Finanztip hat eine Million Newsletter-Abonnenten – und macht Millionen-Gewinne

Florian Rinke25.10.2022

Finanztip will finanzielles Wissen vermitteln – und hat nebenbei den größten journalistischen Newsletter Deutschlands aufgebaut

Hermann-Josef Tenhagen und Saidi Sulilatu leiten den Finanz-Ratgeber Finanztip. Foto: Finanztip
Hermann-Josef Tenhagen und Saidi Sulilatu leiten den Finanz-Ratgeber Finanztip. Foto: Finanztip

Bis zu 150.000 Menschen melden sich pro Quartal neu für den Finanztip-Newsletter an. Inzwischen ist dieser zum größten journalistischen Newsletter in Deutschland geworden. Im Gespräch mit OMR verraten die Finanztip-Macher, mit welchen Hacks ihnen das gelungen ist – und wie es nun weitergeht.

Wenn Hermann-Josef Tenhagen den Auslöser des ersten richtig großen Wachstumsschubs beim Finanztip-Newsletter beschreiben soll, nennt er einen ziemlich sperrigen Begriff: Kreditbearbeitungsgebühren. Kein kreativer Werbeslogan, keine teure Marketingkampagne, sondern einfach nur die Aktenzeichen Az. XI ZR 170/13 und XI ZR 405/12. Im Jahr 2014 kassiert der Bundesgerichtshof die bisherige Praxis vieler Banken und erklärt solche Gebühren bei Krediten für rechtswidrig. Zig Tausende Menschen konnten in Deutschland plötzlich Geld von Banken zurückfordern – und Finanztip hatte eine Lösung für sie, mit der das ganz einfach geht.

„Wer damals unseren Newsletter abonniert hat, bekam kostenlos einen Musterbrief dazu. Allein im Quartal dieser Aktion haben wir damals 35.000 neue Abonnent*innen gewonnen“, sagt Hermann-Josef Tenhagen. Der Chefredakteur von Finanztip sagt, man müsse bei einzelnen Themen so relevant sein, dass andere nicht an einem vorbeikommen. Acht Jahre später hat der Newsletter von Finanztip mehr als eine Million Abonnent*innen. Kein anderes journalistisches Newsletter-Angebot dürfte eine ähnlich große Reichweite haben. Selbst der König des Morgen-Newsletters, The-Pioneer-Gründer Gabor Steingart, bringt es nach eigenen Angaben „nur“ auf eine halbe Million Empfänger*innen pro Ausgabe. Steingarts alter Arbeitgeber, die Wirtschaftszeitung Handelsblatt, kommt mit seinem Morning Briefing auf rund 400.000 Empfänger*innen beim kostenlosen Angebot.

Interhyp-Gründer finanzieren den Finanztip-Aufbau

Finanztip wurde von Marcus Wolsdorf und Robert Haselsteiner gegründet. Die beiden haben sich während ihrer Zeit bei der Investmentbank Goldman Sachs kennengelernt. 1999 gründen sie den Online-Baufinanzierungsvermittler Interhyp und bringen ihn später an die Börse, bevor das Unternehmen dann 2008 an die niederländische Großbank ING verkauft wird. 2013 ziehen sie sich aus dem Geschäft zurück – und gründen Finanztip. Sie übernehmen dafür eine bereits bestehende Domain – und schaffen es, mit Hermann-Josef Tenhagen Deutschlands bekanntesten Verbraucherjournalisten für ihr Projekt zu gewinnen.

Marcus Wolsdorf hat mal gesagt, dass sie gesehen hätten, wie Menschen bei Finanzthemen immer wieder die falschen Entscheidungen getroffen hätten. „Was uns wahnsinnig aufgeregt hat, ist, dass Produktanbieter dieses Unwissen von Menschen immer wieder ausnutzen“, beschrieb er den Antrieb, eine Plattform zu bauen, die Menschen genau für solche Fälle Hilfen an die Hand gibt. Finanztip wird daher als gemeinnütziges Unternehmen gegründet, heute steht eine Stiftung der beiden Gründer hinter der Firma. Denn die Gewinne sollten langfristig im Unternehmen bleiben.

Von der Stiftung Warentest zum Newcomer Finanztip

Tenhagens Wechsel am 1. Oktober 2014 ist ein Coup; immerhin war er bis dahin Chefredakteur der zur Stiftung Warentest gehörenden Zeitschrift Finanztest. Die Zeitschrift hat damals noch eine Auflage von rund 230.000. Unter der Domain Finanztip.de hingegen wurde, bevor die Interhyp-Gründer sie übernahmen, jahrelang von einem Hamburger Unternehmer eine Art Ein-Mann-Nischenblog betrieben. Das ist ungefähr so, als würde der Trainer des FC Bayern München bei einem Fünftligisten anheuern.

Die Seite Finanztip.de vor der Übernahme durch die Interhyp-Gründer

Die Seite Finanztip.de vor der Übernahme durch die Interhyp-Gründer. Foto: Screenshot

Doch Tenhagen reizt die Aussicht, mit Finanztip ein Digitalportal aufzubauen – und die Inhalte den Nutzer*innen kostenlos zur Verfügung stellen zu können: „Finanztip soll gerade auch den kleinen Leuten helfen“, begründet er damals seinen Wechsel. Das Portal finanziert sich von Anfang an über Erlöse aus Affiliate-Links. Es gibt keine Abos, wie bei der Stiftung Warentest und Finanztest, oder Werbeanzeigen wie auf anderen journalistischen Websites. Das Vorgehen beschreibt Finanztip dabei so: Die Redaktion recherchiert ein Thema und veröffentlicht dazu dann einen Artikel mit Empfehlungen – etwa zu den besten Anbietern bei Girokonten. Nach der Veröffentlichung geht die Affiliate-Abteilung dann auf Banken, Versicherungen und Co. zu und fragt, ob sie verlinkt werden wollen. Klicken Nutzer*innen anschließend auf den Link, bekommt Finanztip eine kleine Provision.

60 Millionen Abrufe pro Jahr

Das Modell soll einerseits die journalistische Unabhängigkeit sicherstellen, andererseits aber auch ein tragfähiges Geschäftsmodell bieten. Bislang geht der Plan auf. Laut Bundesanzeiger konnte Finanztip allein 2020 einen Überschuss von 2,5 Millionen Euro erwirtschaften – bei einem Umsatz von jährlich sechs bis sieben Millionen. Im Unternehmen heißt es, der Gewinn sei in diesem Jahr außerordentlich hoch ausgefallen, weil viele Menschen am Börsenboom zu Beginn der Pandemie teilhaben wollten und bei Finanztip nach den entsprechenden Artikeln (und Anbietern) suchten. Doch auch 2019 war das Unternehmen mit einem Gewinn von rund 936.000 Euro deutlich im Plus.

„Unsere Ratgeber werden inzwischen 60 Millionen Mal im Jahr abgerufen“, sagt Hermann-Josef Tenhagen. Möglich machen das zum einen hohe Platzierungen in Googles Suchergebnissen, weil das insgesamt rund 60-köpfige Team seine Artikel konsequent für die Suchmaschinen optimiert und auch immer wieder aktualisiert. Zum anderen hat Finanztip in den vergangenen Jahren auch eine große Reichweite bei Social Media und eben mit dem Newsletter aufgebaut, die immer wieder Nutzer*innen auf die Seiten bringen, aber auch längst mehr als ein reiner Marketing-Kanal sind.

Was man vom Erfolg des Finanztip-Newsletters lernen kann

Das Geheimnis hinter dem Reichweiten-Erfolg des Newsletters ist zunächst mal der Content. Von Spartipps der Woche bis zum Ratgeber, wie man mit Alternativen zur Gehaltserhöhung mehr Netto heraushandeln kann, ist alles dabei und für viele Menschen relevant. Die Öffnungsrate des Newsletters liegt trotz des enormen Wachstums in den vergangenen Jahren nach Angaben von Finanztip dauerhaft zwischen 37 und 39 Prozent. Dabei haben sich allein in den vergangenen anderthalb Jahren zwischen 50.000 und 150.000 Menschen pro Quartal neu für den Newsletter angemeldet. Auch diese Zahl ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. „Diesel-Klagen, Flugverspätungen oder jetzt die Grundsteuer – es gibt jedes Jahr mindestens ein großes Thema, das enorm beim Wachstum hilft“, sagt Hermann-Josef Tenhagen.

Entwicklung der Abonnent*innen beim Finanztip-Newsletter. Grafik: Finanztip

Entwicklung der Abonnent*innen beim Finanztip-Newsletter. Grafik: Finanztip

Nach dem ersten Erfolg mit dem Musterbrief bei den Kreditbearbeitungsgebühren hat Finanztip den Versand des Newsletters umgestellt. Seit dem 1. Januar 2015 erscheint er wöchentlich immer freitags. „Diese Regelmäßigkeit hilft sehr“, sagt der Chefredakteur. Neu-Abonnenten würde durch Hinweise in Texten auf das Angebot aufmerksam. „Das funktioniert ganz gut, ist aber auch kein Burner“, sagt Tenhagen. Viel effektiver sei es, ein Extra anzubieten, das es nur mit dem Newsletter gebe. Im klassischen Marketing-Sprech: Freebies anbieten. Es sind Methoden aus dem Marketing-Baukasten, die Finanztip mit der hohen Relevanz der eigenen Inhalte deutlich besser kombiniert als viele andere Medienunternehmen.

Die Stiftung Warentest hat Finanztip abgehängt

Dabei gelingt es dem Team sogar, mit dem Newsletter Männer und Frauen gleichermaßen anzusprechen. Der Anteil der Abonnentinnen liegt laut Finanztip ungefähr bei 50 Prozent, während sich die Geschlechterverteilung in sozialen Netzwerken stärker unterscheidet. So liegt der Männeranteil bei den Zuschauenden bei Youtube laut Finanztip bei rund 85 Prozent. Es ist gleichzeitig der Kanal, in dem Finanztip über die Jahre die größte Followerschaft aufgebaut hat. Rund 387.000 Menschen haben den Youtube-Kanal inzwischen abonniert. Die Stiftung Warentest hat man in sozialen Netzwerken inzwischen bei der Reichweite abgehängt (wie die Stiftung Warentest ihre digitale Zukunft plant, haben wir hier aufgeschrieben).

Und während Hermann-Josef Tenhagen unter anderem mit einer Kolumne beim Online-Angebot des Nachrichtenmagazins Spiegel für die nötige Wahrnehmung im politischen und publizistischen Raum sorgt, ist Saidi Sulilatu das Gesicht in den sozialen Netzwerken. Sulilatu hat früher als Finanzberater gearbeitet, ist heute Mitglied der Finanztip-Geschäftsleitung und beantwortet in Youtube-Videos leicht verständlich, ob es sinnvoller ist zu kaufen oder zu mieten (zwei Millionen Aufrufe), ob sich 2022 noch die Anschaffung einer Solaranlage lohnt (1,3 Millionen Aufrufe) oder welche 20 gutbezahlten Jobs es gibt, die nicht krank machen (knapp eine Million Aufrufe). Bei Tiktok wiederum wird er inzwischen auch von jüngeren Kolleg*innen unterstützt. „Wir versuchen auf unseren Social-Media-Kanälen natürlich, altersmäßig passende Gesichter zu zeigen“, sagt er: „Und natürlich wollen wir zeigen, dass wir keine One-Man-Show sind.“

140.000 App-Installationen

Im Zukunft will Finanztip noch stärker mit der eigenen App wachsen. 140.000 Installationen hat man damit inzwischen erreicht. „Wir haben die App eingeführt, um auch Zielgruppen zu erreichen, für die die E-Mail vielleicht nicht mehr das Kommunikationsmittel Nummer eins ist“, sagt Saidi Sulilatu. In den kommenden Jahren soll das Angebot noch stärker ausgebaut werden.

Andere Angebote wird es so schnell hingegen nicht geben. „Wir diskutieren etwa einmal im Jahr, ob wir auch Coachings oder Einzelberatungen anbieten sollten“, sagt Saidi Sulilatu. Er habe sowas früher selbst gemacht und habe daran auch viel Spaß. „Aber der Aufwand ist erheblich. Wir müssten ein relativ großes Team aufbauen, gleichzeitig soll das Angebot ja möglichst günstig sein“. Aktuell konzentriere man sich lieber weiter darauf, die Zahl der Selbermacher*innen allgemein zu erhöhen. „90 Prozent der Deutschen brauchen keine Geldanlage-Beratung von Versicherungen und Banken, sondern könnten das selbst. Da gibt es also noch genug Wachstumspotenzial“.

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Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

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