Polnisches Einhorn: Ist dieses Startup einer der größten Hidden Champions im Online Marketing?
Codewise soll bald 50 Millionen US-Dollar im Jahr umsetzen
Mehr als 4.500 (!) Prozent Umsatzwachstum innerhalb der vergangenen vier Jahre, eine angebliche „annual run rate“ (hochgerechneter Jahresumsatz) von 50 Millionen US-Dollar: Die Wachstumsgeschichte des Online-Marketing-Startups Codewise klingt bereits für sich genommen beeindruckend – und noch spannender, wenn man bedenkt, dass das Unternehmen aus Polen kommt. Wächst da offenbar mitten in Europa ein Hidden Champion der Branche an? Wir haben versucht herauszufinden, was dahinter steckt. Zwei Produkte bietet Codewise im Markt an: Gestartet ist das Unternehmen mit Zeropark, einer Plattform, die Traffic von geparkten (also zwar vergebenen, aber derzeit ungenutzten Domains) einkauft und weitervermittelt. In der Regel sind dies offenbar häufig „Vertipper“-Varianten von Domains großer Webservices. Das so genannte „Typosquatting“ hat sich im Online-Marketing als ein eigener kleiner Geschäftszweig etabliert. Ein Inhaber einer Domain wie „youtibe.com“ kann also die Besucher, die aus Versehen bei ihm landen, an Traffic-Einkäufer weiter vermitteln und so Geld verdienen. Der Käufer des Traffic kann den User dann beispielsweise auf eine Landingpage im Youtube-Look weiterleiten, auf der er ein Gewinnspiel durchführt und so beispielsweise Adressen einsammelt. Genau dieses Beispiel zeigt Zeropark in einem Video im firmeneigenen Youtube-Channel (ab 00:57):
131 Milliarden Redirects pro Monat
Der Name des Dienstes setzt sich aus den zwei Aspekten „geparkte Domains“ sowie dem Umstand, dass die Weitervermittlung des Besuchers in der Regel erfolgt ohne, dass der User klicken muss („Zero Click“). Von „Qualitäts-Traffic“ ist Zeropark also sehr weit entfernt. Umso beachtlicher, dass Zeropark den Publishing-Partnern teilweise CPMs (also Einnahmen pro Tausend Kontakte) von 3 (Deutschland) bzw. 4,12 US-Dollar (USA) verspricht. Ebenso beeindruckend das Volumen des Traffics, das von Zeropark offenbar gemakelt wird: 131 Milliarden solcher Redirects gehen nach Unternehmensangaben über den Marktplatz.
In der Regel wird solcher Traffic von Affiliate Marketern eingekauft. An genau diese Zielgruppe wendet sich auch das zweite Codewise-Produkt: die Tracking-Lösung Voluum. Mit dieser sollen Affiliate Marketer Netzwerk-übergreifend nachvollziehen können, welche ihrer Kampagnen wo und bei welchen Nutzern am besten funktionieren und die Performance entsprechend optimieren können.
Dem Hörensagen zufolge erfreut sich die Software unter umsatzstarken Affiliates durchaus großer Beliebtheit. Dafür gibt es möglicherweise mehrere Gründe: Anders als andere Tracking-Produkte ist Voluum keine Self-hosting-Lösung, die die Kunden auf ihren eigenen Servern betreiben müssen, sondern wird von Codewise auf Amazon-Servern betrieben. Dadurch soll Voluum angeblich hohe Datenmengen verarbeiten können.
Freemium-Modell hilft bei der Kundengewinnung
Der zweite Erfolgsfaktor der Software dürfte die Markteintrittsstrategie von Codewise gewesen sein. So soll die Software in einer ersten Testphase komplett kostenlos nutzbar gewesen sein; später war sie bis zum Erreichen eines bestimmten Tracking-Volumens gratis einsetzbar. Offenbar haben die Betreiber mit diesem Freemium-Modell mittlerweile genügend Kunden akquiriert: Aktuell ist auch das Einsteigerpaket kostenpflichtig und schlägt mit 99 US-Dollar monatlich zu Buche. Codewise-CEO Robert Gryn erklärte im November 2014 in einem Interview, dass Voluum alleine über Mundpropaganda 3.000 Nutzer gewonnen hätte.
Mit beiden Produkten soll Codewise laut einem Ranking von Deloitte in den zurückliegenden vier Jahren ein Umsatzwachstum von 4.555 Prozent erzielt haben. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen stufte das Startup auf Rang eins der „Rising Stars 2015“ in Mitteleuropa ein. Codewise-Chef Robert Gryn spricht in einem Facebook-Posting aus dem April davon, dass sich die „annual run rate“ auf 50 Millionen US-Dollar belaufe und das Unternehmen mittlerweile 90 Mitarbeiter beschäftige. Offenbar gibt es bislang auch keine externen Investoren; das Unternehmen sei selbst finanziert. Auf seinen privaten Fotos auf Facebook und Instagram posiert Gryn mit seinem Mercedes-AMG-Sportwagen und zeigt sich bei Reisen auf die Malediven und Mauritius.
Offenbar will der Gründer Voluum nun zur Marketing-Tech-Platform ausbauen. Zuletzt hat das Unternehmen eine eigene Demand-Side-Platform (DSP) zum Traffic-Einkauf gelauncht und die drei erfahrenen Online-Marketing-Manager Gavin Stirrat, Stephen Jenkins und Will King (ehemals Millennial Media und AOL) eingekauft und ist in ein neues Büro, das 200 Mitarbeitern Platz bietet, umgezogen. Seine Social-Media-Posts versieht Codewise-Macher Robert Gryn gerne mit dem Zusatz „Polish Unicorn“.