Die Herzenskette-Formel: Wie der 19-jährige Leon Michel zur Blaupause für Tiktok-Ads wurde

Torben Lux22.7.2022

Mit günstigem Schmuck wie personalisierten Magnetarmbändern macht das Startup aus Wetzlar Millionenumsätze

OMR Herzenskette Leon Michel
Die personalisierten Magnet-Armbänder von Herzenskette, Gründer Leon Michel und verpackte Bestellungen im Wetzlauer Büro(von links nach rechts).
Inhalt
  1. Die Idee für einen Online-Shop für Partnerarmbänder
  2. Ein holpriger Start für Herzenskette
  3. Die Herzenskette-Formel auf Tiktok
  4. Schnelles Tiktok-Wachstum
  5. Die Gefahr der Abhängigkeit
  6. Wachstumsschmerz statt Herzschmerz
  7. Wie es für Herzenskette weitergehen soll

2020 ist der damals 17-Jährige Leon Michel aus Wetzlar in Mittelhessen auf der Suche nach einem Geschenk zum Jahrestag für seine Freundin. Weil er auf die Schnelle kein personalisiertes Partnerarmband nach seinen Vorstellungen findet, entsteht die Idee für einen eigenen Online-Shop. Heute setzt er mit seinem Unternehmen Herzenskette und günstigem Schmuck bis zu einer Million Euro pro Monat um, beschäftigt über zehn Mitarbeitende und Tiktok wirbt mit ihm und seiner Marke als Erfolgscase für den smarten Einsatz von Ads. OMR hat mit Michel über sein Startup und die Marketing-Strategie gesprochen.

„Ich wollte schon immer selbstständig sein, bestimmt seit ich zwölf oder 13 Jahre alt war“, erzählt Leon Michel im Gespräch mit OMR. Heute, im Alter von 19 Jahren, hat er sich diesen Wunsch erfüllt – und das offenbar auch noch ziemlich erfolgreich. Seine ersten Gehversuche im Unternehmertum macht er aber schon ein paar Jahre zuvor. Auf Instagram und Snapchat betreibt er einige Sprüche- und Meme-Seiten. „Bei Snapchat waren das zum Beispiel jungsfakten1, mädchenfakten1 und sexfakten1. Mit den Accounts bin ich zweitweise auf über eine halbe Million Story Views innerhalb von 24 Stunden gekommen“, so Michel.

Seine größte Instagram-Seite mit zu dem Zeitpunkt knapp 300.000 Followern ist „cutelovehacks“. Mit unter anderem App Promotions verdient er mit den Seiten sein erstes Geld, mehr als 1.000 Euro im Monat werden es aber nicht. Trotzdem: Die Seiten sind seine ersten Berührungspunkte mit Online Marketing. Und vor allem das Instagram-Projekt „cutelovehacks“ legt indirekt den Grundstein für die spätere Gründung von Herzenskette. „Weil die Liebeszitate gezeigt haben, wie groß das Engagement auf dem Thema sein kann“, erklärt Leon Michel.

Die Idee für einen Online-Shop für Partnerarmbänder

2020 macht er sich auf die Suche nach einem besonderen Jahrestagsgeschenk. „Viel zu spät“ allerdings, wie er die Gründungsgeschichte auf herzenskette.de selber beschreibt, und deshalb auch unerfolgreich. Entweder zu lange Lieferzeiten oder zu hohe Preise machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Er fasst den Entschluss, das auf Basis seiner eigenen Ansprüche besser zu machen und die Produkte über seine thematisch passende Instagram-Seite zu bewerben – mit dem Wissen im Hinterkopf, dass Beziehungs- und Liebes-Content social mitunter richtig gut funktioniert und gute Reichweiten erzeugen kann,

Mit Hilfe von Youtube-Videos lernt Michel Leon, wie und wo man nach passenden Produzenten sowie Händlern sucht. Bei Alibaba wird er fündig und prüft die ersten Samples von magnetischen Partnerarmbändern und personalisiertem Modeschmuck. Im Dezember 2020, einen Tag nach seinem 18. Geburtstag, investiert er das über die Snapchat- und Instagram-Seiten verdiente Geld in die Gründung der herzenskette GmbH – und setzt wenig später dann alles auf eine Karte: „Im Februar 2021 habe ich meine Ausbildung zum Elektroniker für Betriebstechnik gekündigt, um mich voll auf herzenskette zu konzentrieren.“

Ein holpriger Start für Herzenskette

Über den selber per Shopify angelegten Online-Shop und mit seinem Instagram-Account „cutelovehacks“ als Marketing-Kanal startet Michel Leon im Februar 2021 mit dem Verkauf von günstigem personalisierten Schmuck unter dem Herzenskette-Label. „Die ersten zwei bis drei Monate habe ich dann auch komplett über den Kanal für die ersten Produkte geworben“, erzählt der Gründer. So richtig anlaufen will das Geschäft aber nicht – und Leon entscheidet Mitte des Jahres, Anzeigen auf Facebook und Instagram zu schalten. Auch dieser Plan ist nicht gerade von Erfolg gekrönt. Er gesteht: „Komplett ohne Vorerfahrung habe ich da rund 10.000 Euro verbrannt.“

Leon Michel im Herzenskette-Büro in Wetzlau (Foto: herzenskette.de).

Der für sein junges Unternehmen erste kleine Turning Point ist dann die Entscheidung, auf Tiktok zu werben. Auch hier fehlt Michel jegliche Vorerfahrung, er habe bis zu dem Zeitpunk nicht einmal einen eigenen Account gehabt. „Ich habe mir einfach viele Youtube-Videos und erfolgreiche Videos zum Thema ‚TikTok made me buy it‘ angeschaut“, sagt er. Anfangs filmt er lediglich die Partnerarmbänder. „Das war bereits der erste kleine Peak und hat direkt einigermaßen profitabel funktioniert“, so der Gründer.

Die Herzenskette-Formel auf Tiktok

Den Gamechanger für Herzenskette entdeckt Leon Michel dann aber im September 2021. Zum ersten Mal zeigt er in den Videos nicht nur die Produkte, sondern geht auch selber vor die Kamera, erzählt von sich und der Gründungsgeschichte. „Es ging direkt durch die Decke. Ab dann sind wir monatlich um mindestens 100 Prozent gewachsen.“ Während er Anfangs noch bis zu drei Stunden für ein einzelnes Tiktok-Video braucht, sind es heute nur noch 20 Minuten. Und Michel weiß offenbar genau, was er zu tun hat, damit die Videos als Ads funktionieren.

„Meine Formel funktioniert so: In den ersten drei Sekunden erzeuge ich einen Spannungsbogen und stelle entweder eine Frage oder zeige einen Point-of-View mit einem Spruch“, erklärt Leon Michel seine Video-Strategie. „Nach den drei Sekunden kommt meistens der Drop eines Sounds und dann verbinden sich entweder die Magnetbänder, ein Mann legt seiner Freundin ein Ring an oder irgendeine andere Aktion passiert.“ Die nächsten ein oder zwei Clips würden dann nur das Produkt zeigen, gefolgt von einem starken Call to Action.

Schnelles Tiktok-Wachstum

Mit der Erkenntnis, welche Mechanismen auf Tiktok für Anzeigen besonders gut funktionieren, beginnt Leon Michel schnell, zu skalieren. Noch im Jahr 2021 knackt Herzenskette ihm zufolge die Umsatz-Million, in diesem Monat habe das Unternehmen bereits ein paar Millionen Euro Umsatz gemacht. „Und es gibt Monate mit einem sechsstelligen Gewinn“, so Michel. Zu den größten Peak-Zeiten gebe Herzenskette 15.000 bis 20.000 Euro für Tiktok Ads aus – pro Tag. Und bis heute kümmere sich Leon Michel komplett alleine um Paid Marketing; insgesamt würden inzwischen 15 Mitarbeitende für das junge Unternehmen arbeiten.

Das Wachstum von Herzenskette auf Tiktok (aktuell kommt der Haupt-Account auf 276.000 Follower und fast fünf Millionen Likes), die hohen Budgets und die Performance der Kampagnen bleiben auch bei Tiktok selber nicht unbemerkt. In einer Case Study stellt die Plattform Herzenskette und den Einsatz des Anzeigenformats „Spark Ads“ in Kombination mit „Instant Pages“ vor, in einem Webinar im Februar dieses Jahres interviewt Tiktok Leon Michel vor bis zu 200 KMUs. „Ich arbeite mit meinen Tiktok-Ansprechpartnern im DACH-Raum eng zusammen“, so Michel. „Und die sagen, dass sich viele Kunden inzwischen an herzenskette orientieren.“

Die Gefahr der Abhängigkeit

95 Prozent des gesamten Umsatzes erwirtschafte Herzenskette heute über Tiktok. Nicht ganz ungefährlich: Funktioniert der Kanal irgendwann nicht mehr wie gewohnt, und steigen die Anzeigenpreise stark, wirkt sich das direkt und unmittelbar auf das Geschäft aus. Dieser Gefahr scheint sich Leon Michel bewusst zu sein. „Natürlich schalten wir auch ein paar Google Ads. Einfach, damit falls Leute nach uns suchen, wir da auch präsent sind“, erklärt er. Vor allem E-Mail-Marketing baue das Startup gerade verstärkt als zweiten Kanal aus. „Der CPM hat sich auf TikTok in den vergangenen Monaten stark erhöht. Und das, obwohl noch lange nicht alle großen Brands aktiv werben. Die Anzeigenpreise werden also auch in Zukunft weiter steigen“, sagt Michel.

Schon jetzt setzt Herzenskette aber nicht ausschließlich auf bezahlte Anzeigen auf Tiktok, auch Influencer Marketing spielt eine nicht unwesentliche Rolle. „Mittlerweile skalieren wir das Thema. Zwei Kolleg:innen kümmern sich Vollzeit, eine auf 450-Euro-Basis darum“, erklärt Leon Michel. „Wir schreiben gezielt Mikro-Influencer und kleine Content Creator an und schicken ihnen ein Gratis-Produkt. Davon machen dann einige ein Video, das sind rund 20 täglich, das hin und wieder trendet.“ Eine Tiktok-Suche nach „Herzenskette“ bringt dann auch direkt zahlreiche Videos von Influencer:innen hervor, die dem Unternehmen teilweise Millionen Views bescheren – ein Video von „rike.267“ von November 2021 wurde beispielsweise 7,4 Millionen mal aufgerufen. „Mit großen Influencern auf TikTok, die viel Geld nehmen, waren wir nie profitabel“, sagt Leon Michel. „Deshalb arbeiten wir nur mit kleinen Creatorn, dafür massenweise.“

Wachstumsschmerz statt Herzschmerz

Dass bei so schnellem Wachstum in kurzer Zeit nicht immer alles reibungslos abläuft, musste auch Leon Michel gleich mehrfach erfahren. Zwischen Oktober und Dezember 2021 sei für ihn die härteste Zeit gewesen. „Das Team war super klein und ich habe selber noch graviert, verpackt usw. Teilweise habe ich nur drei Stunden pro Nacht im Büro geschlafen“, erinnert sich der Gründer. Während sich das glücklicherweise eingependelt habe, arbeite er mit seinem Team aber noch an einer weiteren Folge des schnellen Skalierens.

Bei einer Google-Suche zum Keyword „herzenskette“ tauchen nicht nur die eigene Webseite und Accounts von Tiktok, Instagram & Co. auf – auch der Eintrag auf der Bewertungsplattform Trustpilot rankt prominent an dritter Stelle. Mit 2,8 Sternen von möglichen fünf bei insgesamt fast 4.000 Rezensionen. „Das war mein größtes Learning“, gibt Leon Michel zu. „Zu schnelles Wachstum kann schnell nach hinten losgehen, wir haben Versandzeiten nicht eingehalten. Die weniger guten Bewertungen kommen vor allem vom vergangenen Black Friday und ein wenig aus der letzten Weihnachtszeit. Das Wachstum und die Nachfrage hat uns da ein wenig überrannt und wir sind schlicht nicht hinterhergekommen.“

Die Bestseller-Kategorie im Online-Shop von Herzenskette (Foto: Screenshot).

Aktuell schreibe eine Kollegin gezielt alle Kund*innen an, die eine schlechte Bewertung abgegeben haben und biete als Entschädigung ein Geschenk und zusätzlich Rabatt auf die nächste Bestellung an. „Pro Tag löschen dadurch etwa fünf Leute ihre schlechte Bewertung. Und in den letzten 60 Tagen haben wir eine durchschnittliche Bewertung von 4,5“, so Michel.

Wie es für Herzenskette weitergehen soll

Nicht nur die Bewertungen will Leon Michel in den kommenden Monaten weiterhin verbessern, auch die Produktpalette soll deutlich auf über 100 erweitert werden. Die klaren Bestseller seien bisher Edelstein-Partner-Armbänder, magnetische Partner-Armbänder und Buchstaben-Ringe. „Es sollen darunter auch viele Produkte ohne Personalisierung sein, um die Marke zu stärken“, so Michel. Und mit den Tiktok-Seiten Herzenskette.it, Herzenskette.com und Herzenskette.fr probiere man sich langsam an einer Internationalisierung aus. Der Fokus liege aber auch weiterhin klar auf Deutschland.

Leon Michel selber will sich in Zukunft noch stärker als Gründer und Gesicht der Marke positionieren. „Das Feedback auf unsere Creatives auf TikTok ist auch seitens Unternehmen großartig“, erzählt er. Deshalb hatte ich die Idee, mein Know How in einen Kurs zu packen. Das wird parallel zu Herzenskette über die ECOM Factory GmbH laufen.“ Seit Anfang Juni baut er dafür auf seinem persönlichen Tiktok-Account bereits eine kleine Reichweite auf.

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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