Lehrstunde in Sachen digitale Geschäftsmodelle: So hat Adobe den Firmenwert verzehnfacht

Ein Auszug aus dem Buch "Ohne Aktien Wird Schwer" erklärt den wirtschaftlichen Erfolg von Adobes Abo-Modell

Shantanu Narayen beim "Adobe Summit 2023"
Shantanu Narayen (im Bild beim "Adobe Summit 2023) ist seit 2007 CEO von Adobe und verantwortete damit die radikale Umstellung auf ein Abo-Modell im Jahr 2013 (Foto: Adobe)
Inhalt
  1. Hater würden sagen, es ist Photoshop
  2. No Risk, No Revenue
  3. Satz mit X
  4. Abo-Falle 2.0
  5. Die Backstory

Mehr als 220 Milliarden Euro ist Adobe aktuell an der Börse wert. Vor gut zehn Jahren betrug die Marktkapitalisierung nur etwa ein Zehntel dieser Summe – bis Adobe sein Geschäftsmodell radikal umstellte. Florian Adomeit und Noah Leidinger erklären, warum der Schritt zu einem enormen wirtschaftlichen Erfolg führte.

Die „Ohne Aktien Wird Schwer“-Macher Florian Adomeit (rechts) und Noah Leidinger (links) mit OMR-Gründer Philipp Westermeyer (Mitte)

Vor fast drei Jahren haben wir bei OMR gemeinsam mit Trade Republic den täglichen Börsenpodcast „Ohne Aktien Wird Schwer“ gestartet. Heute gehört er zu den größten Börsen-Podcasts in Deutschland. Zwei der Köpfe hinter „OAWS“ haben nun ein Buch veröffentlicht: Auf 330 Seiten erklären Florian Adomeit und Noah Leidinger, wie Aktienanalyse funktioniert. Allerdings nicht anhand trockener Theorie-Beispiele, sondern anhand von echten Stories aus der Wirtschaft. Hier könnt ihr ins Kapitel zum Abo-Modell von Adobe reinlesen. Und HIER geht’s zum Buch.

Hater würden sagen, es ist Photoshop

Ein Foto sagt mehr als tausend Worte. Damit das auch schön aussieht, gibt’s Photoshop. Ein Bildbearbeitungsprogramm, mit dem sich nicht nur fiese Pickel retuschieren lassen, sondern Kreative auf der ganzen Welt mitunter ganze Grafiken aus dem Nichts erschaffen.

In Zeiten, in denen die Digitalwirtschaft explodiert und Milliarden von Social-Media-Nutzern um Likes konkurrieren, gleicht das einer Goldgrube. Doch damit nicht genug. Denn unter dem Namen Creative Cloud vertreibt Adobe (die Firma hinter Photoshop) ein ganzes Paket an Programmen für die Erstellung und Bearbeitung von Texten, Bildern, Videos und Audioinhalten. Der Podcast zu diesem Buch wird zum Beispiel mit dem Audio-Programm Adobe Audition geschnitten und bearbeitet.

Die Softwareschmiede aus Kalifornien bietet Medienschaffenden also den notwendigen Werkzeugkasten und ist für Influencer und Co. das, was die Schaufelverkäufer im Goldrausch waren. Das sieht man auch am Börsenwert von Adobe. Der lag Ende 2022 bei stolzen 156 Milliarden US-Dollar. Die Softwareschmiede gehörte damit zu den 50 wertvollsten US-amerikanischen Firmen an der Börse.

No Risk, No Revenue

Doch hinter Adobes Erfolg steckt mehr als der Trend zu digitalen Medien. Eine entscheidende Zutat war nämlich ein riskanter Move, der schon ein paar Jahre zurückliegt und das Business komplett auf den Kopf gestellt hat. Dabei fing alles mit einem fetten Problem an.

Lange Zeit hat Adobe die eigene Software nämlich ganz klassisch verkauft. Kunden mussten in einen Laden spazieren und mitunter tausende Euro auf den Tisch legen. Im Gegenzug haben sie dann ein paar CD-Roms bekommen und konnten die Software so lange nutzen, wie sie wollten.

Dieses Modell war aus mehreren Gründen wenig attraktiv: Die anfängliche Investition für neue Kunden war extrem hoch und der potenzielle Kundenkreis entsprechend klein. Bestehende Kunden musste man außerdem immer wieder überzeugen, die neuesten Versionen zu kaufen und zahlreiche Raubkopien haben sich negativ auf den Umsatz ausgewirkt. Also hat Adobe 2013 einen radikalen Schritt gewagt und auf ein Abomodell umgeschwenkt. Seitdem kann man die Software der Kalifornier nicht mehr kaufen, sondern nur noch mieten.

Der Vorteil? Anstatt unentschlossene Kunden mit einer hohen Einmalzahlung abzuschrecken, bieten geringere monatliche Zahlungen einen attraktiven Einstiegspreis, um die Produkte auszuprobieren. Das kleinste Bundle kriegte man Ende schon für 12 Euro im Monat und damit günstiger als so manches Netflix-Abo. Adobe erweitert dadurch den Kundenkreis und schafft wiederkehrende Umsätze.

Denn wenn die Kunden einmal im Adobe-Universum gefangen sind, sind die Wechselkosten für sie extrem hoch. Die Programme sind unfassbar umfangreich. Um das Maximum rauszuholen, erfordert es viele Stunden Einarbeitung. Wenn man einmal einen Workflow etabliert hat, braucht es wirklich gute Gründe, um umzusteigen. Kein Wunder, dass das Unternehmen in 30 der 32 Quartale von 2015 bis Ende 2022 immer mindestens zweistellig wachsen konnte und Ende 2022 auf eine spektakuläre Bruttomarge von 88% kam.

Satz mit X

Doch im Voraus war alles andere als klar, ob die Umstellungen überhaupt funktionieren würde. Denn anfangs stieß das Abo-Modell vielen Kunden sauer auf. Fast 50.000 von ihnen haben sogar eine Petition unterschrieben, in der sie die Firma aufforderten, das Vorhaben abzublasen. Darin warfen sie Adobe vor, dass die Firma kleine Unternehmen, Freiberufler und Durchschnittsverbraucher beraube und nicht zu verstehen scheine, dass nicht jedes Unternehmen ein milliardenschwerer Konzern ist, der über unendlich viele Ressourcen verfügt.

Und auch unabhängig von dem Shitstorm gab’s erhebliche Risiken. Selbst wenn das Abo-Modell langfristig mehr Kohle abwerfen sollte, musste Adobe nämlich erstmal auf die Umsätze aus den einmaligen Lizenzverkäufen verzichten. Denn die wurden ja nicht mehr vorab bezahlt, sondern über die Nutzung verteilt. Außerdem konnte sich die Firma trotz treuer Nutzerbasis nicht sicher sein, wie viele tatsächlich ein Abo abschließen würden. Von daher kann man fast von einem Glücksfall sprechen, dass die Umsätze in 2013 “nur” um rund 8% eingebrochen sind. Trotzdem haben die meisten Investoren 2013 wahrscheinlich eher von einem Griff ins Klo statt einem Glücksfall gesprochen.

Denn während der operative Gewinn in den drei Jahren vor der Abo-Umstellung deutlich über eine Milliarde lag, blieben 2013 nur noch knapp 450 Millionen US-Dollar Gewinn übrig. Neben dem leicht sinkenden Umsatz hat die Umstellung nämlich auch Kohle gefressen: Für Marketing, für die Produktentwicklung, für die Umstrukturierung der eigenen Abteilungen, und so weiter. Dazu kommt, dass die Bruttomarge bei der Abo-Software erstmal nur bei knapp 75% lag, während beim CD-Verkauf über 90% als Bruttogewinn übriggeblieben sind.

Abo-Falle 2.0

Trotz allem bezweifelt heute aber kaum jemand, dass die Umstellung sinnvoll war. Denn im Geschäftsjahr 2022 lag der operative Gewinn von Adobe nicht mehr bei 400 Millionen US-Dollar, auch nicht bei 1 Milliarden US-Dollar, sondern bei mehr als 6 Milliarden US-Dollar. Der Umsatz wiederum hat sich von 4,4 Milliarden US-Dollar vor der Umstellung auf 17,6 Milliarden US-Dollar in 2022 vervierfacht. Doch viel spannender als die oberflächlichen Zahlen ist, was die Abo-Umstellung für das Business an sich bedeutet.

Für die Firma bedeuten wiederkehrende Umsätze nämlich vor allem eins: Sicherheit. Statt bei jedem neuen Produkt-Release darum bangen zu müssen, dass möglichst viele Kunden kaufen, landet jeden Monat ein fester Betrag auf dem Konto. Die Firma kann daher viel besser planen, wie viel Geld sie ausgeben kann und muss keine Sorge haben, ob am Monatsende genug Kohle da ist, um die eigenen Mitarbeiter zu bezahlen.

Genau diese Planbarkeit schätzen Investoren. Sie bewerten Firmen mit wiederkehrenden Umsätzen daher meist höher als solche, die Kunden immer wieder aufs Neue zum Kaufen überzeugen müssen.

Doch Abo-Umsätze sind nicht nur sicherer, sondern meist auch viel höher. Denn ist der Kunde einmal gewonnen, kündigt er nur selten, wenn das Produkt grundsätzlich stimmt. Auch Preiserhöhungen fallen viel weniger stark auf, wenn die monatliche Abo-Gebühr beispielsweise von 12 auf 14 Euro angehoben wird. Wenn der einmalige Gesamtpreis aber von 1.200 Euro auf 1.400 Euro angehoben wird, ist das viel spürbarer. Kunden, die eine Software über Jahre oder sogar Jahrzehnte nutzen, zahlen daher meist viel mehr, als würden sie die Software einmalig kaufen. Das erlaubt Adobe mehr Geld für die Gewinnung neuer Nutzer auszugeben, was wiederum mehr Kunden und somit noch mehr Umsatz bedeutet.

Obwohl das für die Kunden erstmal nach einem schlechten Deal klingt, kommt es letztlich auch ihnen zugute. Denn Adobe steckt die Kohle nicht nur in die eigene Tasche, sondern nutzt sie, um die eigenen Produkte zu verbessern oder ganz neue zu entwickeln. Von 2013 bis 2022 sind die Kosten für Forschung und Entwicklung nämlich von 826 Millionen US-Dollar auf fast 3 Milliarden US-Dollar angestiegen.

Außerdem müssen Kunden nicht mehr jahrelang auf neue Versionen der Software warten. Stattdessen können neue Features live gehen, sobald sie fertig sind. Für Adobe gibt’s daher keinen Grund mehr, neue Funktionen zurückzuhalten, bis man genug Argumente hat, um Kunden vom Kauf der neuesten Version zu überzeugen.

Ganz im Gegenteil: Je häufiger die Firma das Produkt verbessert, desto unwahrscheinlicher wird’s, dass Kunden kündigen. Zumal die Distribution deutlich günstiger als über teure CD-Roms im Laden ist, wo Adobe einen Teil der Verkaufserlöse an den Händler abdrücken musste.

Die Backstory

Software im Abo über die Internet zu vertreiben, ergibt also sehr viel Sinn. Die Photoshop-Macher haben das Modell allerdings nicht erfunden, sondern nur sehr erfolgreich von Salesforce abgekupfert. Der Software-Champion für Kundenbeziehungsmanagement hat die Nummer, die auch als Software-as-a-Service (kurz: SaaS) bezeichnet wird, nämlich bereits 1999 als Pionier eingeführt.

Während Salesforce und Adobe noch Vorreiter waren, gilt das SaaS-Modell heute als absoluter Standard in der Softwarebranche. Microsoft Office, Zoom, Snowflake und Asana – sie alle werden im Abo vertickt. Und auch der deutsche Software-Gigant SAP hat in den 2020er Jahren vermehrt angefangen, auf ein Abo-Modell umzustellen. Allerdings war die Umstellung Ende 2022 gerade noch in der unangenehmen Phase, wo Umsätze und Margen erstmal sinken, bevor sie dann als regelmäßige Abos wiederkehren.

Ihr wollt mehr Stories dieser Art und gleichzeitig etwas über Aktienhandel und die Funktionsweise der Börse lernen? Dann ab zum nächsten, sympathischen Buchladen oder halt zu Jeff Bezos und das „Ohne Aktien Wird Schwer“-Buch kaufen!

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Noah Leidinger
Autor*In
Noah Leidinger

Noah Leidinger legte mit 13 Jahren sein erstes Espartes an der Börse an. Seit 2016 schreibt er als Freelancer im Finanzjournalismus Artikel und Aktienanalysen. Nach seinem Auslandszivildienst in Bulgarien hostet der gebürtige Österreicher seit 2021 Ohne Aktien Wird Schwer. Außerdem ist er seit 2022 Portfolio-Manager und Prokurist bei der Beteiligungsgesellschaft OMR X.

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