Beim Streaming-Dienst Crunchyroll lassen deutsche Mobile-User mehr Geld als bei Netflix
Japanische Comic-Serien finden auch im Westen Millionen Fans – davon profitiert vor allem der Streaming-Dienst Crunchyroll
- Start in der Grauzone
- Das Anime-Flywheel
- Anime-Monopol im Westen
- Die Nische erreichen
- Mehr Anime Fans bedeuten mehr Crunchyroll-Fans
Wahrscheinlich wissen nicht viele von Euch auf Anhieb, was hinter Crunchyroll steckt. Der Name klingt eher nach Gebäck als nach einer Milliarden-Firma. Dabei ist Crunchyroll die größte (Streaming-)Plattform rund um Anime in der westlichen Welt. Wir zeigen, wie aus einer Seite mit geklautem Content einer der weltweit größten Streaming-Anbieter werden konnte und wie Crunchyroll mit mehr als nur Anime-Serien Millionen-Umsätze macht.
Viele denken bei Anime und Manga an Dragonball, Naruto, One Piece. Das gesamte Genre ist aber viel Größer: In Japan entstehen Tausende Serien, Filme, Comicbücher, die mittlerweile auch in der westlichen Welt Millionen Fans haben. Die komplette Industrie rund um Anime und Mangas machte 2021 einen Umsatz von 18,4 Milliarden US-Dollar. Etwa die Hälfte der Umsätze stamme demnach von Märkten außerhalb Japans.
Anime-Fans gelten als extrem treu, begeisterungsfähig und geben für geliebte Formate viel und gern Geld aus. Das nutzt die Streaming-Plattform Crunchyroll, um ein Anime-Flywheel aufzubauen. Das 2006 gegründete Unternehmen bietet über 1.000 Anime-Serien zum Stream an, dazu kommt der Verkauf von digital lesbaren Mangas (Anime sind Comic-Serien, Mangas die Comics selbst). Hinzu kommen Verkäufe von Merchandise. Auch in Deutschland scheint die Plattform kräftig zu wachsen. Laut dem Analyse-Tool Data AI (ehemals App Annie) lag die Crunchyroll-App bei den umsatzstärksten Apps 2022 hierzulande auf Platz 9 – und lag damit etwa vor Netflix und Twitch. Kleine Einschränkung: Die Zahlen kommen über Nutzende zu Stande, die über Android und iOS ihre Abos bezahlen. Ein Netflix-Abo dürften viele über den Laptop oder Desktop-Computer abschließen.
Start in der Grauzone
Vier Freunde, die sich an der University of California, Berkeley kennengelernt hatten, starten Crunchyroll 2006. Es ist die Hochphase der Online-Piraterie und so startet auch das Unternehmen in der Grauzone. Nutzende laden Anime-Serien selbst auf die Plattform, die sie meist irgendwie in Japan auftreiben. Vor allem nischige Serien sind damals außerhalb des Anime-Mutterlands kaum zu bekommen. Viele der Inhalte auf Crunchyroll untertiteln Nutzende einfach selbst. Schnell fasst der Service in der sehr treuen Anime-Nische Fuß. Schon 2008 erkennt der US-VC Venrock das Potenzial eines Anime-Streaming-Angebots und investiert über vier Millionen US-Dollar. Der legal agierende Konkurrent Funimation und Anime-Lizenzgeber Bandai Entertainment kritisieren das Investment zu der Zeit. Crunchyroll nutzt die Millionen aber, um Lizenzen einzukaufen – ab Anfang 2009 löscht das Unternehmen alle nicht legalen Inhalte.
Heute finden Anime-Fans über 16.000 Stunden Serien- und Filmprogramm auf der Crunchyroll-Plattform. Darunter bekannte Serien wie One Piece, Dragonball, Demon Slayer und My Hero Academia aber eben auch sehr vieles aus der Nische. „Wir wollen nicht etwas für jeden, sondern alles für jemanden zeigen“, sagt Crunchyroll-CMO Gita Rebbapragada gegenüber Forbes. Jeder Anime-Fan soll in der Tiefe alles rund um seine Passion finden und nicht wie bei Netflix mit einem Gemischtwarenladen konfrontiert werden. „Es gibt keine passioniertere Community als Anime-Fans“, fügt Crunchyroll-CFO Travis Page hinzu.
Das Anime-Flywheel
Solch treue Fans holt Crunchyroll gezielt in sein Anime-Flywheel. Was hinter dem Begriff steckt, hatten wir hier ausführlich erklärt. Die Kurzfassung in abstrakter Form: Unternehmen gestalten alle Aspekte ihres Angebotes so, dass diese sich gegenseitig positiv beeinflussen und so auf ein zentrales Ziel (in der Regel das Unternehmenswachstum). So stoßen sie das metaphorische Schwungrad an. Alle weiteren Produkte und Angebote tragen dann dazu bei, dass sich „das Schwungrad schneller dreht“ (also das Unternehmen schneller wächst). Bei Crunchyroll funktioniert das ausgehend vom zentralen Streaming-Service. Nach Anmeldung könne Nutzende hier kostenlos bestimmte Inhalte sehen, für den kompletten Katalog müssen sie aber ein Abo abschließen. Das kostet 6,99 Euro oder 9,99 Euro pro Monat. Die Subscriber können dafür auch digitale Mangas lesen und bekommen Rabatte im Crunchyroll Store.
Wo wir beim ersten weiteren Angebot wären. Im Store bietet das Unternehmen passende Figuren, Klamotten, DVDs, gedruckte Mangas und Kuscheltiere an. Im August 2022 übernahm der Streaming-Service den großen Anime-Shop „Right Stuf“, um diesen Teil des Flywheels weiter auszubauen. Darüber hinaus betreibt Crunchyroll ein eigenes Games-Studio, das Anime-Spiele vor allem für Smartphones veröffentlicht. In den USA veranstaltet das Unternehmen eine eigene Crunchyroll-Expo für Anime-Fans. In Deutschland ist Crunchyroll intensiv auf der Gamescom unterwegs. Mittlerweile entwickelt Crunchyroll auch eigene Anime-Serien und bringt selbstproduzierte und lizensierte Filme ins Kino. „Anime ist gerade aus mehreren Gründen heiß. Die Fangemeinschaft ist eher jünger und deshalb sehr enthusiastisch allem gegenüber: Merchandise, Sammelobjekte, Actionfiguren, Games. Es gibt insgesamt eine große Schnittmenge zwischen Anime-Fans und Gamern“, sagt CFO Travis Page. Crunchyroll könnte die zentrale Anlaufstelle für alles rund um Anime werden.
Anime-Monopol im Westen
Wie Streaming-Gigant Netflix erhöht Crunchyroll also kontinuierlich seine Bemühungen rund um Original-Content speziell für die eigene Plattform. Gleichzeitig muss das Unternehmen gute Verbindungen zu den großen japanischen Anime-Studios halten. Laut CFO Page vergüte man die Lizenzgeber bestehender Serien mittlerweile nicht mehr nur über das klassische Modell einer Zahlung für Nutzungsrechte über einen bestimmten Zeitraum. Stattdessen sollen die Anime-Studios vermehrt nach Menge der Views ihrer Serien bezahlt werden. So entsteht ein Incentive für diese, selbst für die Crunchyroll-Verfügbarkeit ihrer Inhalte zu trommeln.
An Geld fehlt es Crunchyroll aktuell nicht. Das Unternehmen gehört heute zur Sony Group und ist damit über die Konzernmutter in Japan gelandet. Sony kauft Crunchyroll final im August 2021 für 1,175 Milliarden US-Dollar von AT&T/WarnerMedia. Die Übernahme macht für Sony deshalb so viel Sinn, weil der große Wettbewerber Funimation bereits zur Gruppe gehört. Der Content wird in der Folge bei Crunchyroll gebündelt. In Deutschland ist Funimation deshalb nicht mehr abrufbar.
Die Nische erreichen
Und weil Crunchyroll so ein Quasi-Monopol für Anime-Content im Westen aufgebaut hat, steigen die Subscriber-Zahlen kontinuierlich. Laut der Quartalsergebnisse von Sony aus dem September 2022 verzeichne der Streaming-Service mittlerweile etwa zehn Millionen Subscriber. Insgesamt habe die Plattform 120 Millionen Nutzende – viele nutzen den kostenlosen Service, der aber werbefinanziert ist und so auch Geld in die Crunchyroll-Kassen spült. Wie hoch der Umsatz des Unternehmens genau ist, macht Sony nicht öffentlich. Schätzungen liegen bei 400 Millionen US-Dollar im Jahr.
Das Wachstum hat Crunchyroll natürlich seinen Inhalten und damit auch dem Fokus auf Anime zu verdanken. Funimation-Gründer Gen Fukunaga sagt gegenüber Variety, dass große Streaming-Services wie Netflix große Anime-Hits einkaufen können. „Die großen Jungs sind fokussiert auf Hits“, erzählt er. „Wenn du ein echter Anime-Fan bist, ist Crunchyroll das einzige Game in Town.“ Über all seine Abteilungen und sein Anime-Flywheel erreicht der Streaming-Service die treue Anime-Community und bettet sich da auch über Inhalte auf den großen Plattformen ein. Der deutsche Crunchyroll-Account auf Instagram hat über 95.000 Follower, auf Youtube sind es über 780.000 Abonnent*innen. Die internationalen Kanäle sind nochmal um einiges größer.
Mehr Anime Fans bedeuten mehr Crunchyroll-Fans
Durch die eigenen Inhalte hat es das Unternehmen auf den Plattformen einfach: Die Helden der Fans bekommen hier ihre Bühne. Zusätzlich bindet die Plattform die Community über die Anime Awards an sich, die das Unternehmen selbst ausrichtet und wo die Fans über die besten Shows abstimmen können. Das Freemium-Modell reduziert die Einstiegshürden für neue Kund*innen. Und zusätzlich kuratiert der Streaming-Service etwa bei HBO Max die Anime-Sektion oder bespielt bei Warner TV Comedy (ehemals TNT Comedy) in Deutschland den Anime-Block mit Inhalten.
So will das Unternehmen sein oberstes Ziel erreichen (was gleichzeitig auf den eigenen Erfolg einzahlt): die Beliebtheit von Anime in der westlichen Welt weiter pushen. „Wir glauben, dass wir diesen Bereich größer machen können, indem wir Menschen die Inhalte zeigen. Das Genre steckt hier noch in den Kinderschuhen“, sagt Joanne Waage, General Manager bei Crunchyroll. „Wir sind wie Fox vor 30 Jahren mit den Simpsons. Die Kategorie wird in Zukunft viel größer werden.“ Und auf die neuen Fans wartet schon das Crunchyroll-Flywheel.