Diese drei Typen haben mit einem Youtube-Video, einem Newsletter und drei PDFs angefangen – und sind heute Millionäre
- Wie Freeletics mit cleverem Marketing eine etablierte Branche unter Druck setzt
- Markt mit Umsatzvolumen von 4,5 Milliarden Euro im Visier
- Viralvideo sorgt für erste Registrierungen
- Der Newsletter-Abonnentenstamm dient als Testgruppe
- Eine halbe Million Euro Umsatz mit drei PDFs
- Community-Features pushen App-Nutzung
- Ist Freeletics McFit auf den Fersen?
Wie Freeletics mit cleverem Marketing eine etablierte Branche unter Druck setzt
Wie baut man eigenfinanziert ein Unternehmen auf, das bereits im zweiten Bestehensjahr mehrere Millionen Euro Gewinn abwirft und so schnell und erfolgreich wächst, dass man sich als Gründer aus dem operativen Geschäft zurückziehen und die Führung jemand anderem überlassen kann? Die Erfinder des Fitness-Programms Freeletics könnten diese Frage beantworten, denn ihnen ist genau das gelungen. Wir haben ihre Geschichte nachgezeichnet – und nachgerechnet, wie viel Geld Freeletics genau macht. Kann eine Branche, die geprägt ist von stationären Studios, mit spezieller Hardware, ausgebildetem Personal, Trainern und Kursen, digitalisiert werden? Vor dieser Frage müssen Anfang 2012 die drei Münchner Mittzwanziger Joshua Cornelius, Andrej Matijczak und Mehmet Yilmaz gestanden haben, als sie im Rahmen des Gründerprogramms der TU München den Plan fassten, ein Start-up im Fitnessbereich zu gründen. „Im ersten Schritt mussten wir herausfinden, was wir überhaupt machen wollten“, schreibt Joshua Cornelius, einer der Gründer von Freeletics rückblickend in einem Blog-Eintrag von Maverlab (mittlerweile leider offline, Anm. d. Red.), seines bald startenden Mentorenprogramms für junge Gründer. Er und seine zwei Kommilitonen studieren zu der damaligen Zeit zwar nicht Sport, sondern BWL, Mathematik und Chemieingenieurwesen, sind aber abseits des Studiums sehr fitness-affin. So entstehen offenbar die ersten Pläne für Freeletics.
„Viele Menschen haben nicht mehr die Zeit, zweimal die Woche zum Sportverein oder ins Fitnessstudio zu fahren“, äußert sich Cornelius im Jahr 2014 in einem Interview. Diese Lücke wollen er und seine beiden Mitgründer füllen: „Wir wollten ein Fitnesskonzept, das an die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts angepasst ist.“ Sie entwickeln „Freeletics“, ein Trainingsprogramm aus so genannten „High Intensity Workouts“, die die Anwender in kürzestmöglicher Zeit durchführen und damit trotz niedrigem Zeitaufwand gute Ergebnisse erzielen können sollen. Dadurch, dass bei Freeletics alleine das eigene Körpergewicht zum Einsatz kommt, können die Nutzer jederzeit und überall trainieren. Zudem dürfte das Risiko von Verletzungen geringer sein als bei Übungen mit Geräten – nicht unwichtig, wenn die Anwender ohne Kontrolle durch einen ausgebildeten Fitness-Coach trainieren sollen.
Markt mit Umsatzvolumen von 4,5 Milliarden Euro im Visier
„Fokussiert euch auf große Märkte, in denen ein Marktanteil von etwa ein Prozent für Umsätze in mehrstelliger Millionenhöhe ausreicht“, empfiehlt Joshua Cornelius anderen Gründern heute. Freeletics erfüllt diese Vorgabe: Die drei Gründer haben mit ihrem Produkt einen Markt aufs Korn genommen, der im Jahr 2013 laute dem Beratungsunternehmen Deloitte 4,55 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete. Ihr Vorteil: Mit einem rein digitalen Service sind die Grenzkosten der Freeletics-Betreiber deutlich niedriger als die der etablierten Studioketten.
Auch wenn die drei Gründer den Freeletics-Übungen schicke Namen von Figuren aus der griechischen Mythologie geben – wirklich neu ist ihr Programm nicht. Liegestütz, Liegestützsprung (heute als „Burpees“ bekannt) und Klimmzüge gab es schon lange vor Freeletics. „Viele Übungen sind uralt, die kommen noch von Turnvater Jahn aus der Zeit Napoleons“, zitiert der Spiegel Jürgen Gießling, Sportwissenschaftler an der Uni Koblenz-Landau, in einem Artikel über Freeletics. Mitgründer Andrej Matijczak soll gegenüber einem Zweifler in einem Internetforum einmal geschrieben haben: „Du hast natürlich recht, dass wir das Rad nicht neu erfunden haben. Das behaupten wir auch nicht. Das einzige was wir machen, ist Fitness in eine motivierende Form zu packen.“
Zum Start gehen die drei Gründer bei der Unternehmens- und Produktentwicklung nach dem „Lean Startup“-Prinzip vor. Das bedeutet: schlanke Prozesse, schneller Markteintritt und schrittweises Testen und eine iterative Weiterentwicklung des Produktes. Alle drei kümmern sich in Vollzeit um die Entwicklung und Vermarktung der Marke, des Produktes und später um den Aufbau eines Mitarbeiterteams.
Viralvideo sorgt für erste Registrierungen
Um einen ersten größeren Aufschlag landen zu können, produzieren die Macher ein Video. „Videos auf Youtube können jahrelang erfolgreich sein und erfolgreiche Videos erreichen überproportional mehr Menschen als durchschnittliche Videos. Mit beschränkten Ressourcen kann es deshalb sinnvoll sein, sich auf einige wirklich starke Videos zu konzentrieren, statt diverse mittelmäßige zu erstellen“, so Cornelius. Das Gründertrio dreht deswegen ein Testimonial-Video mit „Levent Oz“ und lädt dieses im November 2012 in einem Kanal mit dessen Namen hoch. In dem vierminütigen „Transformation“-Video, erzählt Levent Öztürk (der heute laut seinem Xing-Profil für Freeletics tätig ist), unterlegt mit Musik aus dem Film „Rocky“, von seiner Verwandlung in einen durchtrainierten „Free Athlete“ und posiert mit freiem Oberkörper für eine Vorher-Nachher-Montage.
Für die Verbreitung setzen die Freeletics offenbar vor allem auf Facebook – auf ihrer eigenen Seite promoten sie das Video mehrfach. Zudem taucht es in diversen Blogs auf. Auch anderen Gründern rät Cornelius sich ein Netzwerk aus „erfolgreichen Fanseiten, Channels und Bloggern“ aufzubauen. „Wenn eure Inhalte wirklich gut sind, werden einige Partner selbst von ihnen profitieren und sie sogar kostenlos teilen. Aber auch wenn nicht, sind ein paar Hundert Euro an dieser Stelle sehr gut investiert.“
Freeletics hat mit dieser Maßnahme offensichtlich immensen Erfolg: Bis heute wurde das Video von Levent fast sieben Millionen Mal abgerufen. Die Gründer nutzen die so entstandene Aufmerksamkeit, um die Zuschauer auf ihre Website umzuleiten und dort deren E-Mail-Adresse einzusammeln – mit dem Versprechen, ihnen sechs Wochen lang kostenlos Workouts zu schicken.
Der Newsletter-Abonnentenstamm dient als Testgruppe
Der auf diese Weise entstehende Kundenstamm gibt Cornelius, Matijczak und Yilmaz die Möglichkeit, ihr Produkt zu testen und permanent weiterzuentwickeln. „Geschäftsmodelle können selten einfach theoretisch konstruiert werden. Besonders bei innovativen Vorhaben weichen die Erwartungen oftmals massiv davon ab, wie der Markt tatsächlich reagiert. Die größte Gefahr ist, monatelang an einem Produkt zu arbeiten, es endlich auf den Markt zu bringen, nur um dann festzustellen, dass sich gar niemand dafür interessiert. Geschweige denn dafür bezahlt“, so Cornelius. Um dem vorzubeugen, empfiehlt der Freeletics-Macher Test-Landingpages, Facebook-Gruppen, Newsletter, (offline) Testgruppen und Kundengespräche.
In seinem Blog zu Produktmanagement und Marketing analysiert Jan König in einem lesenswerten Eintrag, wie Freeletics diese Strategie umgesetzt hat. Wie König schreibt, haben die Gründer auf Facebook lokale Gruppen angelegt, über die sich Nutzer mit anderen zum gemeinsamen Training verabreden können und diese in ihren Newslettern verlinkt. Heute soll es mehr als 500 dieser Gruppen geben. Darüber hinaus legen die drei Studenten bei Google Maps „Hotspots“ an Orten an, an denen die Freeletics-Gruppen trainieren können.
Parallel dazu produzieren sie weitere Videos, um noch mehr Aufmerksamkeit zu generieren und so neue Newsletter-Abonnenten zu gewinnen. Der zweite Testimonial-Clip aus dem Februar 2013 ist bis heute sogar mehr als sieben Millionen Mal bei Youtube abgerufen worden. Über diverse Social-Media-Profile (außer Facebook beispielsweise auch Instagram und Tumblr) verbreiten die Gründer zudem günstig generierte Inhalte: Bilder von athletischen Sportlern, die mit freiem Oberkörper trainieren, und die mit Motivationssprüchen in der gut wiedererkennbaren Corporate Identity von Freeletics versehen sind.
Eine halbe Million Euro Umsatz mit drei PDFs
Anfang 2013 erwirtschaftet Freeletics dann die ersten Umsätze: Nachdem sie zuvor offenbar einen fünfwöchigen Trainingsplan kostenlos angeboten und getestet haben, verkaufen die Gründer schließlich drei PDFs mit Plänen für jeweils 15 Wochen. Hinzu kommt später ein Ernährungs-Guide. Damit die Nutzer die PDFs nicht an andere weitergeben und ihnen so Umsätze verloren gehen, appellieren die Macher in einem „Ehrenkodex“ an die Moral ihrer Nutzer: „Wir helfen euch dabei [Eure körperlichen Potenzial auszuschöpfen] und erwarten im Gegenzug, dass ihr euch uns gegenüber fair verhaltet.“ Später versehen sie die Guides beim Download auf allen Seiten mit einem Vermerk, durch welche E-Mail-Adresse der Kauf erfolgt ist. Viel hilft das nicht: Die Dateien verbreiten sich trotzdem rasend schnell von User zu User.
„Seid Euch nicht zu scheu, unperfekte Produkte auf den Markt zu bringen“, schreibt Joshua Cornelius im Maverlab-Blog im Rückblick auf diesen Schritt. „Unsere ersten bezahlbaren Freeletics-Produkte waren PDF-Trainingspläne. Runtergeschrieben an 3 Tagen. Angeboten mit einem Standard-SaaS-Shopsystem. Wir waren alles andere als stolz darauf.“ Trotzdem macht sich der Schritt bezahlt, denn Freeletics habe „knapp eine halbe Million Euro damit umgesetzt. Die finanzielle Grundlage für alle weiteren Entwicklungen“.
Das so eingenommene Geld gibt den Gründern die Möglichkeit, eine Smartphone-App zu entwickeln. Im März 2013 erscheint eine erste iOS-App in Apples App Store; Android folgt einige Monate später. Zeitweise bietet das Trio zwei verschiedene Versionen der Software an: eine kostenlose sowie eine kostenpflichtige, die mehr Workouts bereithält. Mit einem Preis von 4,99 Euro setzen die Macher die Schwelle für Erstbezahler vermutlich bewusst niedrig an.
Community-Features pushen App-Nutzung
Mit der App und deren Community-Features verfügt Freeletics über ganz andere Möglichkeiten der Kundenbindung: Die Nutzer können sich über die Anwendung mit ihren Freunden und Bekannten, aber auch anderen Sportlern vernetzen, deren Trainingsverlauf folgen, bei erfolgreichem Training Anerkennung zollen, sich aber auch selbst anfeuern lassen. Wie bei einen „Fitness-Facebook“ sehen die User in einem Stream, wer zuletzt trainiert hat. Hinzu kommen „Gamification“-Aspekte: Punkte, Levels und Rankings sollen die Nutzer motivieren, ihre Ziele zu verwirklichen und damit Freeletics die Stange zu halten.
Heute existiert nur noch eine App, die Nutzern bei Abschluss eines Abonnements aus allen existierenden Freeletics-Workout-Typen einen personalisierten Trainingsplan erstellt. Die Kosten für den Nutzer rangieren zwischen rund 35 Euro für drei Monate und 80 Euro für ein ganzes Jahr. 700 mögliche Trainingsplan-Varianten hält der virtuelle „Coach“ angeblich bereit – die „algorithmus-basierte“ Erstellung dürfte trotzdem deutlich günstiger sein als eine händische durch einen wirklichen Trainer.
Im Ranking der umsatzstärksten Apps von Apple liegt Freeletics heute regelmäßig auf den oberen Plätzen. Laut dem Linkedin-Profil von Joshua Cornelius haben mittlerweile mehr als vier Millionen registrierte Nutzer in über 160 Ländern registriert. Das Betreiberunternehmen verzeichnete im vergangenen Jahr angeblich ein monatliches Wachstum von jeweils 30 Prozent, beschäftigt derzeit mehr als 60 Mitarbeiter und setzt monatlich siebenstellige Beträge um.
Ist Freeletics McFit auf den Fersen?
Der mögliche Umsatzkorridor von Freeletics läge damit zwischen 12 und 119 Millionen Euro. Vergleicht man bei Google Trends das Suchanfragenvolumen zum Begriff „Freeletics“ mit denen von bekannten Fitness-Studio-Ketten, liegt die Vermutung nahe, dass das wahre Umsatzvolumen des Fitness-Start-ups mindestens im mittleren Bereich der genannten Spanne liegt. Denn zuletzt wurde bei Google genauso häufig nach Freeletics gesucht wie nach McFit – der größten deutschen Studiokette. Die erzielte 2013 (jüngere Zahlen liegen nicht vor) eigenen Angaben zufolge 290 Millionen Euro Umsatz.
Noch ist das Interesse an Freeletics im Jahresdurchschnitt nicht ganz so hoch, wie bei den etablierten Studioketten – doch die Nachfrage steigt. Und auch wenn bei dem digitalen Fitnessprgroamm der durchschnittliche Umsatz pro Nutzer niedriger sein mag (wer Mitglied in einem Fitness-Studio wird, dürfte im häufigsten Fall gleich einen hochpreisigen Jahresvertrag abschließen müssen), dürfte die Marge dafür vergleichsweise hoch sein. Denn im Gegensatz zu den Studioketten, die Studiomieten und Mitarbeiter zahlen müssen, hat Freeletics niedrige Kosten. Fitness First, die zweitgrößte Kette in Deutschland, erzielte beispielsweise laut der FAZ im Geschäftsjahr 2013/14 ein EBITDA von 25 Millionen Euro nach einem Umsatz von 150 Millionen Euro. Joshua Cornelius schreibt über Freeletics: „2014 war unser zweites Geschäftsjahr. Wir haben ein paar Millionen Euro Gewinn gemacht und wachsen nach wie vor mit beeindruckender Geschwindigkeit.“ So mag es also auch durch Freeletics’ Entwicklung motiviert sein, dass Fitness First das Online-Studio New Moove aufgekauft hat.
Die drei Gründer haben sich im vergangenen Jahr aus dem operativen Geschäft von Freeletics zurückgezogen, nehmen aber nach wie vor Einfluß auf die strategischen Entscheidungen des Unternehmens. Als CEO agiert heute Daniel Sobhani, zuvor für die Boston Consulting Group tätig. Für das Jahr 2015 stehen bei dem Unternehmen laut einer Stellenausschreibung unter anderem die Entwicklung einer Freeletics-Bekleidungsmarke und die Internationalisierung im Fokus. Der Freeletics-Gründer Joshua Cornelius will künftig selbst Startups unterstützen – die Deadline für die Teilnahme an seinem Mentorenprogramm Maverlab endet heute.
Update, 10. März, 17:22 Uhr: In einer vorherigen Version dieses Artikels hieß es (in Berufung auf einen Artikel der Süddeutschen Zeitung), die drei Gründer hätten zu Anfang die Aufgabenfelder Marketing (Cornelius) sowie Finanzen und Buchhaltung (Matijczak und Yilmaz) untereinander aufgeteilt. Nach Aussagen eines der Gründer war dies nicht der Fall. Wir haben den Abschnitt deswegen entsprechend abgeändert.
Update, 11. März, 12:35 Uhr: Der Blog-Artikel von Joshua Cornelius auf der Website von Maverlab ist mittlerweile online nicht mehr verfügbar.