 10.000 Euro täglichem Ad-Budget profitabel waren.“

Über Facebook Ads beginnt Miss Sophie dann auch, andere Märkte zu erschließen und zu internationalisieren. „Begonnen haben wir in UK, Frankreich, Spanien, Italien und Niederlanden“, so Kühn. „Da hat sich relativ schnell herausgestellt, dass UK sehr vielversprechend ist – was sich mit dem Brexit dann leider etwas geändert hat.“ Eine Verzollung im Fulfillment-System mache es direkt komplizierter. Um die jeweiligen Märkte zu knacken, habe man viel ausprobiert. Landingpages in der jeweiligen Landessprache, verschiedene Creatives. „Das hat auch irgendwann geklappt, dass wir dann auch da ab der ersten Order profitabel wurden“, erklärt die Gründerin. Ein Standardset Nagelfolien kostet aktuell knapp 16 Euro und soll bis zu 14 Tage halten.

Eine aktuelle Facebook-Ad von Miss Sophie (Quelle: Metas Werbebibliothek).

Auf anderen großen Werbeplattformen scheint sich Miss Sophie dafür bis heute schwer zu tun – inklusive Tiktok. „Wir haben das getestet. Mit dem Resultat, dass Ads für uns gar nicht funktioniert haben. Ähnlich war es auch bei Pinterest, was mich auch wirklich überrascht hat“, stellt Sophie Kühn fest. „Wir geben immer noch den größten Teil bei Facebook und Google aus.“

Influencer Marketing und Zukunftspläne

Parallel zum klassischen Performance Marketing testet Miss Sophie durchgehend weitere Kanäle. Aktuell vor allem Influencer Marketing. „Influencerinnen testen wir gerade en masse, auch sehr große und teure“, stellt Kühn fest. „Da erwischen wir auch immer mal wieder Perlen, von denen wir erst dachten, dass sie nicht performen werden – und dann einen ROI von vier bis fünf liefern. Jeden Monat.“ Eine Langzeitkooperation habe das Unternehmen zum Beispiel mit der vor allem aus „Berlin Tag und Nacht“ bekannten Serien-Darstellerin Anne Wünsche. Um das gesamte Influencer Marketing kümmere sich eine Brand-Managerin inhouse. Für das Performance Marketing hole sich Miss Sophie teilweise Support bei einer externen Agentur.

Auch die Logistik setze das junge Unternehmen inzwischen wieder selber um – nachdem der Bereich für eine kurze Zeit ausgelagert war. Das habe aber nicht optimal funktioniert. „Wir benötigen schon die ganze Wertschöpfungskette, weil wir sehr kleinteilige Produkte und daher viele Verpackungsschritte haben“, so Kühn. Das mit einer Erweiterung der Produktpalette noch weiter zu verkomplizieren, scheint für Sophie Kühn derzeit nicht in Frage zu kommen. Auch, wenn immer mal wieder darüber nachgedacht werde. „Ein Nagellack auf der jetzigen Brand würde aber keinen Sinn machen“, so Kühn. Zusätzliche Pflege-Produkte und entsprechende Folien für die Füße befinden sich aber bereits im Angebot.

Der Fokus liege weiterhin bei der Maniküre und seit kurzem zusätzlich auf der Pediküre. „Das wollen wir noch stärker internationalisieren, insgesamt gibt es mit den Produkten, die wir haben, noch extrem viel Potenzial“, ist sich Sophie Kühn sicher. Alleine in Deutschland sollen 2021 über 14 Millionen Frauen ab 14 Jahren Nagellack verwendet haben – eine riesige potenzielle Zielgruppe. Als Verstärkung kam im vergangenen Jahr deshalb Mark Ralea als Co-CEO zu Miss Sophie, der lange Zeit als CMO und dann Zentraleuropa-Chef bei Glossy Box war.

Miss Sophie will unabhängig bleiben

Obwohl immer mal wieder Interessenten anklopfen – angefangen mit Angels aus Berlin bis zu Amazon-Händler-Aufkäufern – will Sophie Kühn ihr Unternehmen auch weiterhin als alleinige Gesellschafterin aufbauen. Und das hat bisher ja auch sehr gut geklappt. Zwar hatte das Startup während Corona wie der gesamte Handel mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, und auch 2021 und 2022 seien aufgrund hoher Marketingkosten eine herausfordernde Zeit. Ein achtstelliger Umsatz mit Gewinnmargen von zehn bis 15 Prozent, sprechen trotzdem dafür, dass Sophie Kühn mit Miss Sophie eine stabile DTC-Brand aufgebaut hat – zumal 85 Prozent der Sales über den eigenen Shopify-Shop laufen.

Wie attraktiv das Geschäftsmodell zu sein scheint, deuten auch andere, jüngere Unternehmen an, die sehr ähnliche Produkte vertreiben. Mit Maniko Nails und Colour Flash kommen zwei der Wettbewerber sogar ebenfalls aus Berlin. Wie schwer es für Nachzügler werden könnte und welchen Wert eine in der Zielgruppe über mehrere Jahre etablierte Brand dann doch hat, zeigt eine der jüngsten Kooperationen. Zum Launch des Kinofilms „The Lost City“ bewarb Paramount Pictures eine spezielle Partner-Kollektion der Nagelfolien von Miss Sophie. „Da hat Sandra Bullock einfach mal die Designs und Namen bestimmt“, so Sophie Kühn.

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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