- Von dem Duisburger Marketingtechnologie-Anbieter Exactag hört man unter Digital-Marketing-Leuten in den letzten Monaten verstärkt. Inhaltlich hat die Firma offenbar Elemente der Spieltheorie für die Zuweisung von Conversions und die Messung von Werbewirksamkeit eingesetzt. Klingt nach Buzzword-Bingo? Wir haben mal reingehört.
- Mit der Spieltheorie zur Zukunfts-Attribution
- Die Wichtigkeit von Cookies im Cross-Device-Zeitalter
- Große Kunden vertrauen deutschen Adtech-Experten
- Aus Duisburg gegen Konkurrenz aus der ganzen Welt
Von dem Duisburger Marketingtechnologie-Anbieter Exactag hört man unter Digital-Marketing-Leuten in den letzten Monaten verstärkt. Inhaltlich hat die Firma offenbar Elemente der Spieltheorie für die Zuweisung von Conversions und die Messung von Werbewirksamkeit eingesetzt. Klingt nach Buzzword-Bingo? Wir haben mal reingehört.
Der letzte Klick gewinnt. So war es lange nicht nur im Affiliate- und E-Commerce-Business sondern im Online Marketing insgesamt. Doch nicht nur große Player wie Google und Facebook verstehen mittlerweile, dass für die Messung von Kampagnenerfolgen die ganze Reise des Kunden („Customer Journey“) über alle Kanäle hinweg der entscheidende Faktor ist. Welche Werbemittel haben wirklich zum Verkauf geführt? Welcher Kanal sorgt für die meisten Conversions? Wir haben uns angeschaut wie Exactag aus Duisburg das Thema löst. Und wir haben uns gefragt: Warum auf einmal Duisburg…?„Alle wollen ein neueres Attributionsmodell als ‚Last Cookie Wins’, aber die Backend-Systeme der Unternehmen können nur auf diese Weise abrechnen“, sagt Exactag Co-Gründer und Managing Director Mario Szirniks zu den Problemen vieler Advertiser und Brands. Dies sei zwar für die Optimierung der Kampagne sekundär, aber wichtig für die Entscheidungen der Unternehmen. Das alte und bei vielen noch aktuelle Attributionsmodell („Last Cookie Wins“) zeige immer nur den letzten Touchpoint des Kunden mit einem Werbemittel und Publisher. Nach dem Sale wird der Publisher ausgezahlt. „Publisher X hat eine gewisse Anzahl an Sales gemacht, aber das ist ja nicht die Realität. Die Realität ist: Publisher Y hat 150 Kontakte gebracht, damit Publisher X überhaupt konvertieren konnte. Das ist die Krux und das muss man erstmal darstellen können“, erklärt Szirniks. Und genau das will sein Unternehmen leisten. Exactag bewertet alle Online-Kanäle (Display, Affiliate, Social und Search) aber auch klassische Medien wie etwa TV-Werbung oder Kataloge nach ihren Einflüssen während der Customer Journey. So will das Unternehmen bei langen Entscheidungsprozessen der Kunden trotzdem die Wirksamkeit aller Faktoren berechnen.
Mit der Spieltheorie zur Zukunfts-Attribution
„Wir verpixeln (mit Analysetags) ganzheitlich die Systeme der Kunden (Adserver und Webseite) und verbinden uns mit den meisten Adservern direkt über die API-Schnittstelle, um Kosten- und Kampagnenstrukturen schnell einlesen zu können“, sagt Mario Szirniks. Dabei würden alle Webseiten des Kunden mit dem „Tag“ von Exactag versehen. Dort sammle das Unternehmen dann die Daten: Welche Produkte hat der User gesehen, woher kommt er? Auch Banner oder Displays (Creatives) verpixelt Exactag, um genau auswerten zu können, welche Werbemaßnahme wirklich gesehen wurde. Für Mario Szirniks sind weitere Faktoren entscheidend: „Wir sehen uns andere Datenquellen an, wie z.B. CRM-Daten („Customer-Relationship-Management“), um einschätzen zu können, welche Faktoren die Customer-Lifetime-Value beeinflussen. Außerdem wichtig: Welche Kampagnen generieren besonders wertvolle Customer? Welche Publisher bringen Neukunden oder Bestandskunden?“ Die Kundendaten bekommt Exactag vom jeweiligen Partner. Die landen in einer eigenen Data Management Platform (DMP) und werden nicht mit anderen Exactag-Kunden geteilt.Insgesamt misst Exactag bei der Auswertung 38 Parameter (Key Performance Indicators/KPI’s), wie Alter, Ort und Kaufkraft. Das machen aber auch andere Attributions-Technologien. Viel wichtiger sind die spieltheoretischen Modelle, die Exactag anwendet. Statt einer statistischen Auswertung im Nachgang der Messung (Regressionsanalyse) versucht das Duisburger Unternehmen mit Hilfe der Spieltheorie in die Zukunft zu blicken: „Wenn wir Attributionen berechnen (täglich oder wöchentlich), dann stellen wir z.B. fest, dass ein bestimmter Viewkontakt immer an drittletzter Stelle der Journey auftritt. Nach den nächsten zwei Punkten kommt es dann häufig zum Abschluss und so stellen wir fest, dass dieser drittletzte Viewkontakt einen hohen Impact auch auf andere Kanäle und Publisher hat. Das finden wir sehr wichtig“, erklärt Mario Szirniks. Kommen also 1.000 Menschen beim gleichen Banner in Urlaubsstimmung, klicken aber allesamt erst nach zwei weiteren Werbekontakten auf die Buchungsseite, hat auch der erste Banner einen hohen Wert verdient. Gleichzeitig berechnet Exactag eine Wahrscheinlichkeit an Conversions für diesen Banner. Die Duisburger entwickeln diese Conversion-Wahrscheinlichkeit sortiert nach Zielgruppen und Kanälen. Davon sollen Marketer bei ihrer Marketing-Planung profitieren und leistungsschwache Kanäle und Publisher genauer erkennen.
Die Wichtigkeit von Cookies im Cross-Device-Zeitalter
Zentral für die Messung der Kundendaten sind für Exactag weiterhin Cookies. Wie lange der Kunde die Laufzeit einstellt, liege ganz bei ihm. Einige würden 30 Tage verfolgen, ob der Nutzer kauft, andere sogar 90 Tage nach dem Kontakt. Laut Mario Szirniks haben die Duisburger auch einen eigenen Fingerprint entwickelt. Der werde aber ausgetauscht, sobald der User einen neuen Browser installiert. Ein Problem gibt es aber auch mit Cookies: Sie funktionieren Cross-Device einfach nicht besonders gut. „Deshalb werten wir Cross-Device über gehashte E-Mail-Adressen oder User-IDs aus, die uns von den Partnern zur Verfügung gestellt werden“, sagt Szirniks. Die E-Mails und Log-ins werden verschlüsselt übertragen, so wird das mobile Gerät mit dem PC des Nutzers verbunden.
Vor Facebooks neuer Tracking-Technologie, die mit dem Adserver Atlas eingeführt wird, hat Szirniks keine Angst: „Das ist für uns nicht entscheidend“, sagt er. Facebook nutze ja die Facebook-ID der Nutzer, um sie über die verschiedenen Geräte zu verfolgen und Marketern neue Analyse-Möglichkeiten zu eröffnen. Selbst generierte User-IDs halte Szirniks aber für viel wertvoller. Fremd-IDs seien schon aus Datenschutz-Gründen problematisch. Trotzdem scheinen derzeit viele Agenturen und Brands sehnlichst auf das Tracking von Facebook zu warten.
Große Kunden vertrauen deutschen Adtech-Experten
Vor fünf Jahren hat Mario Szirniks Exactag zusammen mit dem umtriebigen aber zurückhaltenden Adtech-Wunderkind Thomas Falk gegründet. Zuvor hatte er das Affiliate-Netzwerk Adbutler mit aufgebaut. Über die Zielsetzung sagt er: „Wir wollten wie auch schon bei Adbutler versuchen, das Affiliate-Marketing so zu beurteilen, wie es das verdient.“ Die ersten zwei Jahre baut Exactag noch das Tracking und Marketing Management für die Quisma Marketing Plattform auf. Doch schnell sagt das Team: „Wir wollen ein eigenes Produkt bauen.“ Der erste große Kunde mit großen Problemen bei der Auszahlung der Publisher ist ein großer Versandhändler im Jahr 2012. Der Versandhausriese bittet Szirniks um eine Real-Time-Lösung für die Verteilung von Affiliate-Provisionen. Nach großen Problemen mit der Auszahlung setzt der Partner zu der Zeit auf eine Post-Conversion-Attribution. Zuerst wird den Publishern dabei 100 Prozent der Provision gezahlt. Nach einer statistischen Erhebung der wirklichen Sales wird die Auszahlung neu berechnet und dem Publisher abgezogen. „So konnte kein Publisher mehr optimieren, weil er nicht wusste, was am Ende des Monats auf seinem Konto war“, sagt Szirniks.
Mit Hilfe von Exactag stellt der Kunde seitdem in Real Time fest, welcher Touchpoint bzw. Publisher welche Rolle beim Sale spielt und kann sofort attribuieren und passend auszahlen. So segmentiert Exactag Publisher z. B. nach Publisher-Retouren-Quote, um deren Wertigkeit richtig einschätzen zu können. Mittlerweile zählen noch andere große Player zu den Exactag-Partnern. Insgesamt sind es laut Mario Szirniks über 70 Partner aus verschiedenen Bereichen: von Online-Banken über Reiseveranstalter bis zu Online-Apotheken. Die größten sind dabei sicherlich Otto, Axel Springer, TUI, Douglas, Tchibo, DocMorris und Vodafone. Vor drei Jahren bestand das Team aus sieben Leuten, mittlerweile sitzen 40 Angestellte in Duisburg. Geld verdient Exactag an jeder Attribution und Conversion, die sie tracken. Der Wert liege laut Szirniks im Cent-Bereich – abhängig von der Größe des Kunden. Im Juni habe Exactag vier Milliarden Touchpoints und eine Milliarde Euro an Warenkörben getrackt.Aus Duisburg gegen Konkurrenz aus der ganzen Welt
Einige „Marktbegleiter“ sehe Szirniks schon, richtig Sorgen scheint er sich aber nicht zu machen: „Die Meisten sammeln selber keine Daten, sondern holen sich Daten aus Fremdsystemen, um zu attribuieren.“ Als einen großen Konkurrenten schätzt er AdClear ein, doch auch die würden nur in die Vergangenheit schauen und das sei dem spieltheoretischen Modell unterlegen. Das sehen unsere alten Freunde von AdClear natürlich anders. Im Gespräch sagt COO Janett Davidt: „Wir tauchen in die Tiefen der Statistik ein, aber wissenschaftliche Quellen aus dem Bereich können belegen, dass zum einen eine Regression der Spieltheorie nicht unterlegen ist und zum zweiten AdClear nicht nur in die Vergangenheit schaut sondern mit einem innovativen Algorithmus im Bereich der Prognosen im Markt etabliert ist.“ Außerdem könnten Performance-Marketing-Agenturen Exactag die Facebook Atlas integrieren oder selbst Attributionsmodelle verwenden, das Leben in Zukunft schwer machen. Derzeit ist Exactag noch hauptsächlich in DACH unterwegs, hat aber schon den ersten spanischen Kunden. Das Team lerne gerade besonders von den Erfahrungen mit internationalen Partnern wie OBI und Douglas in Ländern wie Russland und der Türkei. Ein langfristiger Plan ist ein Joint Venture in den USA, um den Markt zu erschließen. Mit welchem Partner steht aber noch nicht fest.
Aber jetzt nochmal ehrlich: Duisburg? Mario Szirniks will da zumindest so schnell nicht mehr weg. Die Firma ist aus Düsseldorf ein paar Kilometer weiter in den Ruhrpott gezogen und dort offenbar total zufrieden. „Einfach mal durch Duisburg laufen und sich von den alten Industriebauten beeinflussen lassen“, schwärmt Szirniks. Die günstigen Mieten (10,50 € pro Quadratmeter) und die Uni Duisburg-Essen dürften aber die Hauptgründe für den Standort sein. Aus dem dortigen Studiengang Komedia (Informatik, Psychologie, BWL) rekrutiert er viele Neulinge für sein Team. Für das Adtech-Ass ist der Pott also der perfekte Standort, schließlich soll auch die Curry-Wurst ganz günstig sein.