Geld für ausgefallene Flüge: Wie Ersatz-Pilot.de aus Pinneberg Ryanair im SEO abhängt

Torben Lux29.6.2023

Das junge Legal-Tech-Startup geht bewusst einen anderen Weg als der Platzhirsch Flightright

Ersatz-Pilot.de OMR 1160
Flug verpasst oder storniert und trotzdem glücklich dank Geld zurück? Das ist das Konzept von Legal Techs wie ersatz-pilot.de (Montage: OMR).
Inhalt
  1. Ersatz-Pilot als Nebenprojekt
  2. Warum es Flightright, Ersatz-Pilot & Co. überhaupt gibt
  3. So funktioniert das Geschäftsmodell von Ersatz-Pilot
  4. Ticketerstattungen: Die Pennystocks für Legal-Tech-Startups
  5. Mit Content Marketing auf Platz 1 der Google-Suche
  6. Wachstumsziele und das nächste Produkt

Das Geschäftsmodell ist nicht neu: Seit Jahren treten Unternehmen für Fluggastrechte ein. Bei starken Verspätungen oder kompletten Ausfällen können Reisende einen Anteil zurückbekommen; für das Durchsetzen behalten die Legal-Tech-Firmen eine Provision ein. Ersatz-Pilot.de aus Pinneberg bei Hamburg scheint jetzt eine noch nicht besetzte Nische in diesem stark umkämpften Markt gefunden zu haben – und landet dank cleverem Content Marketing in Googles Suchergebnissen zu bestimmten Keywords vor der Airline Ryanair auf Platz eins. OMR hat mit den Gründern gesprochen.

„Wenn man uns mit Flightright oder Rightnow vergleicht, sind wir natürlich kleiner“, sagt Julian Voss im Gespräch mit OMR. „Aber die machen das auch mit teils 100 Mitarbeitenden. Das, was wir heute machen, hätten sie wahrscheinlich auch nicht nur zu zweit oder dritt gemacht, so wie wir das tun.“ Gemeinsam mit Christopher Wekel stellt Voss Ersatz-Pilot 2017 online. Bis Ende 2021 läuft das Projekt parallel zu den Jobs der beiden Studienfreunde.

„Wir kennen uns seit mittlerweile elf Jahren und waren gemeinsam Werkstudenten in einer Rechtsanwaltskanzlei“, erzählt Julian Voss. Christopher Wekel hatte einen juristischen Fokus, Voss sei als Wirtschaftsinformatiker tätig gewesen. Und beide hätten immer ein wenig geträumt, welche technischen Möglichkeiten es im rechtlichen Bereich geben könnte. Denn besonders da hänge man in Deutschland in Sachen Digitalisierung noch sehr hinterher, so Wekel.

Ersatz-Pilot als Nebenprojekt

Also beschäftigt sich das Duo 2016 zum ersten Mal mit Sofortentschädigungen. Auch damals ist die Idee nicht mehr neu. Pionier Flightright ist zu dem Zeitpunkt bereits sechs Jahre am Markt und längst etabliert. “ Da haben wir uns gefragt, ob wir das nicht auch könnten“, erzählt Julian Voss. „Und haben in der Folge, parallel zu unseren Werkstudenten-Jobs, angefangen, eine Lösung zu bauen.“

Dass sich die Freunde für einen bereits erschlossenen und weiterhin umkämpften Markt entscheiden, begründen sie heute mit der Dankbarkeit des Themas: Die Anspruchsprüfung sei recht einfach, man arbeite mit pauschalen Entschädigungssummen und wisse in etwa, was wirklich durchgesetzt werden kann. Außerdem hätten beide durch ihre Backgrounds bereits zwei große, wichtige Bereiche für ihr Projekt abgedeckt. „Julian kann coden, ich decke den juristischen Part ab. Den kaufmännischen Part teilen wir untereinander auf. Es hat sich einfach angeboten“, stellt Christopher Wekel fest.

Warum es Flightright, Ersatz-Pilot & Co. überhaupt gibt

Die Daseinsberechtigung für Legal-Tech-Angebote, die für die Rechte von Flugreisenden eintreten, ergibt sich aus zwei Umständen, die sich – vermutlich – in naher Zukunft auch nicht ändern dürften. Niemand will bei kleinen Beträgen, angenommen ein Flugticket hat 200 Euro gekostet, klagen. Zeitgleich zahlt aber auch kaum eine Airline freiwillig.

So bietet Ersatz-Pilot seine Produkte auf der eigenen Webseite an.

„Airlines wissen, dass längst nicht alle Passagiere ihre Rechte in Anspruch nehmen. Weil die einfach nicht wissen, was ihnen zusteht“, erklärt Julian Voss. Die Rechnung sei aus der Sicht einfach: Wenn nur ein Teil der Passagiere Entschädigungen oder Erstattungen fordert und diese auch gezahlt werden müssen, sei es für die Airlines immer noch eindeutig günstiger, als wenn sie transparent kommunizieren würden und plötzlich alle Passagiere Forderungen stellen. „Jede nicht in Anspruch genommene Rückerstattung ist für eine Airline bares Geld“, so Voss.

So funktioniert das Geschäftsmodell von Ersatz-Pilot

Aktuell bietet das junge Legal-Tech-Startup zwei Produkte an. „Angefangen haben wir mit einer Sofortentschädigung pauschaler Beträge, sogenannter ‚Lumpsum Compensations‘. Das sind 250 bis 600 Euro pro Passagier“, erklärt Christopher Wekel. „Wenn wir über alles aggregieren, landen wir bei ungefähr 410 Euro als nominellen Betrag. Und wir zahlen im Schnitt dann etwa 70 Prozent aus, je nach Strecke. 30 Prozent Provision bleibt also in etwa bei uns.“

Während der Corona-Pandemie sei mit Ticketerstattungen dann ein neues Produkt dazugekommen. Anders als bei Entschädigungszahlen, wenn Flüge also Verspätungen haben, komplett ausfallen und keine höhere Gewalt wie Unwetter, Streiks oder ähnliches vorliegen, geht es hier vor allem um gar nicht erst angetretene Flüge. Ob durch eigene Verspätung, Krankheit oder schlicht eine Absage der geplanten Reise, auch hier können Passagier*innen Geld zurückfordern.

„Wenn man einen Flug selber nicht antritt oder storniert, hat man keinen Erstattungsanspruch auf den kompletten Flugpreis, aber auf Steuern und Gebühren, die Flugnebenkosten“, erklärt Christopher Wekel. Die würden nämlich auch für die Airline nur anfallen, wenn man auch wirklich mitfliegt. „Die deutsche Rechtsprechung sagt klar, dass in solchen Fällen diese Nebenkosten erstattet werden müssen. Das weiß nur kaum jemand. Und genau darauf setzen auch die Airlines“, so Wekel weiter.

Die Provision, die Ersatz-Pilot beim neuen Produkt der Ticketerstattungen einbehält, ist mit bis maximal 20 Prozent noch einmal niedriger, als bei Flugausfällen oder Verspätungen. Da es hier nur um die Nebenkosten geht, sind die Beträge insgesamt aber auch deutlich niedriger. „Bei jedem Flug aus Deutschland sind es pro Person im Durchschnitt etwa 30 Euro“, sagt Christopher Wekel. Mittlerweile sei dieses Produkt für einen Großteil der Umsätze des Unternehmens verantwortlich. Und das auch, weil man laut der Gründer derzeit der einzige Anbieter in Deutschland sei. Rightnow (hier im OMR-Porträt) beispielsweise hat seinen Service derzeit pausiert; auf der Website heißt es: „Eine hohe Nachfrage und diverse Komplikationen in der Flugbranche führen zu Verzögerungen in der Bearbeitung. Leider können wir somit unserem Service-Anspruch nicht mehr gerecht werden.“

Die stärksten Keywords von Ersatzpilot laut Sistrix.

Wie aber kann ein Unternehmen mit vergleichsweise niedrigen Provisionen auf Kleckerbeträge ein eigenen Angaben nach profitables Geschäftsmodell bauen? Laut Julian Voss funktioniere das nur mit der Automatisierung vieler Prozesse. „Das geht zum Beispiel über Wenn-Dann-Beziehungen auf der juristischen Seite, aber natürlich auch auf der technischen Seite“, sagt der Gründer. „Das ist unser Asset: Wir optimieren technisch immer weiter, haben dadurch weniger Posten, um Einzelfälle immer automatischer zu bearbeiten.“ Im Hintergrund würden verschiedene Datenbanken genutzt, anhand derer die Höhe der ersparten Steuern und Gebühren und damit auch Erstattungsansprüche für jeden Flug sofort ausgerechnet würden.

Mit Content Marketing auf Platz 1 der Google-Suche

Und noch ein Hebel hilft bei der Ermöglichung der niedrigen Margen: Content Marketing. „Wir könnten es uns gar nicht leiten, Kunden über Performance Marketing teuer einzukaufen. Deshalb schauen wir nach günstigeren Alternativen“, verrät Christopher Wekel. Das sei zwar auch der Grund für ein langsameres Wachstum als beim teils hochfinanzierten Wettbewerb, sorgt dann aber auch für teilweise vermutlich recht lohnenswerte Platzierung in Googles Suchergebnisliste.

Zu den Keywords „ryanair flug stornieren“, „ryanair stornieren“ und „ryanair stornierung “ rankt Ersatz-Pilot derzeit auf dem ersten Platz bei der Suchmaschine – vor Wettbewerbern und der Airline selber. Entsprechende Suchwort-Kombinationen zu Fluggesellschaften wie Lufthansa und Easyjet landen ebenfalls auf den ersten drei Plätzen. „SEO ist definitiv der Hauptkanal. 80 Prozent unserer Neukunden kommen über SEO. Mindestens“, sagt Christopher Wekel. Entsprechend positiv wirke es sich aus, wenn Keywords wie zu Ryanair vom zweiten auf den ersten Platz landen. Zumal Ryanair eh die Airline sei, von der Ersatz-Pilot momentan am meisten Fälle bearbeitet, gefolgt von anderen Billigfliegern wie Wizz und Easyjet.

Wachstumsziele und das nächste Produkt

10.000 Fälle will Ersatz-Pilot in diesem Jahr bearbeiten, mit (in Vollzeitstellen umgerechnet) weniger als zehn Mitarbeitenden, die vor allem aus Werkstudent*innen bestehen. Aussagen zur Höhe des Umsatzes will das junge Startup nicht machen. Das Erstattungs-Produkt soll allerdings den Großteil der Umsätze ausmachen. Auf Grund der niedrigen Marge auf niedrige Beträge liegt die Vermutung nahe, dass sich Ersatz-Pilot in einem niedrigen bis mittleren sechsstelligen Umsatz-Bereich bewegt.

„Ich schätze, dass wir aktuell nur ein Prozent dieses Marktvolumens abdecken. Das Wachstumspotenzial ist gigantisch“, sagt Christopher Wekel. Für die kommenden drei bis fünf Jahre plane das Startup eine Verzehnfachung. Zum Erreichen dieses Ziels soll unter anderem das nächste Produkt, das vermutlich im Herbst gelauncht wird, sorgen: Entschädigungen für Bahnverspätungen und Erstattungen für ungenutzte Zugtickets. „Die Struktur ist gleich, der Anspruch ist gleich. Das heißt, auch da werden wir wieder Aufklärungsarbeit leisten können“, sagt Julian Voss. Druck machen sich die beiden Gründer bis dahin nicht. „Wir freuen uns, wenn wir unterschätzt werden“, so Voss.

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Torben Lux
Autor*In
Torben Lux

Torben ist seit Juni 2014 Redakteur bei OMR. Er schreibt Artikel und Newsletter, plant das Bühnenprogramm des OMR Festivals, arbeitet an der "State of the German Internet"-Keynote, betreut den OMR Podcast und vieles mehr.

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