So hat Duolingo eine 150-Millionen-Community rund um eine Sprachlern-App aufgebaut

Martin Gardt9.1.2017

Wie Duolingo mit kaum Marketing-Budget zum weltweiten Player wurde

Duolingo
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Inhalt
  1. Erfahrungen mit Kraft der Community
  2. Gamification als Erfolgsgeheimnis
  3. Nutzer ohne Marketing-Budget gewinnen
  4. Geld verdienen mit Ads und Übersetzungen
  5. Duolingo – Eine der erfolgreichsten Apps auf der ganzen Welt
  6. Die Sprachindustrie umkrempeln

150 Millionen Nutzer weltweit, die monatlich mehr als 6 Milliarden Lektionen lernen, dazu fast 84 Millionen US-Dollar Funding, unter anderm von Google, Union Square Ventures und Kleiner Perkins Caulfield & Byers – Duolingo hat das Zeug dazu, die Sprachlern-App des mobilen Zeitalters zu werden und sich damit relevante Anteile eines 30 Milliarden US-Dollar schweren Marktes zu sichern. Wir zeigen, wie das Unternehmen mit nahezu null Marketing-Budget eine enorme Nutzerschaft aufgebaut hat, wie es Geld verdienen und die gesamte Branche umkrempeln möchte.

Luis von Ahn

Luis von Ahn

Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das könnte das Motto von Luis von Ahn sein. Er ist Erfinder von Captchas, den Buchstabenfolgen, die Nutzer auf Seiten eingeben müssen, um zu beweisen, dass sie Menschen sind. Die Idee funktioniert, aber von Ahn merkt nach einer Weile, dass die Eingabe der Buchstaben eine wahnsinnige Zeitverschwendung ist. In einem Tedx-Talk im April 2011 erklärt er, dass pro Tag 200 Millionen Captchas eingegeben werden, die jeweils zehn Sekunden Lebenszeit vergeuden. Er will damit lieber etwas sinnvolles anstellen und erfindet 2007 ReCaptcha – erst als Projekt, später macht er ein Unternehmen daraus. Bei diesem Prinzip werden dem Nutzer zwei Wörter gezeigt. Eines ist zufällig erstellt, das andere aus einer eingescannten Buchseite. Dadurch, dass die Nutzer die Worte eingeben, können ganze Bücher digitalisiert werden – 2,5 Millionen pro Jahr sagt von Ahn selbst. Computer allein schaffen das nicht, da die Worte in älteren Büchern mit Technologie teilweise nicht auslesbar sind, dafür braucht es das menschliche Gehirn.

Erfahrungen mit Kraft der Community

2009 kauft Google ReCaptcha für 25 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen lässt nicht nur Bücher, sondern auch Straßenschilder oder Hausnummern von Nutzern ablesen, um den Kartendienst Google Maps zu optimieren. Jedes Mal wenn ein solcher Captcha eingegeben wird, wächst Googles riesige Datenbank weiter. ReCaptchas werden bis heute von großen Playern wie Facebook oder Ticketmaster genutzt – insgesamt haben 1,1 Milliarden Menschen zumindest ein Mal mit ReCaptcha ein Wort digitalisiert. Mit dem Ansatz das Wissen einer Community zu nutzen, um damit verschiedene Services umzusetzen, gründet von Ahn 2011 gemeinsam mit seinem Kollegen Severin Hacker auch Duolingo – statt um Bücher geht es um Übersetzungen.

Die beiden Gründer sind promovierte Informatiker, von Ahn Professor an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh. „Eine Sprache zu lernen, kostet normalerweise Geld“, sagt der Co-Gründer bei Slate. „Du musst eine gute Schule besuchen oder ein Programm wie Rosetta Stone kaufen, das hunderte von Dollar kosten kann“. Die Sprachlern-App Duolingo ist dagegen kostenlos und soll es laut Aussage der Gründer auch für immer bleiben. Denn sie soll nicht nur dazu dienen, dass Menschen eine Sprache lernen. Vielmehr sollen die Nutzer dabei helfen, Online-Inhalte aus der ganzen Welt zu übersetzen.

Diese Idee stellt er erstmals auf dem Tedx-Talk noch vor dem Launch der Duolingo App vor: „Wir brauchen Menschen um das ganze Internet zu übersetzen. Theoretisch müssten wir die bezahlen. Aber das wäre extrem teuer. Nur um das die komplette Wikipedia auf Spanisch zu übersetzen, würde 50 Millionen US-Dollar kosten“, sagt von Ahn. „Was wir wollen ist, 100 Millionen Menschen zu haben, die das Internet kostenlos übersetzen.“ Er will mit Duolingo also schon wieder zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und dabei hilft bereits dieser Tedx-Auftritt: Der hat 1,4 Millionen Views auf der Ted-Talk-Webseite und 280.000 Views bei Youtube. Seiten wie Techcrunch, The Verge oder Jetzt.de berichten darüber – und sorgen so schnell für die ersten Millionen Nutzer in der Community.

Gamification als Erfolgsgeheimnis

Und diese bleiben wegen der cleveren Funktionsweise der App am Ball. Nach der Installation sucht sich der Nutzer seinen gewünschten Sprachkurs aus. Für deutschsprachige Nutzer sind derzeit Englisch, Französisch und Spanisch verfügbar. Wer Englisch spricht, kann sogar 19 Sprachen lernen. Wer die jeweilige Sprache noch überhaupt nicht spricht, kann direkt mit den Grundlagen starten, wer bereits erste Erfahrungen hat, macht einen kurzen Sprachtest und wird von Duolingo in eine entsprechend höhere Stufe sortiert – und hat damit sofort Zugriff auf weiterführende Übungen. Der Community-Gedanke entsteht auch dadurch, dass Duolingo Nutzer, die bereits zwei Sprachen sprechen, ermutigt, eigene Kurse zu erarbeiten. Bis heute sind die meisten Sprachkurse „user generated„. Im sogenannten Incubator können interessierte Übersetzer jederzeit sehen, für welche Sprachen gerade Übungen entwickelt werden und dabei helfen. Wer mitmachen will, muss sich allerdings bewerben.

Duolingo Gamification

Gamification-Element in Duolingo.

Damit die Nutzer aktiv bleiben, setzt Duolingo auf Gamification. Übungen gleichen Etappen. Es gibt einen Fortschrittsbalken, der sich nur füllt, wenn die Nutzer richtige Antworten finden. Für erfolgreich absolvierte Übungen gibt es Medaillen und Preise (sogenannte Lingots). Die Nutzer steigen nach und nach in ihrem Rang auf und werden mit „Streaks“ (mehrere Tage in Folge geübt) ermutigt, jeden Tag ein paar Übungen zu machen. Diese sind meistens nicht länger als fünf Minuten. „Lernen ist wie ins Fitnessstudio zu gehen“, sagt von Ahn gegenüber Tech in Asia.

Der Gründer vergleicht seine App mit dem Mega-Erfolg Candy Crush. Das Game funktioniere wie einarmige Banditen im Casino: In den ersten Runden erhöhe der Computer immer die Chancen, zu gewinnen. Das bringe die Nutzer dazu, immer weiter zu machen. Laut von Ahn funktioniere der Fortschrittsbalken bei Duolingo genauso. Jede richtige Antwort lässt ihn voller werden, jede falsche wieder leerer. Damit der Nutzer nicht die Lust verliert, spielt die App nach ein paar falschen Antworten eine leichtere Aufgabe aus – der Balken füllt sich wieder. Dabei spielt vor allem Machine Learning eine große Rolle. Die App wertet aus, wie sich die Nutzer in den einzelnen Übungen schlagen und optimiert so, in welcher Reihenfolge diese absolviert werden müssen.

Nutzer ohne Marketing-Budget gewinnen

In einem „Ask me Anything“ bei Growthhackers.com unterstreicht Gina Gotthilf, VP Growth und Marketing bei Duolingo, dass das Unternehmen noch nie Geld für Marketing ausgegeben hat. Zwei entscheidende Faktoren scheinen clevere Pressearbeit und Hilfe von Apple und Google zu sein. „Die Presse war bisher ein riesiger Verbündeter in Sachen Wachstum, aber es funktioniert nicht einfach mit Magie, man muss strategisch vorgehen“, sagt Gotthilf. Sie suche immer nach Erfolgsgeschichten, Datenanalysen, Trends und prominenten Nutzern (z.B. Bill Gates). Damit könne sie dann der Presse eine Geschichte erzählen. Darüber hinaus habe sie Influencer, die bei Facebook und Twitter viele Follower haben, kontaktiert, damit diese von der App erzählen. Gleichzeitig hat das Team selbst eine beachtliche Social-Media-Reichweite aufgebaut. Bei Facebook hat Duolingo über 1,1 Millionen Fans, bei Twitter 220.000 Follower und bei Youtube wurden die Videos des Kanals über neun Millionen Mal aufgerufen.Auch Auftritte des Gründers helfen immer wieder.

Duolingo wurde 2013 von Apple zur iPhone App des Jahres gewählt – nur ein Jahr nach dem Release. Diese Erwähnungen und die gleichzeitige prominente Platzierung im App Store katapultieren immer wieder Apps in die Köpfe und auf die Homescreens der Nutzer. Mittlerweile gehört die App bei Apple auch zur „Essentials“-Kategorie. Neue iPhone-Nutzer bekommen Apps aus dieser Kategorie zu Beginn als Grundlagen-Tipps angezeigt. Ein Großteil der Nutzer komme darüber hinaus über Word-of-Mouth. Eine kostenlose App, mit der man eine Sprache einfach und mit Spaß lernen kann, taugt offenbar perfekt als Tipp für Freunde und Familie.

Geld verdienen mit Ads und Übersetzungen

Duolingo Ad

Google Adsense Werbung in der Duolingo-App.

Zu Beginn hatten sich die Gründer das Ziel gesetzt, eine kostenlose Lern-App ohne Werbung anzubieten und das Prinzip der Captchas auf Übersetzungen anzuwenden. Das funktioniert zumindest schon in den USA: Dort fragt die App ihre Nutzer, ob sie Dokumente zu Übungszwecken übersetzen wollen. Das können dann auch Artikel von News-Seiten sein. Wenn der Input vieler Nutzer kombiniert wird, kommen dabei offenbar zielgenaue Übersetzungen raus. Erste Partner sind CNN und Buzzfeed. Diese zahlen Duolingo pro übersetztem Wort etwas weniger als 15 Cent.

Obwohl Gründer von Ahn kein großer Fan von Werbung ist, sind mittlerweile Ads in der App zu sehen – der Gründer spricht von Tests. Zwischen den Übungen werden Nutzern Anzeigen per Google Adsense ausgespielt. Legt man die verhaltene Schätzung von einem Euro pro 1.000 Werbeimpressionen und 30 Millionen Nutzer pro Tag zu Grunde, die jeweils nur eine Anzeige ausgespielt bekommen, so ergibt das 30.000 Euro Umsatz pro Tag für Duolingo – nur mit Werbeeinnahmen. Das scheint aber auch mehr als nötig zu sein. Laut eigener Aussage kostet der Betrieb der App 42.000 US-Dollar pro Tag. Zusätzlich plant Duolingo den Verkauf von virtuellen Gütern per In-App-Kauf. Es gibt schon jetzt verschiedene Outfits für die Eule, die durch die Übungen führt.

Duolingo – Eine der erfolgreichsten Apps auf der ganzen Welt

Laut der App-Analyse-Plattform Priori Data wurde Duolingo im Jahr 2016 13,7 Millionen Mal in Apples App Store und 27,4 Millionen Mal in Googles Play Store heruntergeladen. Die stärksten Länder nach Downloads sind demnach die USA, Brasilien, Mexiko, Indien und die Türkei. Deutschland liegt in den Download-Charts auf Platz neun. In den USA und auch in Deutschland rangiert Duolingo seit Anfang 2014 unter den Top10 im Bereich Bildung – meist auf Platz 1. Auch hierzulande wird die App regelmäßig im App Store empfohlen.

Der Erfolg hat verschiedene Investoren angelockt. In vier Runden hat das Unternehmen über 83 Millionen US-Dollar eingesammelt – unter anderem von Kleiner Perkins (investiert in GoEuro, Airbnb, Slack, Shazam, Uber), Google, Hollywood-Star Ashton Kutcher und Marketing-Stratege Tim Ferriss.

Die Sprachindustrie umkrempeln

Diese Investoren zählen aber wohl nicht nur darauf, dass die kostenlose App weiter Nutzer gewinnt und ein paar Ads schaltet. Vielmehr will sich Duolingo aufmachen, die ganze Sprachlern-Industrie umzukrempeln, die laut Gründer von Ahn pro Jahr über 30 Milliarden US-Dollar Umsatz macht. Das Unternehmen arbeitet mit Schulen auf der ganzen Welt zusammen, um das System in die Klassenzimmer zu bringen.

Großes Potenzial sieht von Ahn offenbar auch in Sprachtests und -zertifizierungen. In Deutschland bietet Duolingo bereits einen Englisch-Test an, der von verschiedenen Universitäten und Unternehmen wie Uber anerkannt wird. Der Test wird komplett online und vor einer Webcam durchgeführt – um sicher zu gehen, dass ihn auch wirklich der richtige Nutzer ablegt. Er kostet 49 US-Dollar. Damit begibt sich das Unternehmen in direkte Konkurrenz zu Toefl, nur das dieser um ein vielfaches teurer ist und nur in speziellen Testcentren abgelegt werden kann. Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern wie China, Indien, Mexiko und Brasilien ist das Potenzial für solche Tests laut von Ahn immens. Schon 2013 zeigte sich Mike Boyle, Autor mehrerer Englisch-Bücher, gegenüber Fastcompany aber skeptisch, was diesen Plan angeht. Die Zertifizierungs-Industrie sei gesättigt und die Chancen für neue Player gering. Das wichtigste dürfte deshalb sein, noch mehr Universitäten und Unternehmen ins Boot zu holen, die den Duolingo-Test anerkennen.

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Autor*In
Martin Gardt

Martin kümmert sich vor allem um neue Artikel für OMR.com und den Social-Media-Auftritt. Nach dem Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft ging er zur Axel Springer Akademie, der Journalistenschule des Axel Springer Verlags. Danach arbeitete er bei der COMPUTER BILD mit Fokus auf News aus der digitalen Welt und Start-ups. Am Wochenende findet Ihr ihn auf der Gegengerade im Millerntor.

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