"AI Overview": Diese Neuerung von Google könnten die Statik des gesamten Webs verändern

Warum KI-generierte Antworten in Googles Suchergebnissen ein Paradigmenwechsel sind

Googles Search-Chefin Liz Reid bei der Google IO 2024
Inhalt
  1. "Wir können künftig zehn Fragen auf einmal beantworten"
  2. Schon die "Featured Snippets" sorgten für Traffic-Einbrüche
  3. Wie kompatibel ist KI mit Googles Kerngeschäft?
  4. Gegenwind von User-Seite
  5. "AI Overviews werden eine Katastrophe für den Traffic sein"
  6. "Mir liegt das Web am Herzen"
  7. "Suchanzeigen werden zu einer 'Experience'"
  8. Noch mehr Blackbox?

Google führt "AI Overviews" ein, also KI-generierte Zusammenfassungen innerhalb der Suchergebnisse. Was in Zeiten von ChatGPT zunächst trivial klingen mag, könnte sich in letzter Konsequenz als Revolution herausstellen. OMR zeigt, wie "AI Overviews" aussehen und erklärt, warum der Schritt digitale Wertschöpfungsketten weltweit durcheinander wirbeln könnte – von Medien bis Online-Handel.

"Wir erleben gerade einen transformativen Moment, vielleicht den größten bisher", so Googles "Chief Business Officer" Philipp Schindler vor wenigen Tagen bei der jüngsten "Google Marketing Live"-Hausmesse. "Natürlich meine ich damit das neue Zeitalter der Künstlichen Intelligenz." Eine Woche zuvor hatte CEO Sundar Pichai bereits auf der Entwicklermesse Google IO vollkommen neu gestaltete Suchergebnisseiten angekündigt: die "AI Overviews", also mittels generativer KI erstellte Antworten auf Suchanfragen. Search-Chefin Liz Reid erklärte dann wenig später, was das für die User bedeutet: "Google übernimmt das googlen für Dich."

"Wir können künftig zehn Fragen auf einmal beantworten"

Möglich werden soll das durch die jüngsten Versionen von Googles multimodalem KI-Modell Gemini. Mit dessen Hilfe will Google künftig nicht nur einfache Fragen ("Wie reinige ich ein Stoffsofa?") direkt beantworten können, ohne auf eine andere Website weiterleiten zu müssen, sondern auch "Multi Step Reasoning" einführen, also die Beantwortung verschachtelter Suchanfragen, wie etwa: "Finde das beste Yoga oder Pilates Studio in Boston und zeige mir Informationen zu ihren Neukunden-Angeboten sowie deren Entfernung zu meiner Adresse."

So sieht es aus, wenn Google mit einem "AI Overview" eine komplexe Suchanfrage beantwortet (Video: Google)

Die offizielle Markteinführung der AI Overviews findet nach Google-Angaben seit der vergangenen Woche zunächst in den USA statt; weitere Länder sollen folgen. Angaben zum Start in Deutschland macht Google bislang nicht. Bis zum Jahresende soll die Funktion bei mehr als einer Milliarde Nutzer*innen ausgerollt werden.

Schon die "Featured Snippets" sorgten für Traffic-Einbrüche

Die KI-generierten Antworten sind die jüngste Ausbaustufe in Googles Wandel von der Such- zur Antwortmaschine. Begonnen hat dieser Prozess schon vor mehr als zehn Jahren. Unter Namen wie "Knowledge Panels", "Featured Snippets" und "Answerboxes" hat Google damit angefangen, Informationen direkt in den Suchergebnissen einzublenden.

Diese Informationen stammen in der Regel von anderen Websites, wie beispielsweise Wikipedia. Für die Drittseiten kann es deutliche Traffic-Einbußen zur Folge haben, wenn Google ihre Inhalte direkt in den Suchergebnissen anzeigt. Website-Betreiber*innen sollen eigentlich selbst darüber bestimmen können, ob Google diese Informationen direkt in den Suchergebnissen einblendet. Doch in der Vergangenheit hat sich Google offenbar nicht immer an solche Vereinbarungen gehalten und damit die jeweiligen Seitenbetreiber*innen in existenzielle Nöte gebracht.

Wie kompatibel ist KI mit Googles Kerngeschäft?

KI-generierte Antworten innerhalb der Suchergebnisse hat Google dann erstmals bei bei der letztjährigen Google IO angekündigt; zum damaligen Zeitpunkt noch unter dem Namen "Search Generative Experience". Die musste man zunächst aber durch die Bewerbung für einen Beta-Test "aktivieren"; zudem war die Teilnahme zunächst nur Nutzenden aus ausgewählten Ländern vorbehalten. Erst im November rollte Google das Produkt dann in 120 Ländern (jedoch nicht in Deutschland) aus – nach wie vor als Test.

Über mehrere Monate hinweg waren sich einige Branchenvertreter nicht sicher, ob Google die "Search Generative Experience" wirklich für die Allgemeinheit einführt. Auch, weil der Konzern qua Geschäftsmodell darauf angewiesen ist, potenzielle Kund*innen in die Shops und auf die Websites von zahlenden Werbetreibenden weiterzuleiten. Wenn User künftig nicht mehr oder zumindest seltener auf Anzeigen klicken, weil sie viele Antworten von Google selbst erhalten, schneide sich das Unternehmen ins eigene Fleisch, so die Argumentation der Skeptiker*innen.

Gegenwind von User-Seite

Doch das gerade über die Bühne gegangene "Google Marketing Live"-Event hat deutlich gemacht, dass Google an das Potenzial von Werbung in KI-Antworten glaubt – denn Werbechefin Vidhya Srinivasan kündigte Anzeigen in den neuen "AI Overviews" an. Wer sich über Google informiert, wie man ein Stoffsofa reinigt, könnte beispielsweise Werbung für Reinigungsmittel angezeigt bekommen; wer nach einer Lösung sucht, Kleidung ohne Bügeleisen knitterfrei zu bekommen, könnte Anzeigen für ein "Faltenlöser-Spray" sehen, so die von Google gezeigten Beispiel-Cases.

So sieht Werbung in Googles "AI Overviews" aus (Video: Google)

Dass Google die "AI Overviews" nun für eine Milliarde Nutzer*innen ausrollen und auch Anzeigen in den KI-Zusammenfassungen ausspielen will, ist wohl der endgültige Beleg dafür, dass der Konzern den Umbau seiner Kern-Einnahmequelle durchziehen will. Und das, obwohl es viel Gegenwind gibt – etwa von User-Seite. Auf Social-Media-Plattformen beschweren sich Nutzer*innen öffentlich darüber, dass Google ihnen die neue Funktion aufzwingt. SEO-Expertin Lily Ray dokumentiert einige solcher Äußerungen immer wieder bei X (ehemals Twitter).

"AI Overviews werden eine Katastrophe für den Traffic sein"

Mit ein Grund für die Mißstimmung auf User-Seite ist offenbar, dass die Qualität der KI-Antworten teilweise zu wünschen lässt. So soll Google Nutzer*innen in den "AI Overviews" empfohlen haben, Urin zu trinken, um Nierensteine loszuwerden, sowie, im Fall eines Klapperschlangen-Bisses, das Gift auszusaugen. Nun fangen sowohl laut Google Trends als auch laut Similarweb Nutzer*innen damit, mit Google nach einer Möglichkeit zu suchen, die neue Funktion deaktivieren zu können.

Aber nicht nur Endverbraucher*innen, sondern auch andere Marktteilnehmer*innen stehen den KI-Antworten kritisch gegenüber – vor allen Dingen Publisher. "Das wird katastrophal für unseren Traffic sein", sagt beispielsweise Danielle Coffey, die Vorsitzende der "News Media Alliance", eines US-Verbandes, der die Interessen von mehr als 2.000 Tageszeitungen und Zeitschriften vertritt. Gegenüber der Washington Post berichteten mehrere Blogger*innen und Website-Betreiber*innen von ihren Ängsten, keine Besucher*innen mehr über Googles Suchmaschine gewinnen zu können.

"Mir liegt das Web am Herzen"

Zwar sollen Publisher selbst bestimmen können, ob ihre Inhalte für die "AI Overviews" ausgewertet werden. Aber einen potenziellen Traffic-Rückgängen dürfte diese Option auch nicht verhindern – denn ausgespielt werden die "AI Overviews" ja so oder so.

Nimmt Google also möglicherweise den schleichenden Tod des offenen Webs bewusst in Kauf? "Mir liegt das Web am Herzen", so Google CEO Sundar Pichai gerade gegenüber The Verge. Es gebe schon seit Längerem Spekulationen um ein "Tod des offenen Webs"; bisher hätten sich diese aber noch nicht bewahrheitet. Er sei optimistisch: "Wir sehen, dass die in AI-Übersichten enthaltenen Links mehr Klicks erhalten, als wenn die Seite für diese Suchanfrage als herkömmlicher Webeintrag erschienen wäre", so Pichai.

"Suchanzeigen werden zu einer 'Experience'"

Aber nicht nur für Publisher könnten die "AI Overviews" tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen. Auch Werbetreibende werden beobachten müssen, ob die Anzeigen in den KI-Antworten genauso gut geklickt werden, wie zuvor, oder ob die Zahl der Klicks sinkt, wenn User sich daran gewöhnen, ihre Bedürfnisse direkt von und bei Google erfüllt zu bekommen.

Vielleicht treibt Google diese Sorge auch um. Der Tech-Konzern will jedenfalls offensichtlich versuchen, noch einen größeren Teil der Kundengewinnung und der Kaufentscheidung auf der eigenen Plattform abzubilden. "Stellt Euch eine Welt vor, in der jede Suchanzeige mehr als ein Angebot ist, sondern eine eigene Erfahrung bietet", so Produktmanager Sylvanus Bent gerade bei der Vorstellung neuer Werbeformate im Rahmen von "Google Marketing Live".

Noch mehr Blackbox?

Unternehmen sollen in diesem Zuge schon innerhalb der Anzeige mit ihren Kund*innen interagieren können. Ein Beispiel: Eine Firma, die kurzfristige Lagerflächen an Privatpersonen vermietet, könnte es potenziellen Kund*innen möglich machen, innerhalb ihrer Google-Werbung Fotos ihrer Wohnung inklusive Mobiliar hochzuladen, um auf dieser Basis eine Schätzung für die notwendige Fläche zu erhalten.

Ein Beispiel für ein neues komplexeres und interaktives Werbeformat von Google (Video: Google)

Es bleibt abzuwarten, wie offen Werbetreibende dafür sein werden, weitere Teile der Kaufentscheidung auf Googles Plattformen stattfinden zu lassen – denn dort sind die Advertiser ja abhängig von den von Google gelieferten Daten und können nicht eigenständig den Erfolg ihrer Maßnahmen messen. Googles letzte große Neuerung im Werbegeschäft waren "Performance Max"-Kampagnen. Bei denen definieren die Unternehmen nur ihr Ziel, übergeben Google Daten und Bilder von ihren Produkten und Google "optimiert" die Ausspielung selbst auf dem gesamten Google-Inventar. Das Branchenmedium Adexchanger bezeichnete "Performance Max" als "dunkelste Blackbox aller Google-Werbeprodukte".

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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