Gen Z als Luxus-Zielgruppe: Wie Marc Jacobs Tiktok auf den Kopf stellt

Influencer wie Nara Smith und Kai Cenat werben für die Marke aus den 1990ern. Der Content trifft den Nerv der Gen Z, die immer mehr zur Luxus-Zielgruppe wird.

Inhalt
  1. Meerschweinchen, Handpuppen und Cardi B.
  2. Ikonen der Neunziger sind zurück
  3. Krisenzeiten für die Marke Marc Jacobs
  4. 600 Millionen Euro Umsatz in 2023
  5. "The world is broken anyways, why don't I enjoy myself?"
  6. Dreieck der kulturellen Markenrelevanz

Mit einer aufsehenerregenden Kollaboration nach der nächsten hält Marc Jacobs gerade Tiktok in Atem. Dabei macht die Brand aus dem Hause LVMH auch keinen Halt vor Meme Culture oder Comedy. Die Posts erzielen Millionenreichweiten. Von vielen wird Marc Jacobs für seinen Tiktok-Mut gefeiert. Doch wie passt diese Art von Content mit einer Luxusmarke aus den 1990ern und ihrem 61 Jahre alten Gründer zusammen? Und wieso wird die Gen Z zunehmend zu einer Generation von Luxus-Konsument*innen? OMR hat sich unter Expert*innen umgehört – und das ist ihre Antwort.

Influencerin Nara Smith rührt in einer großen Schüssel Mehl, Eier, Wasser und rote Lebensmittelfarbe zusammen. Sie knetet den Teig, rollt ihn aus. Als sie den Ofen öffnet, ist daraus kein roter Kuchen entstanden, sondern eine große, rote "Tote Bag" – die Handtasche ist ein Marc-Jacobs-Klassiker. "Dafür liebe ich Marketing!", "Das Marketing-Team hat sich eine Gehaltserhöhung verdient!", "Now THIS is marketing!", wird Marc Jacobs in den Kommentaren für die Kollaboration bejubelt.

Nara Smith, mit 9,5 Millionen Follower*innen ein aktuell gefeierter Tiktok-Star, ist bekannt für ihre Home-Cooking-Videos, in denen sie in eleganten Designerkleidern Gerichte kocht und ihre Arbeitsschritte mit sonorer Stimme kommentiert. Interessant ist: Das Video für Marc Jacobs erscheint nicht auf ihrem Account, sondern direkt auf dem Corporate-Account der Marke. Trotzdem bekommt es 16,2 Millionen Views und rund 2,4 Millionen Likes. Es ist das bisher erfolgreichste Tiktok-Video der Brand.

Meerschweinchen, Handpuppen und Cardi B.

Aber es ist längst nicht die einzige Kollaboration, mit der Marc Jacobs gerade für Wirbel sorgt. Streamer und Tiktoker Kai Cenat (14,1 Millionen Follower*innen), bekannt für seine Comedy-Inhalte, wirbt für Marc Jacobs. Rapperin Cardi B. macht direkt einen Account-Takeover. Und es gibt eine breite Auswahl an erfolgreichen Accounts, die ihren Signature-Content mit Marc Jacobs vereinen oder Handtaschen und Kleidung in ihre Memes einbauen: Das Meerschweinchen Dindin lauscht auf dem Account @dindin.inparis wie sonst auch Klaviermusik, die Leckerlis sind an diesem Tag aber in einem Mini-Tote-Bag versteckt. @sophietruax hat eine Handpuppe gebastelt, die eine Marc-Jacobs-Handtasche trägt. Tänzer @faustoelizalde tanzt in Kleidung des Designers. Es ist nur eine kleine Auswahl von vielen, vielen Content-Pieces von verschiedenen Influencern, die Marc Jacobs in den vergangenen Wochen hochgeladen hat. Die Aufrufzahlen der Beiträge liegen seitdem immer wieder bei mehreren Hunderttausenden, oft auch in Millionenhöhe.

Den Buzz, den die Brand so auslöst, beobachten auch Branchen-Expert*innen: “Es war lange Zeit ruhiger um Marc Jacobs, aber jetzt gerade bricht das Internet zusammen, gerade bei Tiktok und Instagram ist er hyperpräsent", sagt Sebastian Kemmler, Managing Director der Berliner Kreativ-Agentur Kemmler Kemmler. Der Brand-Experte sieht dafür vor allem zwei Gründe.

Ikonen der Neunziger sind zurück

Einer davon ist das Revival der 1990er Jahre: "Gerade werden viele ikonische Stars der 90er wieder neu entdeckt und nach oben gespült, gerade auch in der Tiktok-Generation." Neben Marc Jacobs beispielsweise auch Pamela Anderson, Naomi Campbell, Willem Dafoe – gerade beispielsweise das Gesicht der aktuellen Zalando-Kampagne – oder Daniel Craig. Zweitens: Marc Jacobs und Tiktok seien einfach ein Match, findet Kemmler: "Das Überdrehte, Dekadente, Humorvolle und Selbstironische der Plattform passt wunderbar zu seiner Persönlichkeit. Marc Jacobs ist glamourös, er ist aus der Queer-Community, macht genderfluides, inklusives Fashiondesign und er ist einfach auch ein bisschen drüber", sagt er. Dadurch könne der Designer auf Tiktok sehr organisch andocken, "ohne dass es fake oder phony wirkt.”

Lina Arnold, CEO der Marketingagentur Joli Berlin, findet: Marc Jacobs demonstriere, dass es nicht primär um direkte Verkäufe gehe, sondern um Content, der den Zeitgeist trifft. Bei Luxusbrands sei klassisches Performance-Marketing mit klaren Call-to-Actions oft unpassend, stattdessen müsse ein Hype kreiert werden, der sich organisch vervielfachen lasse. "Das Paradoxe ist: Gerade weil sie sich auf relevanten, coolen Content konzentrieren, steigen die Verkaufszahlen wieder – Marc Jacobs ist wieder 'in'." Für die US-Marke ist das ein großer Erfolg. So rund wie gerade lief es in den vergangenen Jahren nämlich längst nicht immer.

Krisenzeiten für die Marke Marc Jacobs

Designer Marc Jacobs, heute 61 Jahre alt, ist in New York geboren. Seine erste eigene Fashion-Kollektion unter seinem Namen veröffentlicht er 1986. Sieben Jahre später gründet er sein Unternehmen Marc Jacobs International und weckt durch seine Kollektionen so große Aufmerksamkeit, dass sich Louis Vuitton zu einem Drittel beteiligt. 1997 macht Louis Vuitton Marc Jacobs dann sogar zum Kreativdirektor des eigenen Hauses und stockt im gleichen Atemzug die Anteile an der Marke Marc Jacobs International auf 96 Prozent auf, bei den Markenrechten sollen dem heute unter dem Kürzel LVMH firmierenden Luxuskonzern hingegen nur 33 Prozent gehören. Später bringt Marc Jacobs erst eine eigene Duftlinie auf den Markt, und dann auch eigene Kosmetik.

2013 beendet der Designer seine Laufbahn als Kreativdirektor bei Louis Vuitton, um sich fortan nur auf seine eigene Marke zu konzentrieren. Doch die rutscht nach und nach immer mehr in eine Krise: 2018 titelt die New York Times: "How Marc Jacobs fell out of Fashion". In den vergangenen Jahren habe der einst erfolgreiche Designer nicht nur Louis Vuitton verlassen, sondern auch sein eigenes Business geschrumpft, Dutzende Läden geschlossen und seinen langjährigen Businesspartner Robert Duffy verloren. Der Einzelhandelsumsatz von Marc Jacobs sinkt damals auf 300 Millionen Dollar, drei Jahre zuvor hatte das Unternehmen noch doppelt so viel umgesetzt. LVMH betont zwar auch in diesen turbulenten Zeiten, an Marc Jacobs festhalten zu wollen und dementiert Spekulationen über einen Verkauf. Offenbar aber nicht ohne Bauchschmerzen: Während einer Investorenkonferenz Anfang 2017 antwortete Bernard Arnault, der Vorstandsvorsitzende von LVMH, auf Fragen zum Geschäftsumfeld während der Trump-Präsidentschaft: „Ich mache mir mehr Sorgen um Marc Jacobs als um den US-Präsidenten." Und auch der CFO von LVMH betonte damals, Marc Jacobs sei "wahrscheinlich eine der wenigen negativen Performances, die wir in der Gruppe haben."

600 Millionen Euro Umsatz in 2023

Inzwischen hat das Unternehmen offenbar durch erneute Umstrukturierungen und eine Vereinfachung des Produktangebots die Kurve gekriegt. Marc Jacobs sei profitabel und habe 2023 einen Umsatz von rund 600 Millionen Euro (642 Millionen Dollar) erzielt, schreibt Bloomberg und beruft sich dabei auf Insider. Der aktuelle Buzz auf den sozialen Kanälen dürfte den Aufschwung der Marke noch mehr befeuern. Bei Marc Jacobs hat man offenbar sensible Antennen dafür, welche Content Creator gerade global populär sind, welche Trends sich die Marke noch innerhalb der schnelllebigen Trend-Zyklen zu eigen machen kann, um die Welle mitzusurfen und viral zu gehen. Learnings dafür könnte die Marke aus seiner neuen Linie Heaven by Mark Jacobs gezogen haben, die seit 2020 auf dem Markt ist und sich explizit an die Gen-Z-Zielgruppe richtet.

Es scheint jedenfalls so, als würde Marc Jacobs Content Creatorn bei der Gestaltung viel Spielraum lassen und dadurch Collab-Content erhalten, der für die Communitys der unterschiedlichen Influencer*innen extrem authentisch wirkt und in Summe einen bunten, diversen Mix ergibt, der der Marke eine unheimliche Reichweite beschert. "Die Marke zeigt bemerkenswerten Mut, indem sie ihre eigene Identität bewusst zurückstellt und stattdessen die Identität der Creator in den Vordergrund rückt, die bei der Kreation scheinbar 'unperfekter' Trends zum Einsatz kommen", sagt auch Lina Arnold. Marc Jacobs habe erkannt, dass die Zukunft des Social-Media-Marketings in der Zusammenarbeit mit Communities, Nischen-Subkulturen und Trends liege.

"The world is broken anyways, why don't I enjoy myself?"

Tiktok und Luxusbrands – dieser Pfad ist als Marketingplattform jedoch längst noch nicht so erprobt wie beispielsweise Instagram. Dort seien eine Zeitlang eher tiefgründigere, nachdenklichere und hoch-ästhetische Designer groß geworden, sagt Sebastian Kemmler im Gespräch mit OMR. "Davon haben beispielsweise Luxury-Brands wie Loewe oder Gucci profitiert, die dort sehr immersive, ästhetische Welten präsentiert haben. Das hat auf Instagram wunderbar funktioniert." Tiktok dagegen habe andere Regeln.

Wer wie Marc Jacobs auf der Plattform erfolgreich sein will, muss die Gen Z verstehen, ihren Humor, ihr Lebensgefühl. "Man hat das Gefühl, dass die Tiktok-Generation ein Stück weit desillusioniert ist. Es gibt viele Kriege, eine Rezession, die Klimakrise und in der Gen Z herrscht irgendwie das Bewusstsein, dass die Messe gelesen ist. Um damit umzugehen, greift man zu Humor und Selbstironie”, sagt Sebastian Kemmler. Auf Tiktok finde daher sehr viel Surreal-Marketing statt, alles sei improvisierter, habe zum Teil eine dystopische Note. Nach Zeiten der "Purpose driven"-Marketingwelle, in der es um Empowerment und Nachhaltigkeit gegangen sei, sei das Motto gerade eher: “The world is broken anyway, why don't I enjoy myself?”

Und zu diesem Vergnügen gehört offenbar auch der Konsum von Luxusgütern. Denn die Gen Z ist nicht nur eine Meme-liebende, ständig scrollende Generation, sondern zunehmend eine kaufkräftige Zielgruppe. "Im Konsumverhalten der Gen Z sieht man, dass sie viel high und low kombiniert. Das bedeutet, dass sie durchaus Luxury-Consumer werden und bestimmte Items wie Handtaschen aus dem High-Class-Bereich kaufen wie Louis Vuitton oder Chanel und diese aber kombinieren mit niedrigpreisigen Basics von der H&M-Gruppe oder Uniqlo", sagt Kemmler. "Es gibt einen wirklichen Gen-Z-Luxusmarkt."

Dreieck der kulturellen Markenrelevanz

Die Tiktok-Community bezeichnet man in der Kreativagentur Kemmler Kemmler als "Hype Community", dort machen die Brands Alarm und erzeugen Cultural Heat. Doch um als Marke nachhaltig erfolgreich zu sein, benötige man einen Dreiklang an Communitys, glaubt Sebastian Kemmler. Er hat mit seinem Team einen sogenannten KX Radar entwickelt, um die kulturelle Relevanz von Marken zu messen (seine Keynote zu dem Thema auf dem OMR Festival 2023 kannst du dir hier ansehen). Die zweite Community ist demnach die "Commercial Community", zu der die Verbindung eher über klassische Printanzeigen oder Editorial-Plattformen geschaffen werde. "Und dann gibt es noch eine Substanz-Community. Du brauchst eine Art von Autorität, die für die Commercial Audience validiert, dass dieses verrückte Hype-Zeug genuin und tragbar ist", erklärt Kemmler. Eine Auswertung seiner Agentur kommt zu dem Ergebnis: Marc Jacobs hat an allen Ecken des "Cultural Triangles" starke Communitys.

Diese tiefe Kredibilität oder Substanz würden der Marke die "Icons from the 90s" verleihen, mit denen die Marke zusammenarbeitet: Das sind beispielsweise Nigo, ein ikonischer Street-Wear-Designer aus den 90ern oder der Graffiti-Künstler Futura. Aber auch die Popularität von jüngeren Megastars wie Miley Cyrus, mit denen die Marke kooperiert, färbe auf sie ab. "Dadurch schafft Marc Jacobs es, den Hype zu kreieren, aber gleichzeitig die Sicherheit zu kommunizieren, dass das tragbar bleibt." 

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Das Geheimnis, um langfristig als Marke populär zu bleiben, liege genau in diesem Punkt, in der Substanz-Community, glaubt Sebastian Kemmler. "Der Hype wird sich immer wieder drehen und die Commercial Audience wird sich immer am Hype orientieren", sagt er. "Aber der Unterschied zwischen den Superstar-Marken, die wir langfristig als Erfolg sehen, und den Marken, die eher wie ein Fähnchen im Winde sind, ist, dass die eine klare Substanz haben."

TikTokInstagramLuxusDesigner
Tanja Karrasch
Autor*In
Tanja Karrasch

Tanja Karrasch ist Redakteurin bei OMR. Sie hat bei der Tageszeitung Rheinische Post volontiert und anschließend als Redakteurin gearbeitet. Vor ihrem Wechsel zu OMR arbeitete sie für die TV-Produktionsfirma Bavaria Entertainment und war als Redaktionsleiterin für zwei ZDF-Shows zuständig.

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