Wie zwei deutsche Digital-Nerds den aktuellen Clubhouse-Hype ins Rollen gebracht haben

Wir erklären, warum Ihr seit einigen Tagen in der Branche über nichts anderes mehr lesen könnt

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Wer sich auch nur ein bisschen für Marketing und digitale Kommunikation interessiert und am vergangenen Wochenende auf Linkedin, Twitter oder Instagram aktiv war, dürfte an einem Thema nicht vorbeigekommen sein: Clubhouse. Die App, die es bereits seit dem vergangenen Frühjahr gibt und die in den USA schon vor Monaten einmal einen Riesenrummel erlebt hat, ist innerhalb von drei Tagen in Deutschland plötzlich auf Platz 2 des App Stores geschossen. Wie kommt der plötzliche Boom zustande? OMR zeichnet die Geschichte nach, listet auf, welche deutschen Promis bereits auf der Plattform aktiv sind und zeigt, wie zwei deutsche Digital-Business-Podcaster den Schneeball ins Rollen brachten.

„Ich bin neu auf Clubhouse, wer ist noch da?“ – „Hat noch jemand einen Invite über?“. Es sind die typischen Posts, die man so kennt, wenn mal wieder eine neue Social-Plattform viral geht und wie am vergangenen Wochenende die Social Feeds dominieren. Dieses Mal steht Clubhouse im Mittelpunkt, eine – wie die Betreiber selbst schreiben – „Drop in Audio App“. Aktuell ist die App nur auf iOS-Geräten und Einladungsbasis nutzbar (bestehende Mitglieder können neue einladen). Den Gründern zufolge soll auf diese Weise sichergestellt werden, dass die App nicht überlastet wird.

Zwischen Inspiration und Belanglosigkeit

Clubhouse ist eine Mischung aus virtueller Konferenz und interaktivem Podcast. Die Nutzer können Räume anlegen, in denen sie in Echtzeit mit mehreren Menschen gleichzeitig auf Audiobasis diskutieren können. Die Moderatoren eines Raumes können das Thema eines Raumes festlegen sowie, wer zu den „Speakern“ gehören darf; gleichzeitig kann eine Vielzahl von Menschen der Diskussion zuhören (manche Räume verzeichnen vierstellige Besucherzahlen). Alle Raumbesucher können per virtuellem Handheben gegenüber den Moderatoren signalisieren, dass sie gerne an der Diskussion teilnehmen möchten.

In den besten Momenten soll Clubhouse wohl eine ähnliche „Serendipity“ erzeugen, wie wenn man auf einer Party plötzlich zu einem inspirierendem Gespräch dazu stößt; in den weniger inspirierenden Momenten erinnert die App an eine unvorbereitete Paneldiskussion auf einer Branchenveranstaltung, die eher von Meinung („Und was sind Deine Gedanken zu der Sache?“) als von Substanz geprägt ist.

Mark Cuban, Virgil Abloh & Gary Vee sorgen für den Promi-Faktor

Wie den Linkedin-Profilen der beiden Clubhouse-Gründer Paul Davison und Rohan Seth zu entnehmen ist, ist die Alpha Exploration Company, das Clubhouse-Betreiberunternehmen, Anfang des Jahres 2020 gegründet worden. In den USA hat Clubhouse in der US-Tech- und Startup-Szene schnell an Bekanntheit gewonnen. Im April 2020 tweeten erstmals einige Wagniskapitalgeber aus dem Silicon Valley begeistert über Clubhouse – zu diesem Zeitpunkt ist die App noch gar nicht öffentlich verfügbar. Wenige Tage später erscheint ein erster Artikel über Clubhouse bei Techcrunch, in dem die App als Speerspitze einer ganzen Reihe neuer Audio-Apps vorgestellt wird.

Der Hype rund um die App wird noch weiter dadurch angefacht, dass sich auf der Plattform auch Promis aus der Entertainment-, Medien-, Mode und Digitalbranche anmelden und dort öffentlich austauschen. Digitalunternehmer, Milliardär und Dallas-Mavericks-Besitzer Mark Cuban, Schauspieler Kevin Hart, Schauspieler und Investor Ashton Kutcher, Modepapst Virgil Abloh und die 90er-Jahre-Rap-Legende MC Hammer gehören zu den ersten prominenten Clubhouse-Mitgliedern, ganz zu schweigen von diversen namhaften US-Wagniskapitalgebern wie Marc Andreessen von Andreessen Horowitz, einer der renommiertesten Venture-Capital-Fonds des Silicon Valley.

Clubhouse soll bereits 100 Millionen US-Dollar wert sein

Im Mai vermeldet dann Forbes, dass sich Andreessen Horowitz auf Basis einer Bewertung von 100 Millionen US-Dollar mit zehn Millionen US-Dollar an Clubhouse beteiligt und weitere zwei Millionen US-Dollar an die beiden Gründer gezahlt hat, um diesen weitere Anteile abzukaufen. Wenige Tage später porträtiert auch die New York Times die App. Mittlerweile dürfte Clubhouse sowohl wegen der weiteren Entwicklung der Plattform selbst, aber auch wegen jener des Gesamtmarktes (viele Tech-Firmen haben in den vergangenen Monaten enorm an Wert gewonnen und teilweise hochdotierte Börsengänge realisiert) noch einmal deutlich mehr Wert sein als 100 Millionen.

Und wie ist der Stand von Clubhouse in Deutschland nach dem ersten Hype rund um die App in den USA? Nachdem wir über das Andreessen-Horowitz-Funding schon in unserem OMR-Daily-Newsletter berichtet haben, schreibe ich im Juli 2020 erstmals einen Artikel über Clubhouse und einen potenziellen Social-Audio-Boom für den OMR Blog. Um die App selbst ausprobieren zu können, trage ich mich auf der Clubhouse-Website in einer Warteliste ein. Danach tut sich jedoch lange nichts – weder erhalte ich einen Zugang, noch scheint generell und über Monate hinweg Clubhouse in Deutschland so richtig anzukommen.

Restriktive Zugangsregelung löst FOMO bei Ausgeschlossenen aus

Das dürfte auch an der nach wie vor restriktiven Zugangspolitik liegen. Immer noch ist die Registrierung in der App nur auf Einladung möglich, jedes neue Mitglied erhält lediglich zwei Einladungen und wird erst durch bestimmte Aktivitäten (wie Räume eröffnen, etc.) für mehr Codes freigeschaltet. Auch wenn die Gründer angeben, die technische Infrastruktur nicht überlasten zu wollen: Der dadurch eintretende „Fear of Missing Out“-Effekt sorgt für einen enormen Rummel.

Auch in den USA sind die Einladungen heißbegehrt, und wer als Deutscher nicht direkte Verbindungen zu namhaften US-VCs hat, dem hilft offenbar auch ein Platz auf der Warteliste nicht. Das ändert sich erst im Januar 2021. „Ich hatte mir kurz vor dem Jahreswechsel endlich einen Invite verschaffen können und mich dann direkt ins Produkt verliebt“, so Philipp Gloeckler vorgestern Abend in einem Clubhouse-Raum, den OMR-Gründer Philipp Westermeyer kurzfristig eingerichtet hatte. Gloeckler ist Digitalunternehmer, hat u.a. den nachhaltigen Online-Shop Avocado Store gegründet sowie die Sharing-App „Why own it“ entwickelt.

Noch vor wenigen Tagen gibt es kaum deutsche Nutzer

Seit einiger Zeit nimmt der 36-Jährige einmal in der Woche gemeinsam mit Digitalberater Philipp Klöckner (der schon mehrfach im OMR Podcast zu Gast war, zuletzt im Oktober 2020) den Doppelgänger-Podcast auf (der Name rührt daher, dass Gloeckler aufgrund seines ähnlich klingenden Namens häufig mit Klöckner verwechselt worden war). Darin sprechen beide über aktuelle Ereignisse in der Tech- und Digitalbranche.

Philipp Klöckner (links) und Philipp Gloeckler vom Doppelgänger-Podcast (Foto: Karl Kratz)

Im Januar führen sie nach Veröffentlichung der jüngsten Folge erstmals eine Diskussion auf Clubhouse mit ihren Podcast-Hörern. „Da hatten wir zwölf Zuhörer oder so“, so Gloeckler – denn es gibt immer noch wenige deutsche Nutzer auf Clubhouse. Gloeckler „kitzelt“ seinen Mithost mit der Aufforderung, die Zuhörerzahl bis zum nächsten Mal mindestens zu verdoppeln. Philipp Klöckner kommt aus dem Rocket-Internet-Umfeld, hat viele namhafte Startups in Sachen Digital Marketing und Wachstumsstrategien beraten – und soll jetzt einen „Growth Hack“ finden, um den „Doppelgängern“ ein größeres Publikum innerhalb von Clubhouse aufzubauen.

Dedizierte Telegram-Gruppe soll für Netzwerk-Effekte sorgen

Doch wie soll das gehen, wenn beide nur jeweils wenige Einladungen zu vergeben haben und dadurch ein „Flaschenhals“ entsteht? Klöckners Idee: eine Telegram-Gruppe. Dahinter steht der Gedanke, all jenen, denen die beiden Podcast-Hosts Einladung zukommen lassen, dazu zu bringen, ihre Einladungen jeweils anderen Doppelgänger-Hörern zur Verfügung zu stellen und so exponentielle Effekte zu erzielen – bzw. „den internen Dämpfungsfaktor zu deaktivieren“, wie Klöckner später bei Twitter schreibt.

Das Vorhaben wird gepusht von einer weiteren Clubhouse-Funktion: Wer die App nutzen will, muss für sie sein iPhone-Adressbuch freigeben. Steht einer der Kontakte aus dem Adressbuch bereits auf der Clubhouse-Warteliste, gibt die App dem Nutzenden manchmal die Möglichkeit, den Kontakt quasi aus der virtuellen Schlange heraus „am Türsteher vorbeizumogeln“ und seinen Zugang freizuschalten – ohne dafür eine Einladung zu benötigen.

Wie eine Himbeersahnetorte den Hype explodieren lässt

In der Tat gelingt es Gloeckler und Klöckner auf diese Weise, einen Schneeball-Effekt zu erzielen und mehr und mehr Nutzer in die App zu schleusen. Infolgedessen erhalte auch ich plötzlich einen Zugang. Nachdem ich mir die App einen Tag lang angesehen habe, schicke ich OMR-Gründer Philipp Westermeyer in der Überzeugung, dass jeder von OMR sich Clubhouse selbst ansehen sollte, einen von zwei Einladungs-Code, einen weiteren vergebe ich an einen Kollegen aus unserem Podstars-Team. Durch die weiteren Invites, die wir auf diese Weise erhalten, sowie das „Durchwink“-Feature, ist es uns möglich, nach und nach einen Großteil unseres Teams sowie unseres erweiterten Netzwerks (auch Podcast-Hosts wie Mats Hummels) auf Clubhouse einzuladen.

Währenddessen nimmt in der deutschsprachigen Digital-Marketing- und -Medien-Szene der Rummel um Clubhouse eine neue Eigendynamik an. Als Influencerin, Social-Media-Beraterin und Podcasterin („Baby got business“) Ann-Katrin Schmitz, der auf Instagram unter dem Namen „Himbeersahnetorte“ 118.000 und auf Linkedin 20.000 Menschen folgen, in ihren Instagram Storys und mit einem Linkedin-Post auf Clubhouse hinweist, wird aus dem Schneeball ein Lawine. „Das hat die Zahl der Teilnehmer unserer Telegram-Gruppe noch einmal vervielfacht“, sagt Klöckner am Samstagabend in einem Doppelgänger-Raum auf Clubhouse.

Invites werden zu Preisen von bis zu 250 Euro auf Ebay angeboten

Zu diesem Zeitpunkt werden bereits Invites für die App auf Ebay und Ebay Kleinanzeigen gehandelt. Ein Linkedin-Post zu diesem Phänomen von OMR-Gründer Philipp Westermeyer verzeichnet ähnlich starke Resonanz wie der von Ann-Katrin Schmitz. Der Andrang wächst weiter. „Das hat den Marktplatz kurzzeitig verstopft“, so Philipp Klöckner. In der Doppelgänger-Telegram-Gruppe werden die Invites rar, weswegen Klöckner regionale Gruppen für jeweils jedes Bundesland startet, um den Flaschenhals wieder zu weiten.

Darüber hinaus veröffentlicht der Marketing-Experte auf der Doppelgänger-Website eine Anleitung dazu, wie Interessierte Clubhouse-Einladungen erhalten können. Als SEO-Experte optimiert Klöckner den Artikel auf die Keyword-Kombination „clubhouse invites“ – und steht mit dem Text innerhalb von zwei Tagen bei Google auf Platz eins zu dieser Suche. Weil das Suchvolumen mit dem Interesse an der Plattform wächst, steigen so die Mitgliederzahlen. Insgesamt sind vermutlich 2.000 Nutzende in den Doppelgänger-Telegram-Gruppen aktiv, sagt Klöckner am Samstagabend auf Clubhouse.

Die deutsche Old- und New-Media-Prominenz springt auf

Nun rollt die virale Lawine, Clubhouse erlebt den „Tipping Point“ und die plötzlich rasant ansteigenden Nutzerzahlen und dementsprechenden hohe Reichweiten locken immer mehr deutsche Influencer und andere Promis auf die Plattform. So melden sich nicht nur Social-Media-Größen wie Caro Daur, Carmen Kroll alias „Carmushka“ und Diana zur Loewen auf Clubhouse an und sind dort in Gruppendiskussionen aktiv. Auch Schauspieler Elyas M’Barek, Ministerin Dorothee Bär, FDP-Vorsitzender Christian Lindner, Musiker und DIY-Creator Fynn Kliemann, Content Creator und Influencer Paul Ripke, Moderator und Investor Joko Winterscheidt, TV-Moderatorin Dunja Hayali, Musiker und Moderator Olli Schulz, Interneterklärer Sascha Lobo, Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer sowie Investor und Ex-Höhle-der-Löwen-Star Frank Thelen werden auf Clubhouse aktiv.

Das Ergebnis dieses „perfekten Sturms“: Clubhouse klettert in Deutschland am Samstag auf Platz 65, am Sonntag auf Platz 3 und heute auf Platz 2 der App Store Charts. Nur die Messaging-App Signal wird aktuell wegen der Diskussionen über die Änderungen der Datenschutzrichtlinien von WhatsApp (die Facebook aufgrund dessen zuerst einmal auf Eis gelegt hat) noch häufiger heruntergeladen. Die ganze Geschichte erzählen Gloeckler und Klöckner auch in der neuesten Folge des Doppelgänger-Podcasts.

Unsere Podstars-Kollegen veranstalten am heutigen Montag, dem 18. Januar um 19 Uhr einen „PodTalk Live“ auf Clubhouse. Es wird nicht der letzte Talk von uns auf der Plattform bleiben. Folgt unseren Accounts (Philipp Westermeyer, Vincent Kittmann, Roland Eisenbrand), damit ihr auf dem Laufenden gehalten werdet.

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Roland Eisenbrand
Autor*In
Roland Eisenbrand

Roland ist seit mehr als zehn Jahren als Journalist in der Digitalbranche aktiv. Seit 2014 verantwortet er als Head of Content (und zweiter Mitarbeiter) alle inhaltlichen Komponenten von OMR, darunter vor allem den OMR Blog und redaktionelle Arbeit rund um das OMR Festival.

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