Giovanni di Lorenzo: So erklärt der Zeit-Chefredakteur das Wachstum gegen den Trend

Florian Rinke19.4.2023

Der Journalist spricht über den Wert von Meinungsvielfalt und KI im Journalismus

Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo (rechts) war zu Besuch im Podcast von OMR-Gründer Philipp Westermeyer. Foto: Rikkert Aussems
Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo (rechts) war zu Besuch im Podcast von OMR-Gründer Philipp Westermeyer. Foto: Rikkert Aussems
Inhalt
  1. Interviews mit Uli Hoeneß und Julian Reichelt
  2. Giovanni di Lorenzo beklagt Mangel an Diversität
  3. Die Themen des Podcasts mit Giovanni di Lorenzo im Überblick:

Giovanni di Lorenzo ist seit fast 20 Jahren Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, deren Auflage in den vergangenen Jahren gegen den Branchentrend gestiegen ist. Doch wieso ist das eigentlich so? Und wieso sprachen Prominente wie Ex-Bayern-Manager Uli Hoeneß oder Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt zuerst mit Zeit-Journalist*innen nach Bekanntwerden der Steuer-Affäre bzw. dem Rauswurf bei Axel Springer? Im OMR Podcast gibt Giovanni di Lorenzo einen Einblick in die Hintergründe des Erfolgs – und verrät, ob er seinen Job durch eine künstliche Intelligenz bedroht sieht.

Es gibt ein paar Vorschläge vom Verlag, doch so richtig zufrieden ist Giovanni di Lorenzo damit nicht. Ende November soll sein neues Buch erscheinen, das Interviews der vergangenen Jahre bündelt. Doch der Buchtitel fehlt noch. Auch dem Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ fällt nicht direkt die perfekte Lösung ein. „Und dann habe ich mit einem Freund angefangen, ChatGPT zu füttern“, erzählt er im OMR Podcast. Die künstliche Intelligenz ist zu diesem Zeitpunkt in aller Munde, vielerorts wird die Frage diskutiert, welche Berufe sie bedroht – und natürlich auch, was sie für den Journalismus bedeutet. Einen ersten Eindruck hat Giovanni di Lorenzo inzwischen bekommen: „Fast jeder Titel-Vorschlag war besser als das, was ich bis dahin gelesen hatte“. Allerdings: Am Ende wählten Verlag und Autor dann doch einen vom Menschen erdachten Vorschlag aus. Die Revolution ist ausgeblieben. Zumindest zunächst. 

Giovanni di Lorenzo ist inzwischen 64 Jahre alt, seit fast 20 Jahren leitet er die Chefredaktion von Deutschlands größter Wochenzeitung Die Zeit. Er ist in der Print-Welt groß geworden, liest bis heute gedruckte Zeitungen und meidet die aktive Teilnahme in sozialen Netzwerken. Dennoch ist Die Zeit unter seiner Führung zu einer der innovativsten Medienmarken des Landes geworden. Die Wochenzeitung erscheint noch immer, doch dazu ist ein breit gefächertes Angebot digitaler Produkte entstanden. Die Podcasts der Zeit gehören zu den reichweitenstärksten des Landes, datenjournalistische Projekte sorgen immer wieder für Aufsehen. Entgegen dem Branchentrend ist es Giovanni di Lorenzo und seiner Redaktion in den vergangenen zehn Jahren gelungen, die Auflage deutlich zu steigern. Zuletzt lag sie bei mehr als 600.000 Exemplaren (digital und gedruckt) pro Woche.

Interviews mit Uli Hoeneß und Julian Reichelt

Dazu trägt vermutlich bei, dass sich Die Zeit inzwischen einen Namen gemacht hat als Medium für die großen Botschaften. Ex-Fußballer Thomas Hitzlsperger sprach erstmals in der Wochenzeitung über seine Homosexualität, auch Ex-Bayern-Manager Uli Hoeneß und Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt gaben nach Steuer-Affäre und Rauswurf zuerst dem Hamburger Medium ein Interview. Es sei nicht so, dass man gesagt habe, man biete Schurken eine besondere Bühne und behandele diese ganz nett, sagt die Lorenzo, angesprochen auf die Interviews mit Hoeneß und Reichelt. Man habe jedoch einen seriösen Ruf. „Und zu unseren Grundwerten zählt eben auch ein Minimum an Fairness.“

Hinzu kommen Recherchen, in deren Mittelpunkt zuletzt ebenfalls Reichelt stand – und dessen Ex-Arbeitgeber Axel Springer. Denn die Zeit veröffentlichte private Nachrichten von Vorstandschef Mathias Döpfner, in denen dieser den früheren Chefredakteur der Boulevard-Zeitung offenbar angewiesen hatte, die FDP im Bundestagswahlkampf zu unterstützen. In weiteren Nachrichten hatte er sich negativ über Ostdeutsche und Ex-Kanzlerin Angela Merkel geäußert. Die Recherchen haben für viele weitere Schlagzeilen gesorgt. Der Bericht wird jedoch auch kritisch gesehen.

Giovanni di Lorenzo beklagt Mangel an Diversität

Dennoch, aus Sicht von Giovanni di Lorenzo sind es die journalistischen Grundtugenden, die den Erfolg der Wochenzeitung ausmachen: Recherche, Einordnung, aber vor allem auch Meinungsvielfalt. Es sei ein altes Konzept, das sich bewährt hat, sagt der Chefredakteur: „Wir glauben, dass die Konfrontation mit unterschiedlichen Meinungen erst dazu führt, dass du dir selbst eine bilden kannst.“ Insgesamt nimmt er in der Branche eine Verengung des Blicks wahr. Es gebe eine wachsende Diskrepanz zwischen denen, die die Medien machen und denen, die sie nutzen sollen. 

Das liegt aus seiner Sicht auch an den immer ähnlicher werdenden Biografien von Journalist*innen. Diese haben heute häufig einen geisteswissenschaftlichen Studienhintergrund. „Ich glaube, dass es ganz schwer ist, Karriere zu machen, wenn man aus anderen Milieus und aus anderen Biografien kommt. Und das verengt meines Erachtens den Blickwinkel“, sagt Giovanni di Lorenzo: „Ich glaube, das ist vor allem für das Fernsehen ein Problem. Wenn alle für ein Programm bezahlen müssen, wollen sie sich auch wiederfinden in bestimmten Meinungen und Beiträgen.“

Wie Giovanni di Lorenzo die Berichterstattung über Mathias Döpfner sieht, konnten wir ihn im Podcast nicht fragen – die Aufnahme fand vor der Enthüllung statt (ähnlich wie bei Springer-Investor KKR). Dafür verrät er, ob er gerne so wie Gabor Steingart früher beim Handelsblatt am Unternehmen beteiligt wäre, welches Interview er rückblickend für einen Fehler hält und wieso er fast mal persönlicher Referent von Italiens Ex-Ministerpräsident und Medienunternehmer Silvio Berlusconi geworden wäre.

Die Themen des Podcasts mit Giovanni di Lorenzo im Überblick:

  • (00:00:00) Intro
  • (00:03:40) Giovanni di Lorenzos Weg in den Journalismus
  • (00:11:20) Der Zeit-Chefredakteur über das Wachstum gegen den Branchentrend
  • (00:20:00) Warum Journalismus stärker die Lebenswelt der Menschen abbilden muss
  • (00:33:00) Interviews mit Karl-Theodor zu Guttenberg und anderen Gestrauchelten
  • (00:39:45) Warum Giovanni di Lorenzo nicht in sozialen Medien aktiv ist
  • (00:43:10) Die Erfahrungen von Giovanni di Lorenzo mit ChatGPT
  • (00:53:10) Der Zeit-Chefredakteur über den Aufbau des Podcast-Programms bei der Zeit
  • (01:03:00) Die Folgen der Digitalisierung und die Bedeutung von Umsatzzahlen

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Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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