Eine Milliarde User: So will Adblock-Plus-Betreiber Eyeo die nächste Wachstumsstufe zünden
Die Kölner Firma peilt Übernahmen sowie weitere Partnerschaften an und erweitert ihr Management
- Führender Google-Manager wechselt zu Eyeo
- Mit Partnerschaften das Mobile-Risiko bewältigen
- Adblock und uBlock gehören mittlerweile zu Eyeo
- Bis zu 70 Millionen Euro Jahresumsatz
- Google schränkt Browser-Erweiterungen ein
- „Wir werden das geregelt bekommen“
Die Kölner Eyeo GmbH ist wohl eines der umstrittensten Unternehmen der deutschen Digitalbranche. Nachdem die Firma mit ihrem Geschäftsmodell zwischen 2013 und 2019 große Wellen schug und vom Axel-Springer-Konzern (bislang erfolglos) verklagt wurde, ist der Adblocker-Anbieter (u.a. Adblock Plus) ein wenig aus dem Fokus der Branche gerückt. Trotzem ist er seitdem weiter gewachsen: Heute soll Eyeo mehrere Hundert Millionen Nutzer:innen und einen Jahresumsatz zwischen 60 und 70 Millionen Euro verzeichnen sowie 200 Mitarbeitende beschäftigen, so Tim Schumacher. Der Mitgründer und Hauptgesellschafter von Eyeo sprach mit OMR über jüngste Veränderungen hinter den Kulissen der Firma, kommende Herausforderungen und die aktuelle Wachstumsstrategie.
In den zurückliegenden drei Jahren hat bei Eyeo ein Zeitenwechsel stattgefunden. Eines der letzten Puzzlestücke davon: Wladimir Palant, Mitgründer von Adblock Plus und der „Acceptable Ads“-Initiative, hat das Unternehmen gerade, kurz nach dessen zehnjährigem Jubiläum verlassen. Palant hatte von 2006 an den ursprünglich aus einem Open-Source-Projekt stammenden Adblocker-Code weiterentwickelt und von 2011 an gemeinsam mit Tim Schumacher und Till Faida ein Geschäftsmodell darauf aufgebaut (die gesamte Geschichte könnt Ihr in Folge 66 des OMR Podcasts nachhören).
Führender Google-Manager wechselt zu Eyeo
Nun hat Palant seine Unternehmensanteile abgetreten; Schumacher ist jetzt Mehrheitseigner des Unternehmens. „Wir sind Wladimir unendlich dankbar. Mit seiner brillianten Erfindung von Adblock Plus hat er den Grundstein für das Unternehmen gelegt, und war gerade in den Anfangsjahren ein fantastischer Bestandteil des Teams“, so Schumacher gegenüber OMR. In den letzten fünf Jahren sei Palant allerdings nicht mehr operativ tätig, sondern nur noch Mitglied des Boards gewesen, weswegen er sich nun dazu entschieden habe, aus dem Unternehmen ganz auszusteigen.
Unter CEO Till Faida ist unterdes das Management von Eyeo aufgestockt worden: Jutta Horstmann, die 2017 als Abteilungsleiterin eingestiegen war, ist in der Zwischenzeit zur Managing Director und COO aufgestiegen. Das neueste Mitglied des Eyeo-Vorstands ist Jan Wittek. Der war zuvor deutscher Head of Sales bei der Google Marketing Platform – ein beachtliches Hiring für die Kölner Firma. Anfang März soll ein neuer CTO das Eyeo-Management komplettieren und damit der Umbau der Organisation abgeschlossen sein.
Mit Partnerschaften das Mobile-Risiko bewältigen
Mit neuer Struktur setzt Eyeo sich nun ehrgeizige Ziele: Eine Milliarde Nutzer:innen weltweit will das Unternehmen künftig erreichen. Die Eyeo-Produkte werden nach Unternehmensangaben aktuell von 220 Millionen Menschen genutzt; hinzu kommt durch Partnerschaften generierte Reichweite. „Wir haben bereits Partnerschaften u.a. mit Microsoft, Opera und Ecosia“, so Tim Schumacher gegenüber OMR. Als neuer Chief Revenue Officer soll Jan Wittek nun auch weitere solcher B2B-Partner gewinnen.
Die bisherigen Partnerschaften sollen Eyeo auch geholfen haben, die Verschiebung der Internetnutzung hin aufs Smartphone abzufedern. Die war in der jüngsten im Bundesanzeiger verfügbaren Bilanz des Unternehmens aus dem Jahr 2019 noch als größtes Risiko für das Geschäftsmodell des Unternehmens benannt worden. Denn traditionell ist Adblock Plus eine Erweiterung für Desktop-Browser. Durch die Partnerschaften ist Adblock Plus nun auch in die mobilen Browser der genannten Partner eingebunden.
Adblock und uBlock gehören mittlerweile zu Eyeo
Auch durch Übernahmen hat Eyeo die eigene Reichweite vergrößert. 2015 wechselte das reichweitenstarke US-Konkurrenzprodukt Adblock den Besitzer, das zu diesem Zeitpunkt 40 Millionen Nutzer:innen verzeichnete. Damals wurde nicht offengelegt, wer Adblock übernommen hatte. Erst im April 2021 erklärte Eyeo öffentlich, die Firma übernommen zu haben und die Teams beider Firmen zusammenlegen zu wollen. Adblock hat im Jahr 2018 außerdem auch den Adblocker uBlock (nicht zu verwechseln mit uBlock Origin) aufgekauft. Wie Schumacher gegenüber OMR erklärte, sei Eyeo mittlerweile auch am Download-Portal Softonic beteiligt, das nach eigenen Angaben monatlich von 60 Millionen Menschen besucht wird.
Nun sollen weitere Übernahmen dazu beitragen, die gesteckten Ziele zu erreichen. Die aktuelle Gesellschafterliste der Eyeo GmbH umfasst auch die Eyeo Acquisition GmbH (zu 100 Prozent in Besitz von Tim Schumacher): ein Vehikel, mit dem Eyeo potenziell weitere Firmen aufkaufen möchte. „Wir wollen weiter zulegen“, bestätigt Schumacher. „Da gibt es viele Optionen: andere Browser-Erweiterungen, Adtech-Firmen, aber auch andere Privacy-Dienstleister. Wir schauen uns alles an, was passen könnte.“
Bis zu 70 Millionen Euro Jahresumsatz
Im Bereich Adtech ist Eyeo zuletzt bereits tätig geworden und hat im August 2021 unter dem Namen Trestle eine eigene Demand Side Platform (DSP). Mit der sollen Werbekunden auf programmatischer Basis Werbeausspielungen auf den Geräten der 225 Millionen Menschen einkaufen können, die die Eyeo-Adblocker nutzen – natürlich nur für „Acceptable Ads“. Trestle basiert auf der Technologie des US-Unternehmens Beeswax, das im vergangenen Jahr von der US-Firma Freewheel aufgekauft wurde.
Heute bezeichnet Tim Schumacher Adblock Plus in einer demnächst erscheinenden Folge des OMR Podcast als die größte Browser-Erweiterung der Welt. Auf die Frage von OMR-Podcast-Host Philipp Westermeyer, dass der Umsatz von Eyeo vermutlich im Bereich von 60 bis 70 Millionen Euro liege, antwortet der Eyeo-Mitgründer: „Das ist ziemlich gut geschätzt.“ Die jüngste Eyeo-Bilanz im Bundesanzeiger weist für das Jahr 2019 einen Umsatz von 47 Millionen Euro und ein Ergebnis nach Steuern von 17,6 Millionen Euro aus.
Google schränkt Browser-Erweiterungen ein
Aktuell zeichnet sich jedoch eine weitere Gefahr für Eyeos Geschäftsmodell ab: Seit Januar 2022 gilt in Googles Chrome-Browser für neue Browser-Erweiterungen das so genannte „Manifest V3“, das die technischen Grundlage für Browser-Erweiterungen neu definiert; ab Januar 2023 soll es auch für bereits bestehende Extensions gelten. Mit Manifest V3 will Google jene Schnittstelle, über die die Adblocker bisher Werbung blockiert haben, durch eine andere ersetzen, über die Google selbst deutlich stärkere Kontrolle ausübt (eine ausführlichere Erklärung des Themas findet Ihr beispielsweise bei Winfuture).
Google selbst erklärt, damit den Nutzer:innen mehr Sicherheit, Datenschutz und Transparenz bieten zu wollen. Angesichts dessen, dass in den zurückliegenden Jahren Browser-Erweiterungen immer wieder mit zweifelhaften bis kriminellen Praktiken Schlagzeilen gemacht haben (beispielsweise damit, Nutzungsdaten ohne das Wissen der Nutzenden abzuzapfen und zu verkaufen oder Werbung zu „injizieren“ und/oder auszutauschen) ein eigentlich nachvollziehbares Ziel.
„Wir werden das geregelt bekommen“
Googles Ankündigung führte vor einem Jahr zu Schlagzeilen wie „Google nukes Adblockers“ und empörten Reaktionen von Ad- und Tracking-Blocker-Anbietern. Aber auch die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation, die sich dem Verbraucher- und Datenschutz verschrieben hat, kritisierte Googles Pläne, weil diese Datenschutz und Sicherheit mehr schaden als nützen würden.
„Die Änderungen durch Googles Manifest V3 betreffen nicht nur Adblocker, sondern alle Browser-Erweiterungen. Google will hier künftig deutlich mehr Kontrolle ausüben“, so Tim Schumacher im Gespräch mit OMR. „Das bedeutet für uns ein hartes Stück Arbeit.“ Dazu, wie genau Eyeo diese Herausforderung technisch lösen will, machte Schumacher keine Angaben. „Es kann sein, dass in Zukunft ein wenig mehr Werbung durch den Blocker hindurch kommt. Aber wir werden das geregelt bekommen und das Produkt wird nach wie vor gut sein.“