Wie aggressive Affiliates mit Randale-Videos aus Hamburg die G20-Lage ausnutzen
Millionen Views für die Vermittlung von Pfefferspray, Feuerlöscher & Co.
- Fast sechs Millionen Views für Pfefferspray
- Brennende Autos in der Elbchaussee, 23.000 Views für einen Feuerlöscher
In den vergangenen Tagen war Hamburg der traurige Mittelpunkt in den Medien. Vor allem die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel erfuhren national wie international enorme Aufmerksamkeit; in sozialen Netzwerken wurden besonders die Videos der gewalttätigen Auseinandersetzungen millionenfach geteilt. Das haben auch ein paar skrupellose Marketer erkannt – und nutzen die enorme Reichweite, um als Affiliates Geld zu verdienen. OMR stellt die moralisch fragwürdige Masche vor.
Dass clevere Online Marketer auf mediale Großereignisse abfahren, ist nicht wirklich neu. Egal ob Sonnenfinsternis, USA-Reise vom Papst oder Fußballturniere wie EM und WM – immer, wenn eine besonders große Aufmerksamkeit absehbar ist, docken Affiliates an diese an, ziehen Interessierte auf ihre Seite und vermitteln Käufe von verschiedenen Produkten. Einen faden Beigeschmack erhält dieses Vorgehen allerdings, wenn bei den Großereignissen, wie jetzt in Hamburg, Krawalle und Randale im Mittelpunkt stehen. Das OMR-Team hat sich während der Tage übrigens aus dem Office in der Schanze verabschiedet und das jährliche Offsite in Wilhelmsburg genossen.
Fast sechs Millionen Views für Pfefferspray
Der erfolgreichste Affiliate-Marketing-Stunt dürfte in diesen Tagen der kleinen Facebook-Seite “Car Gadgets” gelungen sein. Für knapp 5.500 Fans veröffentlicht der Macher dort seit Januar 2017 nach eigenen Angaben aktuelle Meldungen, Fails, Wins und Gadgets rund um das Thema Fahrzeuge. Der Großteil der Posts enthält Videos, die zuletzt meistens vierstellige bis niedrig fünfstellige Views erreicht haben und keine Affiliate-Links enthalten. Ein am 8. Juli um etwa 2:30 Uhr morgens – also gegen Ende der schwersten Krawalle im Hamburger Schanzenviertel – hochgeladener Clip unterscheidet sich jetzt aber deutlich.
Das Video zeigt ein Diplomaten-Auto, das während des G20-Gipfels in Hamburg von etwa einem Dutzend Demonstranten an der Weiterfahrt gehindert wird, bis der Fahrer wendet, dabei ein Fahrrad überrollt und zügig davonfährt. Bis heute (Stand: 17:00) wurde der Clip knapp sechs Millionen Mal angeschaut, 167.000 Mal gelikt und über 44.000 Mal geteilt. Offenbar merkte der Seitenbetreiber ebenfalls, dass der Clip überdurchschnittlich erfolgreich war: Rund neun Stunden nach dem Hochladen fügte er dem Beitrag einen Affiliate-Link hinzu, der bis jetzt auf die Amazon-Produktseite eines Pfeffersprays leitet. Am Sonntag Abend kam mit dem Zusatz “Quelle: Hamburger Abendblatt” und der Verlinkung auf die Facebook-Seite der Hamburger Lokalzeitung noch ein weiterer Hinweis hinzu.
Wie viele Käufe und Umsatz mit Hilfe des Pfeffersprays generiert wurden, warum am Sonntag der Quellen-Hinweis ergänzt wurde, ob der Seitenbetreiber den Beitrag mit Budget beworben hat und ob er die Masche nicht auch moralisch fragwürdig findet, wollte er auf Nachfrage von OMR nicht beantworten. Von Außen ist vor allem eine Einschätzung zur Provision für den Affiliate nahezu unmöglich. Es lässt sich weder eindeutig nachvollziehen, wie viele Views das Video schon vor dem Hinzufügen des Links generieren konnte, wie viele User insgesamt geklickt haben, noch kann man zuverlässig schätzen, wie viele der klickenden Personen dann innerhalb von 24 Stunden (so lange ist Amazons Affiliate-Cookie gültig – vorausgesetzt, der User klickt nicht auf einen Link eines anderen Affiliates) was und für welchen Wert bei Amazon bestellt haben.
Trotzdem eine kleine, vielleicht recht tief gestapelte Beispielrechnung: Klickt nur ein Prozent der User, die das Video angeschaut haben, auf den Affiliate-Link, landen rund 60.000 Nutzer bei Amazon. Rechnen wir dort weiter mit einer Conversion Rate von ebenfalls einem Prozent, einer durchschnittlichen Warenkorbgröße von 20 Euro und einer durchschnittlichen Affiliate-Provision von fünf Prozent, landen wir bei einem Gesamtumsatz von 600 Euro für den Seitenbetreiber. Nicht so schlecht für ein nicht selbst gefilmtes, spontan hochgeladenes Video…
Update, 11. Juli: Einen Tag nach Veröffentlichung des Artikels hat sich der Seitenbetreiber doch noch bei uns gemeldet. Unsere Einschätzung zur Höhe der Provision sei schon sehr nah dran. Er habe das Video nicht beworben, alle Views seien organisch entstanden.
Brennende Autos in der Elbchaussee, 23.000 Views für einen Feuerlöscher
Ebenfalls auf den G20-Reichweiten-Zug aufgesprungen ist die Facebook-Seite “Black Ops 3 News” mit knapp 33.000 Fans, die sich sonst als perfekte Seite für Gamingunterhaltung bezeichnet. Am Vormittag des vergangenen Freitags luden die Seitenbetreiber das extrem aufmerksamkeitsstarke Video hoch, in dem ein Autofahrer an brennenden Autos in der Elbchaussee vorbeifährt. Der mit dem Hashtag #G20 versehene Clip wurde rund 23.000 Mal angeschaut und über 140 Mal geteilt; als Quelle wurde die Facebook-Seite von Radio Hamburg angegeben. Auch in diesem Fall wurde erst nachträglich – rund 30 Minuten nach Veröffentlichung – ein Affiliate-Link hinzugefügt. Für wenige Minuten führte dieser zur Amazon-Produktseite des Buches “111 Orte in Hamburg, die man gesehen haben muss”, seit einer weiteren Änderung leitet er zu einem Feuerlöscher.
Derzeitig in Hamburg.. Das braucht jeder in so einer Situation: http://amzn.to/2uxVXzlQuelle: Radio Hamburg#G20
Posted by Black Ops 3 News on Friday, 7 July 2017
Ein besonders skrupelloser Versuch, an der Reichweite der G20-Krawalle zu partizipieren und sie für Affiliate-Umsätze zu nutzen, kommt von der Facebook-Seite “Top Angebote jeden Tag” mit nur knapp über 500 Fans. Als Thumbnail für den Zusammenschnitt verschiedener Krawall-Szenen in Hamburg wählte der Seitenbetreiber einen Demonstranten, der sich im Zuge der Free-Tibet-Proteste in China selbst angezündet hatte. Im Beitragstext steht in großen Buchstaben “+++Hamburg im Ausnahmezustand+++” und “Hamburg brennt – richtig krass”. Außerdem sind gleich zwei Affiliate-Links zu Amazon eingebunden: zu einer Atemschutzmaske und ebenfalls zu einem Feuerlöscher. Glücklicherweise kommt dieses Video auf “nur” 6.800 Views.
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Aus gegebenem Anlass.. ._.
Posted by [Umstrittener Humor] Der Sexuell belästigungs Panda on Saturday, 8 July 2017
Die geringste Reichweite eines Posts geht an die größte Facebook-Seite in dieser Runde. “[Umstrittener Humor] Der sexuelle Belästigungspanda” kommt auf rund 160.000 Fans, der im Zusammenhang mit G20 gepostete Foto-Beitrag vom 8. Juli erreichte dafür aber “nur” knapp unter 1.000 Likes und etwa 70 Shares. Das Bild zeigt eine Frau, die an einer Kasse vom Fast-Food-Restaurant Mc Donalds steht; auf ihrer Jacke ist die Aufschrift zu lesen: “Kampf dem Kapital”. Den Widerspruch müssen wir hier wohl nicht erklären, das Foto wird seit einigen Jahren immer wieder als Meme von verschiedenen Publishern genutzt. Obwohl die Performance des Posts im Vergleich zu den bisher genannten eher schlecht ist, sticht der Beitrag doch heraus. Als einzige Seite wird hier Facebooks noch relativ neue Funktion für Branded Content genutzt: So ist der Post als “Paid” gekennzeichnet und nennt Amazon als Partner. Der Affiliate-Link führt übrigens zu diesem “Liebeskummerpillen Anti-Trödel-Spray” – was auch immer das sein mag.