Wie Snaque mit einem Werbeprodukt Paywalls wieder durchlässiger machen will
Mit dem Produkt zielt das deutsche Startup auf regionale Verlage – und Advertiser
- Test mit der Sächsischen Zeitung
- Wird das für Advertiser spannend?
- Vor allem für regionale Verlage?
- Bald ein Werbenetzwerk
- Monetarisierung neben der Paywall: eine große Aufgabe
- Immer neue Versuche
Millionen Menschen prallen jeden Tag gegen die Paywalls der deutschen Verlage und sind dann wieder weg. Wer nur über Twitter, Facebook & Co. auf einem Artikel landet, schließt schließlich nicht direkt ein Monatsabo ab. Katja Waldor und Henning Tillmann wollen dieses Problem mit ihrem Startup Snaque lösen. Verlage können das Tool einbauen und Nutzende dann Paid Artikel freischalten, indem sie mit Werbung interagieren. Wir haben uns angeschaut, ob Snaque für Werbetreibende bald ein spannender Kanal sein könnte.
Snaque ist ein Tool, dass Verlage in ihre Paywall-Meldung einbinden können – als Alternative zum Abo-Angebot. Nutzende klicken dann auf die Schaltfläche, interagieren mit Werbung und erhalten Zugriff auf den gewünschten Einzelartikel. „Die Idee fing kurz nach dem ersten Lockdown an. Ich hatte die rudimentäre Oberfläche von Snaque gebaut und mir allgemein Gedanken über Medien gemacht. Dann hat Katja gesagt, dass es eine Alternative für Abo-Paywalls braucht“, erzählt Henning Tillmann im Gespräch mit OMR. 2020 gründet er gemeinsam mit Katja Waldor genau dafür Snaque (Abwandlung von Snack und auch so ausgesprochen.
„Ich bin aus meiner eigenen Nutzersicht auf die Idee gekommen. Du kannst einfach nicht überall ein Abo abschließen, wenn du nur mal einen Artikel lesen willst“, so Co-Gründerin Waldor. Die beiden sehen am Ende Probleme auf drei Seiten: Nutzende sind frustriert, wenn sie an der Paywall abprallen. Verlage verlieren Leser*innen, die kein Abo abschließen wollen, aber zumindest einzelne Artikel lesen würden. Und Advertiser kommen nicht mehr auf die gewohnten Reichweiten. „Paywall und Reichweite schließen sich mit Snaque nicht mehr aus“, verspricht Waldor.
Test mit der Sächsischen Zeitung
Katja Waldor und Henning Tillmann begreifen ihr Produkt auch als Antwort auf gesellschaftliche Fragen. „Die aktuelle Problematik ist doch, dass Falsch-Informationen an jeder Ecke warten, aber die guten Informationen hinter der Paywall versteckt sind“, so Tillmann. Auch deshalb steigt früh die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), der Unternehmensbereich der SPD, mit einem sechsstelligen Betrag bei Snaque ein. „Wir haben uns mit der DDVG für einen strategischen Investor entschieden, weil wir von ihrer Expertise und ihrem Netzwerk in der deutschen Verlagswelt profitieren“, erzählt Waldor. Ihr Co-Gründer Henning Tillmann ist insgesamt gut in der SPD vernetzt, Parteimitglied und im Vorstand des digitalpolitischen Vereins D64. Die Kontakte helfen dabei, einen ersten Test in der echten Welt zu ermöglichen. Seit ein paar Wochen ist Snaque bei der Sächsischen Zeitung eingebunden (die DDVG ist mit 40 Prozent am Verlag beteiligt). Klicken Nutzende dort auf bestimmte Paywall-Artikel wird ihnen die einmalige Freischaltung per Snaque angeboten – als Alternative zum Probeabo.
„Die erste Case Study mit der Sächsischen Zeitung hat unsere Erwartungen übertroffen“, sagt Co-Gründer Tillmann. Zu Beginn klicken zwar nur etwa vier bis sechs Prozent der Nutzenden auf die Snaque-Freischaltung, im Laufe des Tests steigt die Zahl aber auf 12 Prozent. „Die 12 Prozent Snaque-Button-Klickrate an der Paywall sind aus meiner Sicht ein unterer Wert. Da ist noch viel Luft nach oben“, sagt er. Das Format sei noch nicht so gelernt und viele Nutzende seien automatisch weg, wenn sie nur die Paywall erkennen. Mit steigender Bekanntheit der Funktion werde der Wert immer weiter steigen.
Das Startup habe sich beim Test aber nicht nur angeschaut, was die Nutzenden machen, wenn sie auf die Paywall mit Snaque-Einbindung stoßen – sondern auch die Schritte danach betrachtet. Menschen, die die Snaque-Funktion gesehen haben, würden sieben Mal häufiger im Anschluss ein Abo bei der Sächsischen Zeitung abschließen, als Nutzende, die nicht mit dem Tool interagiert haben. Das sei beim Test in absoluten Zahlen noch nicht besonders viel, zeige aber das Potenzial. „Verlage können mit Snaque einerseits Leute monetarisieren, die sie sonst nicht hätten monetarisieren können und können andererseits Casual-Leser durch das Anfixen über einzelne Artikel in den Abo-Funnel bringen“, erklärt Henning Tillmann.
Wird das für Advertiser spannend?
Snaque bietet für Verlage also einen weiteren Monetarisierungs-Kanal. Aber warum sollten Advertiser überhaupt an dieser Stelle werben? „Die Zahl, die aus unserer Sicht außergewöhnlich ist: Nutzer interagieren im Durchschnitt 22 Sekunden mit der Kampagne und diejenigen, die das Angebot wahrnehmen, noch deutlich mehr“, sagt Tillmann. „Am Ende nehmen im Schnitt 15 Prozent, teils über 20 Prozent, der Nutzer auch das personalisierte Angebot wahr und gelangen zur Landing Page des Advertisers.“ Diese extrem hohen Zahlen erklären Waldor und Tillmann mit dem speziellen Format von Snaque. Die Werbung wird im Tinder-Stil ausgespielt. Nutzende swipen sich durch Fragen der Werbetreibenden und bekommen nach drei, vier, fünf Interaktionen ein für sie passendes Angebot ausgespielt. Sie können auf das Angebot klicken oder auch nicht – am Ende steht die Weiterleitung auf den gewünschten Artikel.
„Snaque bietet ein anderes Werbeformat, weil bei Bannern und Videos keine Interaktion stattfindet. Werber können sich überlegen, was sie erreichen wollen: Individuelles Angebot oder einfach interaktives Storytelling“, erklärt der Co-Gründer. Werbetreibende, die am Test mit der Sächsischen Zeitung teilgenommen haben, schätzen laut Snaque vor allem die hohen Click-Through-Rates auf die Angebots-Landingpages und die hohe Zahl an neuen Kund*innen. Um solche Interaktionen aber zu erzeugen, müssen Advertiser sich auf das Format einlassen. Jede Werbeanzeige muss explizit für Snaque erstellt werden – Wiederverwertung von Video-Ads & Co. ist nicht möglich. Das bedeutet in jedem Falle mehr Aufwand. Henning Tillmann wirbt aber für den veränderten Ansatz: „Advertiser müssen einen Schritt weitergehen. Das ist keine klassische Werbung, sondern ein Verkaufsgespräch.“
Für die Erstellung der Anzeige und Analyse der Performance bietet Snaque ein eigenes Tool. Wir konnten bereits einen Blick in das Backend werfen. Advertiser laden Bilder für die einzelnen Entscheidungskarten hoch, schreiben Texte dazu. In einem Entscheidungsbaum werden diese dann eingebunden. Daraus können dann je nach Auswahl der Nutzenden z.B. acht Angebotskarten mit Link, Gutscheincode, etc. entstehen. Wenn das von Seiten der Advertiser verstanden ist, sollen weitere Ad-Formate eingeführt werden. „Wir wollen zu Beginn nicht alle überfordern und starten mit einem Ad-Produkt. Wir haben aber verschiedene weitere Formate in der Pipeline“, so Tillmann.
Vor allem für regionale Verlage?
Aktuell ist Snaque aber auch noch nicht die Instanz, die Advertiser überzeugen muss. Derzeit spricht das Unternehmen vor allem mit Verlagen. Die sollen das Tool einbetten und ihre Werbepartner dafür gewinnen. In einem Gespräch mit Übermedien spricht Ludwig Zeumer, Leiter Digitale Geschäfte bei der Sächsischen Zeitung, immerhin von 20.000 Euro Umsatz über Snaque in den ersten sechs Wochen. Von diesen Zahlungen landet in Zukunft ein Teil beim Startup. „Generell gilt ab jetzt: Wir werden auf Basis der Performance bezahlt. Pro Impression geht ein kleiner Geldbetrag an uns, der Großteil bleibt aber bei den Verlagen“, erklärt Henning Tillmann.
Viele Verlage in Deutschland haben in den vergangenen Jahren Paywalls eingeführt – selbst kleinere regionale Player. Doch wo bei Spiegel, Zeit, Bild & Co. die riesigen Reichweiten und deutschlandweiten Zielgruppen eine Skalierung ermöglichen, ist das für die Sächsische Zeitung und andere ungleich schwieriger. Das zeigt auch eine aktuelle Auswertung von IVW-Zahlen zu Paid-Content-Verkäufen (natürlich hinter einer Paywall). Hier zeigt sich, dass bei Regionalzeitungen vor allem Kombi-Abos aus gedruckter Zeitung und Digital-Angebot funktionieren. Leser*innen, die nur zwei, drei Artikel lesen wollen, gehen bei solchen Angeboten komplett verloren. Daher sind die kleineren Marktteilnehmer erste Zielgruppe von Snaque. „Bei regionalen Verlagen ist der Need aktuell am größten. Aber wir sehen auch bei den Großen Potenzial. Gerade da prallen täglich so viele Menschen gegen die Paywall und sind wieder weg“, sagt Katja Waldor. „Wir sprechen gerade ungefähr mit zehn Verlagen, dabei haben wir proaktiv noch gar keinen Vertrieb gestartet. So richtig legen wir jetzt erst los.“
Bald ein Werbenetzwerk
Bei den Gesprächen werde klar, dass sich das Tool auch auf andere Weise einsetzen lasse. Waldor und Tillmann können sich für die Zukunft auch Paywall-Modelle im Netflix-Style vorstellen. Der Streaming-Dienst führt ja bald ein werbegestütztes günstigeres Abo-Modell ein. „Verlage haben nicht das Problem, dass sie gar keine Abos verkaufen, sondern dass Nutzende diese auch meist schnell wieder kündigen. Warum denen kein günstigeres Snaque-Abo mit Werbung anbieten?“, sagt Waldor.
In Zukunft könnte sich die Zielgruppe des Startups allerdings drehen. „Wenn wir viele Verlage angebunden haben, werden wir Advertisern dieses Netzwerk anbieten können. Die können über uns dann deutschlandweite Kampagnen bei unseren Partner-Verlagen einbuchen“, so die Co-Gründerin. Snaque kann sich also durchaus vorstellen, ab einer gewissen Reichweite und Zahl an Partnern direkt auf Werbetreibende zuzugehen und diesen Buchungen über Verlagsgrenzen hinweg anzubieten. Das könnte vor allem für die regionalen Publisher interessant sein, die so nur das Tool einbinden müssten und ohne weiteren Aufwand Umsatz machen. Allerdings dürfte dann auch ein größerer Teil des Geldes bei Snaque landen.
Monetarisierung neben der Paywall: eine große Aufgabe
Auch wenn das alles bisher auf kleiner Flamme läuft, dürften die Zahlen bei Regional-Verlagen durchaus Hoffnung auf eine Lösung für die Monetarisierung von Einmal-Leser*innen bei gleichzeitiger Paywall liefern. Allerdings sind in dem Bereich schon viele Ansätze gescheitert. Lange galten Microtransactions als Heilmittel – mit dem prominentesten Player Blendle. Hier können Nutzende einzelne Artikel, die sie interessieren, für kleines Geld freischalten. Das Unternehmen aus den Niederlanden war lange defizitär, stellte zwischenzeitlich selbst das Artikel-Kauf-Modell in Frage und wurde im Juli 2020 dann an das französische Unternehmen Cafeyn verkauft. Heute hört man kaum noch etwas von der Firma.
Henning Tillmann sieht beim Blendle-Modell vor allem den Medienbruch als Problem. Nutzende, die über soziale Plattformen, Google oder News-Aggregatoren auf einem Artikel landen und gegen die Paywall prallen, müssen erst auf die Blendle-Seite oder in die App wechseln. Snaque habe schon allein deshalb eine bessere Perspektive, weil Nutzende direkt auf der Seite einen Button klicken und zum Artikel geleitet werden. Gleichzeitig gebe es keinen Login oder eine personalisierte Datenspeicherung. Snaque spielt die Ads möglichst bezogen auf den Kontext des gewünschten Artikels aus. Auch auf Verlagsseite sei die Integration innerhalb von ein bis zwei Tagen mit geringem technischen Aufwand abgeschlossen.
Immer neue Versuche
Allerdings hatten sich zuvor auch Player ohne Medienbruch und mit einfacher Implementierung schwer getan. Der Spiegel hatte es Mitte der 2010er mit dem Dienstleister Laterpay versucht. Hier konnten Nutzende Paywall-Artikel direkt für kleines Geld freischalten. Erst wenn ihr virtuelles Konto fünf Euro erreicht hatte, mussten sie sich registrieren und zahlen. Das Experiment wurde schnell als Flop abgetan. Und was das Ansehen von Werbung statt Bezahlung angeht: Vor Jahren hatte das Düsseldorfer Startup Welect mal getestet, Straßenbahntickets gegen Interaktion mit Ads zu „verkaufen“. Auch das scheiterte nach großem Presse-Tamtam recht schnell.
In den USA entsteht derzeit ein Anbieter mit einem weiteren Ansatz. Das 2020 in San Francisco gegründete Startup Zette bietet ein Abo an, mit dem Nutzende pro Monat 30 Paywall-Artikel bei Partner-Verlagen lesen können. Das soll 9,99 US-Dollar kosten. Und wer mehr braucht, kann zusätzliche Credits einkaufen. Zette nutzt dabei eine Browser-Erweiterung, die erkennt, wenn ein Artikel mit Paywall aufgerufen wird. Nutzende können dann ihre Credits einsetzen, um den Artikel freizuschalten. Zette startet vorerst nur in den USA. Snaque kann also ohne große Wettbewerber in Deutschland wachsen. Dafür suchen Katja Waldor und Henning Tillmann bereits nach weiteren Investoren, gehen auf noch mehr Verlage zu und wollen mit wachsendem Team am Produkt arbeiten.